Marie Madeleine: Ihr schlechter Ruf

  • Marie Madeleine ist das Pseudonym einer Schriftstellerin namens Marie Madeleine Baronin von Puttkamer, geborene Günther, 1881 - 1944.

    Auf der Mobileread-Seite zu dem Roman "Ihr schlechter Ruf" steht: Einige ihrer Veröffentlichungen wurden zu ihrer Zeit als allzu freizügig empfunden und verursachten teils heftige Kontroversen. Nichtsdestoweniger genoss sie in den gebildeten Kreisen einer großen Beliebtheit.

    Man kann das Buch bei Gutenberg umsonst runterladen. Ich weiß nicht mehr, wie ich darauf gekommen bin - vielleicht durch einen Querverweis zu dem Roman "Aus guter Familie" von Gabriele Reuter, ein früher Emanzipationsroman. Marie Madeleines Buch kann man kaum als Emanzipationsroman bezeichnen, aber das Thema ist in gewisser Hinsicht durchaus noch aktuell.

    Olga, die Heldin des Romans, ist mit einem Hauptmann von Melzow verlobt, den sie sehr verehrt. Wenige Wochen vor der Hochzeit wird sie von einem verheirateten Verwandten von einer kleinen Feier nach Hause begleitet. Unterwegs versucht er gewaltsam, sie zu küssen. Sie kann ihn abwehren, bekommt aber wenig später einen anonymen Erpresserbrief von jemandem (der Leser weiß von Anfang an, um wen es sich handelt), der den Vorfall beobachtet hat und damit droht, alles ihrem Verlobten zu erzählen.

    Obwohl Olga ganz unschuldig an dem Vorfall ist, entsetzt sie die Vorstellung, ihr Bräutigam könne alles erfahren. Sie treibt das Geld auf; der Erpresser fordert mehr. Nun kommt es zu einer seltsamen Wendung: Da sie kein Geld mehr hat, bittet sie den Erpresser bei einem persönlichen Treffen um Gnade. Dieser ist gerührt und verspricht, nichts zu verraten. Um nicht mit einer Heimlichkeit in die Ehe zu gehen, erzählt Olga den Vorfall jedoch selbst ihrem Bräutigam.

    Was sich als fatal erweist, denn - wie sie natürlich hätte wissen müssen - bleibt dem Hauptmann nichts anderes übrig, als den Verletzer seiner Ehre zum Duell zu fordern.

    Es geht zwar alles glimpflich aus, aber - und im diesem Punkt hart das Buch eine beklemmende Aktualität - Olgas Ehe wird nicht glücklich. Obwohl ihr Bräutigam nicht an ihrer Unschuld zweifelt und sich die beiden über alles lieben, werden sie nirgends in Ruhe gelassen. Olga ist fortan die "femme fatale", um derentwillen sich zwei Offiziere duelliert haben, und irgendwas in ihrem Benehmen muss daran ja wohl schuld gewesen sein. Man sieht sie über die Achsel an; sie bekommt bei offiziellen Anlässen zweideutige Komplimente von augenzwinkerndern Herren. Die Eheleute, jedes in seiner Art extrem empfindlich, fühlen sich als Parias. Sogar als Melzow sich nach Afrika versetzen lässt, um die Segnungen der deutschen Zivilisation unter die Barbaren zu tragen, eilt Olgas schlechter Ruf ihnen voraus.

    Das Buch handelt übrigens nur zu ca. 50 Prozent von Olgas Ehe, die andere Hälfte dreht sich um das weitere Schicksal ihres "Ehrverletzers" und des Erpressers - letzterer dürfte psychologisch die interessanteste Figur des Romans sein.

    Marie Madeleine schreibt sehr sinnlich, geradezu süffig, wenn es um Milieuschilderungen geht. Ein Kaufhausbesuch, ein Besuch im Zoo und ähnliche Anlässe stehen dem Leser äußerst plastisch in allen Einzelheiten vor Augen. Unangenehm wird das Buch im Zusammenhang mit der Afrikareise; etwa wenn wegen der zunehmenden Hitze irgendwann die ganze europäische Mannschaft von Bord geht und durch schwarze Arbeiter ersetzt wird. Die bei diesem Wachwechsel zusehende Olga hat das Gefühl, dass da eine Herde Halbaffen an Bord kommt. Dieses Gefühl dominiert die ganze Afrika-Episode.


    Obwohl solche Passagen natürlich zeitbedingt sind, tue ich mich schwer damit. Im Urlaub habe ich mir die Freude gemacht, "Schau heimwärts, Engel!" von Thomas Wolfe noch einmal zu lesen; es ist eines der Lieblingsbücher meiner Jugend und ich habe früher immer wieder mal hineingeschaut. Jetzt, da ich es ca. 20 Jahre nicht mehr in der Hand hatte, springt mir der unverhohlene Rassismus des Autors geradezu ins Gesicht. Es gehört dazu, aber es nervt. Wobei ich Marie Madeleine natürlich nicht mit Thomas Wolfe vergleichen will.