Theodore Dreiser: Eine amerikanische Tragödie

  • Thema des 1925 erschienenen Romans ist der "american dream", mithin die Illusion von der Durchlässigkeit der sozialen Schranken.


    Der Held Clyde Griffiths will unbedingt etwas aus seinem Leben machen. Er wächst in einer armen Predigerfamilie auf. Seine Eltern fördern ihn in keiner Weise; ihnen ist nur Frommsein und gute Führung wichtig. Clyde wird mit 14 Jahren Limonadenverkäufer, später Hotelboy und noch einiges andere. Da er aufmerksam und anstellig ist, findet er sich überall zurecht, obwohl er nicht einmal eine vernünftige Schulbildung hat.


    Seine Schwäche ist der Hang zu Frauen und die Hoffnung, durch weibliche Protektion vorwärtszukommen. In seiner letzten Stellung, die ihm ein reicher Onkel verschafft hat - Clyde ist inzwischen etwas über zwanzig - untersteht ihm ein ganzer Trupp weiblicher Arbeitskräfte, und eigentlich ist es streng verboten, private Beziehungen zu einer von ihnen zu pflegen. Trotzdem beginnt er eine heimliche Affäre mit der Arbeiterin Roberta, schwärmt aber gleichzeitig die reiche und schöne Sondra Finchley an. Dreiser lässt kaum ein gutes Haar an der eitlen Sondra (wie übrigens an fast allen Frauen, die in dem Roman vorkommen); zb über Sondras Begeisterung für Sport: "Schließlich schwelgte sie in der dadurch entstehenden Notwendigkeit, oft die Kleider zu wechseln, und dem gesellschaftlichen Schauspiel, das sie mehr als alles andere interessierte. Im Badetrikot, im Reitkostüm, im Tennis- und Ballkleid und Automantel gut auszusehen!" usw.


    Dass sie sich tatsächlich in Clyde verliebt, liegt wahrscheinlich in erster Linie an seiner sympathischen Ausstrahlung - Dreiser betont immer wieder Clydes "schöne Augen", seine schlanke Gestalt, lockiges Haar etc. - und daran, dass sie ihn wegen seines reichen Onkels zunächst für gesellschaftlich höher stehend hält, als er ist. Clyde arbeitet eifrig daran, von ihrer Familie akzeptiert zu werden, aber ausgerechnet jetzt eröffnet ihm Roberta, dass sie von ihm schwanger sei, und verlangt die Heirat. Clyde muss sie unbedingt loswerden ... Laut Klappentext hat Dreiser seinen Roman "nach einem wirklichen Mordfall gestaltet".



    Dreiser gibt sich große Mühe, das Handeln seiner Personen psychologisch genau zu durchleuchten. Dabei stört aber der oft schwerfällige und moralisierende Stil und uferlose Breite. Dem Buch hätte es m.M.n. gut getan, wenn es mindestens hundert Seiten kürzer wäre.

    Lesenswert ist, wie Dreiser auf das Arbeitsleben eingeht. Clydes Geschick, sich nach kurzer Anleitung überall zurechtzufinden, ist beeindruckend. Dreiser referiert nebenher alle Stationen der Kragenherstellung. Als angehender Abteilungsleiter in der Sortiererei wird Clyde über seine Pflichten aufgeklärt: "Die Fabrik wird vom Keller bis zum Dachboden eigentlich von Frauen betrieben. In der Konfektionsabteilung (kommt) ein Mann auf zehn Frauen (...). Deshalb müssen wir hier jeden, dem wir irgendeine Verantwortung zugestehen, in bezug auf seine moralischen und religiösen Ansichten kennen. (...) Die Männer und Frauen, die für uns arbeiten, müssen die Überzeugung haben, daß sie immer bloß Angestellte sind, und diese Überzeugung auch auf die Straße mitnehmen. Wenn sie es nicht tun und uns das zu Ohren kommt, sind sie für uns erledigt."
    Ich kann mich erinnern, eine ganz ähnliche Predigt auch in Hans Falladas "Kleiner Mann, was nun?" (1932) gelesen zu haben.



    Ich habe mir das Buch noch einmal vorgenommen, nachdem ich letzte Woche die Verfilmung "Ein Platz an der Sonne" (1951, mit Montgomery Clift und Elizabeth Taylor) gesehen hatte. Charlie Chaplin soll den Streifen als "den besten Hollywoodfilm überhaupt" bezeichnet haben. Mir persönlich schien Clift zu alt für die Hauptrolle. Er war zur Drehzeit 31 und wirkt auch keineswegs jünger; ihm fehlt einfach die ungefestigte Ausstrahlung, die er als Clyde meiner Meinung nach haben sollte. Aber E. Taylors Liebreiz ist wunderbar.



    Ein Kuriosum, für das Dreiser nichts kann, ist die Namenswahl in der deutschen Fassung. Der Name Griffiths ist schon schlimm genug, aber Wendungen wie "die Griffithssche Fabrik" möchte ich gar nicht erst auszusprechen versuchen.

    Meine Ausgabe ist von Rowohlt (erste Ausgabe 1951), übersetzt von Marianne Schön - gefunden in einem Offenen Bücherschrank.