• Für unsere Leseprojekt habe ich mir als Vertreter der Moderne den Roman 'Berlin' von Paul Gurk rausgesucht.


    Paul Gurk gehört zu den großen Vergessenen der deutschen Literatur im 20. Jahrhundert. Sein opulenter Roman 'Berlin' entstand 1923-1925 und erschien 1927 erstmals. Jetzt ist er in einer neuen Ausgabe im Arco-Verlag erschienen, die schon daher sehr zu loben ist, dass sie auch ausführliche Informationen zum Autor enthält.


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    Der Roman hat mich durchaus beeindruckt. Sprachlich steht er in vielem dem Expressionismus nahe. Ich habe in den Dialogen Anklänge an Kästners 'Fabian', in der Wortakrobatik Nachklänge von Siegfried Kracauer ('Georg' und 'Ginster') entdeckt, ebenso klingt natürlich in der Beschreibung der Großstadt auch Döblin an. Die Vergleiche mit diesen Namen hat Paul Gurk nicht zu scheuen.


    Hauptfigur ist der fliegende Buchhändler Eckenpenn, der mit seinem Bücherkarren in Berlin unterwegs ist und sein kümmerliches Dasein fristet. An seinem Stand treffen sich Intellektuelle und Heruntergekommene, vom Leben Gezeichnete und Menschen mit großen Hoffnungen. Ein Leitmotiv des Romans ist ein kleines blaues Heft mit eigenen Gedichten Eckenpenns, das durch verschiedene Hände geht, im Leben verschiedener Menschen Dinge in Bewegung setzt, auf mysteriöse Weise aber immer wieder in Eckenpenns Hände zurückkehrt. Insgesamt ist die Handlung, die Eckenpenns letzte Lebensmonate umfasst, aber von eher geringem Interesse. Die Stärke des Buches liegt in der Beschreibung der Großstadt und ihres pulsierenden Lebens. Die Auseinandersetzung mit Vermassung, Industrialisierung, Beschleunigung, Urbanisierung und Entfremdung zieht sich durch das ganze Buch. Als roter Faden zieht sich die Frage durch den Roman, wie man als Mensch angesichts dieser unaufhaltbaren Entwicklung leben soll. Die bizarrsten Figuren bevölkern den Roman, die alle auf ihre Weise eine Antwort auf diese Frage verkörpern, von der zum Filmstar aufgestiegenen Tochter der Vermieterin über schwule Dandies, Untergangspropheten, Kriminelle, Verzweiflungstäter und heimliche Gelehrte.Ein urkomisches Kapitel schildert einen Ausflug Eckenpenns aufs Land, bei dem er sich Erholung, Einssein mit der Natur und völlige Stille verspricht - nur um dann festzustellen, dass das moderne Leben sich tief ins Land hineingefressen hat und auch dort kein Entkommen vor der Welt der Stadt möglich ist.


    Durchaus ein Buch, das man wieder entdecken sollte!


    EDIT: Hier noch ein ausführlicher Beitrag vom Deutschlandfunk zu Roman und Autor:
    http://www.deutschlandfunk.de/…ml?dram:article_id=376434