John dos Passos: MANHATTAN TRANSFER

  • Hallo allerseits,


    ich war schon lange nicht mehr da, auch wenn ich ab u. zu mit sehr großem Interesse eure Diskussionen verfolge. :redface:


    Nun habe ich ein Buch gelesen, das mich zu sehr begeistert hat, als das ich es nicht bekannt mache :zwinker:


    John Dos Passos entwirft hier ein soziales u. sittliches Panorama der Stadt NY zwischen den Jahren 1895 bis 1925.
    Sein Anliegen war, ein möglich realistisches u. komplexes Bild der amerikanischen Gesellschaft in den goldenen Zwanzigern zu liefern, die verlogene bürgerliche Romantik zu zerstören, die Wahrheit vom Unglück der meisten zu verbreiten .


    Jedes Kapitel wird von einem Motto unterschiedlichen Charakters eingeleitet (Zeitungsanzeigen, Dialoge, Schlagzeilen, Schlagertexte usw), atmosphärische Bilder, die dann den Hintergrund des Geschehenen bildet.


    Das Buch hat keine Hauptpersonen, keinen linearen Erzählstrang, es besteht aus einer Folge von kurzen, fragmentarischen Episoden aus dem Leben von fast 100 Gestalten(Die Anzahl habe ich aus dem Nachwort geklaut *gggg*).
    Vertreten sind in diesem Bild alle sozialen Schichten von Anwälten u. Finanziers, Makler, Theaterdirektoren, Geschäftsleuten bis hin zu Tellerwäschern, Gelegenheitsarbeitern u. Arbeitslosen, normale Menschen auf der Jagd nach Geld, Glück, Macht, im Strudel der Millionenmetropole gefangen.
    Ein paar von ihnen begegnen wir öfters, so z.B. der Schauspielerin Ellen Thatcher, die nach einem kurzlebigen Erfolg auf dem Broadway u. 2 gescheiterten Ehen an der Seite des Anwalts George Baldwin landet, was auch nichts besseres verspricht, oder den Journalisten Jimmy Herf, der auf der Suche nach dem Sinn des Lebens in einer Massengesellschaft durch dubiöse Kneipen zieht; dem Alkoholschmuggler Congo, dem die Prohibition ein Vermögen bringt; den ehemaligen König der Wall Street Joe Harland, der in der Gosse landet usw.


    Es hört sich alles kompliziert an, ist es aber nicht! Die Art wie es geschrieben ist, entwickelt einen ungeheueren Sog, dem ich mich kaum entziehen konnte! Ein großartiges Buch!


    Das war fast die Überraschung des Jahres bei mir, ich kannte diesen Autoren nicht mal vom Namen her *schäm*. Zum Glück hat meine Ausgabe ein sehr gutes Nachwort, dass Autor u. Werk in die (Literatur)Geschichte platziert.


    Kennt jemand auch andere Werke des Autors?? Vor allem die frühen, bis einschließlich der Trilogie <b>USA</b> sollen sehr gut sein.



    PS: Das Buch ist in demselben Jahr wie V. Woolfs „Mrs. Dalloway“, Gides „Falschmünzer“, S. Fitzgeralds „Der große Gatsby“ erschienen ( wofür alles Vollmans „Die wunderbaren Falschmünzer“ gut ist *ggg*)


    Schönen Tag euch allen,
    Dana :winken:

  • Hallo zusammen!
    Hallo Dana!


    U.S.A. habe ich vor x Jahren gelesen. Leider war mein Englisch damals noch nicht so gut (ich hab's nämlich auf Englisch probiert...), so dass ich es wohl nicht geniessen konnte. Hat mich aber ungeheuer fasziniert. Von der Schreibtechnik her erinnert mich Dein Beitrag über Manhattan Transfer stark an diesen andern Wälzer.


    Ich hab das Buch noch immer stehen, seither aber nie mehr gelesen. Vielleicht für eine gemeinsame Runde???


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Dana,


    schön, dass Du wieder zum Klassikerforum zurückgefunden hast. „Manhattan Transfer“ habe ich vor 3 oder 4 Jahren gelesen und war so begeistert wie Du.. Deine Beschreibung trifft genau zu. Allerdings glaube ich, dass das Nachwort mit den 100 Gestalten übertreibt. Ich habe das Buch etwas analysiert und bin der Meinung, dass es nicht mehr als 45 Personen sind, von denen wir etwas aus ihrem Leben erfahren und die tauchen eigentlich immer wieder in den „filmschnitt“-artigen Episoden (ich habe 136 Episoden gezählt) auf. Und wenn man diese Episoden in die richtige Reihenfolge bringt, dann findet man mehrere lineare Erzählstränge. Wenn Du mir nicht glaubst, mach mal folgenden Versuch:


    Bud Korpenning taucht in 8 der 136 Episoden auf und da die alle im 1. Buch sind (1 x im Kapitel „Fährboot“, 3 x in „Metropolis“, 2 x in „Dollars“, 1 x in „Schienen“ und 1 x in „Dampfwalze“) ist seine lineare Geschichte einfach zu verfolgen. Lies die 8 Episoden einfach mal der Reihe nach direkt hintereinander: Bud kommt nach New York, sucht Arbeit und kommt um:


    2 Fragen zu Bud werden immer wieder unterschiedlich beantwortet:
    Wie lange war Bud in New York?
    Kommt Bud durch einen Unfall oder durch Selbstmord um?


    Wie ist Deine Meinung dazu?


    Dana hat geschrieben:
    Kennt jemand auch andere Werke des Autors?? Vor allem die frühen, bis einschließlich der Trilogie USA sollen sehr gut sein.


    Die USA-Trilogie wurde nach „Manhattan Transfer“ geschrieben, ist mehr als 4 mal so umfangreich und in ähnlichem Stil geschrieben. Dos Passos gilt seit der Veröffentlichung von „Manhattan Transfer“ (1925) neben Joyce (mit dem er befreundet war) als literarischer Revolutionär des 20. Jahrhunderts. Die Bände von „USA“ erschienen 1930 (Der 42. Breitengrad), 1932 (Neunzehnhundertneunzehn) und 1936 (Die Hochfinanz).


    Wenn Du, Dana oder Du, Sandhofer die USA-Trilogie bei den Lesevorschlägen einträgst (vielleicht für den Winter), wäre ich dabei.


    Grüße von Hubert