Re: Robert Louis Stevenson - Die Schatzinsel

  • (Hier geht es zwar um den Film, aber ich scheue vor einem neuen Thread zurück. Man wird dafür schon mal angemeckert ... :breitgrins:)


    Ein Wiedersehen nach 35 - 40 Jahren kann enttäuschen. Aber auch beglücken. Stevensons „Schatzinsel“, eines der wichtigen Bücher meiner Jugend, als Erwachsenener noch einmal zu lesen, war mir ein besonderes Anliegen. Bereut habe ich die jetzt beendete Lektüre nicht, denn wenn man überhaupt von einem „perfekten“ Spannungsroman sprechen kann, dann ist „Die Schatzinsel“ einer der Prototypen des Genres. Stevenson versteht es vorzüglich, Spannung und Rasanz mit sprachlicher Prägnanz und atmosphärischer Dichte zu vereinen. Die Handlung entwickelt sich ohne langwierige Exposition, der Leser wird sofort in das Geschehen hineingezogen. Der Stil ist realistisch und beinahe hart, zugleich jedoch poetisch. Stevenson lässt dem Leser Raum für Phantasien und eigene Bilder, die nahezu filmreif komponiert sind, wie z.B. die Beschreibung der langsam aus dem Nebel auftauchenden Schatzinsel aus der Perspektive der Seeleute an Bord der „Hispaniola“.


    Mit aufwändigen Charakterzeichnungen hält Stevenson sich nicht auf. Seine Figuren handeln und reden, wie reale Menschen des 18. Jahrhunderts vielleicht tatsächlich gehandelt und geredet haben. Und indem sie handeln und reden, deuten sie nebenbei ihre wichtigsten Eigenschaften und Charakterzüge an. Silvers Heimtücke und Verschlagenheit, Trelawneys Blasiertheit und Geschwätzigkeit sind für den aufmerksamen Leser mühelos dechiffrierbar. Die Figuren wirken dadurch manchmal etwas eindimensional, was aber durch die Story und die Rasanz der Ereignisse mühelos kompensiert wird.


    Apropos Story: Das Ganze ist ist zwar ein „historischer“ Stoff, der aber ohne historisierende oder gar belehrende Darstellung auskommt. Man merkt, dass Stevenson ein Buch schreiben wollte, das Vergnügen macht. Das ist ihm gelungen.


    Ist „Die Schatzinsel“ ein Roman nur für die Jugend? Stevenson sah das nicht so.*) Aus dem Nachwort der von Andreas Nohl neu übersetzten Ausgabe (Hanser 2013) geht hervor, dass Stevenson, der als junger Autor mit seinen Reiseberichten viel Lob, aber wenig Geld erntete, seinen Bestseller aus zwei Gründen schrieb: Er suchte den ersten kommerziellen Erfolg seiner Schriftstellerei, und der war am ehesten gewiss, wenn sein Buch möglichst viele Leser erreichte.


    Der zweite Grund war Stevensons Unbehagen am Realismus, der mit dem Naturalismus die wesentliche Literaturströmung seiner Zeit darstellte. Dieses Ungenügen hat vor allem eine ästhetisch-künstlerische Stoßrichtung. Dem Realismus fehlt laut Stevenson sowohl die ästhetisch-sinnliche als auch die moralische Vieldeutigkeit. Er ist zu sehr auf die Wahrnehmung der gegenständlichen Welt fixiert und verweigert sich dem eskapistischen Tagtraum. Dem Alltag zu entkommen ist für Stevenson jedoch eine wesentliche Lesemotivation für viele Menschen. Auf einem Auswandererschiff hatte er das Elend vieler Zeitgenossen hautnah erlebt. Es erschien ihm absurd, dass Menschen, die sich im täglichen Überlebenskampf aufreiben, auch nur ansatzweise empfänglich sein könnten für Romane, die die Realität reproduzieren, so raffiniert sie auch konstruiert sein mögen.


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    *) Kleine Anmerkung am Rande: Ein Werk als Jugendliteratur zu bezeichnen, ist mMn. keine Abwertung. Oder sind junge Leser minderwertiger oder anspruchsloser als erwachsene?

  • Ich habe Die Schatzinsel vor kurzem zum ersten Mal gelesen. Ungefähr ein Jahr zuvor hatte ich Stevensons Dr. Jekyll und Mr. Hide gelesen, um endlich die Ursprungsgeschichte hinter dem viel bearbeiteten Stoff zu kennen. Mit einer ähnlichen Motivation bin ich dann auch an die Schatzinsel ran. Allerdings war ich dann überrascht, wie sehr mich die Story gefesselt hat. Es war ein bisschen wie in Kindertagen, ich konnte nicht mehr aufhören, so spannend fand ich es. Die Charaktere waren mit groben Strichen aber herrvoragend gezeichnet, die Beschreibungen waren knapp aber doch anregend für die Phantasie.


    Und ob das nun ein Jugendbuch ist oder nicht, mir hats gefallen :smile: