Teresa de la Parra "Tagebuch einer jungen Dame, die sich langweilt”

  • Teresa de la Parra ist die erste venezolanische Autorin, die ich gelesen habe. Es ist auch kein Wunder, daß ich bisher nichts über sie gehört oder gelesen habe, da es doch nicht einmal einen deutschsprachigen Wikipedia Eintrag über sie gibt. In der Werbung des Manesse Verlages bin ich über ihren Roman “Tagebuch einer jungen Dame, die sich langweilt” gestolpert. Der Titel hat mich aufhorchen lassen. Mehr als 700 Seiten über Langeweile? Das wollte ich näher erkunden.
    Die ersten ca. 50 Seiten habe ich mich auch ein wenig gelangweilt. Aber da ich nicht so schnell aufgebe, las ich weiter. Und es hat sich gelohnt. De la Parra zeigt uns die Welt einer jungen Frau, die nach dem Tod ihres Vaters über Paris nach Caracas zu ihrer Familie zurückkehrt. Und die Langeweile ist es überhaupt erst, die dazu führt, dass die Protagonistin María Eugena Alonso sich äußert. Wie de la Parra das angelegt hat, ist sehr elegant. In einem Brief an eine Freundin wird alles bis zum Zeitpunkt, an dem die Handlung einsetzt, erläutert, und das weitere Geschehen erschließt sich dem Leser dann als Tagebuchaufzeichnungen.
    María Eugenia ist eine junge, gebildete Frau mit allen Vorurteilen, Flausen und Unausgewogenheiten, die ihre Herkunft und Jugend zu bieten haben. Zu Beginn rebelliert sie gegen Großmutter und Tante. Einige Tiraden sind stark feministisch und sozialkritisch gefärbt (was auch den Reiz des Buches ausmacht, wenn man den Zeitpunkt und die Umstände der Entstehung berücksichtigt). Doch nachdem eine arrangierte Beziehung zu einem modernen jungen Mann von María Eugenias Familie systematisch torpediert wurde, ergibt sie sich Schritt für Schritt in das für eine Frau ihrer Herkunft vorgesehene Schicksal. Auch wenn sie immer mal wieder versucht aufzubegehren, ist sie es am Ende selbst, die sich aufgibt, und sich ihrem Schicksal (die Heirat mit einem machistischem, arroganten, gebieterischem und vor allem ungeliebten Mann) ergibt.
    Die gelangweilte junge Dame hat sicherlich viele Leidensgenossinnen in der europäischen Literatur. Was den Reiz dieses Buches ausmacht, ist die fremde Kultur voller bekannter, einer Frau unheilbringender Konventionen und der Mut der Autorin, diese in ihrer Zeit zu Papier gebracht zu haben.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • BigBen Vielen Dank für die Vorstellung und Deine Einschätzung des Romans. Ich habe vor einiger Zeit mit dem Buch geliebäugelt, konnte mich aber nicht entscheiden (was selten vorkommt :zwinker:).


    Schön, wenn die Langeweile anderer für so interessanten Lesestoff sorgt ...


    Ich finde es auch reizvoll, über eigentlich bekannte Themen unter den Einflüssen fremder Kulturen zu lesen.


    Gruß, Gina