Mai 2012: Charlotte Brontë: Der Professor

  • Hallo montaigne,


    danke für die fortführende Links, sehr interessant.
    Charlotte Brontes hat eine Vorliebe Mimik und Kopfformen genau zu beschreiben, das zieht sich auffallend durch ihre Bücher und erklärt sich ja auch durch die, wie du es so gut beschreibst, Mode-"Wissenschaft", die Phrenologie.


    William ist in die Aussicht auf Liebe verliebt, nicht wirklich in Mlle Reuter, wie er schnell erkannt, als sein Herz nicht gebrochen ist. Sein Auftreten gegenüber Frances, die Schüler-Lehrerin, ist oft befremdlich zu lesen. Herrisch und grob. Frances kann zwar gut damit umgehen, aber dennoch ... Vielleicht darf ich auch nicht vergessen, dass im Grunde William noch jung und unerfahren ist.


    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • ich habe von den Brontes nun nur noch "Villette" nicht gelesen und stelle gerade fest, dass auch darin Charlotte Bronte ihre Lehrtätigkeit in einem Mädcheninternat verarbeitet, allerdings etwas kritischer als noch in "Der Professor“


    Hallo Maria,


    ich kenne „Villette“ auch noch nicht und habe deshalb mal einen Lesevorschlag zu Charlottes letztem Roman gemacht. Du wirst jetzt wahrscheinlich erst beim Doderer mitlesen und ich dann bei Fontane aber vielleicht schaffen wir es irgendwann „Villette“ zusammen zu lesen und vielleicht melden sich ja zwischenzeitlich noch ein paar Mitleser. Ich jedenfalls bin gespannt wie Charlotte ihren Belgien-Aufenthalt in ihrem letzten Werk verarbeitet.




    William ist in die Aussicht auf Liebe verliebt, nicht wirklich in Mlle Reuter, wie er schnell erkannt, als sein Herz nicht gebrochen ist. Sein Auftreten gegenüber Frances, die Schüler-Lehrerin, ist oft befremdlich zu lesen. Herrisch und grob.


    Stimmt, und hier erinnert er mich doch auch an Rochester, auch der war herrisch und oft grob und prüfte Jane auf vielfältigste Weise so wie hier William seine Schülerin prüft. Ob die Männer damals so waren? oder Charlottes Männerbild oder ihre Erwartung an Männer?


    LG
    montaigne

  • “NOVELISTS should never allow themselves to weary of the study of real life. If they observed this duty conscientiously, they would give us fewer pictures chequered with vivid contrasts of light and shade;”


    so beginnt Charlotte das 19. Kapitel. Warum hat sie sich diese zwei Sätze nur nicht hinter die Ohren geschrieben. Was sie im 17. Kapitel bietet ist das genaue Gegenteil:


    Zuerst erfahren wir einiges über Frances, sie ist in Genf geboren, ihr Vater ein Schweizer Pastor, ihre Mutter Engländerin, das erklärt natürlich einiges. Beide Eltern sind tot, sie hat nur noch eine Tante, die mit ihr nach Belgien gezogen ist, ihr Ziel ist England und warum? Weil sie wieder unter Protestanten leben will, warum? Alle Katholiken sind verlogen und falsch.


    Also ich hab’ nichts gegen individuelle Schwarz-Weiß-Malerei aber bei kollektiver Schwarz-Weiß-Malerei sträuben sich mir die Haare.



    Frances ist von der Schule verschwunden. Nicht direkt entlassen – Mademoiselle Reuter geht da subtiler vor.



    Da die Reuter William nicht die Adresse von Frances geben will, kündigt er seine Stellung am Mädchenpensionat und sucht ganz Brüssel nach Frances ab, die er schließlich auf dem Protestantischen Friedhof vor dem Stadttor von Louvain findet.



    Ich habe nun das 19. Kapitel in "Der Professor" beendet.
    Eins der schönsten wie ich finde. Gerade die Suche, die Erkenntnis seiner Liebe, das Finden seiner Liebsten. Das hat mir sehr gut gefallen.


    Auch mir, Maria, hat das bis jetzt am besten gefallen, und hier zeigt sich auch Charlottes Können: Suchen, Finden und Erkennen der Liebe, so was kann schnell kitschig wirken, - nicht so bei Charlotte und wie schafft sie das: indem sie Dinge um die beiden Liebenden im Detail beschreibt und sich nicht nur auf die beiden konzentriert. Den Friedhof: kann ich mir richtig gut vorstellen oder später in der Wohnung das alte englische Teeservice auch.


    William verdient jetzt statt 60 Pfund nur noch 40 Pfund, zuwenig um an Familiengründung zu denken, anders bei M. Pelet, dessen Vermählung mit der Reuter steht kurz bevor. William kündigt auch bei M. Pelet und steht quasi vor dem Nichts.


    „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch!“, wissen wir seit Hölderlin und in der Tat trifft ein Brief von Hunsden ein.
    Das ist aber noch nicht die Rettung, die wird vielmehr von M. Vandenhuten erwartet, dessen Sohn William drei Monate zuvor auf einem Schulfest gerettet hatte.


    Mademoiselle Zoraide wird Madame Pelet, William zieht aus. In seiner neuen Wohnung bekommt er Besuch von Hunsden., der ihm erzählt, dass sein Bruder vor drei Monaten bankrott gemacht hat, nach einem Vergleich sich aber wieder hoch arbeitet. Durch die Vermittlung von M. Vandenhuten erhält William die Ernennung zum Professor für Englisch am Kolleg in Brüssel mit 3.000 Francs Gehalt im Jahr.


  • William verdient jetzt statt 60 Pfund nur noch 40 Pfund, zuwenig um an Familiengründung zu denken, anders bei M. Pelet, dessen Vermählung mit der Reuter steht kurz bevor. William kündigt auch bei M. Pelet und steht quasi vor dem Nichts.


    Hallo montaigne,


    ich las zwischen den Zeilen, dass William eine amour fou befürchtet (?)


    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Stimmt, und hier erinnert er mich doch auch an Rochester, auch der war herrisch und oft grob und prüfte Jane auf vielfältigste Weise so wie hier William seine Schülerin prüft. Ob die Männer damals so waren? oder Charlottes Männerbild oder ihre Erwartung an Männer?


    LG
    montaigne



    Hallo montaigne,


    ich glaube schon, dass das Männerbild damals von Dominanz und der Herrschaft über Frauen geprägt war. Die Gesetzgebung kam den Männern in der Hinsicht entgegen. Ich weiß nur nicht, ob auch Charlotte sich nach einem "Herrn und Meister" sehnte. Sicherlich war sie keine schwache Frau, die einen Mann zum anlehnen suchte. Ich glaube, aus Frances spricht auch Charlotte im 23. Kapitel:


    Zitat

    "Sich vorzustellen, daß ich Sie heirate, um von Ihnen ausgehalten zu werden, Monsieur! Das könnte ich nicht machen. Und wie langweilig wären dann meine Tage!.... Monsieur, das könnte ich nicht. Mir gefällt ein beschauliches Leben, aber ein aktives Leben gefällt mir besser..... Ich habe die Beobachtung gemacht, Monsieur, daß Menschen, die sich nur um des Vergnügens willen in die Gesellschaft des anderen begeben, sich nie so gerne mögen oder sich gegenseitig so achten wie die, welche zusammen arbeiten und vielleicht auch zusammen leiden."



    ich glaube, sie spielt auch gerne mit den Elementen "Herr und Meister", Unterdrückung, Unterwerfung... nur um den Leser dann aus der Düsternis wieder ins Licht zu bringen. In Jane Eyre schafft sie das gekonnt, im Professor kann man es nur ab und zu erahnen.


    LG
    Maria

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  • Hallo montaigne,


    ich las zwischen den Zeilen, dass William eine amour fou befürchtet (?)


    LG
    Maria


    Ja, er befürchtet, dass ihm die Reuter weiter nachstellt und obwohl er sie nicht liebt, sondern in Frances verliebt ist: sein Fleisch ist willig und sein Geist ist schwach GRINS




    ich glaube schon, dass das Männerbild damals von Dominanz und der Herrschaft über Frauen geprägt war. Die Gesetzgebung kam den Männern in der Hinsicht entgegen. Ich weiß nur nicht, ob auch Charlotte sich nach einem "Herrn und Meister" sehnte. Sicherlich war sie keine schwache Frau, die einen Mann zum anlehnen suchte. Ich glaube, aus Frances spricht auch Charlotte im 23. Kapitel:


    Ja, was Frances da sagt, das klingt auch heute noch über 150 Jahre später sehr modern.


    LG
    montaigne



  • auch über Nationalitäten werden Vorurteile eingestreut, besonders über die Flamen. Aber in diesem Fall könnte Charlotte Bronte einfach die Ansichten übernommen haben, die sie vielleicht in Belgien gehört und erlebt hat. Was sie über Katholiken sagen lässt, ist wirklich schon sehr schwarz-weiß, vielleicht auch typisch englisch oder die Pastorentochter kommt hier durch ;-)


    Es wird interessant sein zu lesen, wie sie in "Villette" Lebensunterschiede schildert.


    Übrigens, Hunsden finde ich erfrischend, eine stimmige Figur.


    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Hallo montaigne,


    sehr überraschend wird William (Ende Kapitel 23) Opfer einer Hypochondrie. In seiner Kindheit litt er einmal ein ganzes Jahr daran. Warum gerade jetzt? Das fragt sich auch William, gibt uns aber keine Antwort, nur soviel, dass er sie zurück stieß und nach 8 Tagen hatte er sie überwunden.


    Es erzeugt einen Gruseleffekt .... ... wo wir uns zusammen niederlassen konnten, wo sie ihren freudlosen Schleier über mich werfen konnte und damit Himmel und Sonne vor mir verbarg, Gräser und grüne Bäume, und mich völlig an ihren tödlich kalten Busen nahm und mich mit ihren Knochenarmen festhielt. Was hat sie mir in solchen Stunden für Geschichten erzählt! ..... "Nekropolis!" flüsterte sie dann und deutete auf die bleichen Bauten, und fügte hinzu: "Sie hält eine Wohnung für dich bereit."


    treffender und lyrischer kann man es nicht beschreiben, wenn einen Ängste anheim fallen und man sich darin gefangen fühlt und zugleich eine Mahnung, ein Memento mori.


    http://de.wikipedia.org/wiki/Hypochondrie


    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Hallo montaigne,


    den "Professor" habe ich nun beendet. Sehr schön, wie sich gegen Ende hin ihre Träume, durch harte Arbeit, wie im Vorwort von Charlotte Bronte angekündigt, verwirklichten. Traurig, dass die Autorin in ihrem Leben diese Verwirklichung nicht erleben durfte ... eigene Schule, eigene Familie, gemeinsames Wirken.


    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo montaigne,


    vielleicht bist du noch nicht durch(?)
    ich möchte mich für die Leserunde bedanken, sie hat mir gut gefallen :-)


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria,



    auch über Nationalitäten werden Vorurteile eingestreut, besonders über die Flamen. Aber in diesem Fall könnte Charlotte Bronte einfach die Ansichten übernommen haben, die sie vielleicht in Belgien gehört und erlebt hat. Was sie über Katholiken sagen lässt, ist wirklich schon sehr schwarz-weiß, vielleicht auch typisch englisch oder die Pastorentochter kommt hier durch ;-)


    Es wird interessant sein zu lesen, wie sie in "Villette" Lebensunterschiede schildert.


    Übrigens, Hunsden finde ich erfrischend, eine stimmige Figur.


    Hunsden ist mir auch sehr sympathisch und er ist eine wichtige Figur innerhalb des Romans, da er immer korrigiert, wenn andere eine falsche? Meinung vertreten, so z.B. wenn Frances überzogen für England und die Engländer schwärmt, weist Hunsden auf die Arroganz und den Standesdünkel sowie auf die Korruption der damaligen? Engländer hin.




    sehr überraschend wird William (Ende Kapitel 23) Opfer einer Hypochondrie. In seiner Kindheit litt er einmal ein ganzes Jahr daran. Warum gerade jetzt? Das fragt sich auch William, gibt uns aber keine Antwort, nur soviel, dass er sie zurück stieß und nach 8 Tagen hatte er sie überwunden.


    Hier greift Charlotte auf ihre eigene Biografie zurück. Während ihrer Zeit als Lehrerin hatte sie selbst stark unter Hypochondrie und Melancholie gelitten.




    den "Professor" habe ich nun beendet. Sehr schön, wie sich gegen Ende hin ihre Träume, durch harte Arbeit, wie im Vorwort von Charlotte Bronte angekündigt, verwirklichten. Traurig, dass die Autorin in ihrem Leben diese Verwirklichung nicht erleben durfte ... eigene Schule, eigene Familie, gemeinsames Wirken.


    Auch ich bin mit dem „Professor“ durch. Ja, du hast Recht, Charlotte ließ ihre eigenen Pläne, die sie selbst nicht verwirklichen konnte für ihre Romanheldin Frances in Erfüllung gehen, insbesondere die eigene Schule war ja ihr ganz großer Wunsch und der Plan ist dann leider so kläglich gescheitert.




    ich möchte mich für die Leserunde bedanken, sie hat mir gut gefallen :-)


    Auch mir hat die Leserunde gut gefallen, deshalb herzlichen Dank insbesondere auch, da du mich ja vor meiner bisher einsamsten Leserunde bewahrt hast. :zwinker:


    LG


    montaigne




  • Hier greift Charlotte auf ihre eigene Biografie zurück. Während ihrer Zeit als Lehrerin hatte sie selbst stark unter Hypochondrie und Melancholie gelitten.



    Hallo montaigne,


    obwohl ich bereits mehrere Biographien über die Brontes gelesen habe, ist mir diese Detail entfallen. Ich hatte diese Melancholie und Hypochondrie auf Emily Bronte gemünzt. Am tapfersten fand ich immer Anne Bronte; sie sprang ein, wenn Emily nicht mehr als Lehrerin arbeiten konnte oder wollte und hat am längsten den Beruf der Gouvernante ausgeübt.



    bis dann (evtl. bei "Villette") :winken:

    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • obwohl ich bereits mehrere Biographien über die Brontes gelesen habe, ist mir diese Detail entfallen. Ich hatte diese Melancholie und Hypochondrie auf Emily Bronte gemünzt. Am tapfersten fand ich immer Anne Bronte; sie sprang ein, wenn Emily nicht mehr als Lehrerin arbeiten konnte oder wollte und hat am längsten den Beruf der Gouvernante ausgeübt.



    bis dann (evtl. bei "Villette") :winken:


    Hallo Maria,


    ich hab‘ das nicht aus einer Biographie, sondern aus Anmerkungen speziell zu diesem Roman. Bei Emily, da hast du Recht, scheint das noch schlimmer gewesen zu sein.


    Ja, wäre schön, wenn es mit „Villette“ klappen würde.


    LG
    montaigne