Dezember 2010 - Ovid: Heroides (Heldinnen)

  • Zitat von Autor: Sir Thomas« am: 11. Januar 2011

    Da sieht man, wohin es führt, wenn man den Flußgöttern zum Jahreswechsel nicht die eine oder andere Jungfrau (meinetwegen auch den einen oder anderen Jüngling) opfert!


    Hallo, Sir Thomas!


    Meine Flussgöttin (es ist eindeutig ein weibliches Wesen wie aus allegorischen Darstellungen hervorgeht) hat sich in ihr Bett zurückgezogen. Ovids "Omnia mutantur … cuncta fluunt…" (alles wandelt sich... alles fließt) – ist mir aus einem gewissen Abstand und als Metapher doch lieber!


    Ich habe nun auch die Briefe fertig gelesen. Die drei Briefpaare sind ja vor allem eins: komisch!


    Zitat von Autor: Sir Thomas« am: 6. Januar 2011

    Noch dreister als in dem Phädra-Brief wird hier (Brief Paris’ an Helena) die Geliebte zum Ehebruch aufgefordert, noch sorgloser werden die Konsequenzen der Tat geleugnet. Paris beleidigt den Gatten Helenas, nennt ihn einen grobschlächtigen Bauern und leitet daraus sein (Paris') Recht auf die Geliebte ab...
    Aus den „Metamorphosen“ wissen wir, dass Ovid für den Frauenräuber eine gehörige Portion Verachtung übrig hatte. Ich bin nun gespannt, wie die Erwiderung Helenas ausfällt.


    Helena steht Paris in puncto Skrupellosigkeit in nichts nach:
    Du rätst … den Vorteil eines einfältigen Ehemanns zu nutzen … „Kümmere dich um … unseren trojanischen Gast“, sagte er beim Abschied, kaum konnte ich mir ein Lachen verkneifen …
    Zwar ist ihr im Gegensatz zu Paris bewusst, welche Konsequenzen ihr Betrug haben wird. Sie zweifelt nicht daran, dass er einen Krieg auslösen wird, aber – und das ist eigentlich noch perfider als Paris’ tumbe Sorglosigkeit – sie scheint das einzukalkulieren und in Kauf nehmen zu wollen. Sie macht einen sehr oberflächlichen selbstsüchtigen und eitlen Eindruck. Die Fama, ihr Ruf und der äußere Schein sind ihr sehr wichtig:
    Wozu du mich schändlich überreden willst, ach könntest du mich auf schickliche Weise dazu zwingen! Mit Gewalt müsste meine Naivität erschüttert werden. Bisweilen ist das Unrecht denen, die es über sich ergehen lassen nützlich. So könnte man mich sicher auch zu meinem Glück zwingen.
    Wer verführt hier wen? Ist das nicht von fast mephistophelischer Spitzfindigkeit und Chuzpe?
    Waren die vorangegangenen Briefe eher Stoff für Tragödien, könnte dieses Pärchen in einer Gaunerkomödie z. B. der Commedia del arte auftreten – wenn der Krieg nicht seine Schatten überdeutlich vorauswerfen und diesen Briefwechsel düster einfärben würde.


    Ein Höhepunkt an Komik ist der Brief Acontius’ an Cydippe (Brief XX). Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt, danach verfährt und so argumentiert er, ohne zu merken, wie lächerlich er sich macht. Er ist sogar bereit, im Namen der Liebe in die Fußstapfen Paris’ zu treten:
    Ich bin keiner von denen, die die Tat des Paris zu tadeln pflegen, noch irgendeinen anderen, der Manns genug war, auch mal ein Mann sein zu können.
    Das steht da wirklich, auch auf Latein: … qui vir, posset ut esse, fuit.
    Ist das nicht ein herrlicher Blödsinn? Heinz Ehrhardt und Karl Valentin lassen grüßen! Nebenbei redet er sich in erotische Phantasien hinein:
    Schon längst solltest du mich wie eine Herrin (domina im lat. Text!) herzitieren. Du kannst gebieterisch mir die Haare zerraufen, und meine Wangen sollen blau geschlagen werden … alles werde ich erdulden … etc.
    Er outet sich als Stalker:
    … schleiche ich oft… insgeheim immer wieder an deiner Tür vorbei… folge verstohlen deiner Magd …
    Der Höhepunkt seines amourösen Furors aber ist eine Eifersuchtstirade auf einen eingebildeten Rivalen, von dem er erst in der Er-form spricht:
    …während er mit seinem Daumen dir den Puls fühlt … begrapscht er deine Brüste … küsst dich womöglich noch …,
    den er dann aber, völlig vergessend, an wen er hier schreibt, direkt anspricht:
    Mein sind die Küsse, die du dir da schändlich genehmigst! Nimm gefälligst deine Hände von dem mir versprochenen Körper! Schuft, Hände weg ! Die du da befingerst … etc.
    Ich musste bei diesem Brief manchmal laut lachen!
    Aber, o Wunder der Liebe, obwohl Cydippe, seine Angebetete, den ganzen Schwachsinn durchschaut und in ihrem Antwortbrief analysiert, ist sie bereit, ihn zu erhören und zeigt ihm (ähnlich wie Helena dem Paris) eine in diesem Fall aber honette Möglichkeit auf, wie er sein Ziel erreichen kann.

    So endet der Reigen unglücklicher und vergeblicher Liebesbekenntnisse mit einem angedeuteten happy end.

  • Hallo Gontscharow,


    vielen Dank für Deine letzten und ausführlichen Eindrücke. Meine Erinnerungen sind schon ein wenig blass. Daher nur soviel: Die letzten beiden Briefpaare fand ich weniger gelungen. Nach dem mit viel Ironie durchsetzen Paris-Helena-Geschehen hätte das Ganze enden können, ohne dass mir etwas gefehlt hätte. Nichtsdestotrotz habe ich die Lektüre des kompletten Werks natürlich nicht bereut.


    Noch in diesem Jahr werde ich erneut in die Antike zurückkehren. Ich warte derzeit auf die Lieferung neuer Übersetzungen der Ilias und Odyssee. Beide noch einmal in der Voß-Übertragung zu lesen, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen - auch wenn die Voß-Schwarten immer einen Ehrenplatz im Regal behalten werden.


    Noch einmal vielen Dank für diese kleine, feine Ovid-Runde!


    LG


    Tom

  • Zitat von Autor: Sir Thomas« am: Gestern um 11:18

    ...vielen Dank für diese kleine, feine Ovid-Runde!


    Danke gleichfalls, ganz meinerseits!


    Für mich war Ovid eine Entdeckung, um nicht zu sagen eine Offenbarung! Dass die Metamorphosen ein Werk von besonderer sprachlicher Schönheit und weltliterarischer Bedeutung sind, davon hatte ich natürlich gehört, das war ja schließlich der Anlass, an der Leserunde teilzunehmen. Aber was sich im Laufe der Lektüre dann eröffnete, übertraf alle Erwartungen.
    Naturgemäß konnten wir nicht alles zur Sprache bringen, viele Fragen mussten offen bleiben. Ovid ist ein unglaublich interessanter Autor, bei dem es noch viel zu entdecken gibt! Sein kritischer, intelligenter, äußerst menschlicher Blick auf die Welt und auf seine Zeit hat mich immer wieder in Erstaunen versetzt. Ich mag die Sinnlichkeit seiner Darstellung, das Scharfsinnige und Pointierte seiner Sprache, seinen Witz, seine Ironie und seine, wie ich finde, manchmal melancholischen Tonarten.


    Tja, und weil’s so schön war, habe ich nun die ars amatoria auch noch gelesen. Eigentlich wollte ich anlässlich der Lektüre der Heroides nur mal reinschauen, habe sie dann aber in einem Rutsch gelesen. Absolut empfehlenswert, besonders für den "Ovidkenner" als Ergänzung, da hier vieles wieder aufgenommen bzw. erwähnt wird, was in den Heroides bzw. dann in den Metamorphosen vorkommt, z. B. Exempel aus der Mythologie, wobei man sich über Ovids Intimkenntnise der Liebesgewohnheiten des mythologischen Personals nur wundern kann!

    Ovid verfasste das witzig-ironische Lehrgedicht Liebeskunst um die Zeitenwende, in der Zeit, als das Regime des Augustus unter dem Vorwand der moralischen Erneuerung der res publica stark in das Privatleben der römischen Oberschicht eingriff. Ovid spielt humorvoll auf Augustus’ Gesetz aus dem Jahr 18 v. Chr. gegen den Ehebruch an, indem er direkt zur Verführung und Duldung außerehelicher Beziehungen auffordert. Im Proömium des Gedichts warnt er allerdings die tugendhaften Matronen, nicht weiter zu lesen…
    (aus einer Vorlesungsankündigung der HU Berlin)


    Wenn das nicht zum Lesen animiert … :winken:


  • Für mich war Ovid eine Entdeckung, um nicht zu sagen eine Offenbarung!


    Entdeckung ja. Mit Offenbarungen habe ich es nicht so ... :breitgrins:



    Tja, und weil’s so schön war, habe ich nun die ars amatoria auch noch gelesen.


    Ich habe für einen späteren Zeitpunkt Ovids Erstling "Amores - Liebesgedichte" notiert. Vielleicht treffen wir uns ja noch einmal, um das Ovid-Triptychon zu vervollständigen.


    Viele Grüße


    Tom

  • Von Krieg und Waffengewalt in markigen Rhythmen zu künden
    schickte ich mich an, und zum Vers hatte ich den passenden
    Stoff. Jede Zeile war gleich lang wie die erste; da lachte
    Cupido, so geht die Sage, und stahl einen Versfuß...


    So beginnt im besten Qvid-Ton der allem Markig- Männlich- Staatstragenden abholde Naso seine AMORES. Weiter habe ich noch nicht gelesen, denn...



    ... Ovids Erstling "Amores - Liebesgedichte" ... Vielleicht treffen wir uns ja noch einmal, um das Ovid-Triptychon zu vervollständigen.


    Ja, gerne! Im Mai?
    [Blockierte Grafik: http://www.mbradtke.de/augustus/ovid.h3.jpg]


  • Welche Ausgabe wirst Du lesen? Die zweisprachige von Reclam oder ...


    Für mich kommt nur die zweisprachige in Frage!
    Wozu hat man sich jahrelang mit Latein rumgequält? Wenigstens synoptisch möchte ich etwas von Ovids Sprache mitbekommen … Sie macht für mich einen beträchtlichen Teil der Faszination aus. Dass Latein so anmutig, schwebend, witzig sein kann …


    Ich trage uns jetzt mal für den 3. Mai in den Kalender ein. Consentis?