Zitat von Autor: Sir Thomas« am: 11. Januar 2011Da sieht man, wohin es führt, wenn man den Flußgöttern zum Jahreswechsel nicht die eine oder andere Jungfrau (meinetwegen auch den einen oder anderen Jüngling) opfert!
Hallo, Sir Thomas!
Meine Flussgöttin (es ist eindeutig ein weibliches Wesen wie aus allegorischen Darstellungen hervorgeht) hat sich in ihr Bett zurückgezogen. Ovids "Omnia mutantur … cuncta fluunt…" (alles wandelt sich... alles fließt) – ist mir aus einem gewissen Abstand und als Metapher doch lieber!
Ich habe nun auch die Briefe fertig gelesen. Die drei Briefpaare sind ja vor allem eins: komisch!
Zitat von Autor: Sir Thomas« am: 6. Januar 2011Noch dreister als in dem Phädra-Brief wird hier (Brief Paris’ an Helena) die Geliebte zum Ehebruch aufgefordert, noch sorgloser werden die Konsequenzen der Tat geleugnet. Paris beleidigt den Gatten Helenas, nennt ihn einen grobschlächtigen Bauern und leitet daraus sein (Paris') Recht auf die Geliebte ab...
Aus den „Metamorphosen“ wissen wir, dass Ovid für den Frauenräuber eine gehörige Portion Verachtung übrig hatte. Ich bin nun gespannt, wie die Erwiderung Helenas ausfällt.
Helena steht Paris in puncto Skrupellosigkeit in nichts nach:
Du rätst … den Vorteil eines einfältigen Ehemanns zu nutzen … „Kümmere dich um … unseren trojanischen Gast“, sagte er beim Abschied, kaum konnte ich mir ein Lachen verkneifen …
Zwar ist ihr im Gegensatz zu Paris bewusst, welche Konsequenzen ihr Betrug haben wird. Sie zweifelt nicht daran, dass er einen Krieg auslösen wird, aber – und das ist eigentlich noch perfider als Paris’ tumbe Sorglosigkeit – sie scheint das einzukalkulieren und in Kauf nehmen zu wollen. Sie macht einen sehr oberflächlichen selbstsüchtigen und eitlen Eindruck. Die Fama, ihr Ruf und der äußere Schein sind ihr sehr wichtig:
Wozu du mich schändlich überreden willst, ach könntest du mich auf schickliche Weise dazu zwingen! Mit Gewalt müsste meine Naivität erschüttert werden. Bisweilen ist das Unrecht denen, die es über sich ergehen lassen nützlich. So könnte man mich sicher auch zu meinem Glück zwingen.
Wer verführt hier wen? Ist das nicht von fast mephistophelischer Spitzfindigkeit und Chuzpe?
Waren die vorangegangenen Briefe eher Stoff für Tragödien, könnte dieses Pärchen in einer Gaunerkomödie z. B. der Commedia del arte auftreten – wenn der Krieg nicht seine Schatten überdeutlich vorauswerfen und diesen Briefwechsel düster einfärben würde.
Ein Höhepunkt an Komik ist der Brief Acontius’ an Cydippe (Brief XX). Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt, danach verfährt und so argumentiert er, ohne zu merken, wie lächerlich er sich macht. Er ist sogar bereit, im Namen der Liebe in die Fußstapfen Paris’ zu treten:
Ich bin keiner von denen, die die Tat des Paris zu tadeln pflegen, noch irgendeinen anderen, der Manns genug war, auch mal ein Mann sein zu können.
Das steht da wirklich, auch auf Latein: … qui vir, posset ut esse, fuit.
Ist das nicht ein herrlicher Blödsinn? Heinz Ehrhardt und Karl Valentin lassen grüßen! Nebenbei redet er sich in erotische Phantasien hinein:
Schon längst solltest du mich wie eine Herrin (domina im lat. Text!) herzitieren. Du kannst gebieterisch mir die Haare zerraufen, und meine Wangen sollen blau geschlagen werden … alles werde ich erdulden … etc.
Er outet sich als Stalker:
… schleiche ich oft… insgeheim immer wieder an deiner Tür vorbei… folge verstohlen deiner Magd …
Der Höhepunkt seines amourösen Furors aber ist eine Eifersuchtstirade auf einen eingebildeten Rivalen, von dem er erst in der Er-form spricht:
…während er mit seinem Daumen dir den Puls fühlt … begrapscht er deine Brüste … küsst dich womöglich noch …,
den er dann aber, völlig vergessend, an wen er hier schreibt, direkt anspricht:
Mein sind die Küsse, die du dir da schändlich genehmigst! Nimm gefälligst deine Hände von dem mir versprochenen Körper! Schuft, Hände weg ! Die du da befingerst … etc.
Ich musste bei diesem Brief manchmal laut lachen!
Aber, o Wunder der Liebe, obwohl Cydippe, seine Angebetete, den ganzen Schwachsinn durchschaut und in ihrem Antwortbrief analysiert, ist sie bereit, ihn zu erhören und zeigt ihm (ähnlich wie Helena dem Paris) eine in diesem Fall aber honette Möglichkeit auf, wie er sein Ziel erreichen kann.
So endet der Reigen unglücklicher und vergeblicher Liebesbekenntnisse mit einem angedeuteten happy end.