Gustav Freytag

  • Nun habe ich das "Ahnen"- Projekt nach fast zwei Jahren abgeschlossen.


    Die Ahnen 6 – Aus einer kleinen Stadt / Schluss der Ahnen


    Der letzte Band der „Ahnen“ von Gustav Freytag erschien 1880, spielt in einer kleinen fiktiven Stadt in Schlesien und umfasst die Zeit der Eroberungskriege Napoleons bis nach der Völkerschlacht bei Leipzig, 1805 bis nach 1813.

    Ernst König, der Enkel von Friedrich König aus dem zweiten Teil der „Geschwister“, kommt als junger Arzt in die Stadt, um dort eine Praxis zu eröffnen. Mit dem Zolleinnehmer, einem unangepassten liberalen Geist und großem Jean Paul-Verehrer, erlebt er die Zeit der Besatzung durch napoleonische Truppen und den murrenden Gehorsam der Bevölkerung angesichts von Ausbeutung und Truppenwillkür.

    In einem Pfarrdorf der Umgebung, dem gleichen wie dem von Judith aus dem ersten Teil der „Geschwister“, verliebt er sich in die Tochter eines Landgeistlichen, Henriette. Diese wird fast ein Opfer von bayerischen Besatzungstruppen im Gefolge Napoleons und nur durch das Eingreifen eines französischen Offiziers, Dessalle, vor einer Vergewaltigung gerettet. Dieser jedoch benennt sie gegenüber den Bayern als seine Verlobte und tauscht mit ihr gegen ihren Willen Ringe. Henriette fühlt sich dadurch an ihren Retter gekettet, obwohl sie den Arzt liebt. Der enttäuschte und patriotische Ernst schließt sich dem unbenannten Grafen (Friedrich Wilhelm von Götzen), dem Anführer noch unbesetzter Gebiete mit drei Festungen um die Stadt Glatz an und betreut die widerständigen Truppen ärztlich. Dem Grafen gelingt es, das Gebiet für Preußen zu halten.

    Der von vielen als schmählich empfundene Friedensschluss Frankreichs mit Preußen, der Frieden von Tilsit (1807), und das darauf folgende Bündnis gegen Russland prägen die nächste Zeit und führen dazu, dass Ernst König schließlich, nach dem misslungenen Russlandfeldzug Napoleons, als Aktiver an der Völkerschlacht bei Leipzig teilnimmt. Dort trifft er auch auf Dessalle und in der Folge löst dieser die Verlobung mit Henriette auf. Die beiden Liebende heiraten und nehmen nun wieder das ruhige, wenn auch an anstrengende Leben in einem Arzthaushalt auf.

    In dem Appendix „Schluss der Ahnen“ erleben wir aus der Sicht des Sohnes Viktor die Studentenzeit im Berlin der 1830er Jahre und das anschließende Aufblühen des Widerstands gegen Zensur und Unterdrückung bis zur Märzrevolution 1848. Die Familie König reist mit Schwiegersohn Henner von Ingersleben, dessen Abstammung wohl auf den thüringischen Teil der Saga anspielt, zur Festung Coburg, im ersten Band noch ohne Festung der Ort von Ingos Burg und Tod aus dem ersten Band. Ein in der Festung vom Schwiegersohn aus dem Nachlass einer Tante übergebenes Buch weist auch auf die Zeit der Begegnung von Markus König aus dem vierten Band mit Martin Luther zurück.

    Mit einer pathetischen und idealistischen Beschwörung der Kraft des Volkes endet der Romanzyklus.


    Mit „Aus einer kleinen Stadt“ kommt Freytag seiner Lebensgeschichte sehr nahe, denn auch er engagierte sich um 1848 als Journalist politisch gegen Repressalien z.B. gegen die schlesischen Weber und musste daher politische Verfolgung hinnehmen.


    Auf uns Heutige wirkt die Anrufung der deutschen Widerstandskraft und der Kraft des Volkes befremdlich und sogar gefährlich, ist aber wohl den Zeitumständen des Vielvölkerstaates aus der Lebenswirklichkeit des jungen und mittelalten Freytags zu schulden.

    Insgesamt fand ich diesem Band zwar wieder von der Schilderung der historischen Umstände her sehr interessant, aber doch auch recht zopfig und an manchen Stellen sehr an den „Gartenlauben“-Ton erinnernd.

  • Im Rahmen meines diesjährigen Projekts - 1880er bis 1930er Jahre - bin ich nochmal zu Freytag zurückgekehrt und habe seine Lebenserinnerungen gelesen.


    Gustav Freytag: Erinnerungen aus meinem Leben (1887)

    Gustav Freytag (1816-1895) war ein Schriftsteller des deutschen Realismus, ungefähr gleichaltrig mit Theodor Fontane. Bis in die Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts war er in Deutschland sehr viel bekannter als Fontane, insbesondere für seinen Roman „Soll und Haben“ (1855), ist aber aus guten Gründen heute ziemlich vergessen gegenüber dem immer noch ( und mehr) hoch angesehenen Fontane.


    Inhalt:
    Gustav Freytag wird 1816 in einer oberschlesischen Kleinstadt als Sohn des Bürgermeisters und einer Pfarrerstochter geboren. Er erlebt eine behütete Kindheit und Jugend in einem halb ländlichen Milieu, allerdings vor dem Hintergrund von Aufbauarbeiten und der Neukonsolidierung nach den Befreiungskriegen. Nach dem Besuch des Gymnasiums in der Nachbarstadt studierte er in Breslau und Berlin Philologie. Während des Vormärz war er für eine politische Stellungnahme noch zu jung, verurteilte die „Jungdeutschen“ aber später als überzogen fordernd, stand dann bei der 48er Revolution auf der Seite der Nationalliberalen, wäre sogar einmal fast von den Preußen verhaftet worden, weil man ihm die Veröffentlichung von peinlichen Staatsgeheimnissen vorwarf. Den Nationalliberalen blieb er auch später treu und saß sogar in den Sechziger Jahren für sie im Reichstag.

    Seine schriftstellerische Karriere begann er als Dramatiker und arbeitete über Jahrzehnte als Journalist und Herausgeber der sächsischen Zeitung „Die Grenzboten“. Später veröffentlichte er vor allem historische Schriften in erzählerischer Form sowie einige umfangreiche Romane, neben „Soll und Haben“, vor allem „Die verlorene Handschrift“ und den Romanzyklus „Die Ahnen“. Die biografischen und zeitgeschichtlichen Schilderungen reichen ungefähr bis in die Anfangsjahre der 1880er. Seine Memoiren beinhalten neben der Charakterisierung seiner Werke –auch ihrer Mängel - insbesondere die (zum Teil rührende) Würdigung seiner vielen Freunde und Arbeitskollegen, mit denen er durch viele Jahre einen intensiven Austausch pflegte. Daneben macht er sich sehr für das Deutschtum stark und sieht – vielleicht auch geprägt durch das Aufwachsen in den Randprovinzen Oberschlesiens und das zähe Ringen um das Zustandekommen des deutschen Nationalstaates – im deutschen Wesen etwas besonders Bewahrenswertes und Gutes. Auch der preußische Staat und dessen Monarchen sind ihm wichtige Pfosten seiner weltanschaulichen Orientierung, dem Verbleib des Adels in den leitenden Stellungen steht er dagegen kritisch gegenüber. Von Privatem, seiner Familie und seinen Kindern bleibt die Biografie merkwürdig unberührt. Man erfährt noch nicht einmal die Namen von Frau und Kindern.


    Meine Meinung
    Diese gar nicht so umfangreiche Autobiografie war ein herausforderndes Stück Arbeit für mich, denn

    1. ärgerte mich der Nationalchauvinismus und die Ressentiments, die Freytag besonders gegenüber den slawischen Völkern, insbesondere den Polen hegt, sehr, auch dass bis auf die Mutter Frauen keinerlei Rolle spielen bzw. biedermeierlich auf ihre Pflicht als Hausfrau und Mutter zurückgesetzt werden,

    2. musste ich sehr viele Namen und Ereignisse nachschlagen: Ich bin zwar laienhaft interessiert an Geschichte und meine schon, ein Grundwissen der deutschen Geschichte zu haben, aber die Einzelheiten, die ein Zeitgenosse noch erinnert, gehen natürlich weit über das Schul- und nebenher erworbene Wissen eines Menschen hinaus, der 150 Jahre später lebt.

    Dennoch habe ich viel darüber erfahren, wie das (Bildungs)bürgertum in der Mitte des 19. Jahrhunderts lebte und was es über die Lebensumstände und solche Abstrakta wie Volk / Monarchie und Demokratie dachte. Auch die Entstehung des modernen Journalismus, die in diese Zeit fiel, war mir interessant. Positiv ist Freytag auch anzurechnen, dass er sehr selbstkritisch mit seiner akademischen Leistungsfähigkeit und auch mit seinen Werken umgeht, allerdings nicht mit dem, was ihn aus einer überzeitlichen Bedeutung herausfallen lässt – sein nationaler Chauvinismus und dem damit verbundenen Argumentieren mit nicht nachweisbaren angeblichen nationalen Charaktermerkmalen. Wenn ich z.B. lese, dass die (deutschen) Dramatiker – insbesondere Freytag selbst - des vorangeschrittenen 19. Jahrhunderts ihr Handwerk besser beherrschen als es Shakespeare tat, dann kann ich nur sagen: Wen kennt heute noch die ganze Welt? Sicherlich nicht Gustav Freytag!