Walter Kappacher

  • Aus aktuellem Anlass - Walter Kappacher wird den Büchnerpreis 2009 erhalten - sollten wir das Versäumnis nachholen und einen Kappacher-Ordner einrichten. Ich kenne bisher erst "Der Fliegenpalast" (2009), eine Art Hofmannsthalroman. Der Leser nimmt Einblick in einen Aufenthalt H(ofmannsthal)s in Bad Fusch 1924, der mit einer Schaffenskrise des müden Dichters zusammenfällt. Kappacher hat anscheinend sehr gut recherchiert (und kennt sich aus). Doch ist es kein reiner dokumentarischer Roman, Kappacher erfindet Personen hinzu (Arzt Kracauer). Die Stärke dieses Autors scheint in seiner ruhigen, angenehm unaufgeregten Schreibweise zu liegen. Nicht selten wird er mit Adalbert Stifter verglichen, heutzutage wohl eine Besonderheit...
    Kennt ihre weitere empfehlenswerte Werke von Kappacher?


    Imrahil

    "Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst..., das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen. - Thomas Bernhard, Gehen

  • ... muss man den kennen? Mich hat noch keine Buchbeschreibung eines Werkes von K. gereizt, auch das Buch wirklich zu lesen ...

  • Ich habe mittlerweile den "Fliegenpalast" beendet und als recht angenehme Lektüre erlebt. Ruhig und bedächtig läßt Kappacher den 50jährigen H(ofmannsthal) seine Lebens- und Schaffensbilanz ziehen; ich fühlte mich oft an Werfels "Verdi" erinnert. Auch Stifter kann einem - wie von Imrahil erwähnt - in den Sinn kommen. Ob diese erste Leserfahrung mit dem diesjährigen Büchnerpreisträger allerdings ausreicht, um Interesse an weiteren Werken zu wecken, wird die Zukunft zeigen. Offensichtlich ist Kappacher dermaßen unbekannt (zumindest außerhalb Österreichs), dass hier niemand weitere Erfahrungen oder Tipps auf Lager hat.


    Viele Grüße


    Tom

  • (Kleiner Nachtrag): Ich sehe, dass Peter Handke Kappacher mehrfach lobend hervorgehoben hat; das macht mich noch skeptischer (denn den halte ich für den Führenden in der Liste, die man m.E. für die am meisten überschätzten Literaten der letzten Jahrzehnte aufmachen müsste)...

  • Hallo zusammen,


    Der "Fliegenpalast" ist nun (1.Juni 10) als Taschenbuch erschienen:
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    ich habe zwischenzeitlich "Selina oder das andere Leben" gelesen und es hat mir sehr gut gefallen.


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    ein Roman über das Leben und über die Vergänglichkeit des Menschen; oder doch ein Teil eines großen Gesamtwerk. Leicht philosophisch kommt der Roman daher, sehr angenehm, ruhige Erzählweise, manches mutet märchenhaft (Nattern, Brombeergestrüpp, verwilderter Garten).. Wenn man danach nicht neugierig auf Jean Paul (Richter) wird, dann weiß ich auch nicht...


    nebenbei frage ich mich, warum es Jean Pauls Romane "Selina oder über die Unsterblichkei" und "Das Kampaner Tal" nicht mehr zu kaufen gibt :grmpf: (Edit: auch in der "Digitalen Bibliothek" sind diese Schriften nicht zu finden, *grummel*)


    http://www.perlentaucher.de/buch/22228.html



    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo zusammen,


    ich habe den "Fliegenpalast" begonnen. Es gibt Autoren, bei denen bekomme ich schon nach ein paar gelesenen Zeilen ein Gefühl der Einsamkeit, der Sehnsucht, nicht im negativen Sinne, denn es zieht mich nicht runter. Es ist sogar ein wohliges Gefühl, wenn auch das Thema in sich doch eher melancholisch einherkommt und von Vergänglichkeit spricht. Das passiert mir nun schon zum zweiten Mal, nach Selina.... bei einem Roman von Kappacher. Finde ich schön.


    Der Fliegenpalast
    ein historischer Künstlerroman über Hugo von Hofmannsthal.


    Hier gehts zu ein paar Kritiken:
    http://www.perlentaucher.de/buch/31427.html


    Grüße ovn
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • ... ich habe den "Fliegenpalast" begonnen. Es gibt Autoren, bei denen bekomme ich schon nach ein paar gelesenen Zeilen ein Gefühl der Einsamkeit, der Sehnsucht, nicht im negativen Sinne, denn es zieht mich nicht runter. Es ist sogar ein wohliges Gefühl, wenn auch das Thema in sich doch eher melancholisch einherkommt und von Vergänglichkeit spricht. Das passiert mir nun schon zum zweiten Mal, nach Selina.... bei einem Roman von Kappacher. Finde ich schön.


    Hallo Maria,


    ja, das Buch ist herrlich altmodisch und entspannt, eine Perle der zeitgenössischen Literatur. Ich fühlte mich ein wenig an die Erzählweise von Werfels Künstlerroman "Verdi" erinnert. Weiterhin viel Spaß wünscht


    Tom



  • ja, das Buch ist herrlich altmodisch und entspannt, eine Perle der zeitgenössischen Literatur. Ich fühlte mich ein wenig an die Erzählweise von Werfels Künstlerroman "Verdi" erinnert. Weiterhin viel Spaß wünscht


    Tom



    Hallo Tom,


    das ist ja schön, dass hier noch jemand Kappacher liest !
    Kennst du eigentlich auch die "Briefes eines Zurückgekehrten" von Hugo von Hofmannsthal, die so oft erwähnt werden? Ich habe mir die Briefnovelle gestern aus dem Netz geholt und etwas reingelesen; man findet darin diesselbe Stimmung wie sie Kappacher verbreitet, was im grunde nicht überraschend ist. Dies beherrscht er sehr gut.


    "Verdi" von Werfel gehört zu meinen Lieblingsbüchern.


    Grüße von
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • das ist ja schön, dass hier noch jemand Kappacher liest !


    Ich werde im September meinen ersten Kappacher lesen "Selina" :smile:


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"


  • Kennst du eigentlich auch die "Briefes eines Zurückgekehrten" von Hugo von Hofmannsthal, die so oft erwähnt werden?


    Nein, Maria. Ich bin kein großer Hofmannsthal-Kenner. Neben einigen Gedichten habe ich mich nur mit dem berühmten, ein wenig obskuren "Lord Chandos-Brief" beschäftigt.


    Hier findest Du mehr darüber: http://de.wikipedia.org/wiki/Ein_Brief


    und hier den gesamten Text: http://www.zeno.org/Literatur/…,+Vortr%C3%A4ge/Ein+Brief


    Wurde er eigentlich auch im Kappacher-Roman erwähnt? Ich kann mich nicht erinnern.


    Viele Grüße


    Tom

  • Zitat von "Anita"

    Ich werde im September meinen ersten Kappacher lesen "Selina"



    ein ruhiges, melancholisches Buch über das Leben. Ich wünsche dir viel Freude damit. :winken:







    und hier den gesamten Text: http://www.zeno.org/Literatur/…,+Vortr%C3%A4ge/Ein+Brief


    Wurde er eigentlich auch im Kappacher-Roman erwähnt? Ich kann mich nicht erinnern.



    auch ich bin kein Kenner seiner Werke. Ich habe noch nichts von ihm gelesen. Obwohl mich Kappacher hier sehr neugierig auf den Schriftsteller macht.
    "Lord Chandos-Brief" wird gegen Ende vom "Fliegenpalast" erwähnt. Der junge Arzt Krakauer erwähnt sie und später reflektiert Hofmannsthal über dieses Werk, das er in jungen Jahren schrieb und doch recht behielt, dass es die Sprache ist, die einen aus einem Labyrinth herausführt, auch wenn sie eine Zeitlang zur bloßen Konvention herabgewürdigt wurde.


    Auch die Fragen die im "Zurückgekehrten auftauchen, finden sich im "Fliegenpalast":


    Was hatte ich mir denn vorgestellt? Was hatte ich zu finden erwartet? Und warum ist mir nun, als verliere ich den Boden unter den Füßen? Du kannst Dir denken, daß ich darüber hinaus bin, eine vereinzelte persönliche Erfahrung ins allgemeine zu ziehen. Auch ist mir niemand anders als loyal begegnet, ich habe meine javanesisch-deutschen Negoziationen besser abgewickelt, als ich mir hätte träumen lassen, und bin heute frei, und dazu zwar nicht reich, aber unabhängig, was mehr ist. Nein, es ist nichts in mir, was mich befremdet und quält und mich der Heimat nicht froh werden läßt, es ist kein Spleen, es ist – also, wie soll ich es nennen? Es ist mehr als eine Beobachtung, es ist ein Gefühl, eine Beimischung aller Gefühle, ein Existenzgefühl – Du siehst, ich quäle mich zurück in den Gebrauch einer Kunstsprache, die mir in zwanzig Jahren fremd genug geworden ist. Aber muß ich wirklich kompliziert werden unter den Komplizierten?


    noch ein Roman wird öfters erwähnt, nämlich Balzacs "Das unbekannte Meisterwerk". Auch hier Ähnlichkeiten:


    Auszug:
    Bei allen menschlichen Empfindungen gibt es eine erste Blüte, aus edler Begeisterung gezeugt, die mit der Zeit immer schwächer wird, bis das Glück nur noch eine Erinnerung und der Ruhm eine Lüge ist.


    im Balzacs Novelle gehts um einen Maler der sein Bild immer wieder übermalt.


    und unter solchen Gemütsbewegungen und Zweifel litt Hofmannsthal.


    Nicht ganz im Klaren bin ich mir über den Titel des Buches "Fliegenpalast". Ein Begriff, der nur 1x im Roman auftaucht, gegen Ende des Buches, wird erklärt, dass seine Mutter die verglaste Terrasse des Hotels so nannte, weil sich darin so viele Fliegen im Sommer tummeln. Ist mir etwas ungenügend erklärt oder ich sehe zuwenig in diesem Begriff. Wie ergings dir?



    Edit:
    Tom,
    kennst du noch mehr von Kappacher?


    Grüße von
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()


  • Tom,
    kennst du noch mehr von Kappacher?


    Leider nein, Maria.



    Nicht ganz im Klaren bin ich mir über den Titel des Buches "Fliegenpalast". Ein Begriff, der nur 1x im Roman auftaucht, gegen Ende des Buches, wird erklärt, dass seine Mutter die verglaste Terrasse des Hotels so nannte, weil sich darin so viele Fliegen im Sommer tummeln. Ist mir etwas ungenügend erklärt oder ich sehe zuwenig in diesem Begriff. Wie ergings dir?


    Ähnlich. Ich verbinde nichts mit dem Begriff "Fliegenpalast". Es gibt den Golding-Roman "Herr der Fliegen"; der Titel ist eine Anspielung auf den Teufel. Aber "Palast der Fliegen"? Vielleicht ein Ort, der die seelisch Erkalteten, Ausgebrannten, Sterbenden und Lebensmüden anzieht? Alles Spekulation, also lassen wir das lieber ...


    Viele Grüße


    Tom


  • Ähnlich. Ich verbinde nichts mit dem Begriff "Fliegenpalast". Es gibt den Golding-Roman "Herr der Fliegen"; der Titel ist eine Anspielung auf den Teufel. Aber "Palast der Fliegen"? Vielleicht ein Ort, der die seelisch Erkalteten, Ausgebrannten, Sterbenden und Lebensmüden anzieht? Alles Spekulation, also lassen wir das lieber ...


    Spekulation gehört doch dazu :zwinker:
    Warum ich nicht schon früher auf Wikipedia kam, ist mir ein Rätsel, jedenfalls fand ich dort dies:


    So handelt es sich beim Fliegenpalast um einen terrassenartigen Wintergarten in H.s Hotel, in dem der Schriftsteller eines Nachmittags vor sich hin sinnierend von Fliegen belästigt wird. Körperliche Beschwerden und auch das Summen der Fliegen behindern den Dichter bei der Arbeit. Das Geräusch der Insekten wird so zur Metapher für die Beschwerlichkeiten des Alters. http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Fliegenpalast


    Edit:


    wer sagts denn, auch im Chandos-Brief kommen Fliegen vor:


    "Die Leute sind es nämlich müde, reden zu hören. Sie haben einen tiefen Ekel vor den Worten: Denn die Worte haben sich vor die Dinge gestellt. Das Hörensagen hat die Welt verschluckt. Die unendlich komplexen Lügen der Zeit, die dumpfen Lügen der Tradition, die Lügen der Ämter, die Lügen der einzelnen, die Lügen der Wissenschaften, alles das sitzt wie Myriaden tödlicher Fliegen auf unserem armen Leben."


    Grüße von
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Warum ich nicht schon früher auf Wikipedia kam, ist mir ein Rätsel, jedenfalls fand ich dort dies:


    So handelt es sich beim Fliegenpalast um einen terrassenartigen Wintergarten in H.s Hotel, in dem der Schriftsteller eines Nachmittags vor sich hin sinnierend von Fliegen belästigt wird. Körperliche Beschwerden und auch das Summen der Fliegen behindern den Dichter bei der Arbeit. Das Geräusch der Insekten wird so zur Metapher für die Beschwerlichkeiten des Alters. http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Fliegenpalast


    [color=maroon]


    Danke, Maria. Auf die Idee bei Wikipedia nachzusehen bin ich nicht gekommen. :redface:


    Du hast mittlerweile Hofmannsthals "Chandos-Brief" gelesen? Was hältst Du davon?

    LG


    Tom


  • Du hast mittlerweile Hofmannsthals "Chandos-Brief" gelesen? Was hältst Du davon?


    nein, habe ich (noch) nicht gelesen.
    Mich ließen die "Fliegen" keine Ruhe und dachte mir, dass doch in Hofmannsthals Werk etwas zu finden sein müßte, das mit ihnen zu tun hat. Ich dachte eigentlich an ein Gedicht. Meine Suche (Internet sei Dank) hat mich (wieder) zum Chandos-Brief geführt.


    Du hast dich intensiver mit dem "Brief" befasst?


    Grüße von
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Du hast dich intensiver mit dem "Brief" befasst?


    Ich habe ihn vor einem Jahr (nach der Fliegenpalast-Lektüre) gelesen. Intensive Beschäftigung würde ich das nicht nennen. Es geht um Sprachskeptizismus, also die uralte Frage: Kann die Sprache alles ausdrücken, oder ist sie ein unvollkommenes Medium? Der Schreiber des Briefs, Lord Chandos, räumt gegenüber dem Adressaten sein vollständiges Scheitern als Schriftsteller ein und begründet damit sein langjähriges Schweigen.


    Mehr habe ich nicht behalten.


    LG


    Tom

  • Hallo !


    Nachdem hier so geschwärmt wurde, habe ich (dank JMaria) zu "Selina oder das andere Leben" gegriffen und es heute zu Ende gelesen.


    Die Atmosphäre der Toskana hat mir sehr gut gefallen und mich an einige Italienurlaube meiner Kindheit, einmal ebenfalls recht abseits in einem ameisenverseuchten Häuschen, erinnert. Genauso hatte ich es in Erinnerung. Auch die in sehr zarter und zurückhaltender Weise angedeutete Thematik über die Unsterblichkeit bzw. den Versuch, sich an die Natur anzunähern, einer Naturphilosophie näher zu kommen, gefiel mir.


    Gruß von Steffi