Anna Mitgutsch über den Beruf des Schriftstellers heute

  • Hallo CK,


    interessante Meinung, die "Der Standard" über die Schriftstellerei veröffentlicht.


    Zum Thema "Autor und Markt" hier ein Artikel aus dem "Writers Digest" (Auszug):


    "Do you want to become a writer or do you want to make money?


    You think the two are synonymous? Not with the frequency you might suppose.


    If you want to make literature and a name for yourself as a really fine writer, you must face the fact that your market will be confined to a few quality magazines that pay low rates and to book publishers. If you believe you have it in you to be another O'Neill, Lewis, Hergesheimer, and are willing to endure the necessary years of struggle and apprenticeship, go to it; you'll succeed eventually and make enough money to live a very full and happy life.


    If, however, you want to write not for the sake of making literature, but of making a living, making money, in what seems to you to be an agreeable way of doing so, and if you want to accomplish this with the least possible delay, then forget literary ideals and concentrate all your efforts on creating what the great mass of the reading public want and are willing to pay for.


    There are two main divisions in this field - the white paper magazines and the rough paper magazines. It is in regard to the latter that we are concerned in this article. Rough paper magazines - wood-pulps - are very numerous, roughly they number more than a hundred, and their reader following goes well into the millions.


    From the few hundred thousand of the first years of rough paper magazine appearance, this market has broadened satisfactorily and has now attained proportions that are very worthwhile to reckon with. When you consider that in numbers, approximately one out of every twenty men, women and children in the United States each month read a wood-pulp, you have an idea of what a source of entertainment and enjoyment to the people of the country this type of periodical has become. It is too big a market to be taken lightly from any angle, too filled with possibilities to be looked upon disparagingly. ...
    Granted a measure of natural gift and normal erudition, it should not be difficult to enter this broad field as a writer. To maintain it in an assured position of monetary success requires a measure of study, adaptability and whatever work may be necessary to attain facility and skill. ..."


    Der Verfasser heißt Joseph T. Shaw und war zum Zeitpunkt des Artikels (1934) Redakteur der Publikation "Black Mask", einer Art Groschenheft mit hoher Auflage. Publiziert wurden dort u.a. die frühen Geschichten von Dashiell Hammett, Raymond Chandler und Cornell Woolrich - Autoren, die heute in einem Atemzug mit Zeitgenossen wie Hemingway, Faulkner oder Scott Fitzgerald genannt werden.


    Mir gefällt diese schnörkellose (sehr amerikanische) Einstellung zur Produktion von Literatur. Wer sich über die Regeln des Geschäfts beklagt, sollte besser die Finger davon lassen.


    Sonntägliche Grüße sendet


    Sir Thomas

  • Hallo,


    schön, dass Anna Mitgutsch auf H. Melville verweist. In dessen fiktivem Südsee-Epos "Mardi" reflektiert der, durch den Mund des Philosophen gesprochen, über den Antrieb zum Schreiben so:


    "Als erstes und vor allem: ein volles Herz, so randvoll, sprudelnd, funkelnd und überschäumend wie der Krug in Eurer Hand. Als zweites: die Notwendigkeit, für die Beschaffung seiner Yamswurzeln zu sorgen."


    Ich denke, das beansprucht Allgemeingültigkeit.


    Grüße,


    Gronauer

  • Ob nun Prosa, die nur für Blockbuster-Filme taugt, oder Sachbücher, die selbst für's Fernsehen zu doof sind. Derentwegen man dann Menschen vor den Kopf stoßen muss, die sympathisch und eigentlich nicht doof sind, aber eben viel zu selten ein gutes Buch lesen und deshalb über schlechte Bücher reden.


    Nur wenn die Autorin schreibt, dass "Qualität dem einzelnen Werk nicht mehr inhärent ist, sondern in seinem Marktwert liegt" dann geht's dabei wohl um Distinktion, nicht um große Fragen. Und Distinktion ist gähn.


    Weiterhin scheint mir Lesevergnügen bei der Autorin einen negativen Beigeschmack zu haben. Warum das? Philip K. Dick hat doch gezeigt, dass große Fragen und Lesevergnügen sich keineswegs gegenseitig ausschließen müssen. Wenn er auch leider verkannt wurde.


    Das, was den Hype heute begünstigt bzw. derart ermöglicht, ist die Entwicklung der (Medien-)Technologie. Gut, darum ging's nicht und das weiß wohl auch (fast) jeder. Für einen Nebensatz wäre's aber interessant genug gewesen.


    Interessant wäre, wieviele Menschen früher, zur guten alten Zeit (wann war die noch gleich?), "anspruchsvolle" Literatur gelesen haben und wieviele es heute sind. Würde mich nicht wundern, wenn sich das zahlenmäßig nichts geben würde.

  • Hallo Stoerte,


    die Marktmechanismen des Literaturbetriebs werden von Frau Mitgutsch schon recht zutreffend beschrieben. Ähnlich wie Du glaube ich allerdings, dass es früher nicht grundsätzlich anders, geschweige denn besser war. Man lese nur einmal nach, wie Alexandre Dumas d.Ä. seinen "Produktionsbetrieb" organisierte. Kapitalistischer geht es kaum noch! Auch Dein Verweis auf neue Technologien ist richtig, denn wenn das Publizieren sich beschleunigt, warum sollten die Werke der Autoren davon nicht betroffen sein?


    Niemand wird gezwungen, sich auf diesem Markt zu betätigen. Und wer vom Schreiben leben möchte, der wird einen langen Lern- und Anpassungsprozess durchlaufen und dabei immer eine Möglichkeit des Publizierens finden, vorausgesetzt die Qualität stimmt. Für uninspiriertes und selbstverliebtes Geschreibe gibt es ja mittlerweile den Wachstumsmarkt Book on Demand.


    Irgendwie scheint der Markt doch allen zu helfen, oder? :breitgrins:


    Liebe Grüße sendet


    Sir Thomas

  • Hallo zusammen


    Die Frage ist wohl eher, ob ernsthafte Schriftsteller bald ganz aus den (großen) Verlagen verschwinden und in den Book-of-Demand- bzw. E-Book-Bereich verdrängt werden. Einzige Alternative: Selbst- und Autorenverbandverlage. Eine traurige Entwicklung.


  • Die Frage ist wohl eher, ob ernsthafte Schriftsteller bald ganz aus den (großen) Verlagen verschwinden und in den Book-of-Demand- bzw. E-Book-Bereich verdrängt werden.


    Hallo, Evelyne,


    auch wenn es zynisch klingt: So lang sich mit ernsthaften Schriftstellern ernsthaftes Geld verdienen lässt, haben sie ihren Platz in den Verlagen, wenn auch tendenziell eher in den kleineren Betrieben. Was aber ist ein ernsthafter Schriftsteller? Er beginnt für mich beim guten "Handwerker" und endet beim genialen "Triebtäter". Letztgenannter hat es immer schon schwer gehabt, und daran wird sich vermutlich nichts ändern.


    Ich glaube, Book on Demand gibt es nur, weil die Eitelkeit der Möchtegernschreiber durch die neue Technik erstmals relativ preiswert befriedigt werden kann.


    Liebe Grüße


    Sir Thomas

  • Die Frage ist wohl eher, ob ernsthafte Schriftsteller bald ganz aus den (großen) Verlagen verschwinden und in den Book-of-Demand- bzw. E-Book-Bereich verdrängt werden. Einzige Alternative: Selbst- und Autorenverbandverlage. Eine traurige Entwicklung.


    Keine Entwicklung. Das war schon immer so. Schiller hat im Selbstverlag angefangen. Und viel Geld draufgelegt ... Auch die Almanache von Schiller, den Romantikern oder auch Hölderlin waren alle kein kommerzieller Erfolg und sind bald wieder von der literarischen Bühne verschwunden. Dafür hat ein Rinaldo Rinaldini immer neue Auflagen erlebt ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen


    Ja, stimmt. Ist wohl so ähnlich wie bei den großen Malern, welche erst nach ihrem Tod zu Dauersellern werden.


    Book-on-Demand hat einen derart schlechten Ruf, dass Schriftsteller, welche sich aufgrund ihrer ernsthaften Schreibe nicht so viel von der Verlagswelt erhoffen und sich nicht davon abhängig machen wollen, eher zum Selbstverlag greifen oder sich an Förderer wenden.


    Auf einer Buchmesse fand ich denn auch einen solchen Verlag, der auf diese Weise Bücher mit geringen Verlagschancen erfolgreich eine Stimme gab. Er konnte sich voll auf die Vermarktung weniger Bücher konzentrieren, wodurch die Bücher einen guten Absatz fanden. Vor Kurzem rief mich ein Selbstverleger an, er hat nun eine eigene Amazon-Nummer, erklärte er. Obwohl er schon einige Literaturpreise erhielt, muss er selbst für die Vermarktung sorgen. Bald darauf schrieb mich ein Förderer teilweise heute sehr bekannter literarischer Autoren an, fragte nach meinen Lektorat-Preisen. Die waren ihm wohl zu hoch (obwohl sie es nicht sind), was zeigt, wie arm Literatur-Förderer sind. Sie können sich teilweise nicht mal die Druckkosten leisten und müssen auf eigene Druckerpressen im Keller zurückgreifen. Und reihenweise gehen literarische Zeitschriften ein.