Magda Szabó

  • Hallo zusammen,


    Die 90jährige ungarische Schriftstellerin starb am 19.11.07.


    In verschiedenen Zeitungen online wurde sie als bedeutende nationale und internationale Schriftstellerin genannt, doch bisher fand ich in keinem Buchforum eine Notiz dazu.


    Ein Artikel im Netz hat ihre Werke miteinbezogen und ich fand die Beschreibung ihrer Bücher sehr interessant:


    http://www.tagesspiegel.de/kul…da-Szab%F3;art772,2423924


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Flucht vor der Ohnmacht


    Der Roman spielt in Budapest, beginnt (vermutlich) in den frühen 60er Jahren und deckt insgesamt etwa zwanzig Jahre ab. Die Ich-Erzählerin, die Schriftstellerin Magda - wir dürfen davon ausgehen, dass es sich um einen weitgehend autobiographischen Roman handelt - braucht dringend eine Haushaltshilfe: Sie kommt mit der Hausarbeit nicht hinterher, zudem kränkelt ihr geliebter Mann ständig und kann ihr nicht helfen. Die "Perle", die Magda schließlich einstellt, wohnt sogar in der gleichen Straße. Sie heißt Emerenc Szeredás, ist offensichtlich schon über sechzig, aber von jenem unzerstörbaren Frauentyp, der bis ins hohe Alter hager, beweglich und kräftig bleibt. Emerenc hat eine Dienstwohnung in einem Haus in der Nachbarschaft inne und muss dafür Hausmeisterdienste für die ganze Straße versehen, insbesondere sämtliche Bürgersteige kehren. Ein Zitat aus dem Nachwort von Eva Haldimann: "Emerenc, die im Urwissen von Gut und Böse kirchliche und weltliche Instanzen missachtet, ist eine Reine, eine der seltenen Gerechten (...). Sie hat ein schweres Leben hinter sich, wie alptraumschwer, erfährt die Erzählerin - und mit ihr der Leser -, einer subtilen Dramaturgie folgend, erst nach und nach, in dem Maße, wie sich die Schriftstellerin des Vertrauens der alten Frau würdig erweist. Im Alter ist das einstige Dienstmädchen zum Faktotum der ganzen Straße geworden, in der die Autorin wohnt. Ihre Arbeitskraft ist schier unerschöpflich, ihre Sauberkeit sprichwörtlich." Indessen hat die gute Frau ihre Macken, insbesondere fühlt sich die Erzählerin dadurch irritiert, dass Emerenc überhaupt nur körperliche Arbeit als solche betrachtet, also grundsätzlich denkt, die Schriftstellerin liege auf der faulen Haut, reise bloß zum Vergnügen durch die Gegend (wenn die Erzählerin Lese- oder TV-Termine wahrzunehmen hat) und gehe zu ihrer Unterhaltung in die Kirche, während sie, Emerenc, die "richtige" Arbeit macht.



    Nach und nach wird Emerenc der Autorin derart unentbehrlich, dass schon die Drohung, die Arbeit aufzugeben, einer Katastrophe gleichkommt. Dabei macht die Alte, was sie will: sie "schmückt" die Wohnung ihrer Dienstgeber mit gefundenem Kitsch, schreckt nicht davor zurück, Magda "Idiotin" zu nennen, und nimmt den Hund des Ehepaars einfach mit sich; sie gibt dem Rüden sogar den Namen "Viola", weil sie als Kind ein Kälbchen hatte, das so hieß. Vieles in dem Buch mutet komisch an, die Erzählerin gibt Emerenc in allem nach und ist manchmal geradezu verzweifelt bemüht, der Alten gegenüber eine gute Figur zu machen. So achtet sie auch eine strenge Grenze ihrer Haushälterin: diese gestattet niemandem, weder Magda noch ihren Verwandten und Bekannten aus der Straße, ihre kleine Hausmeisterwohnung zu betreten. Besuch wird grundsätzlich im Hausflur oder auf dem Hof empfangen. Da Emerenc in der Besatzungszeit bei einer jüdischen Familie im Dienst war, die das Land verlassen musste, geht das Gerücht, dass sie die kostbaren Möbel und Wertgegenstände dieser Familie an sich gerafft habe - irgendeinen Grund muss es ja haben, dass niemand in ihre Wohnung darf.



    Das Buch erzählt Kapitel für Kapitel geschlossene Episoden aus der Bekanntschaft der beiden Frauen, die sich nach und nach in Freundschaft wandelt; die Autorin gebraucht sogar den Begriff Liebe. Dass es am Ende zu einem schweren Bruch kommt, wissen wir von Anfang an: "Ich bin schuld an Emerencens Tod" heißt es schon auf der dritten Seite; die Autorin berichtet über einen Traum, in dem sie eine Tür öffnen will, um dringend gebrauchte Hilfe hereinzulassen, aber nicht kann. Im Drama um diese Tür - gemeint ist natürlich die Eingangstür der Hausmeisterwohnung, in der Emerenc lebt - ist der Wendepunkt in der Beziehung der beiden Frauen. Was folgt, ist für Emerenc eine Katastrophe, die zum Tod führt; für Magda eine lebenslange Gewissenslast, obwohl sie immer wieder betont, dass sie nicht anders hätte handeln können, als sie getan hat.



    Die Autorin schildert die Freundschaft der beiden Frauen, ihren Charakter und ihr Lebensumfeld mit großer Genauigkeit und in einem subtilen, oft von trockenem Humor geprägten Stil: ihre eigene Schulerziehung unter dem kommunistischen Regime nennt sie zum Beispiel "Rotlichtbestrahlung" und die häufigen Versuche der Intellektuellen, Emerenc etwas "Bildung" beizubringen, sind urkomisch. Obwohl der ganze Bericht sich, wie gesagt, über zwanzig Jahre erstreckt, passiert zum Großteil nichts wirklich Dramatisches; die Erzählweise ist episodisch, für manche Leser vielleicht etwas langweilig - aber die Themen sind zeitlos und universell. Abgesehen von der naheliegenden Interpretation, die die Autorin des Nachworts anspricht - Stichworte Einfühlung, Toleranz für andere, Vorurteile, unterschiedliche Wertsysteme -, ist das Buch auch vor dem Hintergrund unseres derzeitigen Pflegenotstands interessant zu lesen. "Im Wagen der Fernsehanstalt strebte ich dem Licht zu, floh vor Krankheit, Alter, Einsamkeit, Ohnmacht" bemerkt die Erzählerin bitter. Was ist zu tun gegenüber einem Menschen, für den das Wichtigste ist, sein Gesicht nicht zu verlieren; der lieber restlos alles andere verliert? Welche Bedeutung hat es, Gutes zu tun gegenüber einem Menschen, der nichts annehmen will? Das Buch gewährt einen Einblick in eine sehr fremdartige Persönlichkeit und viel Stoff zum Nachdenken über das wichtige Thema Alter und Verantwortung.