Oktober 2007 Goethe: Dichtung und Wahrheit

  • Hallo finsbury,


    Zitat

    Wie geht's dir denn so mit J.W. Manjula?


    Gut - aber leider zu langsam :redface: (ich habe gestern nun das 7. Buch abgeschlossen), von daher kommt mir Dein verlangsamtes Tempo sehr entgegen, ich hoffe, dann aufschließen zu können. Zum 7. Buch:


    Ein lesenswerter literarischer Streifzug. Die Zweifel des Biographen kann ich allerdings gut nachvollziehen: das erscheint doch alles sehr geordnet, Goethes tatsächliche Entwicklung war sicher chaotischer; dieser Teil dürfte also eher Dichtung als Wahrheit sein. Trotzdem: sehr interessant. Ich hatte auch den Eindruck, dass Goethe es gerade durch die Lektüre so vieler unterschiedlicher Schriftsteller schafft, sich vom Nachahmen zu lösen und zu beginnen, einen eigenen Stil zu entwickeln. Im 6. Buch findet sich hierzu auch ein kritischer Satz:


    Zitat

    Es ist nicht wunderbar, aber es erregt doch Verwunderung, wenn man bei Betrachtung einer Literatur, besonders der deutschen, beobachtet, wie eine ganze Nation von einem einmal gegebenen und in einer gewissen Form mit Glück behandelten Gegenstand nicht wieder loskommen kann, sondern ihn auf alle Weise wiederholt haben will; da denn zuletzt, unter den angehäuften Nachahmungen, das Original selbst verdeckt und erstickt wird.


    Was ja nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Musik, der Mode, bei Filmen und ganz besonders im Fernsehen beobachten lässt.


    Zitat

    Amüsiert haben mich seine Schilderungen des Freundes Behrisch. Dieser wunderliche Kauz vermittelt mehr Lebendigkeit als das ganze Professorenpantheon von Weimar. Den hätte ich auch gerne gekannt, wenn er auch - wie Goethe formulierte - ein Zeitverderber war.


    Ja, diese Passagen fand ich auch kurzweilig. Ein sehr liebenswerter Zeitverderber.


    Zitat

    Was sandhofer zu dem "inzestuösen Verhältnis" geschrieben hat, kann ich nur unterstreichen: Man neigt heute viel zu sehr dazu, jedem herzlichen Verhältnis gleich sexuelle Komponenten zu unterstellen, um sie zu skandalisieren.
    Ich finde es allerdings auch fragwürdig, dass man Cornelia nach den wenigen zeitgenössischen bio- und autobiografischen Zeugnissen Frigidität unterstellt und weiß auch nicht, was einem das an literaturhistorischen Erkenntnissen bringen soll.


    Auch hier kann ich Dir nur zustimmen.


    Viele Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo Manjula und alle,


    nun habe ich das 10. Buch abgeschlossen und halte ein wenig inne.
    Es ist dies ein zentrales Buch, weil hier Goethes Bekanntschaft mit Herder und dessen Einfluss auf ihn geschildert wird.
    Goethe erkennt Herders hohen Rang an und auch seine große Bedeutung für seinen Werdegang, aber sympathisch stellt er ihn nicht da. Nach seiner Schilderung erscheint mir Herder als ein sehr egozentrischer, geistig unduldsamer und düsterer Charakter, der wenig Wert auf gesellschaftliche Konventionen und eine freundliche Behandlung seiner Mitmenschen legt.
    Gegenüber dieser Schilderung seiner menschlichen Schwächen bleibt die Darstellung seines literarischen Einflusses ein wenig nebulös: Herder bringt Goethe von allen Dingen aus zweiter Hand ab, selbst seine geliebten ovidischen Metamorphosen müssen daran glauben und führt ihn zurück zur Volksliteratur, z.B. den skandinavischen Götter- und Heldenepen:
    Nebenbei, das wird in D_u_W nicht thematisiert, aber wir wissen es alle aus der Literaturgeschichte, sitzt auch der gestrenge Herder mit seinen Jüngern einem frechen Fälscher auf, dem Ossian, einem zeitgenössischen Literaten, der Heldengesänge u.Ä. im Stil altenglischer Fragmente veröffentlicht.
    Im zehnten Buch beginnt auch die Beziehung zu Friederike Brion, der Pfarrerstochter in Sesenheim, was zu interessanten Berührungen mit einer der anderen aktuellen Leserunden führt, dem "Vikar von Wakefield" von Oliver Goldsmith.
    Goethe hat diesen Roman wohl sehr verehrt und seine Figuren, besonders den Pfarrer, als vorbildhaft gepriesen.* Mit dieser Leseerfahrung im Hintergrund trifft er nun auf die Pfarrersfamilie in Sesenheim und sieht sofort zahlreiche Ähnlichkeiten, was soweit geht, dass er für einige Personen, die älteste Tochter und den jüngsten Sohn, Namen aus dem Roman entnimmt.
    Bis zum Ende des zehnten Buches scheint sich eine Idylle anzubahnen, wobei eine - wie ich finde - höchst alberne Verkleidungskomödie eine Rolle spielt, die sich aber der alte Goethe behaglich in epischer Breite in Erinnerung ruft.
    Nun, gut ausgehen wird es nicht, jedenfalls für Friederike, das wissen wir ja. Obwohl ein Leben an Goethes Seite gewiss auch nicht das große Los gewesen ist, wie seine Frau sicherlich insgeheim bestätigt hätte.
    Ein schönes Wochenende


    HG
    finsbury


    * Ich habe ihn vor zwanzig Jahren gelesen und mich hat er damals, ehrlich gesagt, ziemlich kalt gelassen, einer der wenigen englischen Autoren, die ich kenne und die mir nichts sagen.

  • [...] was zu interessanten Berührungen mit einer der anderen aktuellen Leserunden führt, dem "Vikar von Wakefield" von Oliver Goldsmith.
    Goethe hat diesen Roman wohl sehr verehrt und seine Figuren, besonders den Pfarrer, als vorbildhaft gepriesen.* [...]


    * Ich habe ihn vor zwanzig Jahren gelesen und mich hat er damals, ehrlich gesagt, ziemlich kalt gelassen, einer der wenigen englischen Autoren, die ich kenne und die mir nichts sagen.


    Wobei mich die aktuelle Lektüre des Vicar bisher zum Schluss führt, dass wohl Goethe die Doppelbödigkeit des Engländers nicht gesehen hat (nicht sehen wollte? nicht sehen konnte? - Goethes Urteile über literarische Werke bzw. Schriftstellerkollegen sind ja oft recht ... ähm ... eigentümlich). Ich jedenfalls finde bisher allenfalls eine vorbildhafte Person - und das ist ganz gewiss nicht der Pfarrer ;).

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Sandhofer,


    Zitat von "sandhofer"

    Ich jedenfalls finde bisher allenfalls eine vorbildhafte Person - und das ist ganz gewiss nicht der Pfarrer .


    da bist du nicht allein!
    Allerdings liegt bei mir die Lektüre so weit zurück, dass ich mir kein abschließendes Urteil erlauben kann. Vielleicht würde ich heute die Doppelbödigkeit auch mehr erkennen und genießen als damals.


    HG
    finsbury

  • Hallo finsbury, hallo zusammen,


    ich stecke momentan im neunten Buch, das mir deutlich besser gefällt als das achte: teilweise habe ich es als eine Abarbeitung von Namen berühmter Zeitgenossen empfunden, auch die eher gedrückte Stimmung (die aufgrund Goethes Erkrankung sicher berechtigt ist) hat mir dieses Buch eher schwer zugänglich gemacht. Gefallen haben mir dagegen die Schilderungen von Dresden, wobei die Schilderungen der Kriegsschäden mich etwas schaudern ließen – was hätte Goethe wohl zu Dresden nach dem zweiten Weltkrieg gesagt? Das:


    Zitat

    Gleichzeitig erzählt er aber auch sehr amüsant von seinen kabbalistischen Studien und alchemistischen Versuchen an der Seite des Fräulein von Klettenberg, der "schönen Seele" aus dem Wilhelm Meister.


    fand ich auch sehr amüsant.


    Und ehrlich gesagt etwas neidisch machte mich seine Aussage „Die Zeit ist unendlich lang und ein jeder Tag ein Gefäß, in das sich sehr viel eingießen lässt, wenn man es wirklich ausfüllen will“ (mir kommen die Tage meist wie von vornherein überfüllte Gefäße vor :sauer: ).


    Das neunte Buch beginnt heiterer, Goethe scheint aus seinem Umzug nach Straßburg neue Energie zu ziehen (wenn auch, wie mein Anhang sagt, auch diese Ortswahl auf Wünschen des Vaters beruhte, der auf seinem Rückweg aus Italien in Straßburg Vorlesungen gehört hatte). Gut gefallen haben mir seine Gedanken darüber, wie ein Ortswechsel neue Chancen eröffnet, weil auf dem Neuland „noch keine Leiden und Freuden verzeichnet“ sind.


    Zum „Vicar of Wakefield“: Goethe erwähnte es ja bereits in einem früheren Buch, deshalb verfolge ich auch die aktuelle Leserunde mit Interesse – die von Euch einhellig entdeckte Ironie scheint er wohl wirklich nicht gesehen zu haben.


    Liebe Grüße und einen schönen Wochenanfang
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo Manjula,


    entschuldige, dass ich so lange nichts mehr von mir hören ließ. Auch jetzt kann ich nichts Neues berichten, da ich in beiden Leserundenbüchern überhaupt nicht weitergekommen bin.
    Ich finde auch wie du, dass das neunte Buch, das heißt eigentlich eher die Schilderung der elsässischen Landschaft etwas Arkadisches hat. Das verstärkt sich noch im zehnten Buch mit der Beziehung zu Friederike Brion.
    Wahrscheinlich komme ich erst Ende nächster Woche zum Weiterlesen.
    Dir noch ein schönes Restwochenende.
    HG
    finsbury

  • Hallo finsbury,


    es ist keine Entschuldigung notwendig, ich bin im Gegenteil sehr froh über Deine Geduld mit mir Leseschnecke. Und jetzt sind wir sogar gleichauf, ich habe nämlich gestern das 10. Kapitel abgeschlossen.


    Zitat

    Ich finde auch wie du, dass das neunte Buch, das heißt eigentlich eher die Schilderung der elsässischen Landschaft etwas Arkadisches hat.


    Ja, ich habe dieses Kapitel auch als sehr heiter und leicht empfunden. Es scheint, als ob ihm die erneute Trennung vom Elternhaus gut getan hat. Die Geschichte mit den zwei Schwestern war ja sehr neckisch :zwinker:


    Gut gefallen hat mir auch die Schilderung von Marie Antoinettes Einzug. Die Episode mit der unheilvollen Hochzeit hat ja auch Stefan Zweig in seine Biographie mit aufgenommen.


    Und auch in dieses Buch lässt Goethe wieder einprägsame Gedanken einfließen, wie z.B.


    Zitat

    Es ist in der Welt nicht schwer zu bemerken, daß sich der Mensch am freisten und am völligsten von seinen Gebrechen los und ledig fühlt, wenn er sich die Mängel anderer vergegenwärtigt und sich darüber mit behaglichem Tadel verbreitet


    Wie wahr.


    Das 10. Kapitel habe ich ebenfalls als Einschnitt empfunden. Herders literarische Einflüsse sind eindrücklich geschildert, als Mensch kommt er tatsächlich nicht sehr gut weg. Da mag auch seine Krankheit hineinspielen; die Beschreibung der (letzlich erfolglosen) Heilmethode fand ich ziemlich schaurig (wie gut geht es uns da doch heute). Auch der Vicar wird ausführlich gewürdigt. Goethe erwähnt zwar an zwei Stellen Ironie, scheint den Landprediger aber trotzdem als absolut vorbildhaft zu sehen. Ist die von ihm inszenierte Verwechslungskomödie (bei der man förmlich die Lacher vom Band hört :zwinker: ) eigentlich auch diesem Roman entnommen?


    Zitat

    Irgendwie ist Goethe doch auch eine echte Type: Diese Autobiografie macht ihn mir weniger olympisch, dafür sehr liebenswert.


    Das geht mir auch so, er macht einen sehr menschlichen Eindruck. Sympathisch finde ich auch, dass er die Reihenfolge der Ereignisse immer mal wieder so hinbiegt, wie sie ihm kompositorisch am besten erscheint. Mein Anhang weist mehrfach auf solche zeitlichen Eigenwilligkeiten hin; naja, bei der Autobiographie eines Dichters ist ein bisschen Mogeln wohl erlaubt.


    Ich melde mich jetzt erstmal wieder ab, weil ich bis Dienstag auf einer Fortbildung bin, und wünsche Dir einen schönen Wochenanfang.


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

    Einmal editiert, zuletzt von Manjula ()

  • Hallo Manjula und alle,



    nun habe ich endlich weiterlesen und das 11. Buch abschließen können.
    Auch hier gab es wieder viel Interessantes. Goethe verbreitet sich ausführlich über die in seinen Augen stocksteife Literatur der Franzosen in der Nachfolge Racines, Corneilles und Molières und lässt sogar Voltaire und Rousseau nicht besonders gut wegkommen. Dagegen wird Shakespeare hochgelobt und mit dem Verweis auf dessen Rezeption unter den jungen Leuten in Straßburg und auf die Begegnung mit Jakob Michael Reinhold Lenz sind wir jetzt mitten im Sturm und Drang.
    Ich finde das wirklich faszinierend. Zwar hat Goethe das alles aus seiner Alterssicht zusammengestellt, doch ich komme mir mitunter vor wie auf einer Zeitreise durch die Literaturgeschichte.
    Auch muss ich hier mal Goethes Stil loben. Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen - wie auch z.B. Schiller -, die häufig ein wenig angestaubt wirken, liest sich Goethes Autobiografie für mich über lange Strecken wie frisch aus dem Buchladen, sehr modern und schlicht im Ausdruck,
    wenn er nicht gerade mit seiner Friederike in arkadischen Gefielden neckische Verwechslungsspielchen treibt :zwinker:.
    Aber nun - Ende des elften Buches - hat es sich ausgefriederiket - Goethe zeigt zwar Ansätze eines schlechten Gewissens, lässt sie aber dennoch sitzen und begibt sich über Mannheim zurück nach Hause, nachdem er mit relativem Unwillen sein juristisches Examen abgelegt hat.
    Was die Verwechslungskomödie und Bezüge zum Pfarrer von Wakefield im neunten Buch angeht, Manjula, so liegt meine Lektüre dieses Werks leider in zu grauer Vorzeit, als dass ich mich an eine solche Szene erinnern könnte. Vielleicht wissen hier unsere Kollegen von der Nachbarleserunde besser Bescheid.


    Ein schönes Wochenende!
    HG
    finsbury

  • Hallo Manjula,


    bezüglich des elften Buches habe ich noch eine Nachfrage an dich, da du ja eine kommentierte Ausgabe liest. Goethe erwähnt da im Zuge seines Abkanzelns der französischen aufklärerischen Literatur ein "Système de la nature" das ein Greis am Rande der Gruft verfasst habe, um die Existenz Gottes zu negieren. Er wird damit kaum Karl von Linné gemeint haben, der ja das schwedische System der Natur verfasst hat, das Ordnungssystem für Vegetation und Fauna, das uns heute noch leitet. Könntest du bitte mal nachschauen, welche Aufklärung dein Kommentar dazu bietet?


    Vielen Dank und ein schönes Restwochenende!


    HG
    finsbury

  • Hallo finsbury,


    auch ich habe das 11. Kapitel nun abgeschlossen. Die literarischen Ausflüge finde ich auch faszinierend. Sozusagen ein Schnellüberblick über die Literatur – wenn auch subjektiv gefärbt, aber gerade das macht es ja interessant.



    Zitat

    Aber nun - Ende des elften Buches - hat es sich ausgefriederiket –


    :breitgrins:


    Dass er über der Literatur seine Friederike vergisst, dürfte kein Zufall sein; er ist wohl über sie hinausgewachsen. Dafür, dass er sie so heiß geliebt hat, trennt er sich ja relativ schmerzlos (zumindest von seiner Seite) von ihr. Naja, durch die Vorausahnung eines späteren Wiedersehens lässt er die Trennung ja nicht so endgültig erscheinen.


    Zitat

    Auch muss ich hier mal Goethes Stil loben. Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen - wie auch z.B. Schiller -, die häufig ein wenig angestaubt wirken, liest sich Goethes Autobiografie für mich über lange Strecken wie frisch aus dem Buchladen, sehr modern und schlicht im Ausdruck,


    Ja, da kann ich Dir uneingeschränkt zustimmen. „Dichtung und Wahrheit“ liest sich wirklich sehr frisch. Wenn man bedenkt, dass es vor fast 200 Jahren geschrieben wurde…



    Zum „Système de la Nature“ sagt mein Anhang:


    Zitat

    Werk von Paul Thiry d’Holbach, zuerst 1770 anonym erschienen. Goethe las es 1812 erneut (vgl. Tagebuch 25.10., 4. und 9.11.1812)


    Der Anhang ist mir oft hilfreich, er weist z.B. auch darauf hin, dass die Schilderung der Ankunft in Sesenheim (bei mir auf der 4. Seite des 11. Buchs) der Stimmung des Gedichts „Willkommen und Abschied“ entspricht. Beim ersten Lesen hat diese Stelle mich zwar angerührt, aber diese Gedankenverbindung hat sich nicht eingestellt.


    Zu der Verwechslungskomödie werde ich mich mal in die Nachbarleserunde begeben.


    Wie fast in jedem Kapitel sind mir auch hier einige Sätze ins Auge gefallen, die ich einprägsam finde:


    Zitat

    …denn der zur Tätigkeit geborene Mensch übernimmt sich im Planen und überladet sich mit Arbeiten. Das gelingt denn auch ganz gut, bis irgend ein physisches oder moralisches Hindernis dazu tritt, um das Unverhältnismäßige der Kräfte zu dem Unternehmen ins Klare zu bringen.


    Goethe als Vorreiter der Zeitmanagementjünger und Simplifyer? :zwinker:


    Und diese Aussage fand ich interessant im Hinblick auf die vor einiger Zeit hier im Forum geführte Diskussion über gekürzte Klassiker:


    Zitat

    Was man auch gegen solche Sammlungen sagen mag, welche die Autoren zerstückelt mitteilen, sie bringen doch manche gute Wirkung hervor. Sind wir doch nicht immer so gefasst und so geistreich, dass wir ein ganzes Werk nach seinem Wert in uns aufzunehmen vermöchten. Junge Leute besonders, denen es an durchgreifender Bildung fehlt, werden von glänzenden Stellen gar löblich angeregt…


    Im zwölften Buch soll der Streifzug durch die Literatur fortgesetzt werden – ich freue mich schon darauf.


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

    Einmal editiert, zuletzt von Manjula ()

  • Hallo Manjula,



    nun habe ich das 12. Buch beendet: Es geht eben nur langsam voran, was aber nicht am Buch, sondern am Job liegt. Außerdem läuft jetzt wieder parallel eine andere Leserunde auf Literaturschock, aber es geht dennoch immer weiter.


    Über den Thiry d'Holbach habe ich nur überfliegend gegoogelt: Er war wohl ein so massiver Materialist, dass er schon den Biologismus des 20. Jahrhunderts vorwegnahm und dem Menschen die Seele absprach. Das muss natürlich unserem Goethe sehr missfallen haben, aber anscheinend war er ja doch soweit von diesem Denker fasziniert, dass er sich das Werk - wie du schriebst - in höheren Jahren nochmal vornahm. Vielleicht floss es auch daher in DuW ein.


    Nun also das 12. Buch.
    Interessant fand ich zunächst die Exkurse zur Rechtsgeschichte: Da ich mit der edlen Juristerei nichts am Hut habe, ist das für mich terra incognita. Dieses Gebirge liegen gebliebener Rechtsangelegenheiten aufgrund von fehlendem Personal, Bürokratismus, Einflussnahme und mangelnder Aufsicht erinnert doch sehr an heutige Zustände: Das hat wohl Tradition.


    Das mit den Visitationen ist mir nicht so ganz klar geworden: Heißt das, während Goethes Aufenthalt in Wetzlar wurden die Abläufe gehemmt, weil sozusagen die Aufsicht alles durchsah? :rollen:


    Und dann schon wieder eine dieser mir sinnlos erscheinenden Verstellungskomödien: Um den missliebigen Literaten Chirstian Heinrich Schmid zu düpieren, lässt sich Goethe unter falschem Namen in einer Herrenrunde nieder und verbreitet Gleichnisse, die das Epigonale und Schmarotzerische des Kritikers herausstellen. Warum musste er sich dazu verstellen? War er damals denn schon so bekannt, dass man andernfalls seine Auslassungen in anderer Form zur Kenntnis genommen hätte?


    Und wieder eine Frauengeschichte, diesmal die Vorlage zum Werther: Goethe liebt - so scheint's - in seinen jungen Jahren den natürlich-häuslichen Frauentyp, der ganz in Familie und Freundeskreis aufgeht. Das wird später wohl anders, denn Frau von Stein passt ja nicht so ganz in dieses Schema.


    Eine sehr schöne Stelle fand ich zu Beginn des Buches, als es um den inneren Kern des Kunstwerks geht:


    Zitat von "Goethe"

    Das Innere, Eigentliche einer Schrift, die uns besonders zusagt, zu erforschen, sei daher eines jeden Sache, und dabei vor allen Dingen zu erwägen, wie sie sich zu unserem eigenen Inneren verhalte, und inwiefern durch jene Lebenskraft die unsrige erregt und befruchtet werde [...]


    So soll's wohl sein!
    Einen schönen Sonntag noch


    HG
    finsbury

  • Hallo finsbury,


    im 12. Buch (ich bin leider auch noch nicht viel weiter) hat mir der juristische Teil auch gut gefallen. Mit Überlastung der Gerichte, langer Verfahrensdauer...scheint es ja schon damals schlimm gewesen zu sein. Das mit der Visitation scheint mir vergleichbar mit Überprüfungen durch den Rechnungshof; so etwas bringt wohl immer Unruhe, da manche Bearbeiter supendiert werden, andere beschäftigen sich mehr damit, ihre Akten für den Prüfer aufzubereiten anstatt mit ihrer eigentlichen Tätigkeit: und so geht gar nichts mehr. Goethe lässt aber auch einige Spitzen gegen das typisch deutsche Beamtentum ab:


    Zitat

    Denn der ehrwürdige deutsche Fleiß, der mehr auf Sammlung und Entwickelung von Einzelheiten als auf Resultate losging...


    Zitat

    ...sollte er auch nicht gerade sehen, dass etwas dabei herauskomme. Der Deutsche besonders ist von einer solchen ausharrenden Sinnesart...


    Bei der Verkleidungsgeschichte musste ich an Dich denken und dass Dir diese Stelle bestimmt ausnehmend gut gefällt :zwinker: Warum Goethe sich hierzu verstellen musste, habe ich auch nicht verstanden.


    Sehr interessant fand ich auch, als Goethe deutlich sagt, DuW sei nicht als reine Lebensgeschichte zu sehen, sondern solle vorrangig "die Lücken eines Autorlebens" ausfüllen. Geht er davon aus, dass der Leser nach Kenntnis seiner Lebensumstände Werke anders versteht oder würdigt? Eigentlich sollte doch ein Werk für sich sprechen - der Werther wird doch nicht besser oder schlechter, wenn ich die zugrunde liegende Liebesgeschichte kenne.


    Zitat

    Eine sehr schöne Stelle fand ich zu Beginn des Buches, als es um den inneren Kern des Kunstwerks geht:



    Zitat von: Goethe
    Das Innere, Eigentliche einer Schrift, die uns besonders zusagt, zu erforschen, sei daher eines jeden Sache, und dabei vor allen Dingen zu erwägen, wie sie sich zu unserem eigenen Inneren verhalte, und inwiefern durch jene Lebenskraft die unsrige erregt und befruchtet werde [...]


    Genau diese Stelle hatte ich mir auch anmarkiert! Wirklich sehr schön.


    Schönen Nikolaus noch :nikolaus:
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo finsbury,


    ich habe gestern das 13. Buch abgeschlossen. In diesem Buch scheint sich Goethes Laufbahn endgültig weg von der Juristerei hin zur Dichtung zu wenden, was in der Anekdote von der Klageschrift, bei der ihm das Urteil des Klienten wichtiger ist als das des Richters, deutlich wird. Goethe geht wieder ausführlich auf die zeitgenössische Literatur ein und leitet dann über auf die Entstehungsgeschichte des Götz von Berlichingen und des Werther. Dabei geht er wiederum großzügig mit den Tatsachen um: Er bezeichnet den Götz als reine Vorübung ohne Absicht auf Veröffentlichung, während er tatsächlich den Druck schon fest im Auge hatte. Auch die zeitliche Abfolge: Jerusalems Tod – sofort Niederschrift des Werther ist nicht korrekt. Das ist dann wieder eher Dichtung als Wahrheit :zwinker:


    Er beschreibt auch ausführlich die vorherrschende melancholische Stimmung der Gesellschaft(von der er sich nicht ausschließt – der Vergleich der verschiedenen Selbstmordmethoden ist ja schon etwas morbide), bevor der Werther erschien und erklärt (vielleicht auch entschuldigt?) damit die außerordentliche Wirkung, die sein Roman hatte. Interessant fand ich, dass für ihn selbst das Werk eher therapeutische Wirkung gehabt haben soll.


    Dass die Rückfragen, was denn nun an dem Roman „echt“ war, ihn geärgert haben, kann ich gut verstehen. Eine gewisse Sensationslüsternheit hat es wohl zu allen Zeiten schon gegeben.


    Nett war dann wiederum, dass er auch die Parodien auf den Werther erwähnt. Eine mit Hühnerblut geladene Pistole! Natürlich kann er seine Erwiderungen nicht außen vor lassen. Das „Spottgedicht, welches sich nicht mitteilen lässt“ (lt. Anhang „aufgrund seines Fäkalwitzes“) würde mich ja jetzt schon interessieren :breitgrins:


    Sehr schön fand ich seine Beschreibung der wahren Poesie, die „durch innere Heiterkeit, durch äußeres Behagen, uns von den irdischen Lasten zu befreien weiß, die auf uns drücken.“


    Genau :smile:


    Schönen Sonntag noch!
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo Manjula,


    entschuldige, dass ich mich solange nicht gemeldet habe: Der Job hatte mich fest im Griff. Aber jetzt geht es weiter: Das dreizehnte Buch habe ich durch und befinde mich mit Goethe, Lavater und Basedow auf der Reise.
    Zum dreizehnten Buch hast du ja schon einige Anmerkungen gemacht: Auch ich fand es ein wenig bemüht, wie er die Werther-Hysterie mit ihren elenden Folgen dem allgemeinen Klima anlastete, obwohl er das gar nicht nötig gehabt hätte: Wahrscheinlich hat es davor genauso viel Selbstmorde junger Männer gegeben, nur eben nicht im Werther-Kostüm mit weiteren literarischen Anspielungen garniert.
    Das vierzehnte Buch ist wegen des oben erwähnten Lavater sehr interessant, wobei ich nicht ganz nachvollziehen kann, warum ein so intellligenter Mann wie Goethe, der ja am eigenen Leib die Fehlerhaftigkeit von Lavaters Charakterisierungen erlebt hat, dennoch die Physiognomie so interessant finden kann. Obwohl, in unserer Zeit lesen auch durchaus intelligente Leute mit großer Intensität ihr Horoskop.
    Was ich allerdings ziemlich daneben finde, ist die Stelle, in der Goethe die Hässlichen kritisiert, die Lavaters Kritik nicht auf sich sitzen lassen wollten:

    Zitat von "Goethe"

    Was ihm dagegen die größte Pein verursachte, war die Gegenwart solcher Personen, deren äußere Hässlichkeit sie zu entschiedenen Feinden jener Lehre von der Bedeutsamkeit der Gestalten unwiderruflich stempeln musste. Sie wendeten gewöhnlich einen hinreichenden Menschenverstand, ja, sonstige Gaben und Talente, leidenschaftlich misswollend und kleinlich zweifelnd, an, um eine Lehre zu entkräften, die für ihre Persönlichkeit beleidigend schien; denn es fand sich nicht leicht jemand so groß denkend wie Sokrates, der gerade seine faunische Hülle zugunsten einer erworbenen Sittlichkeit gedeutet hätte. Die Härte, die Verstockung solcher Gegner war ihm (d.i Lavater)fürchterlich, sein Gegenstreben nicht ohne Leidenschaft, so wie das Schmelzfeuer die widerstrebenden Erze als lästig und feindselig anfauchen muss.


    Himmel, da blutet einem ja das Herz für Lavater, dass diese dreisten Menschen, die andere schon durch ihr Aussehen belästigen, nicht einfach freundlich hinnehmen, nun auch noch einen schlechten Charakter zu haben. :hm:
    Das fand ich schon ganz schön heftig, denn bisher hat mir an der Autobiografie besonders die -echte oder zur Schau getragene :rollen: - Toleranz gefallen.
    So, nun bin ich für zwei Tage weg, hoffe dann aber wieder mehr ans Lesen zu kommen.


    Eine schöne zweite Wochenhälfte!


    HG
    finsbury

  • Hallo Manjula,


    nun habe ich frei und also komme ich weiter beim Lesen.


    Ich bin nun mit dem 18. Buch fertig und das Ende ist abzusehen.


    Nachtrag: Das 14. Buch hat noch einmal Einiges zu den Sturm und Drang -Autoren gebracht: Interessant, wie unterschiedlich Goethe seine Dichterkollegen wahrnahm: Klinger kommt am besten weg: Der hatte ja später auch eine hochgeachtete Position am Zarenhof. Lenz' Genie nimmt Goethe sehr genau wahr und sieht den Zusammenhang mit seinem späteren "Wahn"sinn. Am wenigsten mag er wohl Wagner, der ihm seiner Meinung nach zuerst die Kindermörderin aus dem Gretchen- Stoff geklaut hat und ihn später durch eine anonyme Schrift, die Goethe zugelastet wird, bei seinen Bekannten in Misskredit bringt.


    Im 15.Buch kommt es zur ersten Begegnung mit dem Erbprinzen von Sachsen-Weimar und die Sympathie ist gleich groß! Und das, nachdem er gerade den Prometheus geschaffen hatte und diesen alten Titanen sich gegen die neuen Götter auflehnen ließ. In diesem Zusammenhang sagt er aber:

    Zitat von "Goethe"

    Der titanisch-himmelstürmende Sinn jedoch verlieh meiner Dichtungsart keinen Stoff. Eher ziemte sich mir, darzustellen jenes friedliche, plastische, allenfalls duldende Widerstreben, das die Obergewalt anerkannt, aber sich ihr gleichsetzen möchte.


    Nun, das passt zu ihm. Er scheint genügend Selbstbewusstsein besessen zu haben, sich aufgrund seiner Geistestärke jederzeit mit den Großen der Welt ebenbürtig zu fühlen, so dass er niemals Anlass sah zu sozialer Revolte. Dabei half ihm natürlich auch sein gutsituierter Hintergrund und das Aufwachsen in der freien Reichsstadt Frankfurt.
    Das war bei Schiller schon ganz anders, dessen Vater unmittelbar abhängig war vom Landesfürsten, dessen Willkür Schiller auch schon früh persönlich zu fühlen bekam.


    Im 16. Buch nun Lili Schönemann, nach etlichen Tändeleien wieder eine echte Versuchung zur ehelichen Etablierung. Aber auch hier kommt erst von außen der Anstoß, eine Bindung einzugehen, und sofort macht er sich mit den befreundeten Grafen Stolberg auf zu einer Reise in die Schweiz.


    Jetzt sind wir aber schon im 17. Buch, in dem der immerhin 26jährige "Jüngling" nun einige Aktionen der wohl immer noch ein wenig halbstarken Stolberg-Brüder als albern zu empfinden beginnt. Nächtliches Nacktbaden im Mondschein, ach nein, das scheint ihm doch nicht mehr das Wahre.
    So begibt er sich auch immer auf Extratouren, z.B. nach Emmendingen zu seiner unglücklichen Schwester. Neben der von ihm selbst erwähnten fehlenden Sinnlichkeit, die ihr in der Ehe zu schaffen macht (aber wer weiß, aus welchen Gründen das so erschien?), sind es wohl auch vor allem die fehlenden geistigen Freuden, die sie herzlich vermisst. Das kann ich gut nachvollziehen, denn in der großen Stadt Frankfurt mit ihrem relativ ansehnlichem kulturellem Angebot, nach der teilweise repressiven, aber dennoch umfassenden Bidlung, die der Vater leitete und dem großen und vielseitig interessierten Freundeskreis der Geschwister, dem Zusammensein mit dem Bruder selbst, muss ihr Emmendingen wie die Wüste erschienen sein. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie dort verkümmerte.
    Wir brauchen ja nur zu sehen, wie sehr allein hier im Forum alle den Austausch genießen: Da kann man sich vorstellen, wie vereinsamt gerade die damals ans Haus gebundene geistig interessierte Frau in einem Provinzkaff war!


    Das 18. Buch bringt nun die Wiederbegegnung mit Lavater (diese Anziehung verstehe ich immer noch nicht), den Besuch bei dem greisen Schweizer Literaturpapst Bodmer, mit dem man aber wohl nur über die Aussicht aus dessen hoch über Zürich gelegenem Haus plaudert und den Aufbruch in die Berge zusammen mit Freund Passavant, denn von den Stolberg-Brüdern scheint sich Goethe immer mehr zu absentieren. Anlässlich der Fahrt über den Zürichsee wird das herrliche Gedicht "Und frische Nahrung, neues Blut" im Selbstzitat eingeschoben:



    An diesem Gedicht bewundere ich besonders den Metrum- Wechsel vom Jambus im ersten zum Trochäus in der 2. Strophe, der die Wortbedeutung genau nachzeichnet: Aug, mein Aug, was sinkst du nieder ... Das ist Musik in der Literatur!


    Falls wir vorher nicht mehr voneinander lesen, wünsche ich dir (und den anderen Forenmitgliedern) ein schönes, ruhiges Fest.


    HG
    finsbury

  • Hallo finsbury,


    ich hoffe, Du hattest schöne Weihnachtsfeiertage!


    Ich bin nun im siebzehnten Buch angelangt. Ja, so langsam neigt es sich dem Ende zu – schade.


    Im 14. Buch haben mir wie Dir Goethes Beschreibungen seiner „Kollegen“ gefallen. Dass ihn Wagners „Ideenklau“ erbittert, kann ich einerseits verstehen, andererseits sagt er ja selbst, dass er mit seiner Mitteilsamkeit einen Teil der Schuld selbst trägt. Naja, auf lange Sicht ist ja seine Gretchengeschichte deutlich erfolgreicher geworden.


    Goethes Interesse für die Physiognomie, insbesondere den Absatz über Lavaters Gegner fand ich auch merkwürdig; ein bisschen Ironie hätte hier sicher nicht geschadet. Interessant an der Episode war für mich noch etwas anderes: Goethe und Lavater hatten einen regen Briefverkehr, und das, ohne sich persönlich zu kennen. Ich könnte mir vorstellen, dass Goethe sich in Foren sehr wohl gefühlt hätte :zwinker:


    Sehr schön fand ich seine Beschreibung des Kölnaufenthalts:


    Zitat

    …das Herz ist nicht so gefällig, es wiederholt uns nicht die schönen Gefühle, und am wenigsten sind wir vermögend, uns enthusiastische Gefühle wieder zu vergegenwärtigen…


    Das 15. Buch gibt interessante Einblicke in Goethes Schaffen, wie bei ihm Ideen zu Werken werden, welche Schwierigkeiten er bei der Umsetzung hat, …Hat mir gut gefallen, es hat etwas von „hinter die Kulissen blicken“.


    Zitat

    Dabei half ihm natürlich auch sein gutsituierter Hintergrund und das Aufwachsen in der freien Reichsstadt Frankfurt.



    Ja, er hatte schon recht gute Startbedingungen. Wir hatten es ja schon einmal von seinen Eltern (insbesondere dem Vater), die ihm jede Bildungsmöglichkeit eröffneten.


    Das 16. Buch schien mir etwas zusammenhanglos. Er beginnt mit Spinoza, wechselt zum Brand in der Judengasse, erzählt etwas über das Schlittschuhlaufen, führt Lili ein und endet mit der missglückten Augenoperation. Irgendwie kann ich hier den roten Faden nicht erkennen.


    Zum 17. Buch kann ich momentan noch nicht viel sagen, hoffe aber, am Wochenende weiter zu kommen.


    Bis dahin viele liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

    Einmal editiert, zuletzt von Manjula ()

  • Hallo Manjula,


    auch dir wünsche ich, frohe Weihnachten gehabt zu haben.


    Ich hatte noch ein Buch zwischengeschoben, um dir nicht zu weit vorauszugaloppieren, aber wegen der herrlichen Lesefreizeit habe ich jetzt dennoch auch den Goethe fertig. Wie du schriebst, schade! Das ist ein Buch, mit dem ich gerne lebte. Aber ich werde es noch häufig zu Rate ziehen, habe mir extra vorne eine Kommentar-zu-den-Werken-Liste reingeschrieben, damit ich jederzeit nachschlagen kann.


    Die letzten Bücher sind ja alle nicht umfangreich, da kam man schnell durch.


    Die Lili-Geschichte lebt im neunzehnten Buch noch einmal auf, sie scheint Goethe auch aus der Alterssicht doch recht wichtig gewesen zu sein. Aber glücklicherweise hat er sie nicht geheiratet, denn es war ja wohl die bürgerliche Existenz mit einer genügenden Portion beruflichem Ehrgeiz, die hier von ihm gefordert wurde. Was aus der unmittelbaren zeitgenössischen Sicht häufig unsozial, flatterhaft und so weiter aussieht, hat in einem solchen Fall dann doch seinen höheren Sinn. Aber für uns Otto-Normalverbraucher wäre es denn doch Hybris, solches für uns in Anspruch zu nehmen :zwinker:.
    Und nochmal Lavater, diesmal sogar im Original und das ist genauso schrecklich, wie ich es mir vorgestellt habe. Aber diesem Herrn gegenüber bin ich auch voreingenommen. Nach den Auswüchsen, die ähnliche Studien in Zusammenhang mit Rassismus im Dritten Reich genommen haben, kann ich an Lavaters Schriften nicht Gutes finden, bemühe mich aber auch nicht darum :rollen:.


    Im 20. Buch gibt es noch einige interessante Ausführungen zu Goethes Verständnis des Dämonischen, das, wenn ich es richtig verstanden habe, nichts Teuflisches ist, sondern das Unkontrollierbare, triebhafte Element in Natur und Mensch, das alles immer wieder umstößt, Entwicklungen zerstören, aber auch die Wiege von neuem Guten sein kann. In diesem Zusammenhang lernen wir dann auch seinen "Egmont" kennen, aber auch die Lili-Geschichte wird in diesem Licht interpretiert.
    Und schließlich endet Goethes Autobiografie mit dem endgültigen Aufbruch nach Weimar - für ihn wohl nur als vorläufiges Ende gedacht, aber es ist dann notgedrungen doch ein rundes geworden: Die Voraussetzungen sind nun gelegt, der Dichter ist etabliert und die Wege sind mehr vorgezeichnet als jemals früher.


    Ich freue mich auf deine Stellungnahme zum Rest und wünsche dir zunächst einmal einen guten Rutsch! :trinken:


    HG
    finsbury

  • Hallo finsbury,


    ich wünsche Dir ein gutes neues Jahr, mit viel Glück und hoffentlich vielen schönen Lesestunden!


    Es hat zwar etwas gedauert, aber ich habe DuW nun abgeschlossen. Zunächst noch mein Eindruck zu den letzten Büchern:


    Das 18. Buch beginnt mit Gedanken über die deutsche Literatur, wobei Goethe auch auf sein wohl eher derbes Werk "Hanswursts Hochzeit" eingeht. Von diesem Stück hatte ich vorher noch nichts gehört; dass es im Anhang als "pornographisch" bezeichnet wird, scheint aber angesichts dieser Auszüge nicht übertrieben.


    Danach wieder ein Treffen mit Lavater; Goethes Faszination für ihn kann ich wie Du nicht nachvollziehen - aber immerhin bezeichnet er seine Tätigkeit später als physiognomische Hetzerei. Die Züge seiner Frau werden als "etwas sonderbar, aber friedlich und zartfromm" geschildert - wie Lavater sie wohl beurteilt haben mag? :zwinker:


    Schließlich die Schilderung seiner Bergwanderung, die mir sehr gut gefallen hat. Essen und Trinken waren wohl recht wichtig für ihn: schmunzeln musste ich, als er den lombardischen Wein erwähnt, den man nur verwässert und verzuckert genießen konnte.


    Dafür gab es ja gleich zu Beginn des 19. Kapitels einen trinkbaren Wein. Zu der Italienreise kann er sich noch nicht entscheiden, die Hoffnung auf eine Zukunft mit Lili hatte er wohl doch noch nicht ganz aufgegeben. Nun, es wurde dann ja doch nichts daraus.


    Zitat

    Aber glücklicherweise hat er sie nicht geheiratet, denn es war ja wohl die bürgerliche Existenz mit einer genügenden Portion beruflichem Ehrgeiz, die hier von ihm gefordert wurde. Was aus der unmittelbaren zeitgenössischen Sicht häufig unsozial, flatterhaft und so weiter aussieht, hat in einem solchen Fall dann doch seinen höheren Sinn. Aber für uns Otto-Normalverbraucher wäre es denn doch Hybris, solches für uns in Anspruch zu nehmen .


    Wer weiß? :breitgrins: Aber es ist schon richtig: sein Leben und Werk hätte sich sicher ganz anders entwickelt, wenn er mit Lili zusammen gekommen wäre.


    Im 20. Buch steht Goethe dann wieder an einer Wegscheide: Abreise nach Weimar oder Italien? Seine Entscheidung für Weimar sieht er zunächst als kurzzeitig an, und tatsächlich kam es ja noch zur Italienreise (wenn auch später als gedacht). Und ich stimme Dir zu: es ist ein rundes Ende. Eine Fortsetzung hätte sich hier zwar gut anschließen können, das bisherige kann aber auch gut für sich allein stehen.


    Die Gedanken zum Dämonischen fand ich nicht leicht fassbar. Einerseits sah er dies wohl, wie Du schreibst, als das unkontrollierbare Element im Menschen, andererseits können Menschen, die dämonische Kräfte in sich tragen, ungeheure Kräfte ausüben (ein Beispiel war für Goethe wohl Napoleon). Um seine Ideen nachvollziehen zu können, sind aber die Abschnitte in DuW wohl auch zu kurz.


    Im Anschluss an das 20. Buch finden sich in meiner Ausgabe noch ein biographisches Schema, das nach der Auflistung der Ereignisse in chronologischer Form noch einige längere Textabsätze enthält, die ich noch nicht gelesen habe. Trotzdem schon mal ein Fazit von mir:


    Wenn die Autobiographie auch nicht "komplett" ist, hat sie mir doch sehr gut gefallen. Ich habe das Gefühl, Goethe als Mensch "näher kennen zu lernen". Besonders haben mir die Einschübe zur Literatur (sowohl der eigenen als auch seiner Kollegen) gefallen, das hätte für meinen Geschmack gern noch ausführlicher sein können. Insgesamt ein Buch, das mir viel Freude gemacht hat - ebenso wie der Austausch in dieser Minileserunde :winken:


    Viele liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo Manjula,


    auch dir ein frohes neues Lese- und sonstiges Jahr!



    Das 18. Buch beginnt mit Gedanken über die deutsche Literatur, wobei Goethe auch auf sein wohl eher derbes Werk "Hanswursts Hochzeit" eingeht. Von diesem Stück hatte ich vorher noch nichts gehört; dass es im Anhang als "pornographisch" bezeichnet wird, scheint aber angesichts dieser Auszüge nicht übertrieben.


    Dazu habe ich in der Friedenthal- Biografie auch einiges gelesen, unter anderem, dass der Sturm und Drang uns heute im Wesentlichen als ein literarischer Stilumbruch und als das auch gesellschaftliche Aufbegehren der literarischen Jugend erscheint, dass diese Bewegung aber auch in ihrer breiten Basis sehr viel mit Kraftmeierei und eben auch Vulgarismen zu tun hatte. Aber das gehört zur jugendlichen Entwicklung nun mal dazu, besonders, wenn noch nicht viel dahinter steckt, wie wohl auch beim jugendlichen Goethe. :zwinker:
    Interessant finde ich aber, dass sich G. auch im Alter noch zu diesem Jugendwerk bekennt. Er scheint es recht behaglich zu genießen, dass er den Topf auch weiter unten einmal umgerührt hat.


    Wenn die Autobiographie auch nicht "komplett" ist, hat sie mir doch sehr gut gefallen. Ich habe das Gefühl, Goethe als Mensch "näher kennen zu lernen". Besonders haben mir die Einschübe zur Literatur (sowohl der eigenen als auch seiner Kollegen) gefallen, das hätte für meinen Geschmack gern noch ausführlicher sein können. Insgesamt ein Buch, das mir viel Freude gemacht hat - ebenso wie der Austausch in dieser Minileserunde :winken:


    Nun, da treffen sich unsere Meinungen. Ich will in diesem Jahr auch noch ein paar kleinere Werke aus Goethes Jugend lesen: eben diese ganzen kleinen Jugenddramen und darunter vor allem "Götter, Helden und Wieland":
    Wieland schätze und lese ich gerne, finde auch seine Reaktion auf die Veröffentlichung dieses Dramas sehr vorbildlich, da muss ich es doch mal lesen.
    Mir hat unsere Leserunde auch Spaß gemacht. Hoffentlich treffen wir uns mal wieder in einer! :winken:


    HG


    finsbury