Paula Modersohn-Becker

  • Hallo zusammen,


    Paula Modersohn-Becker wollte ich immer schon wegen ihrer tollen, eindrucksvollen und meisterhaft gemalten Kinderbildnisse und ihrer schönen Stillleben hier mit einem Ordner gewürdigt haben. Vielleicht kann ich damit gleich noch die Aufmerksamkeit auf Worpswede richten und auf Rilkes schönes Worpswede-Buch.


    Noch ein schönes Wochenende!


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Ich fand gerade noch diesen Buchtipp bei Hanser und mache mir hier schnell eine "Gedächtnisstütze". FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Vom 13. Oktober 2007 bis zum 24. Februar 2008 wird es in der Kunsthalle Bremen eine Sonderausstellung über Paula Modersohn Becker unter dem Titel Paula in Paris geben. Grüße, FA


    [gleicher Beitrag im Paula-Modersohn-Becker- und Kunstschauen-Ordner]

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo zusammen,


    über Paula Modersohn-Becker wurde gerade in der FAZ ein schöner Artikel mit dem Titel Deutschlands Picasso ist eine Frau veröffentlicht. Es gibt einige schöne Bildbeispiele. Beeindruckend.


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Was ist wo in Worpswede?
    In einem Zeitungsladen, bei dem es sich aber, wie ich später las, um die renommierte Buchhandlung Netzel handelt, fanden wir einen "Führer" durch Worpswede. Wir hatten schon das Straßenschild "Im Schluh" gesehen, allerdings war das "L" weggekratzt, so dass es "Im Schuh" hieß. Wir machten uns, an der Hauptkreuzung an der Straße sitzend, in Angelos Garten, bei Apfelkuchen mit Zimt, erst einmal ortsschlau über das berühmteste und älteste Kunstdorf der Welt. "Bei Angelo" - heute ein ital. Spaghetti- und Pizza-Restaurant hat noch ein altes Emailleschild am Strohdach "Stadt Bremen", und als solcher wird der Gasthof auch in den alten Rilke-, Vogeler-, Modersohn-Texten erwähnt.


    Wo ist der Zauber?
    Wo einst ein Liebesfest im Bild festgehalten wurde, in Worpswede, wo Clara die Paula im Boot über die Hemme staakte, da deckt jetzt Asphalt die Flure(n) und sie feiern "100 Jahre Worpswede". Auch Paula Becker, zeitweise verheiratete Modersohn, wird mit zwei Vorträgen - im Rathaus und anderswo - bedacht. Ach, zwei Zeilen Paulas wecken uns da so richtig auf: 1.12.00 an Rilke. "Und sonst? Ich habe einen großen Strauß herbstlicher, weißer Beeren vor mir auf dem Tisch, von jenen, die Knall sagen, wenn man auf sie tritt."


    Rilke und Worpswede
    Rilke ließ sich, lange nach Worpswede, im schweren Automobil der Gräfin Thurn-und Taxis-Hohenlose von Paris an die österreicheische Adriaküste chauffieren, zum Schloß Duino. Dort sah er über die Brüstung gebeugt im Garten den Arbeitenden zu und fühlte sich «im Sog» zu ihnen hin- und hinuntergezogen: wie einer, der etwas schuldig ist, zu tun und mitzutun. Derselbe Rilke hat in so krasser und verblüffender Weise andere Dinge getan, die ihn unter die "ersten Menschen" seiner Zeit reihen. Er hat wie einer, der nicht ganz dicht ist, sich Rodin und Cézanne geöffnet. Und vorher hat er in der Reihe Knackfuß Worpswede eine Monographie gewidmet, von der der Paula Becker sagte: Im Grunde sind die doch alle viel einfacher!


    Wer zählt in Worpswede?
    Die meisten kommen wegen der toten Künstler. Das, was heute in Worpswede entsteht, beachten sie nicht. 100 Jahre Worpswede: Welch ein Aufschwung damals. Eine Goldmedaille in München. Otto Modersohn war eine Berühmtheit, als Paula ihn kennenlernte. Und als alles vorüber war mit der ersten Künstlergruppe in Worpswede, da sagte Overbeck zu Otto Modersohn: "Aus uns allen ist doch nichts geworden außer Deiner Frau."


    Unser Worpswede-Besuch
    Wir hatten diese Stationen: Höttgers Café Worpswede, die große Roselius-Kunstschau, die Lindenallee, der Barkenhoff, am Brünjes Hof vorbei und durch den Schluh, Teufelsmoor. Zweiter Tag: Frühstück, Weyerberg, Paulas Grab, Zionskirche, Alte Meierei, ein Architekt plant, ich kaufe ein Bild. Der Bahnhof (von Vogeler entworfen). Neu-Helgoland, die Hamme. Teufelsmoor.


    Wir gehen durch Worpswede
    100 Jahre Worpswede, und überall Autoverkehr, asphaltierte Straßen und, erstmal loslaufend, sahen wir nur Parkplätze für Busse, eine Zentraltoilette, ziemlich öde Kneipen, Klimper-Pimper-Läden auf Touristengeschmack getrimmt... Aber dann das Café Worpswede, auch «Café Verrückt» genannt, das gefiel uns gut in seinen bizarren Formen, Schwung im Dach, und selbst die Türdrücker ein Augen- und Handfühl-Schmaus. Wir hatten uns ja gerade in "Stadt Bremen", jetzt Angelo, gestärkt. Also gingen wir zuerst nebenan in die Kunstschau ins Roselius-Haus.


    [ 1 ] Kaffee HAG und die Musen
    Roselius, reicher Kaffeehändler in Bremen, hatte für seine herzkranke Frau den koffein-freien Kaffee erfunden und viel Geld damit verdient. Ähnlich wie der Keks-Bahlsen in Hannover, der dort eine «TET-Stadt» (durch Hoetger) bauen wollte, wollte Roselius eine "HAG-Stadt" bauen. Daraus wurde nichts, aber er baute in Bremen mit Hoetger die Böttcherstraße mit dem Paula-Modersohn-Becker-Haus. Roselius ist Paula persönlich noch begegnet, aber sie machte keinen besonderen Eindruck auf ihn.


    [ 2 ] Bilder: lauter Fenster ins Eigenste
    Wir gehen durch die reich behängten Räume. Es lohnt sich. Man hat nicht damit gerechnet und ist ganz benommen vom Schauen, Genießen und erfüllt vom Wunsch: wiederzukommen. Werde ich mich mit meiner Studie zu Paulas Eigenart zu den "Verzerrern" gesellen? Oder mich an die Reihe derer anschließen, die Paula für ihre Ziele, Zwecke und Wünsche ausgenutzt haben? Es geht ums Zentral-Thema: Was kann der Einzelne tun? Wozu sind wir da, auf der Welt? - Paulas Bilder gehen über die Realität hinaus. Was Paula anzieht, nennt sie am 10.12.97 "etwas Magisches, was mich beim Malen in schnellen zarten Gefühlsschwingungen vibrieren läßt".


    [ 3 ] Paulas Bilder: Ungewöhnlich, bis ins Extreme
    Da sind Menschen und Dinge in Paulas Bildern, die uns erschrecken. Sie verließ in Worpswede und in Paris die ausgetretenen Pfade. - Paulas malerische Ziele sind oft bizarr. Wiederholt fordert sie, das "Vibrierende" der Haut darzustellen, "das Krause in sich". Paula ist radikal. Sie folgte jenem Cézanne, der gesagt hatte: "Die Geschicklichkeit, man muß sie brechen. Sie ist der Tod der Kunst".


    [ 4 ] Paulas malerische Eigenart
    Ihre Identität: Was tat sie, um sich zu "kennen"? An Otto: "Ich weiß nicht, ob ich kompliziert bin. Und wenn ich es wäre, müßte ich wohl so sein. Und dann würde ich Kompliziertsein auch keinen Fehler nennen." - Sie malte viel. Zwingend, zwanghaft, besessen, im Arbeitsrausch. Sie rauht durch krasse Pinselführung die Oberfläche der Bilder auf, um den stofflichen Charakter der Dinge und Menschen herauszuarbeiten: eben jenes "leichte Vibrieren der Dinge". Sie wählt den Blick so, dass die Objekte in Bewegung scheinen: nach vorn kippen.


    [ 5 ] Paulas "Schnürchen"
    Um ein Gefühl "in seiner ganzen Stärke zum Ausdruck zu bringen", muß man, schreibt Paula am 18. Februar 1903, "alle Mittel am Schnürchen haben: die Technik, die Farbei, die große Form" ... "Technik unmittelbar im Dienste des Ausdrucks".


    [ 6 ] Das «KRAUSE IN SICH», das Leben
    Otto Stelzher "Die bewegte, pastose Oberfläche behält zwar den materiellen Reiz des Farbpigments, der dem Auge sinnlichen Genuß gewährt, sie bedeutet aber mehr als das, sie wird zum Sinnbild für die Bewegtheit des Lebens überhaupt." Paula lernt, sagt sie, von Rembrandts Bildern, "wenn sie auch gelb sind von Firnis, trotzdem viel von ihnen, das Krause in sich, das Leben".


    [ 7 ] Clara Rilke-Westhoffs Bildhauer-Arbeiten
    Wir sahen Arbeiten Claras: Rilke, Paula. Gerda Becker in der "Alten Meierei" erzählte uns von Clara, die sie noch gekannt hatte. Wie souverän sie war. Andererseits ihr Hang zur Mystik und zu einer amerikanischen Sekte. Ihr Rodin-Vortrag: sehr tastend, sehr unselbständig.


    Der Barkenhoff
    Weiter oben in Richtung auf den Weyerberg fanden wir Landschaft. Auf der Lindenallee konnten wir uns den Reiz der Gegend vorstellen. Am Ende der Lindenallee hielt ein Touristen-Bus, wir gingen hinter der Gruppe her, immer bergab durch die Büsche: und landeten vor dem Barkenhoff! Sehr schöne Präsentation im Erdgeschoß, auch die alte Druckerpresse stand dort, um die es dann noch Streit gegeben hat zwischen den Malern, sogar vor Gericht. Überhaupt war das eine zänkische und widersprüchliche Gruppe damals in Worpswede.


    Der "WEISSE SAAL" im Barkenhoff
    Uns kommt in Worpswede vieles recht "eigenartig", sonderbar und von bremischer und torfmoor-eigensinniger Färbung mit dem Zug ins Dröhnbüddelige und Verbohrt-Dumpfe vor. Nur durch Zufall finden wir im Barkenhoff die Treppe nach oben. Kein Hinweis, auch oben nicht, dass es sich um den "Weißen Saal" handelt, wo Rilke gelesen hat, vor Vogeler, Paula und Clara. Wo Paulas Schwester gesungen hat. Die nette junge Frau unten am Empfang entschuldigend: "Der weiße Saal ist erst vor acht Wochen mit einem Konzert eingeweiht worden!" - Im weißen Saal im Jahr 1900 erlebten "die sechs" festliche Stunden, einen Aufbruch. Später heißt es in Paulas Brief an Clara Westhoff: "Geht denn das Leben nicht, wie wir sechs es uns einst dachten?"


    Rilke und der Barkenhoff
    2.Oktober 1900, Rilke: "Wie schön wurden die Mädchen, als sie immer noch im Schatten meiner Worte inmitten des vielen Lichtes saßen, sinnend mit allen Linien ihrer weißen Gestalt, wie Reflexe, die aus Himmeln auf ein dunkles Wasser fallen...Später trat ich in meinem roten Gewand mit roten Schuhen unter sie und blieb später im russischen Hamd mit den kasanschen Stiefeln unter ihnen. So begleitete ich sie alle auch in die Diele herab, wo jemand aussprach, dass wir zwei Sonntage uns nicht zusammenfinden würden."


    Sternstunden in Worpswede
    27. September 1900, Rilke: "Zwei Dinge sind gewiß: ich muß viel von diesen Menschen lernen, aufmerksam sein und wach sein und dankbarer sein gegen alle Umgebung.... wie lieben sie mich hier. Wie gut war unsere Gemeinsamkeit in Hamburg.... ihr Frohester zu sein und der Lebendigste unter ihnen. Alle Kräfte steigen in mir. Alles Leben versammelt sich in meiner Stimme."


    Paulas Atelier bei Brünjes
    Wir gingen nur vorbei. Dort sprach Rilke mit Paula, die sich beim Bauern eingerichtet hatte: "4. Oktober 1900: Gestern war ein reicher Abend im Atelier mit den Lilien. Ich las, und anschließend daran waren gute Gespräche." Und "29. September 1909. Später war ich bei der blonden Malerin, die mich wie einen alten Freund empfing. Wir hatten uns seit Hamburg nicht gesehen, es war also viel nachzuholen."


    Das Dröge in Worpswede
    Ja, im Barkenhoff (und auch sonst) ist ein Zug ins Derbe, Dröge und Beknackte. Den schönen Garten sahen wir aus dem 1. Stock, aus dem "Weißen Saal. Aber was war denn das? Die lieben Worpsweder haben die Gartenwege des Barkenhoffs kreuz-quer überall verhängt und überspannt mit Plastikstreifen, deren Signalfarben nun mit ihrem Idioten-rot die Blumen überkreischen. Begründung: Die Streifen hindern die Besucher daran, den Garten zu betreten! In der Art finden wir noch vieles, kopfschüttelnd.


    Paulas Grab: fast zugewachsen
    und nicht zu finden. Keine Hinweisschilder, nicht nur hier fehlen sie. Ach ja, Paula, wie schrieb sie doch damals in einem Brief aus Worpswede: "Ich glaube, ich werde mich von hier fortentwickeln." Sie hat nicht das Grab bekommen, dass sie sich gewünscht hat: "wie ich es mir anders denke...Es sei ein viereckig längliches Beet mit weißen Nelken umpflanzt. Darum läuft ein kleiner sanfter Kiesweg..." [Tgb, 24.02.1902]


    Lichtwirkungen und Zauber
    Paula: -"...Meine Augen, die sich vor der Sonnenheiligkeit ganz geschlossen hatten, lüfteten sich auf Augenblicke.." - "Ich träumte im Wachen und sah wie aus einem zweiten Leben meinem Leben zu." Tb 29.5.02 Rilke: "Dann war Abend und Abschied. Der Abend ist immer groß, wenn ich aus diesem Hause komme. Ganz glashell steht der schlanke Mondanfang im gelben, bernsteinfarbigen Himmel. Schwarz ist der Wald, und seine Kühle geht ohne Wind über den Weg und in die Wiesen, die an den Wassern liegen. Dort sind die Laubbäume schon leerer, und aller Raum ist gewachsen. Mit weichen Konturen stehen die Dinge vor der Ebene, wie viele Inseln in dämmernder Luft."


    Wo sind die Hamme-Wiesen?
    Wir fanden Sie durch Zufall. Eigentlich wollten wir nur in das Gasthaus "Neu Helgoland". Es ist alles ziemlich trockengelegt und "zugebuttert" in dieser früher anziehenden und ins Unheimliche taumelnden Landschaft, wo die Hamme einst die Wiesen überflutete.


    Wo ist eine Ecke Moor?
    Noch schwerer war es, ein Stück Teufelsmoor zu finden, wo noch Torf gestochen wird. Wir schafften es am zweiten Tag mit viel List. Wir nahmen die kleinste Straße, die abbog, und dort hielten wir fleißig die Augen offen. Weit ab vom Weg leuchteten in der Höhe Umrisse von so etwas wie Torfsoden, die in der Sonne trockneten! - Wir fragten uns auch, wie es hier im Winter sein wird. Und ob man hier leben möchte.


    In Worpswede überwintern?
    Rilke wollte es: "Ich will Herbst haben. Ich will mich mit Winter bedecken und will mit keiner Farbe mich verraten. Ich will einschneien um eines kommenden Frühlings willen, damit, was in mir keimt, nicht zu früh aus den Furchen steige."

    Eine Folge konsequenter Augenblicke ist immer eine Art von Ewigkeit selbst.

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  • Paula Becker-Modersohn
    Warum ich mich so auf sie zentriere? Man muß sich wundern, warum es die anderen auch alle tun. Es ist das Geheimnis der Wirkungsgeschichte. Und: Warum der eine Erfolg hat und der andere nicht. Die Optik, die Perspektive, die Blickrichtung: Wie wollen wir es nennen?


    Wer soll die "Hauptperson" sein, dass fragt man sich wohl oft auch in einem größeren Familienverband. Im Falle Paulas fällt auf, dass die jüngere Schwester Herma hochbegabt, hochintelligent ist. Herma klagt manchmal, wieviel Geduld sie aufbringen muß, wenn sie Paula als Modell dient. Angenommen nun, Hermas Talente, Lebens- und Kunstziele wären noch weitaus zugespitzter und vielversprechender als Paulas Begabung und Paulas Ziele? Hinsichtlich Paulas Kunstbeflissenheit, ihres Arbeitseifer, ihrer Intensität sprach die Familie von "Paulas Marotte". Es ist total unzulässig, auf das Jahr 1907 mit unseren Augen zu blicken. Man hat Hinweise - und dafür sprechen die Belege, die man nicht vernichtet hat - dass Paula regelrecht kaputt gemacht oder künstlerisch zu Tode "gehetzt" worden ist.


    Also nochmals: Paula oder Herma? Es ist ja Eigensinn, wenn eine junge Frau so handelt wie Paula es tat. Und ihre Kunst war eine Nervenkunst. Wie viele schrecken auch heute noch vor dieser Kunst zurück. Paula führt uns, wie Nietzsche, oft in die "Höhle hinter der Höhle".


    Und hier kann ich Ihnen erklären, warum mich die Figur Paula so fesselt. Weil keiner begriff, warum jemand so "verbohrt", so "versessen" und besessen sein kein kann, - bei der Herstellung von Weltausschnitten, Fenstern, die ihm nichts einbringen? Materiell schon gar nicht. Im Gegenteil. Man hat Ausgaben. Und den Hohn, die Verspottung erntet man außerdem.


    "Befremdendes" gab es bei Paula genug. Ihre Lachseite zum Beispiel. Ihr Stolz und ihre spitze Zunge, ihr "Ausnutzen" - alles war recht kraß. Paula hatte Übermut, einen fast schizoiden Schalk, sie hatte Veränderungslust und Verknüpfungszauber. Es gab Taktlosigkeiten, wechselnde Bewußtseinzustände, negative Durchhänger und dann wieder Schübe voll Feuer, Kraft, und Dral l....
    Paula ist manches Mal exzessiv, exaltierend, ungesteuert und ungehemmt.
    Paula erntete Kritik öffentlich und privat.


    Zeitungs-Kritik:
    «ihre Arbeiten sind "befremdend", [..] es gibt den Gegenständen etwas Unstoffliches, Gemauertes. Tritt uns als ungesund oder als Manier entgegen. [Anna Götze im Bremer Courier]

    Eine Folge konsequenter Augenblicke ist immer eine Art von Ewigkeit selbst.

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  • Hallo litfink,


    vielen Dank für den Bericht aus Worpswede. Ich war noch nicht dort, leider. Rilkes Monografie über die Worpsweder Künster las ich sehr gern. Rilke hat einen packenden und die bildenden Künste treffenden Erzählstil. Er verstand etwas von bildender Kunst, was mir auch in seinen Büchern "Briefe über Cézanne" und "Auguste Rodin" auffiel - nicht nur weil er mit bildenen Künstlern Umgang hatte, sondern weil er wesentliche Eigenheiten der bildenden Künste verstand und wusste, was Wert hatte und was nicht. In der Worpsweder Monographie wird Paula Modersohn-Becker nicht gewürdigt, wohl aber mit seinem "Requiem für eine Freundin" und Briefen über sie in
    [kaufen='978-3458342465'][/kaufen]


    Vieles, was du in deinen beiden Beiträgen über das Malen und Kunstverständnis Paula Modersohn-Beckers schriebst, deckt sich mit dem, was ich in Ihren Briefen, die ich in
    [kaufen='978-3458192992'][/kaufen]
    auszugsweise lesen konnte, fand. Sie war schon sehr getrieben und sehr sehr neugierig. Ein eiserner Kunstwille, könnte man es so ausdrücken? Schaffensrausch ja, so wie ihn Nietzsche beschrieb. Den Handwerkerernst hatte sie, der Schaffensrausch stellte sich ein ohne ihn zu erzwingen, von ihrem Mann gab es finanzielle Unterstützung während der Zeit in Paris, neugierig und suchend war sie immer, probierte gern neue Wege und Malweisen (sogar ägyptische Kunst einfließen lassend), selbst gegen das Verständnis ihrer Umgebung, verleugnete ihre Wurzeln nicht, alles Dinge die zum Künstlertum drängen und unsterbliche Werke hervorbringen, wenn dabei auch noch Talent mitspielt. Aber Talent hatte Paula Modersohn reichlich!


    Was du mit dem Krausen ihrer Malweise beschriebst, ist nicht nur eine Eigenheit ihrer Bilder, sondern macht einen ganz besonderen Reiz ihrer Werke aus. Wie schwer sind solche Malweisen! In den Briefen schrieb sie ihre Wertungen über viele Kunstwerke, die sie in Paris sah und Rembrandt hatte es ihr sehr angetan, wenn auch nicht ohne Kritik. Auch Rembrandt hatte die krause Malweise, besonders in seinem Spätwerk, aber wie meisterhaft hat er sie umgesetzt! Was mich dabei besonders fasziniert: der Gebrauch von Weiß und Grautönen (oder vielleicht erweitert gesagt: der Gebrauch von Lichtflächen und Schattentönen, diese rauhen und spannenden, stofflichen wie farblichen Kontraste)!


    Was mich auch besonders fasziniert: wie einfühlsam und treffend sie Kinder und Frauen mit Kindern gemalt hat! Wie sie in Kinderaugen geblickt hat und diesen Blick auf der Leinwand in Farbe umgesetzt hat! Das macht mir Gänsehaut und das allein macht ihre Kunst und die Erinnerung an Paula Modersohn-Becker unsterblich.


    Was mir gefällt: sie war modern, ohne die alten Meister, das Althergebrachte zu verleugnen. Modern muss nicht heißen, nur zu zerstören und völlig neu zu machen, sondern kann auch sein, weiterzuentwickeln und auf altem neues weiterzuentwickeln. Letzteres ist wohl noch schwieriger.


    Auf jeden Fall freue mich der Neu- und Wiederentdeckung ihres Werkes!


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10