Samuel Richardson: Pamela, Or Virtue Rewarded

  • Hallo zusammen!


    Unterdessen fertig geworden mit der Lektüre dieses Werks. Selten habe ich ein Werk mit mehr innerem Widerstand gelesen als dieses. Eigentlich keines mehr seitdem ich drei oder vier Werke von de Sade hintereinander gelesen hatte.


    Die Geschichte ist im Grunde genommen schrecklich simpel: Ein Dienstmädchen wird nach dem Tod der alten Meisterin vom Sohn mit unzüchtigen Anträgen verfolgt und sexuell belästigt. Die Fünfzehnjährige ist äusserst tugend- und von daher auch standhaft und bringt den Schlingel von Sohn schliesslich dazu, sie ehrenhaft zu heiraten. So ganz nebenbei reformiert sie auch sein Denken und Verhalten. Vorher allerdings wird sie entführt, in einer abgelegenen Liegenschaft des jungen Mannes gefangen gehalten, von seinen Kreaturen aufs äusserste gedemütigt und von ihm beinahe vergewaltigt.


    Nun war das zu Richardsons Zeit (das Werk erschien 1740 zum ersten Mal) natürlich auch ein immer beliebter werdendes Motiv: das tugendhafte (klein-)Bürgertum, das über den sittenlosen (Geld-)Adel triumphiert. Doch nicht das hat meinen Widerstand hervorgerufen - schon eher die Tatsache, dass diese Fünfzehnjährige so ungeheuer selbstgerecht ist, und z.B. Gott darum bittet, ihr in ihrer misslichen Situation (sie wurde soeben entführt) beizustehen, schliesslich sei sie immer tugendhaft gewesen und habe keinerlei Anstoss zum schlechten Verhalten ihres Dienstherren geboten.


    Nun weiss ich nicht, ob zu jener Zeit eine fünfzehnjährige Tugendhafte, der ihr Dienstherr einfach mal so im Ausschnitt herumfummelt, Standard war. Was mich an Richardsons Heroine so beunruhigt, ist die Tatsache, dass dieses Mädchen zwar ganz und gar nicht zu mögen vorgibt, was da geschieht - aber im Hause bleibt, weil sie ja noch die Weste des Hausherrn fertig zu sticken hätte. Dieses implizite Sich-einverstanden-Erklären des Opfers mit seinem Peiniger ist schwer zu schlucken und erinnert fatal an Justine, die Protagonistin beim Marquis de Sade. Der ganz eindeutig viel von Richardson gelernt hat: Der französische Marqui hat im Grunde genommen an die Oberfläche geholt, was an sexuellen und "sadistischen" Konnotationen beim englischen Drucker im Untergrund verborgen bleibt. (Übrigens nicht jedem: Schon Zeitgenossen warfen Richardson Pronografie vor!)


    Bemerkenswwert auch die Tatsache, dass sich Pamela - einmal ehren- und tugendhaft verheiratet - in praktisch jeder Hinsicht dem Manne unterwirft, gegen den sie sich noch vor ein paar Wochen so vehement gewehrt hat.


    Auch heute noch lesenswert für den, der an der Psychologie des prädestinierten Opfers interessiert ist. Das Ganze wird erzählt in Form von Tagebuch-Briefen der jungen Frau an ihre Eltern.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus