Februar 2007: "Tausendundeine Nacht"


  • Guten Morgen
    Ich bin ganz neu hier und habe mir soeben die "Tausendundeine Nacht"-Ausgabe von Ott bestellt. Wenn ich sie erhalten habe, würde ich ganz gerne auch mitlesen - falls ich darf :rollen:
    Ich habe mich vor einiger Zeit intensiver mit Märchen befasst. aber noch nie wirklich mit den Geschichten von 1001 Nacht. Ich denke, es würde mir nicht schaden, dies bei dieser Gelegenheit nachzuholen.


    Herzlich, Ursula


    Hallo Ursula,


    herzlich willkommen im Literaturforum und ganz speziell bei unserer Leserunde zu "Tausendundeine Nacht".


    Richtig intensiv habe ich mich seit meiner Kindheit nicht mehr mit Märchen befasst, aber immer mal wieder, z.B. vor Reisen mit afrikanischen, indischen und mexikanischen Märchen, oder mal nach einem Vortrag von Eugen Drewermann mit den Grimmschen Märchen und vor zwei Jahren nach einer Vorführung des chinesichen Nationalcircus im Zirkus Krone in München mir den Märchen von Hans C. Andersen. Schön, dass mit Dir doch noch eine Leserin zu unserer Männerrunde gefunden hat. :klatschen:



    Hallo montaigne und xenophanes,


    seit ihr noch dabei?`


    Grüße


    Hubert

  • Hallo Hubert & alle :winken:


    Es war mir gar nicht bewusst, dass dies bisher eine reine Männerrunde war. Warscheinlich bin ich doch nicht soooo frei von Vorurteilen, wie ich immer gemeint habe :redface:


    Bezüglich der Märchen:
    ich wollte eigentlich ursp. eine Dissertation über Märchen schreiben und dort vor allem über "Die Schöne und das Biest" (ich besitze davon ca. 70 Versionen).
    Aus diesem Grund habe ich eine relativ gut ausgerüstete Märchen-Fachbibliothek und natürlich auch zahlreiche Primärsammlungen.


    Zu 1001 Nacht:
    ich habe das Buch nun auch und habe mit der Lektüre begonnen. Mir gefällt Otts Übersetzung sehr gut. Und ich finde schon - entgegen der Aussage von Hubert - dass die Unterschiede zu anderen Übersetzungen wie z.B. jener von Littmann, beträchtlich sind.
    Nicht unbedingt inhaltlich, aber vor allem stilistisch.


    Beim Lesen sind mir ein paar grundsätzliche Dinge aufgefallen. Ich habe in einer Mail Claudia Ott direkt danach gefrag. Hier ihre Antwort (vielleicht interessiert sie euch ja):



    Die kursiven Hinweise: "Der Autor der Chronik spricht" etc.
    Wurden diese von Ihnen der Klarheit halber ergänzt, oder sind sie im arabischen Manuskript ebenfalls enthalten?

    Sind im arabischen Original enthalten.



    Im Nachwort schreiben Sie, dass Sie einen ergänzenden Hinweis angebracht hätten, wenn im Text ein Koranvers zitiert wird.
    Haben Sie den Koran und das arabische Manuskript elektronisch nach solchen Textparallelen absuchen können? Oder war das für Sie als ausgewiesene Spezialistin einfach offensichtlich, wann es sich bei einer Textstelle um Koranverse handelt?

    Das ist, wenn man die Literatur kennt, aus dem arabischen Text deutlich. Man kann den Koran aber heutzutage auch digital durchsuchen, das ist gar kein Problem.



    Sind die kleinen Ornamente im Text eine Zutat von Ihnen oder finden sich im Manuskript an den betreffenden Stellen auch solche kleinen Ausschmückungen?
    Nein, die Manuskripte sind ganz schlicht, ohne jede Ausschmückung. Die Ornamente hat der Verlag herausgesucht, es handelt sich um Architekturelemente seldschukischer Bauten in Kleinasien.



    Übrigens ist mir beim Lesen einmal mehr deutlich geworden, wie sehr eine Übersetzung bzw. ein Übersetzer / eine Übersetzerin einen Text eigentlich verändern kann, ohne dass diese Texteingriffe den Lesenden überhaupt bewusst werden. Liest man eine Übersetzung 'naiv', dann glaubt man vielleicht tatsächlich, man lese das Originalwerk - einfach in der einem geläufigen Sprache.
    Ich bin daher immer unsicherer, ob man sich für eine wissenschaftliche Arbeit überhaupt auf Übersetzungen stützen darf.


    Herzlich, Ursula

  • Schon wieder ich :redface:


    Der Anfang der 4. Nacht brachte mich wirklich zum schmunzeln:


    S.38-39:
    "Ich lebte dreissig Jahre lang mit ihr zusammen, ohne von ihr Kinder zu bekommen, weder einen Jungen noch ein Mädchen. Sie wurde kein einziges Mal schwanger. Und das, obwohl ich die ganzen dreissig Jahre hindurch immer gut zu ihr war, sie bediente und freundlich behandelte."


    Etwas erstaung war ich dann über den Gang der Dinge in der 8. Nacht (S. 48-49):
    Dort wird die Geschichte des dritten Alten nicht mehr erzählt, sondern bloss noch auf deren Erzählung verwiesen. Sehr gerafft wird dann noch über das Schicksal des Kaufmann berichtet. Auf diese Art der 'abkürzenden Berichterstattung' war ich nicht gefasst.


    Und wenn ich es recht sehe, dann hat Schahrasad an dieser Stelle auch sämtliche Erzählklammern geschlossen. Damit geht sie eigentlich ein recht grosses Wagnis ein. Schliesslich hat der König wenige Zeilen zuvor noch einmal bekräftigt, dass er Schahrasad töten wird, sobald er gehört habe, wie es mit dem Alten und dem Dschinni weitergeht.


    Ich habe extra noch einmal nachgeschlagen. Der folgende Abschnitt ist dann - bezeichnender Weise ? - der erste, den Schahrasad nicht mit "Es ist mir zu Ohren gekommen, o glücklicher König" beginnt, sondern lediglich mit "Es ist mir zu Ohren gekommen". Überhaupt wird die Anwesenheit des Königs mit keinem Wort erwähnt. Es kommt lediglich die Schwester zu Wort.


    Herzlich, Ursula

  • Hallo Ursula!


    Zitat von "Ursula"

    Etwas erstaung war ich dann über den Gang der Dinge in der 8. Nacht (S. 48-49):
    Dort wird die Geschichte des dritten Alten nicht mehr erzählt, sondern bloss noch auf deren Erzählung verwiesen. Sehr gerafft wird dann noch über das Schicksal des Kaufmann berichtet. Auf diese Art der 'abkürzenden Berichterstattung' war ich nicht gefasst.


    Das hat mich auch erstaunt. Vielleicht hatte der Schreiber keine passende Geschichte mehr zur Hand, weil da in seiner Vorlage eine Lücke war. In späteren arabischen Fassungen und europäischen Übersetzungen wird auch die Geschichte des dritten Alten erzählt. Beispielsweise in Littmanns Übersetzung kann man diese Geschichte nachlesen, wobei das eine Art Kurzfassung einer Geschichte ist, die später noch ausführlicher erzählt wird. Im <i>Märchenlexikon</i> von Walter Scherf heißt es dazu im Artikel "Die Geschichte des dritten Scheichs" u. a.:


    "In der LITTMANNschen <i>1001-Nacht-Ausgabe</i> steht im ersten Band unter dem Titel <i>Die Geschichte des dritten Scheichs</i> auf den Seiten 46-48 eine einprägsam knappe Fassung des Märchens von den Eheleuten, die sich gegenseitig in Tiergestalt verwünschen. Enno LITTMANN sieht in dieser Kurzfassung das Vorbild für die wesentlich ausführlichere, im letzten Band mitgeteilte -> <i>Geschichte des Sîdi Nu'mân</i>. Er nimmt an, daß sie, zusammen mit den Geschichten des ersten und des zweiten Scheichs, 'schon sehr früh in das Baghdader Werk aufgenommen' worden sind (Bd. 6, S. 683)."


    Zitat von "Ursula"

    Und wenn ich es recht sehe, dann hat Schahrasad an dieser Stelle auch sämtliche Erzählklammern geschlossen. Damit geht sie eigentlich ein recht grosses Wagnis ein. Schliesslich hat der König wenige Zeilen zuvor noch einmal bekräftigt, dass er Schahrasad töten wird, sobald er gehört habe, wie es mit dem Alten und dem Dschinni weitergeht.


    Aber Schahrasad fängt ja noch in derselben Nacht die <i>Geschichte vom Fischer</i> an, die noch spannender und aufregender als das zuvor Gehörte sein soll. :-) Die Nacht endet also wieder mitten in einer Geschichte, so daß der König auf die Fortsetzung gespannt sein kann. Das Ende der <i>Geschichte vom Fischer</i> fällt dann allerdings tatsächlich mit dem Ende einer Nacht zusammen, und die nächste Nacht beginnt mit einer ganz neuen Geschichte, nämlich der Geschichte vom <i>Träger und den drei Damen</i>.


    Wenn man die Einteilung der Nächte mit der Einteilung in Littmanns Übersetzung vergleicht, dann stellt man übrigens fest, daß eine einzelne Nacht bei Littmann viel mehr Text umfaßt. Die drei ersten großen Geschichten (Kaufmann und der Dschinni; Der Fischer und der Dschinni; Der Träger und die drei Damen) umfassen bei Littmann keine zwanzig Nächte, bei Ott an die siebzig Nächte. Erzählt wird aber in beiden Fassungen ungefähr der gleiche Inhalt (es gibt freilich auch Abweichungen). Im Galland-Manuskript, auf dem Claudia Otts Übersetzung beruht, waren die Nächte also offenbar kürzer. Später hatte man vielleicht insgesamt eine größere Stoffmenge zur Verfügung, so daß man die Nächte großzügiger auffüllen konnte. Die Einteilung in Nächte ist ja in gewissem Sinne ohnehin willkürlich, denn ein Werk, aus dem man tatsächlich 1001 Tage oder Nächte lang jeweils ein oder zwei Stunden vorlesen könnte, ohne sich zu wiederholen, hätte ja einen monströsen Umfang: einige Zehntausend Seiten.


    Danke übrigens für die zitierten Antworten von Claudia Ott zu Deinen Fragen. Sehr interessant. :-)


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Hallo, ihr alle


    Inzwischen bin ich bei der 50. Nacht angelang. Hier einige Gedanken, die mir beim Lesen gekommen sind.


    Der Träger und die drei Damen
    Bei dieser Geschichte hatte ich zum ersten Mal bewusst den Eindruck, dass sie anders ist als die anderen = aus einer anderen Quelle stammt. Wenn ich die vorangehenden Seiten genau lesen würde, würde ich wohl auch an anderer Stelle das Gefühl einer gewissen stilistischen Heterogenität haben. Dass mein Eindruck damit zusammenhängt, dass diese Geschichte vergleichsweise freizügig ist, kann ich nicht ausschliessen.
    Übrigens habe ich in "Das Buch der 1000 Bücher" den Abschnitt zu "Tausendundeine Nacht" gelesen. Der Artikel hat mich qualitativ nicht überzeugt - aber das nur nebenbei. Und unter anderem steht dort:

    Zitat

    Die überschäumende Lebenslust dieser Schilderungen erstrecken sich in verschiedenen Erzählungen auch auf den Bereich der Sexualität, deren freizügige Schilderung gleichwohl mit einer tiefen islamischen Frömmigkeit einhergeht.


    Kann mir jemand verdeutschen, was das bitte heissen soll? Das ist doch einfach nur Blabla, oder täusche ich mich da? Mir Jedenfalls ist nicht klar, wo sich bei der 'Badeszene' in Der Träger und die drei Damen die

    Zitat

    islamischen Frömmigkeit

    verbirgt.


    Autor? / Verfasser?
    Frau Ott schreibt in im Nachwort auf S. 646

    Zitat

    All die Geschichten, die Tausendundeine Nacht über die Jahrhunderte wie magnetisch angezogen hat, sind anonym zusammengestellt und weiterüberliefert worden. Tausendundeine Nacht kennt weder einen Autor noch einen Sammler oder Redaktor ...


    Ich persönlich habe mich schon immer daran gestört, wenn ich im Zusammenhang mit (Märchen-)Sammlungen gelesen habe, die betreffende Sammlung hätte keinen Autor bzw. keinen Verfasser. Im Zusammenhang mit "1001 Nacht" ist sicher richtig, dass es DIE eine und immer gleiche Ausgabe mit einem ganz bestimmten Erzähl-Repertoire nicht gibt. Aber die einzelnen Manuskripte, die im Umlauf waren, wurden doch von jemandem in einer ganz bestimmten Abfolge niedergeschrieben (Ich hoffe, ihr versteht in etwa, was ich meine :redface:).


    Feigling
    Das Schicksal des Mädchens in Die Geschichte des zweiten Bettelmönches hat mich berührt. Ich habe mich echt geärgert über den Bettelmönch, der in seiner Selbstüberheblichkeit den Ifrit 'ruft' (S. 142), dann einfach feige die Flucht ergreift und das Mädchen der Folter des Dämons überlässt. Und die Szene mit dem Abschlagen der Hände (S.147) fand ich echt grauenhaft. Diese Art der Grausamkeit kam für mich unerwartet. Wohl deshalb, weil ich wider besseren Wissens die Sammlung "1001 Nacht" insgeheim wohl auch zu den Märchen zähle. Die Gattungsgesetze des Märchens aber hätten an der betreffenden Stelle einen anderen Ausgang erwarten lassen.
    Dasselbe gilt übrigens auch für die Szene mit dem sprechenden Kopf in der Geschichte Der Königssohn und die Ghula, wo der Arzt bzw. der Kopf schliesslich stirbt (S.73) (Ob Umberto Eco wohl unter anderem diese Geschichte im Kopf hatte, als er "Der Name der Rose schrieb"?). Solche Stellen machen deutlich, dass die Sammlung alles andere als eine Märchensammlung ist.


    Zweck?
    Beim Lesen habe ich mich gefragt, was eigentlich die Absicht war, die zur Entstehung der verschiedenen Manuskripte / Ausgaben von "1001 Nacht geführt hat. Ging es wirklich nur darum, Geschichten zu sammeln, damit sie nicht verloren gehen, und wollte man mit den Geschichten einfach 'nur' unterhalten? Und ist die Anordnung der einzelnen Erzählungen rein zufällig? Wenn es so wäre, wäre ich fast ein bisschen enttäuscht. Irgendwie wäre mir dies zu einfach. Andererseits muss ja nicht immer alles einen 'höheren' Sinn und Zweck haben.


    Übrigens ist mir schon auch klar, dass ein wichtiges Thema jenes von der Macht der Worte bzw. des Erzählens ist. Erzählen rettet leben, mit Erzählungen kann man andere freikaufen etc.




    Herzlich, Ursula

  • Hallo!


    Ich bin jetzt bei der 25. Nacht angelangt. Erstaunlich finde ich wie "modern" die Erzählstrukturen sind. Damit meine ich einerseits das doch sehr raffinierte Spannungsmanagement, andererseits die Komplexität der narrativen Klammern. Die Geschichten innerhalb der Geschichten von Geschichten und das Schließen dieser Klammern ist doch sehr gekonnt gemacht. Speziell wenn man es mit dem vergleicht, was im zeitgenössischen Europa (oder gar Deutschland) geschrieben wurde, etwa mit frühneuhochdeutschen Prosaromanen.


    Auch das erzählerische Zeitmanagement (Vor/Rückblenden) wird sehr virtuos beherrscht.


    Werde wie bisher sehr langsam weiter lesen.


    CK

  • Hallo zusammen, hallo Ursula,


    eine besonders »tiefe islamische Frömmigkeit« konnte ich da eigentlich auch nicht erkennen. :rollen: Man darf sich nicht von der häufigen Verwendung von »Gott« in allerlei Ausrufen in die Irre leiten lassen, denn solche formelhaften Wendungen verwendeten nicht nur besonders fromme Muslime. Schon in der Rahmenerzählung geht es bei der Sexualität recht unfromm zu. Die Königin treibt es mit dem schwarzen Sklaven Masud, während ihr Mann abwesend ist (in der Übersetzung von Richard Burton heißt es dazu übrigens in einer kuriosen Fußnote: »Debauched women prefer negroes on account of the size of their parts. I measured one man in Somali-land who, when quiescent, numbered nearly six inches.« Schon erstaunlich, mit was sich dieser Übersetzer so beschäftigt hat ;-)), und später in der Szene mit dem Ifrit werden die beiden Brüder sogar von der schönen, ringesammelnden Frau mehr oder weniger vergewaltigt. Erstaunlich fand ich, wie häufig und mit welcher Selbstverständlichkeit in <i>1001 Nacht</i> Wein getrunken wird, oft sogar bis zur Betrunkenheit. Das ist auch alles andere als »tiefe islamische Frömmigkeit«.


    Das Gefühl, daß ausgerechnet »Der Träger und die drei Damen« aus einer anderen Quelle stammen würde, hatte ich in dieser Form nicht, denn daß hier verschiedene, eigentlich nicht zusammengehörige Stücke zusammengestellt und ineinander verwoben worden sind, ist mir schon vorher öfter aufgefallen. Besonders bei der Rahmenerzählung ist mir das aufgefallen, die kam mir etwas zusammengestückelt vor. Dagegen fand ich beispielsweise die Geschichte vom <i>Fischer und dem Dschinni</i> wesentlich kunstvoller »zusammengebaut«. Die verschiedenen Einzelgeschichten ergeben hier ein überzeugendes Ganzes.


    Was den Zweck der Sammlungen betrifft: Soweit ich gelesen habe, waren das in vielen Fällen einfach nur Gedächtnisstützen für die Erzähler, weshalb sie oft auch in einem umgangssprachlichen Arabisch verfaßt worden sind. Spätere Fassungen, insbesondere auch die arabischen Drucke aus dem 19. Jh. sind dann an die Schriftsprache angepaßt worden.


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Hallo xenophanes,


    [quote author="xenophanes"]
    Erstaunlich finde ich wie "modern" die Erzählstrukturen sind. Damit meine ich einerseits das doch sehr raffinierte Spannungsmanagement, andererseits die Komplexität der narrativen Klammern. Die Geschichten innerhalb der Geschichten von Geschichten und das Schließen dieser Klammern ist doch sehr gekonnt gemacht. Speziell wenn man es mit dem vergleicht, was im zeitgenössischen Europa (oder gar Deutschland) geschrieben wurde, etwa mit frühneuhochdeutschen Prosaromanen.
    [/quote]


    ja, diese Verschachtelung der Geschichten finde ich auch sehr beeindruckend. Es scheint mir so zu sein, daß beim Lesen oder Hören durch diesen Kunstgriff das Gefühl der Fülle verstärkt wird. Fünf ineinander verwobene Geschichte wirken umfangreicher als fünf Geschichten, die einzeln und nacheinander erzählt werden. Auffällig ist auch die Detailfreude. Es wird beispielsweise genau aufgezählt, welche einzelnen Speisen für ein Festmahl eingekauft werden.


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Hallo zusammen!


    [...]in der Übersetzung von Richard Burton heißt es dazu übrigens in einer kuriosen Fußnote: »Debauched women prefer negroes on account of the size of their parts. I measured one man in Somali-land who, when quiescent, numbered nearly six inches.« Schon erstaunlich, mit was sich dieser Übersetzer so beschäftigt hat ;-)), [...]


    Richard Burton war schon zu Lebzeiten dafür berüchtigt, womit er sich auseinandergesetzt hat - u.a. wahrscheinlich in praktischer Sexualkunde ebenso wie in theoretischer. (Burton hat auch das Kamasutra übersetzt und es in einem Privatdruck erscheinen lassen.) Überhaupt eine äusserst schillernde Gestalt des 19. Jahrhunderts ... :zwinker: Er war das, was Karl May gern gewesen wäre: Forscher, Übersetzer, Autor, Dichter, Offizier, Orientalist, Ethnologe, Diplomat, sprach tatsächlich mehrere Sprachen fliessend, konnte fechten und hypnotisieren.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Mir gefällt Otts Übersetzung sehr gut. Und ich finde schon - entgegen der Aussage von Hubert - dass die Unterschiede zu anderen Übersetzungen wie z.B. jener von Littmann, beträchtlich sind.
    Nicht unbedingt inhaltlich, aber vor allem stilistisch.


    Hallo Ursula,


    sorry, da habe ich mich wohl nicht klar ausgedrückt, - auch ich bin der Meinung, dass die Übersetzungen von Littmann und Ott sich stilistisch unterscheiden, ich wollte nur darauf hinweisen, dass man auch mit einer anderen Übersetzung an dieser Leserunde teilnehmen könnte, da z.B. der erste Band der sechsbändigen Insel-Ausgabe inhaltlich in etwa der Ott-Übersetzung entspricht, sprich: die einzelnen Erzählungen sind in ihrer Reihenfolge identisch.
    Wie groß die Unterschiede im einzelnen sind, will ich mal am Beispiel der Beschreibung der zweiten Dame in der Erzählung „Der Träger und die drei Damen“ zeigen. Littmann: „Ihr Hals glich dem der Antilope, ihr Busen einem Marmorbecken, und ihre Brüste glichen zwei Granatäpfeln; ihr Leib war weich wie Samt, und die Höhle ihres Nabels hätte eine Unze Benzoesalbe gefaßt.“ Das ist nur der letzte Satz einer ausführlichen Beschreibung und wenn man Otts Übersetzung nicht kennt, klingt das ja nicht schlecht. Bei Frau Ott lautet die gleiche Stelle: „Ihr Hals war wie ein schlankes persisches Weißbrot auf der Tafel eines Sultans, ihre Brust war frisch wie ein Springbrunnen, und ihr Busen ähnelte zwei prächtigen Granatäpfeln. Ihr Bauchnabel faßte zwei Unzen Behennußöl, und darunter saß etwas, das glich einem Kaninchen mit flauschig behaarten Ohren.“ Da merkt man, dass Littmann uns doch wesentliches einfach vorenthält.


    Vielen Dank, Ursula, für Deinen Mail-Austausch mit Frau Ott.


    Liebe Grüße


    Hubert


  • Mir Jedenfalls ist nicht klar, wo sich bei der 'Badeszene' in Der Träger und die drei Damen die

    verbirgt.


    Vor allem mit dem Satz: „Mit diesem Treiben hörten sie nicht eher auf, als bis sie alle völlig betrunken waren und der Wein mit ihren Hirnen wie mit Bällen spielte.“, wird sich ja über das islamische Alkoholverbot völlig hinweggesetzt.



    [quote author=Ursula]
    Solche Stellen machen deutlich, dass die Sammlung alles andere als eine Märchensammlung ist.
    [/quote]


    Sicher keine Sammlung von Kindermärchen, aber märchenhafte Elemente kann man den meisten Erzählungen doch wohl nicht absprechen, oder?


    Im übrigen ist Gewalt auch in Deutschen Hausmärchen ja wohl keine Seltenheit.


    Grüße


    Hubert

  • Zitat

    Sicher keine Sammlung von Kindermärchen, aber märchenhafte Elemente kann man den meisten Erzählungen doch wohl nicht absprechen, oder?


    Man kann dies den Geschichten in dem Sinn nicht absprechen, als beide Gattungen - die Geschichten von Tausendundeine Nacht wie auch Märchen - ähnliche Motive enthalten. Aber es ist nicht unproblematisch, von einem Motiv oder Erzählelement, von einem märchenhaften Element per se zu sprechen. Die betreffenden Elemente werden von uns oft deshalb als märchenhaft empfunden, weil wir sie aus der Gattung Märchen kennen. Aber damit ein Text zu einem Märchen wird, müssen auch gewisse strukturelle Gesetzmässigkeiten erfüllt sein. Ein Motiv allein (= ein inhaltlich definiertes Element) macht noch kein Märchen.
    Die Art und Weise nun, wie die Motive in Tausendundeine Nacht angeordnet sind, wie sie ausgestaltet sind etc. gehorcht meiner Meinung nach anderen Gattungsgesetzen als jenen des Märchens.



    Zitat

    Im übrigen ist Gewalt auch in Deutschen Hausmärchen ja wohl keine Seltenheit.


    Für die Gewalt gilt Ähnliches, wie schon für die sog. "märchenhaften Elemente".
    Die Art und Weise, wie die Gewalt im Märchen eingesetzt und dargestelle wird, ist bestimmten Gesetzmässigkeiten unterworfen. Nicht immer hat es die selbe Wirkung auf die LeserInnen und denselben Zweck für die Geschichte, wenn in einem Text z.B. davon die Rede ist, dass jemandem die Hand abgeschlagen wird. Zudem kann man einen solchen Vorgang auf X-Arten darstellen.
    ABER: Innerhalb der Märchenforschung und vor allem natürlich innerhalb der Pädagogik ist die "Grausamkeit im Märchen" nach wie vor ein Thema, das mit auf- und abflauender Inbrunst, in der Regel aber schon relativ heissblütig, diskutiert wird.
    Insofern hast du mit deiner Bemerkung, dass Gewalt im Märchen keine Seltenheit ist, nicht unrecht.
    Lieber Gruss
    Ursula

  • Hallo zusammen, hallo Hubert,


    Zitat von "Hubert"

    [...] Da merkt man, dass Littmann uns doch wesentliches einfach vorenthält.


    Littmann hat aber eine andere Textgrundlage verwendet als Ott. Ob er uns an dieser Stelle etwas vorenthält, kann man deshalb nicht so ohne weiteres sagen. Immerhin kommt auch bei Burton (der ja kein Kind von Traurigkeit war, wie wir schon festgestellt haben ;-)) kein Kaninchen mit flauschigen Ohren vor:


    »Her throat recalled the antelope's, and her breasts, like two pomegranates of even size, stood at bay as it were, her body rose and fell in waves below her dress like the rolls of a piece of brocade, and her navel would hold an ounce of benzoin ointment.«


    Dazu erläutert Burton in zwei Fußnoten:


    The "high-bosomed" damsel, with breasts firm as a cube, is a favourite with Arab tale tellers. Fanno baruffa is the Italian term for hard breasts pointing outwards.


    A large hollow navel is looked upon not only as a beauty, but in children it is held a promise of good growth.


    Die "Kaninchenohren" hätte sich Burton bestimmt nicht entgehen lassen, wenn sie in seiner Textgrundlage vorhanden gewesen wären. ;-)


    Die Rahmenerzählungen bei Ott und Littmann unterscheiden sich in einigen inhaltlichen Details, und auch bei der Auswahl und der Anordnung der einzelnen Geschichten gibt es Unterschiede. Statt der Geschichte vom "Kaufmann mit dem Papagei" (Ott, S. 63) findet man bei Littmann die "Geschichte von König Sindibâd" und seinem Falken (S. 62 in meiner Insel-Ausgabe). Nach der Geschichte vom Buckligen kommt bei Ott die Geschichte "Nuradin Ibn Bakkar und die Sklavin Schamsannahar", die im ersten Band der Littmannübersetzung gar nicht enthalten ist; man findet sie dort erst im 2. Band ab S. 289.


    Noch einmal zurück zum Lob der Schönheit. Aufgefallen ist mir, daß auch die männliche Schönheit teilweise sehr enthusiastisch geschildert wird. In der 65. Nacht wird beispielsweise bei einem Jüngling "die Rose seiner Wange" und "seiner Zähne Perlenband" gepriesen, außerdem auch "die Schlankheit seiner Taille" und das "Wiegen seiner Hinterbacken".


    Schöne Grüße,
    Wolf


  • Littmann hat aber eine andere Textgrundlage verwendet als Ott. Ob er uns an dieser Stelle etwas vorenthält, kann man deshalb nicht so ohne weiteres sagen.


    Hallo Wolf,


    danke Dir für die Klarstellung. Eigentlich weiß ich ja, dass Littmann und Ott verschiedene Texte übersetzten, aber dann sind die Ähnlichkeiten manchmal doch so groß, dass ich das hier glatt vergessen/verdrängt? hatte.


    Obwohl ich einige Übersetzungen von "Tausendundeine Nacht" habe, fehlt mir noch die von Burton, aber Du hast mich da richtig neugierig gemacht. Schade auch, dass es keine Synopse der verschiedenen Übersetzungen gibt.


    Bei der 65. Nacht bin ich leider noch nicht, so dass ich jetzt noch eine Runde lesen werde.


    Viele Grüße


    Hubert

  • In der "Bibliothek von Babel " (vgl. unten in der Rubrik "Klassikerforum > Allgemeine Literatur > Nicht-klassische Genres und moderne Literatur" http://klassikerforum.de/forum/index.php?thread/2181.0 ) werden übrigens auch 2 Bde zu "Tausendundeine Nacht" herausgegeben:
    Bd. 25: "Tausendundeine Nacht" nach Galland http://www.bibliothekvonbabel.de/bibliothek/band-25.shtml
    Bd. 26: "Tausendundeine Nacht" nach Richard F. Burton http://www.bibliothekvonbabel.de/bibliothek/band-26.shtml


    Allerdings sind die beiden Bde erst für April 2008 geplant.


    Lieber Gruss
    Ursula

  • Man kann dies den Geschichten in dem Sinn nicht absprechen, als beide Gattungen - die Geschichten von Tausendundeine Nacht wie auch Märchen - ähnliche Motive enthalten. Aber es ist nicht unproblematisch, von einem Motiv oder Erzählelement, von einem märchenhaften Element per se zu sprechen. Die betreffenden Elemente werden von uns oft deshalb als märchenhaft empfunden, weil wir sie aus der Gattung Märchen kennen. Aber damit ein Text zu einem Märchen wird, müssen auch gewisse strukturelle Gesetzmässigkeiten erfüllt sein. Ein Motiv allein (= ein inhaltlich definiertes Element) macht noch kein Märchen.
    Die Art und Weise nun, wie die Motive in Tausendundeine Nacht angeordnet sind, wie sie ausgestaltet sind etc. gehorcht meiner Meinung nach anderen Gattungsgesetzen als jenen des Märchens.


    Hallo Ursula,


    mit märchenhaften Elementen, meinte ich keine bestimmten Motive, sondern die sicher unbestritten enthaltenen fabelhaften bis übernatürlichen Elemente. Ich stimme Dir zu, dass wir diese Element u.a. aus Märchen kennen, dass sie deshalb aber noch nicht jeden Text, der solche Elemente enthält zu Märchen machen. Allerdings ist mir nicht klar, welche strukturellen Gesetzmäßigkeiten bei den Erzählungen aus 1001Nacht fehlen um diese als Märchen bezeichnen zu können und unklar ist mir auch, welcher Gattung die Erzählungen dann zugeordnet werden können.


    Wäre Deiner Meinung nach dann auch die folgende Definition für Märchen falsch:
    „Als Märchen (Diminutivform zu mittelhochdeutsch maere "Kunde, Nachricht", abgeleitet von althochdeutsch māri "berühmt") bezeichnet man Prosaerzählungen, die über die wirkliche Welt hinausgehen und übernatürliche Elemente enthalten. Dabei wird das Übernatürliche als selbstverständlich vorausgesetzt, soll aber nicht notwendigerweise glaubwürdig sein, sondern dient eher der Erzählung.“? und wie müsste sie ergänzt werden?


    Liebe Grüße


    Hubert

  • “Tausendundeine Nacht” hat nicht nur in Musik und Kunst Spuren hinterlassen, sondern natürlich auch in der Literatur. So ist z.B. der Rahmen von Taha Husains 1943 erschienenen “Träume der Scheherezade”, Tausendundeine Nacht entnommen. Wie sehr z.B. auch unser Goethe von diesem Werk der Weltliteratur beeinflusst war kann man hier nachlesen:


    http://www.inst.at/trans/16Nr/07_4/koloska16.htm



    Gruß


    Hubert

  • Hallo Hubert


    Ich werde dir auf deine Fragen zu Antworten versuchen, brauche dazu aber einfach noch etwas Zeit bzw. eine ruhige Minute. Es wird sich dann zeigen, ob ich mich überzeugend aus der Affäre ziehen kann :rollen:


    Lieber Gruss
    Ursula


  • Hallo Ursula,


    vielen Dank für den Hinweis. Diese Reihe werde ich mir komplett zulegen, unabhängig davon, ob ich schon den einen oder anderen Band in einer anderen Ausgabe besitze (Melville's Bartleby habe ich mindestens schon dreimal), aber seit der SZ-Bibliothek ist dies m.M.n. das erste interessante Projekt in dieser Art und es lohnt sich sicherlich auf Burtons 1001Nacht in der Gutenberg-Ausgabe ein Jahr zu warten.


    Liebe Grüße


    Hubert


    PS: Mach Dir wegen der Märchendefinition bloß keinen Streß. :smile: