Heinrich von Veldekes Eneasroman (entstanden zwischen 1178 und 1187) gilt als Ausgangspunkt des mittelhochdeutschen höfischen Romans. Heinrich von Veldeke seinerseits stützt sich auf eine anonyme französische Nacherzählung des berühmten Epos von Vergil. Dabei verschiebt sich so einiges.
Es sind die mittelalterlichen ritterlichen Tugenden, die im Zentrum stehen - und die mittelalterliche Minne. Doch noch ist nichts so ganz ritualisiert, wie es später sein sollte. Eneas, seine Freunde und seine Feinde folgen wohl den ritterlichen Regeln (oder verletzen sie und werden dafür gestraft), doch diese Regeln müssen sich in echtem Kampf bewähren, nicht in einem ritterlichen Turnier. Und diese Kampfszenen sind verblüffend realistisch beschrieben und gleichen sich auch untereinander nicht.
Auch die Minne ist noch nicht ritualisiert. Ja, wenn Heinrich von Veldeke Lavinias und Eneas' Liebespein schildert, bis sie sich endlich gesprochen, gefunden und verlobt haben, schimmert nicht nur leise Ironie durch, sondern auch ein Eingehen auf psychologische Wirrnisse, das weit übers 12. Jahrhundert hinaus weist - Shakespeare konnte es nicht besser.
Allerdings - ob nun Tantus, der Gegner Eneas', gegen die ritterlichen Tugenden verstösst, indem er einem gefallenen Feind einen schönen Ring vom Finger zieht, oder Dido, indem sie zu übermässiger und unerwiderter Liebe entbrennt: Solche Verstösse werden in klassisch-mittelalterlichem Denken geahndet und ziehen eine Bestrafung, den Tod, nach sich.
Heinrich von Veldeke verzichtet auch darauf, die römischen Gottheiten irgendwie umzudeuten und ins Christliche zu biegen. Venus z.b. ist des Eneas Mutter, und ihr Liebes- und Eheleben wird offen angesprochen, aber weder genüsslich ausgewalzt noch mit moralisierendem Zeigefinger abgekanzelt.
Spannend und amüsant - überhaupt nicht mittelalterlich verstaubt
findet
Sandhofer