September 2006 - Marcel Proust


  • Ich vermute auch, dass mich Proust nicht mehr loslassen wird, denn schon allein diese Erinnerungen, die jetzt an Combray auftauchen, weckt ein bißchen Sehnsucht, diesen Teil wieder zu lesen.


    Hallo ihr Lieben,
    mir gehts ebenso. Die Sehnsucht nach "Combray" wird immer größer. Das hat Proust bestimmt beabsichtig!
    und schon hat er uns wieder am Wickel :smile:


    Schöne Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    Hallo ihr Lieben,
    mir gehts ebenso. Die Sehnsucht nach "Combray" wird immer größer. Das hat Proust bestimmt beabsichtig!
    und schon hat er uns wieder am Wickel :smile:


    Schöne Grüße
    Maria


    da kann ich mich nur anschließen. Vieles würde man mit dem Wissen aus den folgenden Bänden auch sicher mit anderen Augen lesen (z.B. die erste Begegnung mit Gilberte).


    Die Gedanken und Eindrücke des Erzählers in Bezug auf den Krieg fand ich sehr interessant zu lesen. Die Gesellschaft, ihre Einstellungen und Meinungen (z.B. zur Bedeutsamkeit der Dreyfusaffäre) und ihre Rangordnung scheinen auf den Kopf gestellt. Andererseits sind die Gespräche und Verhaltensweisen großteils genauso hohl wie bisher, was der Erzähler zum Teil recht boshaft kommentiert, z.B. als er die "magische Transsubstantation" beschreibt, durch die für Mme Verdurin "Langweiler" zu interessanten Personen werden. Auch die Rechtfertigung der Damen, warum ihre eleganten Roben den Soldaten an der Front dienen, ist ziemlich bissig.


    Was mir beim bisherigen Lesen besonders auffällt, sind Szenen, in denen Proust eine Situation oder einen Gefühl direkt in sein Gegenteil verkehrt. Er schildert z.B. die Ehe des Vicomte de Courvoisier, die erst richtig vorbildlich wird, als er beginnt, seine Homosexualität auszuleben, während Saint-Loup seine Neigung mit vielen Mätressen zu verbergen versucht, und Gilberte dadurch erst unglücklich macht. An anderer Stelle macht er die Entdeckung, dass Bekanntschaften, die ihn mit einer Angebeteten zusammen bringen könnten, unmöglich sind, solange er sie dringend ersehnt; dass sie ihm aber zufallen, sobald sie ihm gleichgültig werden.



    Ich kann mir darauf auch keinen Reim machen und habe schon öfters darüber nachgedacht. Dass es für Marcel nicht interessant genug sein könnte, kann ich mir vorstellen, aber wie steht Proust dazu ? Ich bin immer wieder verblüfft, wie sehr ich manchmal Marcel und Proust identifiziere und wie manchmal irgendwie der Unterschied deutlich wird.


    Es fällt mir beim Lesen auch immer schwer, den Autor und den Icherzähler zu trennen. Das Werk wirkt schon raffiniert autobiographisch.


    Euch noch einen schönen Adventssonntag!


    Viele Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo zusammen,


    hat Euch der Vorweihnachtsstreß fest in der Hand? Mich schon gewissermaßen, deshalb bin ich leider nicht viel weiter gekommen. Trotzdem ein paar Gedanken:


    Der Krieg scheint für Marcel nur zweitrangig zu sein. An einer Stelle findet er es zwar merkwürdig, dass Charlus und andere ihr Leben einfach so weiterführen, obwohl die Armee nur eine Autostunde vor Paris steht - ihn selbst scheint das aber auch nicht sehr zu kümmern. Vielleicht fühlte er sich durch seinen Sanatoriumsaufenthalt isoliert?


    In diesem Band scheint wieder öfters die feine ironische Seite von Proust auf, z.B. als er schreibt, dass manche Damen "entschlossen ihr Gesicht der schlanken Taille opfern". Auch über Mme Verdurin, die ein ärztliches Attest für Hörnchen erhält, habe ich mich amüsiert.


    Wie fandet Ihr den Vergleich von Nationen mit dem menschlichen Körper? Ich bin noch am Grübeln, ob ich die Auffassung, ein Volk verhalte sich wie ein Individuum, teilen kann. Auf jeden Fall ein interessanter Gedanke.


    Viele liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo zusammen,


    eigentlich hält der Stress sich bei mir in Grenzen, doch komm ich gerade nicht soviel zum Lesen.



    Der Krieg scheint für Marcel nur zweitrangig zu sein.


    das fiel mir auch auf. Ich habe mir das so gedacht, dass auch hier die Sicht auf die "Kunst" gerichtet ist. Der Krieg und neue Modeerscheinungen, der Krieg und neue Sprache. Wenn es damals bereits eine Kürung des "(Un)Wortes des Jahres" gegeben hätte, hätte es vermutlich "Frontmoral" o.ä. geheißen.



    Zitat von "Manjula"

    Auch über Mme Verdurin, die ein ärztliches Attest für Hörnchen erhält, habe ich mich amüsiert.


    :breitgrins:


    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo !


    Mir gehts wie euch - ich bin auch noch nicht furchtbar weit gekommen.


    Es scheint, dass das Kriegsgeschehen mehr aus einer künstlerischen Warte geschildet wird. Es gibt eine Szene, als bei Nacht die Flugzeuge angreifen - das ist wie auf einem Bild beschrieben, losgelöst von all den Greueltaten.


    Charlus ist nun auch noch deutschfreundlich. Es gibt viele Anspielungen auf die politische Situation damals, leider weiß ich auf Seiten Frankreichs nichts und auf Seiten Deutschlands auch sehr wenig über detaillierte Politk. Wer hatte welche Intentionen usw. Doch für Proust (oder Marcel) stellt sich die Frage gar nicht, beide Länder sind gleichschuldig, gleich unschuldig. Wie das aber mit Charlus zusammenhängt ist mir noch nicht so ganz klar.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    ich wünsche euch nachträglich noch ein gutes neues Jahr und viele schöne Leserunden. :-)


    wie weit seid ihr in der "wiedergefundenen Zeit"? Ich bin leider erst auf S. 160.
    Mit einem Aspekt tue ich mir schwer, und zwar wenn es um die Ansichten über den I. WK geht. Charlus gibt sich ja sehr offen für die französische Seite und der deutschen Seite. Gleich geblieben sind die Kriegsparolen beider Seiten und wir erkennen solche Parolen auch in der Neuzeit. Demzufolge hat sich nichts geändert.


    Übrigens, ich habe die neue Biographie geschenkt bekommen und auch schon begonnen zu lesen:


    Jean-Yves Tadié: Marcel Proust


    [kaufen='9783518419526'][/kaufen]


    sie wird mich noch lange in diesem Jahr begleiten *freu*


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo JMaria,


    ich bin seit meinem letzten posting noch nicht weiter gekommen, dürfte ca. S. 180 sein. Aber ich habe mir heute wieder ein paar Seiten vorgenommen. Ich finde diese Einsichten über den Krieg sind schwer zu verstehen, manchmal.


    Diese Biografie ist bestimmt toll und ich bin gespannt, welche weiteren Kenntnisse sie dir vermittelt !


    Gruß von Steffi

  • Hallo Ihr beiden,


    auch von mir ein gutes neues Jahr mit vielen schönen Leseerlebnissen!


    Über die Feiertage bin ich leider fast nicht zum Lesen gekommen, momentan befinde ich mich mit Marcel in einem Haus, das er zunächst als Spionagenest einschätzte. Mein lieber Mann, Charlus läßt aber auch wirklich kein Laster aus.


    Die Passagen über den Weltkrieg sind für mich zum Teil auch schwer nachvollziehbar, ich habe den Eindruck, dass ich viele wichtige Anspielungen gar nicht sehe, da mir das Hintergrundwissen fehlt. Der Geschichtsunterricht ist halt doch schon ein paar Tage her, und aus französischer Sicht stellt sich vieles sicher nochmal anders dar.



    Es scheint, dass das Kriegsgeschehen mehr aus einer künstlerischen Warte geschildet wird. Es gibt eine Szene, als bei Nacht die Flugzeuge angreifen - das ist wie auf einem Bild beschrieben, losgelöst von all den Greueltaten.


    Ja, das ist mir auch aufgefallen, diese Beschreibung hatte fast etwas Poetisches. Angst scheint Marcel nicht zu haben; an einer Stelle sagt er ja auch, dass er Gedanken an den Tod ebenso wie seine Arbeit stets auf den nächsten Tag verschiebt.


    Viele liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo zusammen,


    Zitat

    Über die Feiertage bin ich leider fast nicht zum Lesen gekommen, momentan befinde ich mich mit Marcel in einem Haus, das er zunächst als Spionagenest einschätzte. Mein lieber Mann, Charlus läßt aber auch wirklich kein Laster aus.


    wohl wahr!


    mir fiel auf, dass bisher sehr betont auf Vernichtung von "oben" gemahnt wird. Sodom und Gomorrha wurde von einem Feuerregen vernichtet; Pompeij durch einen Vulkanausbruch; Bombenhagel über Paris, als Marcel aus diesem Haus seinen Weg nach Hause wegen der Dunkelheit nicht findet. Makaber, dass er dann durch den Bombeneinschlag und dem Feuer genügend Helligkeit hat um sich wieder orientieren zu können.


    Auch die Orientalische Thematik nimmt der Autor wieder auf; er findet die Seine könnte durchaus dem Bosporus ähneln. Den alten Märchen aus Tausendundeiner Nacht stellt er modernen Malern gegenüber; Fromentin, Ingres, Delacroix.


    Im Buch "Paintings in Proust" sind folgende zwei Bilder zu finden um sich alles besser vorstellen zu können:


    Delacroix:
    Turk, Smoking on a Divan


    Fromentin:
    A Falcon Hunt in Algeria


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen !


    Ich bin auch gerade dabei, wie Marcel das Haus wieder verlässt - auch St.Loup scheint darin verkehrt zu haben. Die Welt scheint sich etwas verkehrt zu haben, ein Männeretablissement und die Frauen der Gesellschaft kleiden sich mit Kriegstrophäen. Die Anklänge an 1001Nacht sind tatsächlich nicht zu übersehen, auch hier gibt es ja sonderbare Dinge. Beim Lesen stellten sich mir folgende Fragen: Wie wird der Blick auf die Situation, wenn Krieg ist ? Kann man die Realität ertragen oder flüchtet man sich in eine Scheinwelt ?


    Danke, JMaria, für die Bilder - ich finde, "Paintings in Proust" hilft manchmal sehr, flüchtige Gedanken festzuhalten.


    Gruß von Steffi

  • Hallo !


    Das verlorene Kriegskreuz hat St.Loup entlarvt, auch er war in dem Etablissement. Zuhause angekommen zieht Marcel Parallelen zwischen dem Volk (Francoise) und St.Loup (als Vertreter des Adels ?), Francoise kommt nicht sehr gut dabei weg, sie ist sehr patriotisch, dabei aber auch irgendwie falsch und fast gehässig beschrieben. St.Loup, der sich ja geradezu dem Kriegsdienst aufdrängte, stirbt an der Front, während Morel sozusagen mit dessen Hilfe zum Held wird und das Kriegskreuz erhält. Das ist alles sehr moralisch und bitter, die Guten trifft es, die Bösen kommen davon und siegen.


    Gruß von Steffi

  • Hallo Steffi, hallo Manjula


    in der Biographie über Marcel Proust von Jean-Yves Tadié las ich einen bewegenden Ausspruch, den der Bruder von Marcel, Robert Proust, nach dem Tode seines Bruders äußerte, und es zeigt uns, dass Marcel auch ein Hüter der Erinnerungen in der Familie gewesen war:


    ....doch darüber hinaus spürte ich bei ihm so etwas wie das Überleben unserer teuren Verstorbenen, und bis zu seinem letzten Tag ist er mehr geblieben als der Hüter dieses moralischen Weiterlebens; er war meine ganze Vergangenheit; meine ganze Jugend war in seiner Individualität eingeschlossen."


    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    ein sehr schönes Zitat, Maria. Erinnerungen zu bewahren war also nicht nur im Buch ein wichtiges Thema für ihn.



    Das ist alles sehr moralisch und bitter, die Guten trifft es, die Bösen kommen davon und siegen.


    Man bekommt etwas das Gefühl, die Moral werde auf den Kopf gestellt. Das ging mir so bei Jupiens Unterhaltung mit Marcel, als er fragt, ob es denn verboten sein könne, ein Entgelt für Dinge zu empfangen, die man nicht für schuldhaft hält. Man muss also nur subjektiv von der Richtigkeit einer Sache oder eines Verhaltens überzeugt sein, und schon kann man auch davon ausgehen, es sei allgemein akzeptiert und anerkannt? Eine sehr elastische und bequeme Sicht der Dinge.


    Nett fand ich auch den ironischen Selbstbezug, als Marcel von Francoises Verwandten berichtet:

    Zitat


    In diesem Buche, in dem keine einzige Tatsache berichtet wird, die nicht erfunden ist, in dem es keine einzige Gestalt gibt, hinter der sich eine wirkliche Person verbirgt, in dem alles und jedes je nach Maßgabe dessen, was ich demonstrieren will, von mir erdacht worden ist...


    Hat nicht gleich nach dem Erscheinen des Werks das Rätselraten über die realen Vorbilder der Romanfiguren begonnen?


    Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende!


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo Manjula, hallo Steffi,


    Marcel bewirkt wieder durch einen Sanatoriumsaufenthalt einen Zeitsprung. Der Krieg ist vorbei, alle sind älter geworden. Er sitzt im Zug und transportiert seine Gedanken. Gedanken die sich um sein künsterisches Unvermögen drehen. Er zweifelt wieder an sich. Die Natur gibt ihm nicht mehr die nötige Inspiration, obwohl er gleichsam wunderbar impressionistisch diese Baumreihe beschreibt.


    Wenn ich wirklich eine Künstlerseele hätte, welches Vergnügen empfände ich da nicht angesichts dieser gleich einem Vorhang von der Abendsonne durchfluteten Baumreihe oder dieser Blümchen an der Böschung, die sich beinahe bis zum Trittbrett des Wagens emporrecken, deren Blütenblätter ich zählen könnte, deren Farbe ich aber wohlweislich nicht beschreibe, wie ein rechter Literat es tun würde, denn kann man hoffen, dem Leser ein Vergnügen mitzuteilen, das man nicht empfunden hat?


    Seine Selbstzweifel halten einen Teil von sich zurück.


    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo ihr beiden !


    JMaria: Diese Szene fand ich auch interessant - gerade auch wegen der schönen Beschreibungen.


    Etwas später kommt Marcel dann durch verschiedene Auslöser auf eine Theorie, wie er dieses Glücksgefühl beschreiben könnte, das er empfindet. "...;denn die wahren Paradiese sind die Paradiese, die man verloren hat."


    Ich versuche mal, meine Gedanken dazu niederzuschreiben, denn ich fand es doch etwas kompliziert.
    Dieses Glück empfindet man, wenn man die wahre Essenz, also das innere Wesen der Dinge wahrnimmt. Dafür muss aber die Zeit aufgehoben werden, denn man kann die essenz nur wahrnehmen, wenn Vergangenheit und Gegenwart identisch sind. Nur über die Erinnerung an die Dinge, die man in der Vergangenheit bereits erfahren hat, kann man die Essenz wahrnehmen (vielleicht weil nur diese die Zeit überdauert?). Die Erinnerung muss aber intuitiv erfolgen, also nicht über Verstand oder Gefühl, durch einen Auslöser entsteht diese intuitive Empfindung. Durch die Wahrnehmung dieser Essenz erwacht unser wahres Ich, das von der Ordnung der Zeit befreit ist und daher auch keine Furcht vor der Zeit (oder Zukunft) hat, also quasi einen Ewigkeitscharakter hat. Die Kunst hält (das Glücksgefühl? die Auslöser? das innere Wesen?) fest.


    Wie aber hängt die verlorene/wiedergefundene Zeit damit zusammen ? Da blicke ich momentan nicht durch.


    Gruß von Steffi

  • Hallo Steffi und Maria,


    da sind wir wohl alle etwa an der selben Stelle. Marcels "Aha-Erlebnis" habe ich nun auch miterlebt und ich fand es wunderbar, eine der berührendsten Szenen dieses Buchs. Vor seinem Besuch im Palais der Guermantes ist er sehr resigniert, da er das Gefühl hat, seine geistigen Fähigkeiten, die ihm ja Bergotte bescheinigt hat, nicht genutzt zu haben, er bezeichnet sie sogar als unfruchtbar. Und dann erlebt er gleich mehrere Offenbarungen: die ungleiche Schwelle, die ihn an Venedig erinnert; das Geräusch des Löffels, das ihm die Zugfahrt durch das Wäldchen ins Gedächtnis ruft; die Beschaffenheit der Serviette, die Balbec zurückruft; und schließlich das Buch, das ihn in die Kindheit zurückversetzt. Er fühlt sich befreit und strömt fast über vor Glück. Proust schildert dieses Erlebnis so eindrücklich, dass es mich völlig mitgerissen hat. Für mich der Höhepunkt der Recherche.


    Sehr schön fand ich auch, dass in diesem Zusammenhang wieder an Swanns Gefühle beim Anhören von Vinteuils Thema erinnert wurde (diese Schilderung fand ich damals schon wunderbar). Was Marcel in dieser Szene durch seine Erinnerungen wiedererlebt, ist ja positiv unterlegt; durch die Erwähnung von Swann wird aber deutlich, dass solche durch Sinneseindrücke wieder hervorgerufenen Erinnerungen nicht immer schön sind, sei es weil die Erinnerung an sich unangenehm ist, sei es, weil der Vergleich des damaligen mit dem heutigen Ich quält.


    Zitat

    Ich versuche mal, meine Gedanken dazu niederzuschreiben, denn ich fand es doch etwas kompliziert


    Eine sachliche Analyse fällt mir auch schwer, aber ich versuche mal, zu beschreiben, wie ich es verstehe: Der Mensch ist im Ablauf der Zeit gefangen. Die einzige Möglichkeit, sich daraus zu befreien, ist die Erinnerung, allerdings nicht die bewusste (da man hier nur Bilder hervorruft, aber keine Gefühle), sondern die durch Sinneseindrücke hervorgerufene (die den Menschen aus seiner Zeit heraus in die Vergangenheit versetzt). In diesen Augenblicken löst man sich aus seinem heutigen Ich, fühlt man wie sich wie der Mensch, der man damals war, nimmt sich also im wahrsten Sinne des Wortes eine "Auszeit". Da die Zeit ansonsten linear, nicht beeinflussbar abläuft, sind solche "Auszeiten" wiedergefundene Zeiten.


    Was ich immer wieder bewundere, sind Sätze wie


    Zitat

    Der Instinkt diktiert die Pflicht, der Verstand aber liefert die Vorwände, um sich ihr zu entziehen.


    oder


    Zitat

    Aber der Schnee, der die Champs-Elysées an dem Tag bedeckte, an dem ich in jenem Bande las, ist nie von ihm geschwunden, er liegt für mich immer noch darauf.


    die wie beiläufig eingestreut wirken, aber mich lange beschäftigen.


    Etwas schmunzeln musste ich, als er über die Vermutung schreibt, die Eisenbahn würde der Kontemplation ein Ende bereiten. Die Erinnerungsszene hatte ich nämlich während einer Bahnfahrt gelesen und dabei fast den Ausstieg verpasst :zwinker:


    Viele Grüße und ein schönes Wochenende
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo Manjula,



    In diesen Augenblicken löst man sich aus seinem heutigen Ich, fühlt man wie sich wie der Mensch, der man damals war, nimmt sich also im wahrsten Sinne des Wortes eine "Auszeit". Da die Zeit ansonsten linear, nicht beeinflussbar abläuft, sind solche "Auszeiten" wiedergefundene Zeiten.


    Danke - jetzt komme ich der Sache näher. Ich habe mich viel zu sehr an den Text geklammert, aber eigentlich hätte ich mir doch denken können, dass Proust anders zu verstehen ist !



    Gruß von Steffi

  • Sogar so weit, dass es Marcel nicht einmal mehr interessiert, auf wen er damals eigentlich eifersüchtig war und der Mann war Lea! Immer wieder dieses Verwirrspiel und die Verknüpfungen. Ich bin schon sehr gespannt, was sich alles auflösen wird. Nicht nur die Liebe zu ihr, sondern auch ihre Anziehungskraft ist komplett verschwunden.

  • Hallo zusammen,


    willkommen crunchyrocks , schön dass du zu uns gestossen bist. :winken:


    Zitat von "Steffi"

    Danke - jetzt komme ich der Sache näher. Ich habe mich viel zu sehr an den Text geklammert, aber eigentlich hätte ich mir doch denken können, dass Proust anders zu verstehen ist !


    ich merke auch, dass ich im Falle Proust viel zu linear denke, statt das Leben als einzelne intensive Augenblicke zu verstehen.


    die Wartezeit in der Bibliothek der Guermantes ist für den Erzähler und für den Leser ein Rausch an Erinnerungen. Denn die wahren Paradiese sind die Paradiese, die man verloren hat.


    Sehr schön fand ich seine Gedanken an die eigene Bibliothek, die er sich unter ganz bestimmten Voraussetzungen aufbauen würde und was der Erzähler unter einer "Erstausgabe" und "Originalausgabe" versteht.


    Die Erstausgabe eines Werkes wäre für mich kostbarer gewesen als die anderen, aber ich hätte unter "Erstausgabe" die verstanden, in der ich das Werk zum erstenmal las. Ich würde nach "Orginalausgaben" suchen, das heißt nach denjenige, aus denen ich von diesem Buch einen originalen Eindruck erhalten hatte, denn die folgenden Eindrücke sind das ja nicht mehr. Romane würde ich in Einbänden von ehemals sammeln, denjenigen aus der Zeit, in der ich meine ersten Romane las, die damals oft mit angehört hatten, wie Papa zu mir sagte: "Halte dich gerade."


    Ich habe auch schon versucht, ältere Bücher durch neue Ausgaben auszutauschen, am Ende habe ich beide behalten, weil ich zu der alten Ausgabe ein Verhältnis durch das Lesen aufgebaut habe oder auch nur ein bestimmtes Gefühl damit verbinde, das ich damals beim Lesen hatte.


    ich wünsche euch ein schönes Wochenende.
    Liebe Grüße,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()