September 2006 - Marcel Proust

  • Hallo !


    Ich bin etwa beim ersten Drittel des 2. Kapitels (S. 375 suhrkamp TB).


    Nach der Trauer um seine Großmutter wird Albertine wieder mehr zum Mittelpunkt. Etwas kompliziert ist Marcels Taktik, ihr nicht zu zeigen, dass er sie liebt, was ihn dann widerum bestätigt, dass er sie liebt, denn er empfindet tiefes Mitleid wegen seiner Lügen.
    Sehr romantisch dabei das Bild, als sie zu Beginn der Szene in das vom Abendrot erleuchtete Hotelzimmer treten:
    Als diese sich öffnete, strömte das rosige Licht uns entgegen, das den Raum erfüllte und den weißen Musselin der vor dem Abendhimmel ausgespannten Vorhänge in morgenrotfarbene Chiné-Seide verwandelte.


    Immer konkreter werden jedoch die Vermutungen, dass Albertine intime Beziehungen zu anderen Mädchen pflegt. Plötzlich wimmelt es nur noch von gleichgeschlechtlichen Liebespaaren und es scheint, als ob Marcel immer mehr von dem Gedanken besessen wird.


    Die Handlung wird, finde ich, konkreter als bisher - es kommen nur noch wenige Betrachtungen und innere Monologe vor und die inneren Empfindsamkeit weicht der Schilderung greifbarer Charaktere, wenn auch manchmal recht absurd; Marcel war für mich bisher noch nie so eine eigenständige Person wie hier beim zweiten Besuch in Balbec.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    ich bin nun am Ende des ersten Kapitels angelangt. Wie Euch haben mich die Naturbeschreibungen am Ende sehr beeindruckt. Hier ist Proust wirklich ein Meister.


    Zitat

    Proust beschließt das erste Kapitel von Sodom und Gomorrha II mit einem akustischen und einem visuellen Bild, einem Seestück und einer Landschaft. In beiden variiert er Themen aus den vorangehenden Teile des Romans. Vgl. die Seestücke in "Jeunes filles", den blühenden Weißdorn in "Swann" oder die blühenden Birnbäumen in "Guermantes".


    Diese durchdachten Wiederhoungen und Wiederaufnahmen, wie in einem Musikstück, gefallen mir sehr gut. Man kann wohl schon sagen, dass Proust den Roman "komponiert" hat.


    Sehr berührend fand ich übrigens, wie Marcel die Trauer seiner Mutter um die Großmutter beschreibt. Gleichzeitig erkennt er, dass seine Trauer, so sehr sie ihn in diesem Zeitpunkt ausfüllt, schwach im Vergleich zu den Gefühlen seiner Mutter ist.


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo zusammen,



    Hallo zusammen,
    Diese durchdachten Wiederhoungen und Wiederaufnahmen, wie in einem Musikstück, gefallen mir sehr gut. Man kann wohl schon sagen, dass Proust den Roman "komponiert" hat.


    "komponiert" - das ist schön beschrieben! Die Erinnerungen ziehen sich wie ein roter Faden durch "Sodom und Gomorrha" und schaffen eine Verbindung zu den vorherigen Bänden. Sehr beeindruckend.


    Zitat von "Steffi"

    Immer konkreter werden jedoch die Vermutungen, dass Albertine intime Beziehungen zu anderen Mädchen pflegt. Plötzlich wimmelt es nur noch von gleichgeschlechtlichen Liebespaaren und es scheint, als ob Marcel immer mehr von dem Gedanken besessen wird.


    ich bin nun auf S. 280 und so langsam beginnt "Gomorrha" Gestalt anzunehmen. Interessant fand ich, dass der Erzähler betont, zu dem Zeitpunkt liebte er Albertine noch nicht. Ab und zu gibt er eine Vorausschau auf kommende Ereignisse, bricht aber dezent ab, als ob er schon zuviel verraten hätte.


    und wieder mal bin ich über "Sprachprobleme" gestolpert: diesmal ist es der Liftboy.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Guten Abend,


    ja, Gomorrha scheint im zweiten Kapitel einen größeren Stellenwert einzunehmen. Marcel scheint davon gleichzeitig abgestoßen und doch fasziniert. Interessant übrigens die Bemerkung, dass Albertine und Andrée lesbische Beziehungen ablehnen - hatte nicht Charlus Ähnliches geäußert?


    Die Szene mit dem Liftboy fand ich sehr amüsant. Proust kann wirklich treffen die Schwächen seiner Mitmenschen aufs Korn nehmen ("genau die selbe Statur wie ich...wir könnten Zwillinge sein.")


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo zusammen,


    ich habe im Proust-ABC bißchen geforscht und über die Sprache folgendes gefundes:


    Zitat:
    Medium des Romans und zugleich eines seiner wichtigsten Themen. Aus dieser Doppelbelastung der Sprache, gleichzeitig Motiv und Instrument der Kunst Prousts sein zu müssen, ergibt sich ein interessanter Zwiespalt: Im Roman steht der Erzähler den Errungenschaften der Sprache mal bewundernd, mal eher skeptisch gegenüber..... Mit der Liebe zu Albertine verdichtet sich schließlich der Eindruck, die Sprache sei weniger ein Mittel der Kunst als vielmehr ein vollendetes Instrument der Lüge... [/Zitat_Ende]*


    Instrument der Lüge. Die Sprache als Organ verschiedenster Kommunikation, so verschieden wie Männer und Frauen oder so verschieden und verwirrend wie Sodom und Gomorrha, die Welt Prousts.


    Zitat:
    So haben wir also auf der einen Seite den Schriftsteller und Sprachvirtuosen Proust, der die Sprache gewählt hat, um uns seine Welt in einem Kunstwerk zugänglich zu machen, und auf der anderen Seite den Sprachskeptiker Proust, für den die scheinbare Objektivität, aber tatsächliche Vieldeutigkeit und Unverläßlichkeit jedes sprachlichen Ausdrucks den Menschen von vornherein zur Lüge verdammt und ihn unfähig macht zu ehrlicher Kommunikation. Proust hat diesen Konflikt bis zuletzt nicht gelöst ... [/Zitat_Ende]*


    Unter dem Stichwort "Sprachschnitzer" heißt es noch:


    Zitat:
    Sehr viele Romanfiguren leiden unter einer fehlerhaften Sprache, und fast alle haben sie einen eigenwilligen Sprachgebrauch. Die Fehler reichen von falscher Aussprache und Wortverwechslungen (Francoise) über die konsequente Verballhornung von Fremdwörter (Aimé) bis zum unpassenden Einsatz von festen Wendungen (Cottard) - .....


    Ähnlich wie die Etymologie führt die Betrachtung der Sprachschnitzer zu der Erkenntnis, daß es keine korrekte und daher auch keine eindeutige Sprache gibt. Wer spricht, benutzt ein undurchsichtiges, eigenwilliges Medium, das ständig im Fluß ist, und setzt sich dabei immer dem Risiko aus, seinerseits Fehler zu begehen oder von seinem Gesprächspartner falsch verstanden zu werden...... Neben ihrer Affinität zur Lüge ist diese prinzipielle Fehlerhaftigkeit der Sprache, diese unaufhaltsame Gefahr von Sinnverschiebungen der Grund für Prousts Sprachskeptizismus, der ihn letztlich auch dazu bewegte, nach Bergotte keinen neuen Sprachkünstler einzuführen und das Schreiben des Erzählers aus seinem Roman auszublenden. [/Zitat_Ende] *


    Wir dürfen also noch gespannt sein, wie es nach "Die Gefangene" (darin lässt Proust Bergotte sterben) weitergeht.


    Viele Grüße
    Maria


    *Zitate aus dem Proust-ABC von Ulrike Sprenger.

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria,


    danke für deine Nachforschungen. Obwohl ich mir sonst über die Sprache/Wortwahl usw. viele Gedanken mache, hat mich dieses Thema bei Proust komischerweise noch nicht beschäftigt. Komisch, weil es ja wirklich sehr offensichtlich ist.


    Zitat

    Neben ihrer Affinität zur Lüge ist diese prinzipielle Fehlerhaftigkeit der Sprache, diese unaufhaltsame Gefahr von Sinnverschiebungen der Grund für Prousts Sprachskeptizismus, der ihn letztlich auch dazu bewegte, nach Bergotte keinen neuen Sprachkünstler einzuführen und das Schreiben des Erzählers aus seinem Roman auszublenden.


    Bei diesem Sprachskeptizismus stelle ich es mir sehr schwer vor, so ein umfangreiches Werk zu schreiben. Oder evtl. gerade ?


    Gruß von Steffi

  • Guten Abend,


    die Gedanken zur Sprache sind sehr interessant. "Ein vollendetes Instrument der Lüge" - das gibt doch sehr zu denken.



    Bei diesem Sprachskeptizismus stelle ich es mir sehr schwer vor, so ein umfangreiches Werk zu schreiben. Oder evtl. gerade ?


    Vielleicht wurde das Werk so umfangreich, weil er allen Facetten der Sprache gerecht werden wollte?


    In der Begegnung mit den Cambremers wird klar, dass Sprache außerdem ein Mittel der Abgrenzung ist: wie jemand Uzès oder Rohan ausspricht, lässt erkennen, zu welcher gesellschaftlichen Schicht er gehört.


    Daneben war die Szene aber auch recht boshaft: wie ausführlich Proust den Schnurrbart, das Speicheln und den völlig durchweichten Schleier der alten Marquise beschreibt! Und die Schwiegertochter kommt nicht besser weg: arrogant, ohne große Kenntnisse zu haben, dazu leicht beeinflussbar (zu Marcel ist sie überfreundlich, nur weil er die Guermantes kennt; den vorher verhassten Chopin akzeptiert sie, nachdem Marcel erzählt, er sei der Favorit Debussys...).


    Etwas unwohl war mir an der Stelle über die Epoche der Hast, von der eine Verbindung zum Krieg der Zukunft, der nur 14 Tage dauern soll, gezogen wird.


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo !


    Zitat

    Vielleicht wurde das Werk so umfangreich, weil er allen Facetten der Sprache gerecht werden wollte?

    .


    Ja, das könnte durchaus sein. Verblüffend, wieviel Beispiele über Sprache es gibt - ich werde weiterhin darauf achten. Ob es auch mit der Bibel (Sodom und Gomorrha) zu tun hat ?


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    Zitat

    "Ein vollendetes Instrument der Lüge" - das gibt doch sehr zu denken.


    Marcel setzt die Sprache und die Lüge sehr manipulativ ein. Ist ein unangenehmer und labiler Zug in seinem Wesen.


    Zitat

    Ja, das könnte durchaus sein. Verblüffend, wieviel Beispiele über Sprache es gibt - ich werde weiterhin darauf achten. Ob es auch mit der Bibel (Sodom und Gomorrha) zu tun hat ?


    Im Nachwort heißt es ja, dass Proust sich seine eigene Interpretation zu Sodom und Gomorrha gemacht hat, sie in Bezug auf Homosexualität bringt


    Doch kam mir auch der Gedanke an die Sprachenverwirrung. Zwar nicht so wie es die Bibel beschreibt, war ja auch vor der Begebenheit mit „Sodom und Gomorrha“, doch habe das Gefühl, dass Proust zumindest den Gedanken daran hatte. Die vollkommene Sprache gibt es nicht, weil auch die Menschen unterschiedlich und unvollkommen sind.


    Auch wenn es heißt, dass Proust die Sprache als ein Instrument der Lüge benutzt, hat es so einen Hauch von „verlorenes Paradies“, hervorgerufen durch die Lüge.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen !


    Ja, insofern kann man niemandem trauen, auch seiner eigenen (oder Marcels) Erinnerung nicht.


    Erst recht nicht natürlich den Leuten, die sich da wieder anschicken, zur Soiree der Mme Verdurin zu gehen, wie elegant sich alle im Zugabteil nach und nach treffen, das hat schon sowas wie eine echte Pilgerfahrt. :zwinker:


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    der zweite Teil von Sodom und Gomorrha ist tatsächlich handlungsbetonter. Es tauchen auch wieder alte Bekannte auf wie z.B. Nissim Bernard, der mit seinem Zusammenstoß mit "Tomate Nr.2" für eine sehr amüsante Szene sorgt, die noch auf die Spitze getrieben wird dadurch, dass er sogar völlig Fremden von dem Genuss von Tomaten abrät. Herrlich.


    Auch der Kreis um Mme Verdurin kommt wieder zum Vorschein, wobei dessen Ansehen sich anscheinend erheblich verbessert hat. Parallel dazu der gesellschaftliche und persönliche Aufstieg von Cottard, der sich jetzt als "Fürst der Wissenschaft" sieht und für seine früher lächerlichen Wortspiele jetzt geschätzt wird. Saniette andererseits hatte dieses Glück nicht.


    Mir gefällt es, dass Proust keine Figur "verliert" und auch Themen immer wieder aufgreift, wie z.B. die Sonate von Vinteuil. Zuerst hatte sie den Beginn der Liebe von Swann begleitet, dann wurde ihm beim erneuten Hören das Ende derselben bewusst - und jetzt wird damit die Nachricht seines eigenen Tods eingeleitet. Diese Anordnung finde ich sehr berührend.


    Auch Odette wird wieder öfter erwähnt. Albertine wird mit ihr verglichen; aus verschiedenen Andeutungen lässt ja ahnen, dass ihre Beziehung zum Erzähler ähnlich unglücklich verlaufen wird wie die von Odette und Swann. Hier fand ich die Schlussfolgerung interessant, die Marcel nach der Aussprache mit Albertine zieht: Er hätte sich gleich danach von ihr trennen sollen, um die Liebe, die er in diesem Augenblick erfahren hat, zu konservieren und nicht durch spätere Enttäuschungen zerstören zu lassen. Also besser die Chance auf Liebe ausschlagen, damit man neben den Höhen auch die unvermeidlichen Tiefen nicht erleben muss?



    Marcel setzt die Sprache und die Lüge sehr manipulativ ein. Ist ein unangenehmer und labiler Zug in seinem Wesen.


    Ja, das dachte ich mir auch, als er Albertine von seiner angeblichen Liebe zu Andrée erzählt und sie unter Druck setzt.


    Heiter und bissig fand ich die Schilderungen des "kleinen Kreises". Ich steige eben mit den Herrschaften aus dem Zug (tatsächlich wie eine Pilgerfahrt :smile:)und freue mich auf weitere amüsante Szenen.


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo !


    Zitat

    Ich steige eben mit den Herrschaften aus dem Zug (tatsächlich wie eine Pilgerfahrt Smile)und freue mich auf weitere amüsante Szenen.


    Manjula, dann sind wir in etwa gleichweit (Maria, wie weit bist du ?). Und du hast recht, man fühlt sich tatsächlich, als wäre man im Zug dabei.


    Bei der Erwähnung von Odette und Cottard hatte ich auch gleich das Gefühl, das sind alte Bekannte, die man jetzt wiedersieht. Schön !


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    ich steige ebenfalls in die kleine Lokalbahn. Amüsiere mich über den Satz:


    Dieser rotwangige Bursche hatte mit seinen derben Zügen ein Gesicht ganz wie eine Tomate. Eine genau gleiche Tomate diente auch seinem Zwillingsbruder als Kopf. Für einen unbeteiligten Beobachter bietet solche vollkommene Ähnlichkeit unter Zwillingen den Reiz der Feststellung, dass manchmal auch die Natur, als habe sie sich vorübergehend auf industrielle Produktion umgestellt, ganz gleichartige Erzeugnisse hervorbringt.


    *g*


    Die letzten Seiten davor hat Proust viel über Sternbilder und astrale Zeichen geschrieben, jedoch nur in Bezug auf „Gomorrha“.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    die Szene auf dem Bahnsteig als Charlus auf Morel trifft, hervorgerufen durch einen Trick, ist eine Schlüsselstelle in den "Recherche". Es heißt dazu im Anhang:


    In ihr verknüpfen sich mehrere Handlungsstränge des Romans, und Morel wird von einer Neben- zu einer Hauptfigur. ... Um die Jahrhundertwende waren in der besseren Gesellschaft Affären mit attraktiven Musikern an der Tagesordnung...


    Morel trägt an seiner Uniform das Zeichen der Lyra. Wenn man im Netz so forscht, was es über die Lyra an Infos gibt, stößt man darauf, dass die Lyra ein Symbol der göttlichen Harmonie ist. Der Zusammenhang zur Lyrik ist nicht weit entfernt. Vielleicht auch ein Hinweis, dass der Erzähler nach der "göttlichen" Sprache, der vollkommenen harmonischen Sprache, sucht.


    Mit dem Treffen der Mittwochsgruppe auf den Weg zu den Verdurins nach La Raspelière beginnt eine der längsten Gesellschaftsszenen der Recherche.


    Musik und Malerei bestimmen wieder das Thema. Auffallend auch, dass der Erzähler bisher immer wieder den Leser einen Blick in die Zukunft gibt.
    Dann fiel mir noch auf, dass wieder ein biblischen Bild eingefügt wurde. Die Mittwochsgruppe war unterwegs wie die Jünger von Emmaus. Ich weiß nur nicht, ob man daraus etwas ableiten kann. *grübel*


    Auf S.399 wird Monsieur Verdurins Neffen, der so ein Pech hatte, erwähnt. Lt. Anhang ist das Octave aus Schatten junger Mädchenblüte, S. 650 und 658. Ich kann mich an ihn nicht mehr erinnern.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Guten Abend,


    ich habe nun die längste Gesellschaftsszene hinter mir; wobei sie mir sehr kurzweilig vorkam, erst beim Zurückblättern merkt man, dass sie doch recht umfangreich ist. Das Abendessen bei den Guermantes im dritten Teil erschien mir viel länger (Euch auch, oder?). Ein weiteres Zeichen, dass die Guermantes auf dem absteigenden Ast sind? Jedenfalls war hier wieder einiges zum Schmunzeln:


    - Cottard: "mehr Glück als ...Ferdinand"
    - dem enthusiastischen Marcel rät er zu Beruhigungsmitteln oder Stricken


    Mit Charlus' Brief an Aimé kommt ein weiterer biblischer Bezug ("zum dritten Mal verleugnet"), den ich allerdings gerade im Bezug auf Charlus recht waghalsig finde. Überhaupt ist der Brief ja dermaßen theatralisch, das passt wieder zu der Zylinderszene im vorigen Band. Und warum tastet er Marcel auf dem Empfang die Muskeln ab (was eine deutsche Sitte sein soll)?


    Morel scheint ja ein vielversprechender Charakter zu sein, zumindest macht folgende Stelle neugierig:


    Zitat

    ...dass er Männer und Frauen hinreichend liebte, um jedem Geschlecht mit Hilfe der Dinge Vergnügen zu bereiten, die er an dem anderen erprobt, das wird sich später zeigen.


    Überhaupt spielt er öfters auf die Zukunft an. An einer Stelle wird deutlich, dass er im Augenblick des Schreibens bereits alt und hinfällig ist.


    Viele Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo zusammen,


    Die Gesellschaftsszene bei den Verdurins ist sehr amüsant zu lesen. Die Erklärungen zu den Ortsnamen finde ich sogar sehr interessant. In meiner Ausgabe heißt es, in „Guermantes“ verlieren die Personennamen , in „Sodom und Gomorrha“ die Ortsnamen ihren Zauber. Da wird schon mal aus einer Königin ein Frosch.


    Marcels Mutter überlässt ihm die Entscheidung ob er einmal Albertine heiraten möchte oder nicht. Schon ist Marcel so enttäuscht, wie damals als sein Vater im erlaubte die „Phedre“ zu sehen.


    Ich muss schon sagen, wenn es um die Liebe geht, ist nichts einfach bei Marcel Proust.


    Wie weit seit ihr denn? Ich bin auf der Seite 502 und habe noch ca. 50 Seiten vor mir bis das II. Kapitel beendet ist.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen !


    Das stimmt, ich finde auch die Soiree sehr unterhaltsam und manchmal richtig lustig beschrieben. Brichot mit seinen Etymologien - immer wieder flicht er sie ein und das wird so langsam zum runnig gag an diesem Abend :breitgrins: . Oder die Fürstin Scherbatow, ich glaub, wenn man solche Damen trifft kann man ihnen nur mit dieser bissigen Ironie begegnen. Auch die Cambremers sind einfach so herrlich snobistisch. Und dann noch Charlus und Morel ... ich würde sagen, das war eine richtig gelungene Veranstaltung :breitgrins: und ich wäre gerne dabeigewesen.


    Ich komme heute zum dritten Kapitel.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    ich habe heute mit dem 3. Kapitel begonnen und war doch über die erwähnten Fäkalien überrascht. Der schielend Page erzählt Marcel, dass seine Schwester, die von einem Mann ausgehalten wird, in Hotelzimmer und Kutschen gerne ein duftendes Andenken hinterlässt und der Kutscher tobte, weil er seine Kutsche wieder reinigen muß. Eine unfeine Art ;-)


    erinnert mich etwas an das Toilettenhäuschen in Paris und seinem Geruch, oder auch an den Spargel (Urin).


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    seine Ausführungen über den Schlaf setzt wieder eine Verbindung zu den anderen Bänden her. Das Thema „Schlaf“ finde ich sehr spannend.


    ....Wir behalten alle unsere Erinnerungen, wenn auch nicht die Fähigkeit, sie uns zurückzurufen, sagt in Anlehnung an Bergson der große norwegische Philosoph, .... aber was ist schon eine Erinnerung, die man sich nicht zurückrufen kann?


    dann geht der Erzähler noch weiter in seinen Hypothesen ...


    ...wer sagt mir dann, dass es in dieser mir unbekannten Masse nicht auch solche gibt, die noch bis hinter die Sphäre meines menschlichen Daseins zurückreichen?


    es geht um das Leben vor der Geburt und nach dem Tod. So wie ich das verstanden habe.


    Wenn Proust Begriffe wie „Äther“ benutzt, dann spüre ich immer so ein Hauch griechischer Mythologie. Ein Odysseus der durch die verschiedenen Stadien des Schlafes irrt, - oder Ovids Metamorphosen, die Erschaffung und Entwicklung neuer Erkenntnisse im Schlaf ....


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Guten Abend,


    die Passage mit den Fäkalien musste ich zweimal lesen, um mir sicher zu sein, dass ich hier nicht etwas komplett falsch verstehe. Aber richtig, das ist eine Verbindung zu dem Toilettenhäuschen.


    Sehr interessant fand ich die Anspielung auf die Eulenburg-Affäre. Ich muss gestehen, dass ich davon vorher noch nie gehört hatte, aber es war ja wohl ein Skandal mit weitreichenden Folgen. Und zu Prousts Zeiten noch relativ aktuell. Aus unserer Sicht liest sich das ja alles recht historisch, aber damals waren diese Ereignisse, wie auch die Dreyfusaffäre, noch ganz im Bewusstsein der Leser.


    Schmunzeln musste ich, als Mme. Verdurin von den "Damen" spricht. Und gleich danach darauf hinweist, dass die Räume von Charlus und Morel "schalldicht" sind.


    Viele Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]