August 2006: Stefan Zweig - Die Welt von Gestern

  • So, ich habe ab heute begonnen dieses Buch zu lesen. Ich kann es gar nicht nachvollziehen, dass ihr mehr oder weniger dieses scheinbar wunderbare Buch beiseite gelegt habt. Schon im Vorwort ist mir sehr bewusst geworden, ja nach so etwas habe ich gesucht. Da hat jemand seine Kindheit bis zum Erwachsenenalter vor den Weltkriegen erlebt, beide Kriege mitgemacht. So ein Zeitzeuge kann uns die Welt, und wie sie sich entwickelt hat, bestens schildern. Und ich finde Zweig macht das sehr gut, seine Sprache ist leicht zu lesen, seine Beschreibungen sind lebendig, und seine Gedanken nachvollziehbar, besser geht es eigentlich nicht, oder?

    Einmal editiert, zuletzt von Heidi Hof ()

  • Tut sich denn hier noch Etwas?
    Ich bin mittlerweile im Kapitel: Paris, die Stadt der ewigen Jugend, und bin sehr angetan von diesem Buch. Selten gelingt es einem Autor den Leser seine Zeit zu beschreiben ohne arg langweilig zu werden, weil er sich mit Nichtigkeiten, persönliche Interessen oder ähnlich, verzettelt. Zweig fesselt mich, und ich werde gleich weiter lesen :smile:

  • Hallo zusammen!


    Hiermit starte ich nun zum zweiten Mal :smile: die Zweig-Leserunde!


    Meine Ausgabe ist, wie bereits erwähnt, das Fischer Taschenbuch von 2005.


    Dann mal ran, ich freu mich und liebe Grüße


    Merja


    „So gehöre ich nirgends mehr hin, überall Fremder und bestenfalls Gast; auch die eigentliche Heimat, die mein Herz sich erwählt, Europa, ist mir verloren, seit es sich zum zweitenmal selbstmörderisch zerfleischt im Bruderkriege. Wider meinem Willen bin ich Zeuge geworden der furchtbarsten Niederlage der Vernunft und des wildesten Triumphes der Brutalität innerhalb der Chronik der Zeiten; nie – ich verzeichne dies keineswegs mit Stolz, sondern mit Beschämung – hat eine Generation einen solchen moralischen Rückfall aus solcher geistigen Höhe erlitten wie die unsere.“


    Stefan Zweigs Vorwort zur Autobiographie „Die Welt von gestern“ (1941) (http://www.phil-fak.uni-duesse…2/verboten/aus/zweig.html

  • Hallo!


    Ich kopiere jetzt einfach meinen bereits geschriebenen Kommentar zum 1. Kapitel herein.


    Ich habe ebenfalls die Fischer-Taschenbuchausgabe, Auflage 32 aus dem Jahr 2001.


    Die Welt der Sicherheit


    Vorweg wäre gleich anzumerken, wie angenehm Stefan Zweig zu lesen ist. Einfach und doch anspruchsvoll. Ich mag seinen Stil sehr gerne.


    In diesem ersten Kapitel beschreibt er das Wien um die Jahrhundertwende.
    Ich bin hin- und hergerissen. Ich kenne Wien recht gut, allerdings (natürlich) das Wien des ausgehenden 20., beginnenden 21. Jh. Ich kann nicht beurteilen, wie authentisch Stefan Zweig das Wien der Jahrhundertwende beschreibt. Für mich lässt er irgendwie kein Klischee aus . Er beschreibt das Wien der elitären "oberen Zehntausend", das Wien des "Volkes" wird nicht beschrieben.
    Alles dreht sich um die kaiserliche Familie, um Kunst und Kultur. Es sei wichtiger, was am Abend im Burgtheater gespielt wird, als das, was sich politisch tut. Überhaupt seien die Wiener gemütliche, musikbegeisterte, kulturinteressierte, gutmütige Leute

  • Hallo zusammen!


    Ich habe mal Heidi Hofs letzten beiden Beiträge vom Vorschlagsthread abgetrennt und hier unten angehängt. Ich glaube, da gehören sie hin. Nix für Ungut, viel Spass und gutes Gelingen der Leserunde in diesem zweiten Anlauf! :zwinker:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Danke Sandhofer :smile:


    Zitat

    Ich bin hin- und hergerissen. Ich kenne Wien recht gut, allerdings (natürlich) das Wien des ausgehenden 20., beginnenden 21. Jh. Ich kann nicht beurteilen, wie authentisch Stefan Zweig das Wien der Jahrhundertwende beschreibt. Für mich lässt er irgendwie kein Klischee aus . Er beschreibt das Wien der elitären "oberen Zehntausend", das Wien des "Volkes" wird nicht beschrieben.
    Alles dreht sich um die kaiserliche Familie, um Kunst und Kultur. Es sei wichtiger, was am Abend im Burgtheater gespielt wird, als das, was sich politisch tut. Überhaupt seien die Wiener gemütliche, musikbegeisterte, kulturinteressierte, gutmütige Leute


    Ich stelle es mir eigentlich genau so vor, Creative.
    Heinrich Mann hat es im "Untertan" doch auch so geschildert, dass das Geistige-Leben vor dem I. Weltkrieg sehr stark ausgeprägt war, und natürlich noch dieser Kaiser und Königs-Wahn, die Edikette.


    In den späteren Kapiteln kommen zahlreiche Kritikpunkte von Zweig, weil er in diesem Dümpel hinein geboren wurde, und gar nicht entfliehen konnte. Reich zu sein, hieß nicht gleich frei zu sein, sie waren Gefangene ihrer selbst :zwinker:

  • Die Schule im vorigen Jahrhundert


    Dieser Abschnitt ist ein Plädoyer für Bildung und Wissen!


    Stefan Zweig beschreibt die Jahrhundertwende genau so, wie ich es aus dem Literatur-Unterricht kenne. Auf du und du mit Arthur Schnitzler, Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke, etc, man trifft sich in Kaffeehäusern, plaudert über die gelesenen Werke europäischer Schriftsteller und kriegt vom Rest der Welt nicht viel mit.
    Ich habe mich ein bisschen gewundert, dass gerade Hugo von Hofmannsthal als einer der ganz Großen bezeichnet wird und ein unerreichbares Vorbild für Stefan Zweig war. Wären die Salzburger Festspiele nicht wäre doch Hugo von Hofmannsthal schon fast in Vergessenheit geraten, oder?


    Aber wie Stefan Zweig auch zugibt, hat er damals wirklich nicht viel mitgekriegt von den politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen. Sehr bezeichnend dafür, dass nur die obere Schicht das Wahlrecht hatte, die gewählten Vertreter sich aber als "Vertreter des Volkes" sahen. Das Entstehen der Arbeiterbewegung (und die Angst vor Gewalt und Aufständen), aber auch die Gründung der christlich-sozialen Partei und Karl Lueger als Vorläufer und "Wegbereiter" Adolf Hitlers.


    Sehr, sehr interessant für mich ist die Auseinandersetzung mit der Geschichte Österreichs!

  • Das Kapitel über die Sexualität fand ich ein ganz wunderbares Kapitel. Durch Zweigs Beschreibungen kann man erst begreifen wie verklemmt die Reichen waren, und was für ein Tabuthema es war. Wie dumm die Mädchen gehalten wurden, und was es damit auf sich hatte, wenn man mit 30 noch alte Jungfrau war. (Mit 30 noch so naiv und ahnungslos, das muss wirklich grotesk gewirkt haben :rollen: )
    Die Geschlechtskrankheiten, man hatte ja noch kein Penicillin, 80 % der Menschen, die sich an Syphilis ansteckten, starben daran. Und das natürlich gepaart mit dieser Verkemmung, Fluch des Körpers, war natürlich hammerhart. Eine Strafe Gottes sozusagen :zwinker:


    Ingesamt finde ich das Werk glänzend, man bekommt sehr viel mitgeteilt und beschrieben, man bekommt eine Ahnung von der Zeit. Inwiefern das natürlich real und objektiv betrachtet ist, weiß ich nicht. Ich nehme es auf jedem Fall gerne zur Kenntnis, und werde es mit anderen Werken vergleichen, die ich dann nach und nach lese :breitgrins:

  • Eros Matutinus


    Leider kann ich kein Latein, vielleicht kann mir jemand aushelfen, was diese Überschrift übersetzt bedeutet! :smile:


    Hier beschreibt Zweig die Doppelmoral der Jahrhundertwende (und bezeichnet sie selber auch als eine solche). Einerseits galt es für die Damen kein Fleckchen Haut zu zeigen, moralisch zu leben und ja keine Schande über die Familie zu bringen. Andererseits gehörten Bordelle und Straßenmädchen zum Stadtbild und eigentlich stieß sich keiner daran.
    Geschmunzelt habe ich auch über die Angst, als "alte Jungfrau" zu sterben.


    Universitas vitae


    Hier musste ich feststellen, dass sich im Studentenleben nicht viel änderte während der vergangenen 100 Jahre :sauer:
    Ich weiß nicht,wie es in Deutschland ist (Zweig bezeichnet es ja auch als typisch österreichisch), die Studenten haben bei uns in Österrecih immer noch ein sehr gemütliches Leben und viele Sonderstellungen (ich will da nicht verallgemeinern, es sind rein meine subjektiven Beobachtungen). Die "Burschenschaften" gibt es immer noch und nicht wenige bilden sich allerhand ein auf den "Schmiss" im Gesicht.


    Interessant fand ich die Vergleiche mit Berlin, Wien wird doch als dekadent dargestellt. In Berlin "war was los" und ich kann gut nachvollziehen, dass Zweig nach dem Kennenlernen der großen Welt seine ersten veröffentlichten Werke als "kindisch und unreif" abtat.


    Hier habe ich etwas über Theodor Herzl gefunden, der mir bisher nur als Namensgeber einer Straße bekannt war :redface: .
    Und hier gibts den Lebenslauf von Emile Verhaerens, der mir ebenfalls unbekannt war.

  • Nicht dass Ihr denkt, ich hätte mich ausgeklingt... ich komme nur Eurem Tempo im Moment nicht hinterher :ohnmacht:.
    Hoffe, ich schließe heute noch auf und kann was zur Diskussion beitragen.


    Liebe Grüße
    Merja :lesen:

  • Merja: wie weit bist du und was sind deine ersten Eindrücke?


    Mir gefällt übrigens dieses Buch auch ganz ausgezeichnet. Die anfängliche Skepsis hat in Begeisterung umgeschlagen :klatschen: , v.a. deshalb, weil Zweig nicht nur die Sonnenseite beschreibt!


    Was ich mich allerdings frage: Ist es auch heute noch so, dass sich die Schriftsteller untereinander so gut kennen bzw. gegenseitig große Vorbilder sind? Ist heutzutage des Konkurrenzdenken (das es ja anscheinend bei Zweig überhaupt nicht gegeben hat) größer?

  • Leider kann ich gar nicht viel über dieses Buch niederschreiben. Es liest sich wie eine Mischung aus Geschichtsbuch und Autobiographie. Als Leserunden Expemplar ist es vielleicht gar nicht so gut für geeignet, weil man das Gelesene nur empfangen kann, es feht die Möglichkeit zum Reflektieren.
    Außer natürlich eins: Dass Th. Mann nicht geneigt war sich gegen den I. Weltkrieg zu äußern, fand ich :grmpf:
    Aber ich habe ja in dessen Biographie schon gelesen, er war ziemlich kaisertreu, und hat sich erst spät für die Demokratie ausgesprochen, da war Heinrich schon längst rot angehaucht :breitgrins:

  • Ich finde das Buch sehr, sehr faszinierend, man erfährt so viel von dieser Zeit, von Europa und der Welt.


    Ich bin mittlerweile beim Kapitel Glanz und Schatten über Europa angekommen. Stefan Zweig hat viele bedeutende Menschen gekannt, besonders die Schilderungen bezüglich Rainer Maria Rilke haben mir sehr gut gefallen.
    Weiters kommt sehr gut heraus, wie unterschiedlich die europäischen Städte sind. Das lebhafte, unkomplizierte Paris, ohne Vorurteile, ohne Ständedünkel gegenüber dem dekadenten Wien mit ersten anitsemitischen Strömungen. London ist wieder ganz anders, er lernte die Armut Indiens kennen und das freie Amerika, das so ganz anders ist, er bekam den Bau des Panamakanals mit, welchen er als größte schöpferische Tat Amerikas bezeichnete.


    Ich finde es ganz wunderbar beschrieben und es bringt mir diese Zeit wirklich näher.


    Allerdings muss ich sehr viel googeln, ich kenne viele der genannten Personen nicht.
    über seinen Freund Haushofer, der allerdings dann - wie Stefan Zweig schreibt unabsichtlich - in den Dunstkreis Hitlers gelangte, gibts hier Details.

  • Ich habe das Buch mittlerweile beendet.


    Ich empfand es als Geschichte-Unterricht der ganz besonderen Art! V.a. von den Schilderungen der Zeit vor dem 1. Weltkrieg habe ich vieles erfahren, was mir so bewusst nicht war.


    Ein wunderbares Zeitdokument über die Geschichte Europas, eine Biografie eines Kosmopoliten, der viel erlebt hat, viele interessante Menschen kennen gelernt hat und sich über vieles Gedanken gemacht hat.


    Für mich allerdings kamen private Details aus dem Leben Zweigs etwas zu kurz. Wie lebte er, wovon lebte er, wer war seine Familie, etc. und auch auf seine schriftstellerische Tätigkeit, seine Beweggründe etc., darauf wird eigentlich gar nicht eingegangen.


    Aber das Buch ist absolut empfehlenswert und hat mir sehr geholfen, die Wandlungen Europas und der Europäer besser zu verstehen.

  • Hallo,


    ich möchte die Zweig-Leser auf die heute veröffentlichte Rezension von Katharina Rutschky in der Frankfurter Rundschau über eine Zweig-Biographie und einen seiner Briefwechsel hinweisen.
    Eine interessante und für mich, nach der Lektüre von „Die Welt von gestern“, nachvollziehbare Charakterisierung.


    Gruß
    Bloom