Januar 2005: Virginia Woolf - Die Jahre

  • Hallo zusammen !


    Michael schrieb:

    Zitat

    bin von ihrem Stil beeindruckt. Ist er so typisch?


    Ja, sie schreibt eigentlich immer so bildhaft-poetisch - ich finde auch, dass ihr Stil sehr emotional ist, z.B. klopfte mir das Herz, als die Nachrocht kam, dass die Mutter stirbt, obwohl ich sonst in dieser Hinsicht nur schwer zu beeindrucken bin. Jedenfalls freue ich mich, dass es dir gefällt.


    Ich werde mal gaanz langsam weiterlesen, sonst verliere ich den Anschluß.


    1907 scheint mir einen sehr philosophischen Ansatz zu haben. Auch dieses "wenn die Welt nur ein Gedanke ist" kommt mir sehr bekannt vor. Die Lösung des Rätsels wird wohl in dem geheimnisvollen Buch liegen, das Sally liest. Sally/Sara - dies ist mir gar nicht so aufgefallen, könnte es sein, dass das ein Hinweis auf das Erwachsenwerden ist ? Vom Kosename zum "richtigen" Namen ? Sie darf ja auch noch nicht mit zum Ball und muss im Zimmer bleiben (krank?). Alles in diesem Kapitel ist geheimnisvoll, so wie die Pubertät ? Ich rätsle auch etwas.


    Gruß von Steffi

  • Hallo Steffi,
    Hallo Michael


    Zitat von "Michael"


    Besonders gefallen mir die beschreibenden Elemente, z.B. von Naturereignissen (Dämmerung, Regen), aber auch wie sie diese Bilder verwendet. Sie wecken immer ganz bestimmte Stimmungen in mir.



    Virginia Woolf beobachtete Menschen, sie liebte Klatsch, belauschte Gespräche und schürte damit ihr "Feuer", wie sie es mal gegenüber Vita Sackville-West nannte. Kam sie mal bei einem Roman ins Stocken, ging sie in London auf Wanderschaft. Auf Imagination verließ sie sich nicht, sie brauchte die Menschen und ihre Reaktionen aufs Leben für ihre Romane.


    Zitat von "Michael"

    Ich habe V.W. bislang noch nicht gelesen und bin von ihrem Stil beeindruckt. Ist er so typisch? (Weil einmal erwähnt wurde, sie habe ursprünglich eine Essay-Sammlung im Kopf gehabt. Wie hätte das wohl ausgesehen?)



    typisch ja, in den Stimmungen und den Naturbeschreibungen, wie es auch schon Steffi schrieb. Sie bringt Szenen sehr nahe, manchmal in Momentaufnahmen, wie du es bereits mit der Szene am Eßtisch erwähntest. ("Sie alle hielten ihr Besteck in der Schwebe." )


    aber sie experimentierte auch gerne. Besonders als der Druck weg war, ihre Bücher bei einem Verlag unter zubringen. Ihr Mann und Sie gründeten einen eigenen Verlag (Hogarth Press), was damals als eine Arbeitstherapie für V. Woolf begann hat sich dann als erfolgreich gezeigt.


    Das gab ihr dann einen kreativen Schub.


    z.B. als sie den Roman "Ulysses" von James Joyce's Gönnerin zum Lesen bekommen hat, war sie schockiert und zugleich wohl auch etwas neidisch, dass James Joyce ähnlich experimentierte wie sie (innerer Monolog..) nur schockierender in ihren Augen. Glücklich hat sie das nicht gemacht. Sie fühlte sich als ob James Joyce ihre Feder nahm und Fuck schrieb.


    Ich werde nun auch langsam weiterlesen. Ich komme zum Kapitel "1908"


    Ein schönes Wochenende wünscht
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen !


    Maria: Habe gestern einen interessanten Aufsatz gelesen, indem "Ulysses" und "Mrs. Dalloway" verglichen werden. Mal sehen, ob oich ihn zusammenfassen kann !


    1908:


    [size=9px]Es war März, und der Wind wehte.[/size]
    Der Wind, bedrohlich und wild, weht die Zeit fort. Typisch für dieses Buch wiedermal, dass wir so beiläufig und erst nach zwei Seiten die frappierende Neuigkeit erfahren: Eugenie und Digby sind tot. Eugenie muss kurz nach dem letzten Kapitel gestorben sein - und seltsamerweise war ich so gefangen von dieser Wendung, dass ich gar nicht an die Kinder der beiden dachte. Maggie und Sara tauchen auch erst 1910 wieder auf. In diesem Jahr geht es um Eleanor. Der Wasserkessel als verbindenden Element taucht wieder auf.


    [size=9px]Der Wind war furchterregend. Er drückte gegen das Haus; umklammerte es fest, und ließ es dann auseinanderbrechen. [/size]
    Eleanor scheint etwas zertreut zu sein; bricht ihr Geist auch auseinander ?
    Besonders betroffen machte mich 1908 die Szene, als Martin vor dem Bild seiner Mutter steht.


    [size=9px]Im Laufe der Jahre hatte es aufgehört, seine Mutter zu sein; es war zu einem Kunstwerk geworden.[/size]
    Die Zeit (die Jahre) läßt einen vergessen, wie die Verstorbenen tatsächlich waren, es bleibt nur ein Bild zurück, dass man sich selbst von ihnen macht.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen!
    Zuerst mal herzlichen Dank für die Anregung, ich habe das Buch am Samstag ausgeliehen und bin mit der ersten schnellen Lektüre fast durch.
    Was mir besonders aufgefallen ist: Jedes Gespräch wird unterbrochen, meist durch andere Personen, die hinzutreten. Das macht einen irgendwie kribbelig, regt aber auch zum Nachdenken an "Was wollte die Person noch sagen?" Auch entstehen so viele Geheimnisse.
    Sehr interessant finde ich auch das Verweben von verschiedenen Welten oder Bewusstseinsebenen. Zum Beispiel die "Meditations"-stelle von Sara in 1907. Es wird ganz raffiniert zwischen den Ebenen hin und her gewechselt.
    Für den zweiten Durchgang werde ich einen Stammbaum machen, es wird schrecklich unübersichtlich, mit all den Cousins!


    Zitat von "Maria"

    Warum wird an einer Stelle das Kind Sally genannt, an anderer Stelle wieder Sara? Das verwirrt mich.


    (Ich hoffe, es ist auch in dieser Leserunde erlaubt, etwas vorzugreifen:) Ich habe den Eindruck, dass das keine Rolle spielt, es kommt weiterhin Sally und Sara vor. Die Verwendung von Kosenamen hängt wohl nicht (nur) vom Alter ab, sondern vielleicht eher von Person/Beziehung/Situation.


    Herzliche Grüsse,
    Maja

    Einmal editiert, zuletzt von ()

  • Hallo zusammen,


    entschuldigt bitte, dass ich mich erst jetzt wieder melde. Nach einem gripp. Infekt, den meine ganze Familie lahmlegte, hatte ich eine totale Schreibblockade. Ich las und konnte es einfach nicht in Worten fassen. *seufz*


    Maja:
    willkommen in unserer Leserunde. :winken:


    Zitat von "Maja"

    Was mir besonders aufgefallen ist: Jedes Gespräch wird unterbrochen, meist durch andere Personen, die hinzutreten. Das macht einen irgendwie kribbelig, regt aber auch zum Nachdenken an "Was wollte die Person noch sagen?" Auch entstehen so viele Geheimnisse.


    stimmt, in den Kapiteln 1907 und 1908 fand ich das auch sehr deutlich.


    Zitat von "Maja"

    Zum Beispiel die "Meditations"-stelle von Sara in 1907. Es wird ganz raffiniert zwischen den Ebenen hin und her gewechselt.
    Für den zweiten Durchgang werde ich einen Stammbaum machen, es wird schrecklich unübersichtlich, mit all den Cousins!


    dieses Wechseln der Ebenen fand ich sehr interessant. Auch erscheint gerne eine Parallele (z.B. Kapitel 1910 anfang), wie es auf dem Land ist und zur gleichen Zeit in London.


    Die Verwandtschaftsverhältnissen verwirren mich nicht, aber auf deinen Stammbaum freu ich mich.


    Zitat von "Maja"

    Ich hoffe, es ist auch in dieser Leserunde erlaubt, etwas vorzugreifen:) Ich habe den Eindruck, dass das keine Rolle spielt, es kommt weiterhin Sally und Sara vor. Die Verwendung von Kosenamen hängt wohl nicht (nur) vom Alter ab, sondern vielleicht eher von Person/Beziehung/Situation.


    das kann sein, guter Gedanke.
    im Kapitel 1908 und 1910 fiel mir auf, dass Rose und Eleanor sich beide wie 2 Personen in einer Person fühlen. Aber Sara/Sally die eigentlich (bis jetzt) viel unbedarfter wirkt hat 2 Namen. Das läßt mich darüber nachdenken, ob es hier eine Beziehung gibt.


    Zitat von "Steffi"

    Maria: Habe gestern einen interessanten Aufsatz gelesen, indem "Ulysses" und "Mrs. Dalloway" verglichen werden. Mal sehen, ob oich ihn zusammenfassen kann !


    ich muß Mrs. Dalloway unbedingt noch lesen!


    Zitat von "Steffi"

    1908:


    Es war März, und der Wind wehte.
    Der Wind, bedrohlich und wild, weht die Zeit fort. Typisch für dieses Buch wiedermal, dass wir so beiläufig und erst nach zwei Seiten die frappierende Neuigkeit erfahren: Eugenie und Digby sind tot. Eugenie muss kurz nach dem letzten Kapitel gestorben sein - und seltsamerweise war ich so gefangen von dieser Wendung, dass ich gar nicht an die Kinder der beiden dachte. Maggie und Sara tauchen auch erst 1910 wieder auf. In diesem Jahr geht es um Eleanor. Der Wasserkessel als verbindenden Element taucht wieder auf.


    Der Wasserkessel fiel mir auch auf. Ein beständiges Element in der Geschichte. Ob er noch am Schluß auftauchen wird?


    Der Wind weht die Zeit fort... das hast du toll geschrieben. Dazu fiel mir die Passage auf, wie Eleanor das Datum verwechselte und mit Roses' Eintreffen noch nicht rechnete und ihre Korrespondenz mit einem veralteten Datum beschriftete. Wirkte auf mich sehr traurig.


    ich verspüre in den Kapiteln 1908 und 1910 irgendwie öfters diese Traurigkeit, eine Sinnlosigkeit. Die Versammlungen bringen eigentlich auch nicht viel, sie streiten viel und jeder will Recht haben und verlieren den Grund der Versammlung aus den Augen. Eleanor erkennt es eigentlich intensiver als Rose. Nur - bis Eleanor ihre Gedanken beisammen hat, ist es schon zu spät sie auszusprechen. Sie ist mir im Moment am deutlichsten vor Augen.


    Zitat von "Steffi"

    Der Wind war furchterregend. Er drückte gegen das Haus; umklammerte es fest, und ließ es dann auseinanderbrechen.
    Eleanor scheint etwas zertreut zu sein; bricht ihr Geist auch auseinander ?
    Besonders betroffen machte mich 1908 die Szene, als Martin vor dem Bild seiner Mutter steht.


    Im Laufe der Jahre hatte es aufgehört, seine Mutter zu sein; es war zu einem Kunstwerk geworden.
    Die Zeit (die Jahre) läßt einen vergessen, wie die Verstorbenen tatsächlich waren, es bleibt nur ein Bild zurück, dass man sich selbst von ihnen macht.


    und wie wahr. Oft verblaßt eine Erinnerung, wie diese Rose in dem Bild, die nicht mehr zu sehen war. :sauer: traurig.


    Im Kapitel 1908 fiel mir noch auf, dass Eleanor Wissen in sich auf nahm. Sie schürfte direkt danach. Sie wollte mehr über das Christentum wissen, wie es anfing; was es ursprünglich bedeutete... wer hatte die Worte über "Gott ist die Liebe" ... gesprochen und was bedeuten sie.


    ..und dann hatte ein anderer Mann es niedergeschrieben. Aber angenommen, dass, was jener Mann sagt, ist genauso falsch wie das, was dieser Mann - sie berührte die Zeitungsausschnitte mit ihrem Löffel - über Digby sagt?...


    sie empfand gewaltige Lücken in ihrem Wissen, das ähnelt doch sehr Virignia Woolf, die auch darunter litt, dass sie kein College besuchen konnte.


    Kapitel 1908:
    Natürlich konnte sie Französisch mit Leichtigkeit lesen; und Italienisch; und ein wenig Deutsch. Aber ws für gewaltige Lücken, was für leere räume, dachte sie....es doch in ihrem Wissen gab!


    Das Kapitel 1910 ist erfüllt mit Zitaten (bekannte und unbekannte evtl. von Virginia Woolf erfundene Zitate) und Musikstücken u.a. Wagners Siegfried.


    Das Kapitel 1910 kann ich noch nicht so recht zusammenfassen. Wie empfandet ihr es?


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • noch ein paar Hintergrundsinformationen zu:


    Ernest Renan den Historiker den Eleanor im Kapitel 1908 liest.


    Pargiter:
    Der Name Pargiter kommt von Pargetter und bedeutet 'Pflasterer'.


    dazu schreibt J.Marcus:


    Eleanor is the pargetter in The Years. She spends her life literally plastering the ceilings of theslums, fixing leaky roofs, and cleaning smelly drains. The word bears also the meaning of lying orcovering up in the sense of „whitewash,“ but that is the province of the men in the novel (AbelPargiter’s affair, Morris in the law courts, Martin in the chop house, Edward’s translating from theGreek).“ (J. Marcus. „The Years as Greek Drama, Domestic Novel, and Götterdämmerung“. S. 281)


    Feigenbaum (Kapitel 1908, TB-Ausgabe S. 141)

    Der Wind rüttelte an den Fenstern des hinteren Zimmers, er drückte die kleinen Sträucher nieder; sie hatten immer noch keine Blätter. Es war, was ein Mann unter einem Feigenbaum gesagt hatte, auf einem Hügel, dachte sie. Und dann hatte ein anderer Mann es niedergeschrieben.


    ich glaube hier bezieht sich Virginia Woolf auf Markus Kapitel 11: 12 bis 14:


    12 Am nächsten Morgen, als sie Bethanien verließen, hatte Jesus Hunger.
    13 Schon von weitem sah er einen Feigenbaum mit vielen Blättern. Er ging hin, um sich ein paar Feigen zu pflücken. Aber er fand nichts als Blätter, denn zu dieser Jahreszeit gab es noch keine Feigen.
    14 Da hörten die Jünger, wie Jesus zu dem Baum sagte: »Nie wieder soll jemand von dir eine Frucht essen!«

    Gruß Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen !


    Maja: Willkommen in unserer Leserunde !


    Maria: Danke für die Hinweise; VW kannte auch eine Familie Pargiter - sie waren Bahnwärter, glaube ich, in der Nähe ihres Landhauses.


    1910 lässt mich etwas ratlos zurück - überhaupt, je länger man die Personen kennt, umsoweniger fassbar sind sie, zumindest empfinde ich es momentan so. Ich tendiere dazu, immer mal wieder einen Abschnitt wiederzulesen, um nochmal die Stimmung einzufangen und auch, um hinter die Andeutungen zu kommen. Dadurch ergibt sich ein ungewohntes Lesen, was mit aber durchaus Vergnügen bereitet :smile: Irgendwie hat das ja auch mit dem Thema "Zeit" zu tun; VW kürzt die Zeit ja enorm, dann wieder werden einzelne, eigentlich unwichtige Szenen ausgedehnt. Werden wir z.B. je noch etwas über die Robsons erfahren ? Über Onkel Horace ? Maja, was fällt dir beim zweiten Lesen auf ?


    Maria schrieb:

    Zitat

    im Kapitel 1908 und 1910 fiel mir auf, dass Rose und Eleanor sich beide wie 2 Personen in einer Person fühlen. Aber Sara/Sally die eigentlich (bis jetzt) viel unbedarfter wirkt hat 2 Namen.


    Ja, das fiel mir auch auf - aber die Beziehung zu Sara hatte ich nicht gesehen !


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,
    ein erster Gedanke zum Beginn des Wiederlesens: Warum beginnt der Roman eigentlich so? Die erste eigentliche Szene spielt im Club des Colonels, die zweite bei der Geliebten. Beide spielen im Weiteren eigentlich keine besondere Rolle, kommen nicht mehr oder nur ganz am Rand vor.
    Der Fokus bleibt dann auf der Familie, war nicht sogar der Titel "The Pargiters" geplant? Warum also dieser Beginn sozusagen ausserhalb der Familie?


    Herliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo !


    Maja schrieb:

    Zitat

    Warum also dieser Beginn sozusagen ausserhalb der Familie?


    Vielleicht ein Hinweis, dass sich der Fokus dieses Familien-Romans verschiebt von der Männersicht zur Frauensicht ? Bei Galsworthy z.B. spielen ja Frauen nur eine Nebenrolle, hier ja eindeutig die Frauen. Also zuerst mal anfangen, wie eine althergebrachte Familiensaga und dann davon abweichen ? Klingt das plausibel ?


    Mehrere Dinge werden ja auch erst deutlich, wenn man weitere Informationen bekommt. 1910 z.B. Maggie näht dauernd, sie ordnet Blumen und denkt offensichtlich immer an etwas anderes. 1911 stellt sich heraus, dass sie geheiratet hat und ein Baby bekommt - ihre Handlungen bekommen plötzlich einen Sinn und eine tiefere Bedeutung.


    Überhaupt ist 1911 ein Kapitel, das mir besonders gut gefällt. Wieder einmal steht Eleonor im Mittelpunkt, befreit von ihrem Vater aber das Leben verschwendet, sie ist nun 55 Jahre alt; abhängig von ihren Brüdern und dann als Gegenpol taucht Peggy auf: jung, abenteuerlustig, romantisch. Die Atmosphäre auf dem Land ist herrlich geschildert, ein leichter melancholischer Unterton begleitet die Idylle. Ich frage mich, wieviele Töchter damals ihr Leben für den Vater bzw. die Familie geopfert haben. Und deren Leistung nicht anerkannt wurden.


    Es war ja schon die Rede davon, dass Die Jahre ein Essay-Roman werden sollte, also Essays und Romanhandlung abwechselnd. Nachdem VW dann die Romanhandlung abgetrennt hatte, sind die ursprünglichen Essays wohl unter dem Titel "Drei Guineen" erschienen.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "Steffi"


    Maja schrieb:
    Zitat:
    Warum also dieser Beginn sozusagen ausserhalb der Familie?


    Vielleicht ein Hinweis, dass sich der Fokus dieses Familien-Romans verschiebt von der Männersicht zur Frauensicht ? Bei Galsworthy z.B. spielen ja Frauen nur eine Nebenrolle, hier ja eindeutig die Frauen. Also zuerst mal anfangen, wie eine althergebrachte Familiensaga und dann davon abweichen ? Klingt das plausibel ?


    sehr plausibel, ganz toll erklärt :smile:
    Abel Pargiter stellt die Generation dar, die am sozusagen am Aussterben ist, so wie das viktorianische Zeitalter, das zwar schon vorbei war, aber die Traditionen noch nachwirkten.


    V.W. hatte eigentlich garnicht geplant einen Tatsachenroman (wie sie es nennt) zu schreiben. Innerhalb diesem Tatsachenroman hat sie mit dem Essay-Roman experimentiert. Das Ergebnis war "The Years". Hat überhaupt vor ihr ein Schriftsteller einen Essay-Roman geschrieben? Ich weiß im Moment von keinem.


    Sie schreibt in ihrem Tagebuch:


    Natürlich ist jetzt eingetreten, dass ich, nachdem ich all diese Jahre - seit 1919 - ...einen Bogen um den Tatsachen roman gemacht habe, jetzt zur Abwechslung ein unwahrscheinliches Vergnägen an Tatsachen bei mir entdecke.... Das ist die richtige Linie, da bin ich sicher, nach The Waves - The Pargiters - das ist es, was ganz natürlich zum nächsten Stadium führt - dem Essay-Roman..


    Ich komme zum Kapitel 1913.
    Im Moment fällt es mir schwer über das Kapitel 1911 etwas zu schreiben.


    Gruß Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "Steffi"

    Überhaupt ist 1911 ein Kapitel, das mir besonders gut gefällt. Wieder einmal steht Eleonor im Mittelpunkt, befreit von ihrem Vater aber das Leben verschwendet, sie ist nun 55 Jahre alt; abhängig von ihren Brüdern und dann als Gegenpol taucht Peggy auf: jung, abenteuerlustig, romantisch. Die Atmosphäre auf dem Land ist herrlich geschildert, ein leichter melancholischer Unterton begleitet die Idylle. Ich frage mich, wieviele Töchter damals ihr Leben für den Vater bzw. die Familie geopfert haben. Und deren Leistung nicht anerkannt wurden.


    empfinde ich auch so. Auch wirkt das Kapitel 1911 noch recht positiv im Gegensatz zum Beginn des Kapitels 1913.


    [1911]
    Eleanor trifft diesen alten Bekannten, der ihre Augen bewunderte, das gibt ihr ein jugendliches Gefühl zurück. Sie war auf Reisen und sah gesund und munter aus.


    Bei dem Hinweis mit der Eule mußte ich an Virginia Woolf denken, die auch gerne Vögel beobachtete.
    Oder bedeutet die Eule, dass drohende Schatten auftauchen?


    Kapitel 1911 war ein Sonnendurchflutendes Kapitel, doch am Ende befinden wir uns im Purgatorio? (Dante lag auf Eleanors' Nachtisch).


    In meiner Dante Ausgabe heißt es darüber:


    Der Zustand der Seelen im Purgatorio kann als zwitterhaft empfunden werden. Sie sollen sich sittlich läutern, und doch ist ihnen jede Möglichkeit des Handelns, der sittlichen Aktivität genommen. .... Hier ist von Kampf keine Rede mehr.... Ihre Augen sind nicht mehr starr auf das irdische Leben gerichtet, sie haben sich von ihm gelöst. Sie kämpfen aber auch nicht für etwas Höheres, da sie zu ihrer Erlösung nichts mehr beizutragen vermögen....


    ob sich das auf Eleanor bezieht, oder auf die damalige politische Situation? Wir nähern uns ja dem 1. Weltkrieg.


    [1913]
    Das Kapitel beginnt wirklich mit Schatten. Abercorn Terrace wurde verkauft und Eleanor trennt sich von Crosby und dem alten Hund.


    Ob das wirklich ein Neubeginn für Eleanor wird? Ich weiß es noch nicht. Ich habe erst begonnen das Kapitel zu lesen.


    Der erste Abschnitt über Schnee ist sehr beeindruckend und wenn ich aus dem Fenster schaue, habe ich derzeit hier die gleiche Situation. :zwinker:


    Schnee fiel. Schnee fiel schon den ganzen Tag. Der Himmel breitete sich wie der Flügel einer Graugans, aus dem Federn herabfielen, über ganz England. Der HImmel war ein einziges Gestöber fallender Flocken.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen !


    Nur kurz will ich euch eine Kurzbiografie von Alexandra, Princess of Wales, vorstellen. http://namen-der-rosen.de/princesswales.html


    Maria schrieb:

    Zitat

    ob sich das auf Eleanor bezieht, oder auf die damalige politische Situation? Wir nähern uns ja dem 1. Weltkrieg.


    Ich würde auch sagen - beides ! Obwohl die Politik direkt ja nur eine Nebenhandlung ist, glaube ich, dass viel unmerklich gesagt wird. Ich fand die Verknüpfung zwischen dem heiteren Anfang und dem doch eher melancholischen Schluß sehr schön. Könnte dieser Tag nochmal das gesamte Leben von Eleonor rekapituliert haben ?


    Gruß von Steffi

  • Hallo Zusammen
    Hallo Steffi


    Zitat von "Steffi"

    Nur kurz will ich euch eine Kurzbiografie von Alexandra, Princess of Wales, vorstellen. http://namen-der-rosen.de/princesswales.html


    wunderschön, die Rose wie die Princess of Wales. Ihr Leben hast du schön zusammengefaßt. Deine Seite wächst und wächst. :winken:


    [Off Topic: Rosen]
    das erinnert mich, dass ich es kaum erwarten kann, meine Rosen vom Schutz zu befreien. Es wird Zeit, dass der Frühling kommt.
    :sonne:


    Zitat von "Steffi"


    Ich würde auch sagen - beides ! Obwohl die Politik direkt ja nur eine Nebenhandlung ist, glaube ich, dass viel unmerklich gesagt wird. Ich fand die Verknüpfung zwischen dem heiteren Anfang und dem doch eher melancholischen Schluß sehr schön. Könnte dieser Tag nochmal das gesamte Leben von Eleonor rekapituliert haben ?


    ich denke, du hast recht in bezug mit der Rekapitulation und auch daß vieles unmerklich gesagt wird.


    [Kapitel 1913]
    Besonders viel mir das im Kapitel 1913 auf, das kürzeste(?) Kapitel bisher. Kaum begonnen war ich mit dem Kapitel durch und ich war überrascht wie kurz es gehalten war. Aber soviel ist darin enthalten:


    der Verkauf des Hauses, der alte Hund stirbt nach einer langen Leidenszeit weil Crosby nicht loslassen konnte. Crosby hängt an den alten Dingen und hat ein Sammelsurium an Andenken aus dem Hause Pargiter, auch das Walroß hat sie aus dem Abfall gerettet. Sie hat Angst über die Straße zu gehen. Mit ihr geht auch ein Zeitalter zu Ende.


    Martin taucht kurz auf, der über die Lüge nachdenkt.


    Jeder lügt... Sein Vater hatte gelogen


    außerdem spürt er, dass sich etwas zusammenbraut:


    Der Krieg auf dem Balkan war vorbei; aber weiterer Ärger braute sich zusammen - dessen war er sicher. Ganz sicher.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen!

    Zitat von "Maja"

    Warum beginnt der Roman eigentlich so? Die erste eigentliche Szene spielt im Club des Colonels, die zweite bei der Geliebten.


    Nur kurz: Heute ist mir aufgefallen, dass der Regen, der ja das ganze Kapitel durchzieht, nach diesen beiden Szenen einsetzt.


    Zitat von "Maria"

    Kapitel 1911 war ein Sonnendurchflutendes Kapitel, doch am Ende befinden wir uns im Purgatorio?


    Warum "doch"? Im Purgatorio hatte es viel Sonne. Mit der Beschreibung Deiner Dante-Ausgabe bin ich nicht ganz einverstanden, vor allem das "zwitterhaft" leuchtet mir nicht ein. Die Seelen büssen ja am Läuterungsberg ihre Sünden und wissen, dass sie auf dem Weg ins Paradies sind.
    Interessant im Zusammenhang mit der Sonne: Man kann am Läuterungsberg nur während des Tages aufsteigen.
    Für nächste Woche :schneemann: habe ich Mrs. Dalloway eingepackt!
    Bis in einer Woche, liebe Grüsse,
    Maja

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Maja"


    Warum "doch"? Im Purgatorio hatte es viel Sonne. Mit der Beschreibung Deiner Dante-Ausgabe bin ich nicht ganz einverstanden, vor allem das "zwitterhaft" leuchtet mir nicht ein. Die Seelen büssen ja am Läuterungsberg ihre Sünden und wissen, dass sie auf dem Weg ins Paradies sind.


    JMarias Dante-Ausgabe wird wohl die von Manesse sein, und der Herausgeber, Übersetzer und Kommentator von Wartburg. Jedenfalls ist es seine Einleitung ins Purgatorio. Ich kann schon nachvollziehen, was er meint: Die Seelen büssen für ihre Taten, doch sie können nichts tun. Sie haben ihre irdischen Leidenschaften im Grunde genommen bereits abgestreift, werden aber immer noch dafür gepiesackt. Vielleicht ist "zwitterhaft" nicht der Ausdruck, den wir heute dafür wählen würden, "ambivalent" trifft's eventuell besser.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo sandhofer !



    Zitat

    Die Seelen büssen für ihre Taten, doch sie können nichts tun. Sie haben ihre irdischen Leidenschaften im Grunde genommen bereits abgestreift, werden aber immer noch dafür gepiesackt.


    Du liest nicht zufällig heimlich "Die Jahre" mit ? Deine Erläuterung ist fast wie eine Kurzzusammenfassung des Kapitels und die Situation Eleonores !!



    Gruß von Steffi


  • Hallo zusammen,


    schließe mich mit der Frage an :zwinker:
    passt perfekt zu Eleanor.


    Im Rückblick fiel mir auch noch die Hitze auf, die im Kapitel 1913 erwähnt wird, wiederholt erwähnt wird. Hitze kann auch lähmend wirken. Wie die Seelen im Purgatorio, die nichts tun können....


    sandhofer, du hast natürlich recht. Meine Ausgabe von der Göttlichen Komödie ist im Manesse Verlag erschienen.


    Maja: einen schönen Urlaub wünsche ich dir. :winken:
    Gruß Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen!



    Nein. Woolf steht schon irgendwo auf meiner fiktiven Leseliste. Im Moment liegt sie aber leider gar nicht drin. Allerdings ich habe ja gerade erst eine Leserunde zu Dantes Divina Commedia abgeschlossen ... Und da ich das Werk auch in der Manesse-Ausgabe gelesen habe ... Und da von Wartburgs Erläuterungen mir sehr viel geholfen haben und mich beim Verständnis dieses komplexen Werks sehr unterstützt haben ...


    Offenbar hat Virginia Woolf das Werk Dantes ebenfalls sehr gut gekannt.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen !


    sandhofer schrieb:

    Zitat

    Offenbar hat Virginia Woolf das Werk Dantes ebenfalls sehr gut gekannt.


    Vermutlich kommen in ihren Texten immer wieder solche Anspielungen vor, sie war ja eine vielbeschäftigte Literaturkritikerin. Leider gibt es keine ausführlich kommentierte deutsche Ausgabe, wobei VW ja überhaupt im deutschsprachige Raum sehr stiefmütterlich behandelt wird :sauer: Wie es in den englischsprachigen Ländern aussieht, weiß ich nicht.


    Ich habe am Wochenende 1914 beendet, dazu hatte ich folgende Gedanken:


    1914


    Zuerst begegnen wir Martin. Einsam begegnet er Sara - er nennt sie Sally - und verbringt den Tag mit ihr. Sara irritiert mich wieder; vielleicht liegt es daran, dass sie sich irgendwie nicht normal benimmt, aber es scheint nur mir als Leser aufzufallen, selbst dem kritischen Martin fällt nichts auf.


    Im zweiten Teil leitet VW auf Kitty über und es beginnt die wohl schönste Beschreibung bisher - endlich wieder VW wie ich sie liebe: zuerst kommt Kitty ihren gesellschaftlichen Pflichten nach und dann reist sie noch spät mit dem Nachtzug aufs Land. Diese Fahrt (auch später mit dem neuen Auto) erscheint mir wie in eine andere Welt, voller Poesie und Wunder; eine Welt ohne Menschen, ohne Verpflichtungen - wie frei fühlt sich Kitty, wie schön diese Bilder voller Licht und Farben !!!


    Von den Selbstzweifeln "Die Jahre verändern die Dinge; zerstören Dinge; häuften Dinge an - Sorgen und Verdruß;" zum Genuß des Lebens "Sie fühlte sich warm, aufgehoben und behaglich ...".


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    sandhofer: Gute Besserung! :knuddel:


    Zitat von "Steffi"

    Vermutlich kommen in ihren Texten immer wieder solche Anspielungen vor, sie war ja eine vielbeschäftigte Literaturkritikerin. Leider gibt es keine ausführlich kommentierte deutsche Ausgabe, wobei VW ja überhaupt im deutschsprachige Raum sehr stiefmütterlich behandelt wird :sauer: Wie es in den englischsprachigen Ländern aussieht, weiß ich nicht.


    volle Zustimmung. Vielleicht besinnt sich der Fischerverlag seiner Autorin in der Zukunft. Ich glaube, es ist noch nicht mal alles übersetzt.


    Zitat


    Ich habe am Wochenende 1914 beendet, dazu hatte ich folgende Gedanken:


    ich bin noch im Kapitel 1914 und zwar in London.


    [1914]


    Diverse Uhren spielen eine große Rolle, so fiel es mir auf. Nicht alle Uhren gingen gleich.


    Es gab Pausen, Stillen .... Dann schlugen die Uhren aufs neue.


    in der Ebury Street eine brüchig klingende Uhr.
    die Bahnhofsuhr geht immer vor... usw.


    Martins' Gang durch London fand ich wie ein Zeitdokument. Ganz fantastisch. Man könnte mit dem Kapitel durch London ziehen und sich in die Vergangenheit tragen lassen.


    Virginia Woolf versteht es einfach Momente und Augenblicke zu erfassen. Dinge erfassen, die als Kleinigkeiten abgetan werden, aber doch so wichtig sind.


    Dieser Satz hat es mir angetan. (Fischer TB S. 207)


    Die Omnibusse strudelten und kreiselten in ewiger Strömung rund um die Stufen von St. Paul's.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)