Januar 2005: Virginia Woolf - Die Jahre

  • Hallo !


    Maria schrieb:

    Zitat

    Dinge erfassen, die als Kleinigkeiten abgetan werden, aber doch so wichtig sind.


    Ja, absolut ! Zum Beispiel beschreibt sie, wie das Licht durch die Helligkeit des Schnees, Risse oder Flecken auf der Wand zum Vorschein bringt (ist mir schon oft selbst aufgefallen) - und damit verknüpft sie dann die Stimmung ! Genial :klatschen:


    Gruß von Steffi

  • Zitat von "Steffi"


    Im zweiten Teil leitet VW auf Kitty über und es beginnt die wohl schönste Beschreibung bisher - endlich wieder VW wie ich sie liebe: zuerst kommt Kitty ihren gesellschaftlichen Pflichten nach und dann reist sie noch spät mit dem Nachtzug aufs Land. Diese Fahrt (auch später mit dem neuen Auto) erscheint mir wie in eine andere Welt, voller Poesie und Wunder; eine Welt ohne Menschen, ohne Verpflichtungen - wie frei fühlt sich Kitty, wie schön diese Bilder voller Licht und Farben !!!


    Von den Selbstzweifeln "Die Jahre verändern die Dinge; zerstören Dinge; häuften Dinge an - Sorgen und Verdruß;" zum Genuß des Lebens "Sie fühlte sich warm, aufgehoben und behaglich ...".


    Gruß von Steffi


    Hallo zusammen,
    Hallo Steffi


    ich habe 1914 beendet und bin ebenso wie du begeistert von der Schilderung der Fahrt aufs Land. So muß sich V.W. auch immer gefühlt haben, wenn sie von London aufs Land fuhr, nach Monk's House.


    die Abfahrt kam irgendwie überstürzt und es wird dem Leser wieder nur das wichtigste mitgeteilt. Das Organisieren der Reise, evtl. Abschied von ihrem Mann, das kann sich der Leser nur vorstellen. Dass die Reise gut organisiert ist, zeigt dass der Wagen rechtzeitig vorfuhr, der Schaffner seine Ladyschaft erwartete und am Zielort, der Fahrer. Straff organisiert, aber zu unwichtig um es uns zu erzählen :zwinker:


    fast vergessen, es gab wieder so ein Hinweis, dass das alte traditionelle viktorianische Zeitalter vorbei ist und zwar auf S. 244 :

    Das neunzehnte Jahrhundert begibt sich zu Bett, sagte Martin zu sich selbst, als er beobachtete, wie sie (Lady Warburton) am Arm ihres Dieners die Stufen hinunterhoppelte.


    solche Hinweise ziehen sich bisher wie ein roter Faden durchs Buch. Endgültig wird diese Epoche wohl mit dem 1. Weltkrieg zu Grabe getragen.


    Ende Kapitel 1914:


    Die Zeit hatte aufgehört.


    [1917]


    bereits 3 Jahre Kriegszeit.
    Seltsam, dass die beiden Männer über Napoleon gesprochen haben.
    Vielleicht, weil dieser Herrscher nach der "Insel" griff? Wie später es auch Deutschland versucht?


    S. 264

    Die Deutschen!" sagte Renny. "Diese verdammten Deutschen!"...
    "Wieder ein Luftangriff", sagte Maggie und stand auf.


    Auffallend war das verschmutzte Geschirr, und Maggie sagt über sich selbst:


    Ja, wir sind schmutzig".... "zerlumpt", fügte sie hinzu.


    eine desolate Situation? Bedingt durch den Krieg?



    und die Teller..." ..... "Wir machen jede Woche einen kaputt".
    "Sie werden den Krieg über reichen".


    wirkt auf als ob wir mitten im Verfall sind.


    Der Neffe zieht in den Krieg. Sara ist außer sich und Eleanor bedauert ihren Neffen.


    So ähnlich wird sich Virginia Woolf gefühlt haben, als sie hörte wie Julian Bell in den spanischen Bürgerkrieg zog und kaum dort, nach ein paar Wochen sein Leben verlor. Eine schlimme Zeit für Vanessa Bell und Virginia Woolf.


    Nach dem Luftangriff sagt Eleanor zu Nicholas:

    "An die neue Welt..." sagte sie laut. "Meinen Sie, daß wir uns zum Besseren verändern werden?" fragte sie.


    die Antwort lautet "Ja, ja".


    was Eleanor aber nicht als Antwort genügt.


    Ich fand diesen Teil des Kapitels 1917 sehr spannend.


    und dann läßt Sara die 'Bombe' fallen und erwähnt, dass Nicholas homosexuell ist. (Hab ich das richtig verstanden?)

    Sara drückt sich so seltsam aus, sie sagt das 'andere Geschlecht'. Eigentlich müßte es das 'gleiche Geschlecht' heißen. Aber ich denke, sie sagt es in dieser Weise, weil sie es zu Eleanor sagt.


    Müßte Nicholas wirklich wegen seiner Gesinnung im Gefängnis sitzen, bzw. gefahrlaufen, dass es soweit kommt? Ich dachte 1917 war das Gesetz der 'Sodomie' (wie es damals in der englischen Gesetzgebung hieß) bereits geändert.(?)


    Egal, jedenfalls ein sehr offener Vorstoß von V.W.:


    "Ist das für Sie ein Grund", sagte er mit einem kleinen Zögern, "mich zu verabscheuen, Eleanor?"........


    "Nicht im Geringsten"... Den ganzen Abend über hatte sie in bezug auf ihn, mit Unterbrechungen, dies, das und was nicht alles empfunden; aber jetzt trafen all diese Gefühle zusammen und ergaben ein einziges Gefühl, ein Ganzes - Zuneigung.


    ich denke, da liegt auch das Geheimnis der Erzählkunst Virginia Woolfs. Sie versucht immer das Ganze zu sehen, mit all seinen Augenblicken.


    das Kapitel endet mit einem ganz normalen menschlichen Bedürfnis: Essen.
    Nach all' dem Schrecken des Luftangriffs, sitzt im Bus ein alter Mann, zwinkert Eleanor zu und zeigt ihr was er in seiner Papiertüte hat:
    Brot mit Wurst belegt. Das Leben geht weiter.


    Komme zum Kapitel 1918.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Steffi,
    Hallo zusammen,


    nochmals zurück zu Napoleon, ein beliebtes Diskussionsthema von Nicholas. Es kommt auch im Kapitel "Gegenwart" nochmals kurz vor.


    in einem Nachwort zu Dostojewskij's 'Onkelchens Traum' fand ich folgenden Abschnitt zu Napoleon (der auch in diesem humoresken Roman von Dostojewskij als eine Art Chiffre vorkommt):

    "Für das frühe 19. Jht., das noch keinen Nietzsche kannte, war Bonaparte der Inbegriff des Übermenschen, des macht- und gewalthungrigen Individuums."


    das paßt auch zu den Kapiteln in "Die Jahre"


    (was allerdings Nietzsche in dieser Verbindung zu suchen hat, weiß ich nicht).


    Das Kapitel 1918 war schnell gelesen, fast nebenbei erfährt man, dass der Krieg zuende ist.


    Ich habe die "Gegenwart" begonnen und bin ca. bei der Hälfte des Kapitels. Soll ich eine Pause machen?


    ein schönes Wochenende wünscht
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo !


    1917 zeigte für mich ganz deutlich, wie die Personen mit dem Krieg umgehen. Die Angst im Keller, der Versuch, die Normalität aufrechtzuerhalten, das Suchen der Gründe (Napoleon) und schließlich doch der Überlebenswille (Essen). Wie unbedeutend der Einzelne doch ist und wie hilflos ! Und wie verzweifelt, wenn man um des Überlebens Willen gemeinsame Sache mit dem Krieg machen muss !


    Ich bin nun auch in der Gegenwart. Interessanterweise tauchen nun allmählich alle Verwandten auf Delias Fest auf. Wurde gesagt, aus welchem Anlass sie das Fest gibt ? Peggy spricht immer mit sich selbst; sie erinnert mich ein wenig an manche Figuren aus dem Ulysses. Sie versucht, Vergangenheit und Gegenwart miteinander zu verknüpfen - vielleicht fühlt sie sich ohne Halt ? Es ist manchmal schwierig, die Hintergründe der Gespräche herauszufinden. Warum z.B. trödeln Nicholas und Renny so lange ? Eleanor ist nun zum Inbegriff des viktorinischen Zeitalters geworden und ich frage mich, wie sie in diese Position hineingerutscht ist ?


    Zitat

    Soll ich eine Pause machen?

    Nein :breitgrins:


    Gruß von Steffi :winken:

  • Hallo Steffi,


    Hier ein kleiner Zwischenstand zum Kapitel "Gegenwart".


    ein paar Gedanken in Kurzform:


    North besucht Sara. Wie immer ist es etwas verwirrend, wenn Sara ins Spiel kommt. Während des Besuchs spielt eine Posaune. Eine Metapher für irgendetwas? Ich verbinde Posaune immer mit 'Ankündigung' oder ähnlichem.


    [Eleonor und Peggy]
    man erfährt, dass Eleonor das Bild ihre Mutter reinigen ließ, so dass nun die Blume wieder sichtbar ist. Der Wunsch des Alters nach frühen Erinnerungen? Das Bild der Mutter blieb ein Kunstwerk, vermittelt Unnahbarkeit.


    Ein Satz, der prophetisch ist:


    "Meinst du, daß wir eines Tages in der Lage sein werden, die Dinge am anderen Ende des Telefons zu sehen?" sagte Peggy...


    wie die Zeit dies in Erfüllung brachte.


    die Geschichte schwengt zwischen North/Sara und Eleanor/Peggy hin und her, bis sich alle bei Delia treffen. Soweit bin ich aber noch nicht.


    Peggy ist eine sehr ernste Frau. Sie trauert um ihren gefallenen Bruder.


    wieder zurück zu North und Sara. Sie lesen Shakespeare:


    "Komödie", sagte er kurz. "Kontrast", sagte er, sich an etwas erinnernd, ws er gelesen hatte. "Die einzige Form der Kontinuität", fügte er aufs Geratewohl hinzu.


    Ist das Leben nicht Komödie und Tragödie zugleich?


    Das erinnerte mich an ein Victor Hugo, der in einem Vorwort zum Roman "Cromwell" (1827) folgendes über Shakespeare schrieb:


    "Hier erreichen wir den poetischen Höhepunkt der modernen Zeiten. Shakespeare ist das Drama, und das Drama, das in ein und demselben Luftstoß das Groteske und Erhabene, das Schreckliche und das Possenhafte, die Tragödie und die Komödie miteinander verschmilzt, das Drama ist diejenige Ausdrucksform, die der dritten Epoche der Poesie, der zeitgenössischen Literatur, zu eigen ist."


    als North, Sara, Maggie und Renny aufbrechen, löscht Maggie das Licht und schaut sich nochmals um:


    Sie knipste das Licht aus. Das Zimmer war jetzt fst dunkel, bis auf ein wäßriges Muster, das über die Decke waberte. In diesem geisterhaften, flüchtigen Licht waren nur Umrisse zu sehen; geisterhafte Äpfel, geisterhafte Bananen und der Schemen eines Sessels. Die Farben kehrten langsam zurück, als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, und die Substanz.... Einen augenblick stand sie da und schaute.


    Ich komme jetzt zum Empfang bei Delia.


    Gruß Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Steffi


    Zitat von "Steffi"


    Ich bin nun auch in der Gegenwart. Interessanterweise tauchen nun allmählich alle Verwandten auf Delias Fest auf. Wurde gesagt, aus welchem Anlass sie das Fest gibt ? Peggy spricht immer mit sich selbst; sie erinnert mich ein wenig an manche Figuren aus dem Ulysses. Sie versucht, Vergangenheit und Gegenwart miteinander zu verknüpfen - vielleicht fühlt sie sich ohne Halt ? Es ist manchmal schwierig, die Hintergründe der Gespräche herauszufinden. Warum z.B. trödeln Nicholas und Renny so lange ? Eleanor ist nun zum Inbegriff des viktorinischen Zeitalters geworden und ich frage mich, wie sie in diese Position hineingerutscht ist ?


    das letzte Kapitel wirft Fragen auf. Der Anlass des Festes wurde nicht genannt.


    Nicht Peggy, auch ihr Bruder North hingen ihren Gedanken nach. Mich erinnerte es an div. Passagen aus "Zum Leuchtturm". Ähnlich dem Gedankenfluss von Lili Briscoe. Viele Gespräche wurden begonnen, aber nicht zuende geführt. Dieses 'Stehenbleiben' mitten im Gespräch fand ich irgendwie spannend.


    Mir fiel noch auf, dass sich durch das gesamte Buch 'Flecken' ziehen. Es beginnt zu anfangs mit dem Patriarchen Abel Pargiter, der einen weißen Fleck im Gesicht hatte. Ich glaube auf einem Gemälde eines Vorfahrens ebenfalls. Diesen Flecken im Gesicht begegnet uns im Buch ziemlich oft.
    Keine Ahnung warum.


    Ich frag mich warum es zwischen Peggy und North so zu Spannung kommt. Das wird in keinem Satz erklärt. Nur einmal, im Kapitel Gegenwart, wird auf Peggys Bildung hingewiesen. Ist diese Bildung North ein Dorn im Fleisch? Vielleicht Neid?


    Worauf lief ihre "Bildung" hinaus? Sie machte sie nur kritisch, tadelssüchtig. S. 362


    Peggy hingegen sieht in North denjenigen der kleine Gibbses produzieren wird, sie wird kinderlos bleiben.


    Er wird sich mit einem rotlippigen Mädchen zusammentun, und ein alter Langweiler werden. Er muß, und ich kann nicht, dachte sie.... Sie würde keine Kinder bekommen, und er würde kleine Gibbses produzieren...


    Zitat von "Steffi"

    Eleanor ist nun zum Inbegriff des viktorinischen Zeitalters geworden und ich frage mich, wie sie in diese Position hineingerutscht ist ?


    der natürlich Lauf der Zeit?
    In jungen Jahren meint man den Eltern weit fortschrittlicher zu sein. Mit dem Alter nähert man sich wieder den Eltern? Die Kluft der Generation wird wieder geringer? Schwer für mich zu erklären.


    Nicholas führte das Wort "Poppycock" (Papperlapapp, Quatsch) ein. Ein amerikanischer Slang? Eine versteckte Verbindung zu Amerika, die moderne Welt?


    Delia versucht die Kluft zu überbrücken indem sie Leute aus allen Schichten einläd. Der Höhepunkt: die Kinder des Hauswarts, die größere Stücke Kuchen bekommen und dann ein Lied singen, das die Gäste garnicht verstehen. Auch so eine Vision von Virginia Woolf?


    Im Nachwort heißt es, dass Virginia Woolf "Faktum und Vision" in "Die Jahre" vereinigen wollte. Das ist ihr meines Erachtens gelungen.


    Besonders fiel mir das in folgender Szene auf:


    ...Und zum Schluß - " .. er nahm sein Glas in die Hand, "hätte ich auf die menschliche Rasse getrunken. Die menschliche Rasse", fuhr er fort, das Glas an die Lippen hebend, "die jetzt noch in den Kinderschuhen steckt, möge sie die Reife erreichen! Ladies und Gentleman!" rief er aus, sich halb erhebend und seine Weste dehnend, "darauf trinke ich!"


    Er stellte sein Glas mit einem Knall auf dem Tisch ab. Es zerbrach.


    was für ein Abschluß. Finde ich sehr visionär, wenn man bedenkt, dass der 2. Weltkrieg sich bereits am Horizont zeigt.


    Trotzdem endet das Kapitel mit Ruhe und Friedlichkeit.


    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria !


    Ich bin heute mit dem Buch fertig geworden. Zugegebenermaßen bin ich im Moment etwas sprachlos. Ich fand es manchmal doch sehr verwirrend und die bildhafte Poesie, die ich an VW so liebe, kam ja nur selten zum Vorschein. Du hast jedoch recht, es gibt so viele verschiedene Facetten im Buch - wie im wahren Leben. Richtig spannend, so habe ich über die ich die "fehlenden" Passagen noch nicht nachgedacht, aber tatsächlich, sie halten die Geschichte irgendwie aufrecht.


    Die Flecken sind mir nicht aufgefallen, aber es gibt tatsächlich viele Querverbindungen z.B. Birnen,die immer im Zusammenhang mit Milly auftauchen "Am ganzen Leib, so vermutete er, mußte sie weich und verfärbt sein wie eine faule Birne." :breitgrins: , das Auto, in das Kitty immer Eleanor einladen will und natürlich Antigone. Ich vermute mal, dass es noch viel mehr davon gibt, welche mir nur nicht aufgefallen sind.


    Zu den Flecken fällt mir noch VW's berühmte Kurzgeschichte "Das Mal an der Wand" ein.


    Maria schrieb:

    Zitat

    In jungen Jahren meint man den Eltern weit fortschrittlicher zu sein. Mit dem Alter nähert man sich wieder den Eltern? Die Kluft der Generation wird wieder geringer? Schwer für mich zu erklären.

    Ja, verstehe ich, klingt einleuchtend.


    Zitat

    Der Höhepunkt: die Kinder des Hauswarts, die größere Stücke Kuchen bekommen und dann ein Lied singen, das die Gäste garnicht verstehen. Auch so eine Vision von Virginia Woolf?

    Diese Szene fand ich auch genial, sie führt diese Gesellschaft so richtig ins absurde!


    Noch meine Gedanken zum letzten Kapitel:
    Das Kapitel Gegenwart (1933 oder 1934) lässt sich ja in zwei Hälften unterteilen. Einmal zu Hause bei Eleanor und Sara und einmal auf der Gesellschaft. Hauptpersonen sind North und Peggy, quasi als Verbindungsglied zwischen alter (viktorianischer) Gesellschaft und der Modernen. Beide leiden unter ihren Kriegserlebnissen bzw. sind durch den Weltkrieg geprägt.
    North: nach Kriegsdienst und Farmaufenthalt in Afrika versucht er, wieder in England Fuß zu fassen. Schön thematisiert hierbei das Commonwealth, das abgeschottete England, dessen Oberschicht sich aus der Wirklichkeit nichts macht.
    Peggy: sie ist sehr analytisch und emotionslos, vielleicht weil sie glaubt, sonst nicht mit dem Leben fertig zu werden ? Sie hat ein komisches Verhältnis zu Schuhen.


    Beide, North und Peggy, haben Angst vor der Zukunft, auch Angst vor ihrem jetzigen Leben, während die alte Generation als lebenslustig (Martin), naiv (Eleanor), genußsüchtig und oberflächlich (Milly und Hugh), realitätsfremd und religiös (Edward) oder der Natur verfallen (Kitty; erinnert sie an Vita Saeckville-West?) dargestellt sind. Selbst Rose, die für ihre Ziele gekämpft hat, hat durch den Krieg ihre eigentlichen Ziele verloren. Ein besonders schönes Zitat über Milly möchte ich unbedingt erwähnen: "Fleisch, das über Diamanten quoll, war ihm zuwider."


    Es stellt sich in der Gegenwart die Frage, wie man weiterleben kann, nach dem Weltkrieg, in einer Welt voller Egoisten, in der das Geld und die Politik regiert, einer Gesellschaft, die verlangt, dass sich das Individuum anpasst. In der auch der philosophische Nicholas keine Rede mehr vollenden kann, weil ihm niemand zuhört. Wie kann man die wirklich wichtigen Dinge aussprechen ? Peggy und North jedenfalls schaffen es beide nicht - vielleicht auch angesichts des drohenden nächsten Krieges ? Auch für VW selbst war das sicherlich ein sehr wichtiges Thema und schließlich ist sie ja zumindest zum Teil auch an dem zweiten Weltkrieg zerbrochen.


    Beginn und Ende des Kapitels entsprechen sich wieder und welch Gegensatz zu den Themen, die sie einrahmen: "Es war ein Sommerabend; die Sonne ging unter; der Himmel war noch blau, aber mit Gold überhaucht, als wäre ein dünner Gazeschleier darüber gebreitet ..." "Die Sonne war aufgegangen, und der Himmel über den Häusern besaß eine außergewöhnliche Schönheit, Schlichtheit und Friedlichkeit."


    Gruß von Steffi

  • Hallo Steffi


    Zitat


    Zu den Flecken fällt mir noch VW's berühmte Kurzgeschichte "Das Mal an der Wand" ein.


    es gibt für mich noch viel zu lesen von Virginia Woolf :-)


    du hast noch wichtige Gedanken eingebracht, die mir nicht auffielen. Super.
    z.B. Kitty und ihre evtl. Ähnlichkeit mit Vita Sackville-West. Du hast recht, Kitty wird im Buch auch etwas männlich beschrieben, kommt im Alter noch stärker zu tage. Vita Sackville-West hatte ja auch etwas maskulines an sich.


    oder Peggys Fixierung auf Schuhe. Sehr seltsam.
    Der Hinweis von dir auf die Ängste der jüngeren Generation fand ich sehr schön. Ein Weltkrieg mitzumachen muß furchtbar gewesen sein, aber auch noch einen zweiten.... das ist Wahnsinn :sauer:


    die wirklich wichtigen Dingen auszusprechen kamen die Protagonisten nie dazu. Entweder fehlten ihnen die Worte, oder sie wurden unterbrochen oder es gab einfach keine Antwort auf Fragen wie nach dem Sinn des Lebens, diese Frage hat Eleanor mit in die neue Generation geschleppt, so dass Peggy schon wußte, was Eleanor wieder mal fragen würde.

    sind die Pargiter mit ihrem Leben zufrieden?
    Ich denke, es lief nicht alles so wie sie es sich dachten. Edward gab zu, dass er nicht so glücklich in seiner Gelehrtenlaufbahn ist. Martin wäre gerne Architekt geworden, statt zum Militär zu gehen.
    Kitty wäre lieber auf dem Land, diesen Wunsch erfüllt sie sich erst im Alter.


    Maggy und Renny habe ich sehr positiv in Erinnerung, sie wirkten auf mich wie ein richtiges Paar, gleichberechtigt. Nicht so wie deren Eltern oder die Ehe von Abel Pargiter und seiner heimlichen Mätresse.


    danke für die schöne Leserunde :winken:


    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria,


    Zitat

    sind die Pargiter mit ihrem Leben zufrieden?


    Hm, diese Frage habe ich mir eigentlich gar nicht gestellt - ich finde, zum Schluß überwiegt eindeutig die Melancholie, irgendwie typisch für VW.
    Kann man mit seinem Leben überhaupt zufrieden sein ? Gerade die Unfähigkeit des Aussprechens des wirklich Wichtigen scheint mir ein Hinweis darauf, dass das Leben eher ein Streben nach Zufriedenheit ist ?



    Zitat

    Maggy und Renny habe ich sehr positiv in Erinnerung, sie wirkten auf mich wie ein richtiges Paar, gleichberechtigt.


    Ob sich Virginia und Leonard so empfunden haben ?


    Obwohl mir "Zum Leuchtturm" besser gefallen hat, fand ich auch dieses Buch wieder sehr lesenswert und es gab viele Denkanstöße. Erst jetzt, wo du dieses fehlende Aussprechen angeführt hast, ist mir das so richtig bewußt geworden, was diese "Verwirrtheit" oft bedeutete. Tragisch !


    Es war eine sehr schöne Leserunde und ich danke dir auch :knuddel:


    Liebe Grüße von Steffi

  • Hallo Steffi


    nicht erschrecken, mir ist noch etwas untergekommen, das ich posten möchte. :breitgrins:


    nochmals zurück zum Kapitel 1910. Mich beschäftigte noch immer die unterschwellige Gewalt, die darin erwähnt wird. Vielleicht kannst du dich noch erinnern, dass Rose ihre Cousinen Sally und Maggie besucht und dann Sally mitnimmt auf dieses Treffen.


    Bei diesem Treffen findet sich ein: Eleanor, Kitty, Mr. Pickford, Miriam usw...


    Hier noch ein Auszug zu den versteckten Hinweisen auf Gewalt:


    S. 161
    Vermutlich gibt es keinen anderen Weg, dachte sie (Eleanor)...


    S. 162
    „... und wir haben die ganze Angelgenheit in aller Offenheit diskutiert,“ sagte Kitty..


    S. 163
    Dann legte Mr Spicer wieder los; und Kitty fiel ein. Jetzt kam Rose. Sie waren alle unterschiedlicher Meinung. Eleanor hörte zu....


    S. 164
    „Was für ein starrköpfiger Haufen sie sind!“ sagte Kitty, sich an Eleanor wendend.
    „Gewalt ist immer falsch – findest du nicht auch? – immer falsch!“


    dazu habe ich noch was gefunden, das evtl. ein bisschen Licht in das Kapitel bzw. in die damalige Situation bringt.


    In dem Buch: Inspiration Bloomsbury: Der Kreis um Virginia Woolf wird im Kapitel „Liebe und Farben“ von Frances Spalding erwähnt, dass Roger Fry 1910 diese aufsehenserregende Ausstellung der Postimpressionisten machte. Für uns sind diese Werke von Matisse, van Gogh, Cezanne, Manet,... unbestritten Kunstwerke, zu damaliger Zeit war die englische Gesellschaft entsetzt. Interessant dazu ist, was diese Ausstellung an Reaktionen auslöste. Ich zitiere aus dem Buch (S. 81):


    [Zitat]
    Die Öffentlichkeit empfand die Bilder als revolutionär, witterte Gewalt und verband sie mit damals aktuellen politischen Unruhen. In der durch die Ausstellung entfachten Diskussion gerieten die Bilder in Zusammenhang mit der Debatte um die irische Selbstbestimmung, mit dem Streik der walisischen Bergarbeiter – der im November vom Militär beendet worden war -, selbst mit der Angst vor einer deutschen Invasion, sowie der zunehmenden Gewalt der Frauenrechtlerinnen. Die Suffragetten waren wenige Tage nach Eröffnung der Postimpressionisten-Ausstellung ins Unterhaus einmarscheirt, als dort die Frage des Wahlrechts für Frauen verhandelt wurde. In den darauffolgenden sechsstündigen handgreiflichen Auseinandersetzungen hatte es hundertsiebzehn Verhaftungen gegeben. Diesem „Schwarzen Freitag“ folgte eine Welle der Gewalt; Fensterscheiben splitterten, Bilder wurden zerstört, Bomben explodierten und Feuer wurde gelegt, als die Suffragetten ihre Hoffnung auf parlamentarischen Einfluß schwinden sahen und Gewalt als ihr letztes Mittel erkannten. Die Frauenrechtlerinnen hatten mit den Postimpressionisten insofern einiges gemeinsam, als beide nicht nur enorm vital, sondern auch hundertprozentig von ihrer Sache überzeugt waren....[Zitat_Ende]


    die nachfolgenden Ausführungen zu diesem Thema lesen sich weiter sehr informativ und interessant. ‚Kunst und Leben seien nicht voneinander zu trennen’ so Roger Fry, die Bilder haben nicht nur ästhetische Wertmaßstäbe angegriffen sondern die existierende Gesellschaftsordnung ein wenig in Frage gestellt.


    und das wollte Virginia Woolf auch mit ihrem Buch „Die Jahre“.


    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria,


    dich lässt "Die Jahre" nicht los, oder ? :breitgrins:


    Toll, wie du diese Erklärung gefunden und eingeordnet hast. :bang: Mir ist das so genau nicht aufgefallen aber die Gewalt spielt unterschwellig tatsächlich immer eine Rolle. Ich denke auch z.B. an Rose, die doch dann ins Gefängnis muss, die Oktoberjagd auf dem Land, der Krieg.


    Erstaunlich, wie der Roman mit etwas mehr Distanz immer kompakter wird - unglaublich.


    Gruß von Steffi