Oktober 2004 - Hermann Hesse: Narziß und Goldmund

  • Also, dann eröffne ich hiermit die Leserunde zu Hermann Hesses Narziß und Goldmund.


    Zum mitlesen haben sich bisher angemeldet:


    Melan
    Cordula
    Nachtfalter
    elliperelly
    A.Prometheus
    Nora


    Über weitere Mitlesende freuen wir uns natürlich!


    Ich eröffne jetzt erst mal noch keinen Ordner im Forum "Leserunden - Materialien und Archiv", das können wir ja machen wenn wir ihn brauchen!?

  • Hallo zusammen!


    Bis jetzt diente dieses Unterforum auch dazu, eine Übersicht zu haben über die stattgefundenen Leserunden, mit Datum. Und, nimues Einverständnis vorausgesetzt, möchte ich das eigentlich nicht ändern. Ausserdem dient meiner bescheidenen Meinung nach eine Sammlung von Materialien und Links durchaus dem besseren Verständnis eines Klassikers ...


    Nun denn, also:


    Zu Hesse gibt's diese Seite im Wikipedia, das Hermann-Hesse-Portal und natürlich die Seite von Markus Kolbeck aka Dostoevskij.
    [Blockierte Grafik: http://www.hhesse.de/media/img/bildarchiv//narziss.jpg]
    Zu Narziß und Goldmund, 1930 veröffentlicht, gibt's z.B. natürlich auch eine Rezension auf Literaturschock, erste Hinweise zum Verständnis kann man z.B. auf hhesse.de finden.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ich hab jetzt die ersten 3 Kapitel gelesen, bisher erstaunt mich die Art wie Hesse erzählt (ist ja mein erster Hesse).


    Zum einen liegt es wohl daran, dass es einen auktorialen Erzähler gibt. Dieser wirkt auf mich schnell unglaubwürdig, denn als Leser frage ich mich dann: "Woher weiss der denn das alles??" Gerade da es ja um tiefsitzende Emotionen geht, derer sich die Figuren selbst noch nicht bewusst sind.


    Zum anderen wirkt die Erzählung auf mich bisher merkwürdig altmodisch. Ein konservatives, streng katholisches Jungeninternat, etwas romantisch verklärt beschrieben, und dann diese Probleme von verdrängter Sexualität, das war 1957 ein heikles Thema, heute würde so etwas sicher anders thematisiert. Manchmal findet man ja auch Bücher, in welchen man wenn von einer Pferdekutsche die Rede ist merkt, dass sie nicht in unserer Gegenwart spielen. Die Sprache und die Art der Bescheibungen sind aber ganz zeitlos. Dies ist meinem Gefühl nach bei Hesse nicht so.


    Also, kurz, ich hatte mir Hesse anders vorgestellt. Aber Überraschungen sind ja auch nicht unbedingt schlecht.


    Wie geht es Euch, sind Euch diese Dinge auch aufgefallen? Und warum seid Ihr habt Ihr Euch eigentlich gerade für dieses Buch entschieden, wie seid Ihr darauf gekommen es gerade jetzt zu lesen?

  • Hallo Sandhofer,


    gut dass Du auch hier einen Thread geöffnet hast (und übrigens auch Danke für den Hinweis, dass wir einfach selbst einen neuen Thread beginnen können)! Ich wusste nur nicht so genau, was hier hereingehört...


    In meiner Hesse-Ausgabe (die ist von 1977) steht copyright Hermann Hesse 1957. Und da hab ich erstmal angenommen, dass das Buch 1957 zum ersten mal veröffentlicht wurde. Oder hat er es vielleicht überarbeitet? Vielleicht finde ich dazu was in Deinen links.

  • Hallo zusammen!
    Hallo Nora!


    Zitat von "Nora"

    In meiner Hesse-Ausgabe (die ist von 1977) steht copyright Hermann Hesse 1957. Und da hab ich erstmal angenommen, dass das Buch 1957 zum ersten mal veröffentlicht wurde. Oder hat er es vielleicht überarbeitet?


    Ein Copyright ist primär ein juristischer Begriff und hat mit Enstehung oder Erstveröffentlichung oder auch Überarbeitung nichts zu tun. M.W. ist es vor allem für den amerikanischen Markt relevant, da der ein Urheberrrecht oder einen Urheberrechtsschutz im Sinne der deutschen Gesetzgebung nicht kennt. Deshalb müssen und können dort Copyrights regelmässig erneuert werden. Nur so kommt der Autor zu seinen regelmässigen Tantiemen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Nora


    Ist mein vierter Hesse und gefällt mir nach den ersten Seiten nicht schlecht, erinnert mich aufgrund der Thematik aber stark an Unterm Rad oder das Glasperlenspiel.


    Der auktoriale Erzähler ist meiner Meinung nach ein Vorteil, da er Hesse erlaubt die inneren und äusseren Vorgänge wunderbar zu beschreiben. Natürlich wirkt es unglaubwürdig aber ich denke die Sprache, soweit ich das bisher beurteilen kann, rechtfertigt diesen Gebrauch.


    Die Erzählung wirkt bisher auf mich nicht besonders altmodisch. Ich weiss nicht ob es daran liegt dass ich Hesse mehr oder weniger "gewohnt" bin oder ob es mir bisher noch nicht aufgefallen ist. Werde dass dann gerne später nochmal aufgreifen, wenn ich es auch beurteilen kann. Wie seht ihr das - Normal bei Hesse oder Altmodisch?


    Ich lese dieses Buch gerade jetzt weil ich mir vorgenommen habe, die wichtigsten Werke von Hesse zu lesen. Steppenwolf und Siddharta haben mir gut gefallen, Unterm Rad ging so und beim Glasperlenspiel brauchte ich sehr viel Geduld und Durchhaltewillen, schlussendlich hat es sich aber doch gelohnt.


    Was mir noch auffiel, ist der Namensgebrauch: Narziss (Narziss in der Griechischen Mythologie sowie Narzissmus) und Goldmund, wozu mir gerade keine Interpretation einfällt. Vielleicht zeigt sich eine mögliche Auslegung im weiteren Verlauf der Geschichte. Habt ihr Vorschläge?
    Der Namensgebrauch scheint mir bei Hesse immer eine wichtige Rolle zu Spielen. (Harry Haller oder Heinrich Heilner als Entsprechung für Hermann Hesse oder Siddharta, einer der Namen des Buddha.)


    Gruss
    Melan

  • Hallo Melan,


    ja, die Namen sind mir auch aufgefallen.


    Erstaunlicherweise hat meiner Meinung nach die Figur des Narziss jedoch bisher altruistische, also im Gegensatz zu seinem Namen stehende Züge. Er versucht ja, den Freund so selbstlos wie möglich bei dessen Entfaltung zu unterstützen. Auch wenn er in diesem Zusammenhang teilweise als hart und kompromisslos geschildert wird, steht für ihn (bis zum 4. Kapitel, weiter bin ich noch nicht) ja das Wohl des Freundes im Vordergrund.


    Andererseits hatte ich mich bisher auch nur mit der psychiatrischen Definition des Narzissmus beschäftigt, und wenn man einem Patienten mit einer narzistischen Persönlichkeitsstörung begegnet, dann dreht sich bei diesem wirklich alles nur um ihn selbst. Aber in dem link zu Wikipedia ist der psychiatrische Brgriff ja "klar abzugrenzen ist von der allgemeinsprachlichen Verwendung des Begriffs Narzissmus als Selbstverliebtheit".


    Ansonsten kannte ich auch die Sage aus der griech. Mythologie, aber so genau wusste ich das auch nicht mehr. Hier findet sich in Deinem link etwas interessantes: "Der Legende nach wies der vielfach umworbene auch die Liebe der Nymphe Echo zurück." Und das tut Narziss ja, er weiss, oder glaubt zu wissen was für den Freund gut ist und weist seine Liebe zurück. Also ist Narziss vielleicht doch etwas narzistisch? Ich bin mir nicht sicher, auf den ersten blick hätte ich dies auf jeden Fall verneint.


    Zu Goldmund passt für mich sein Name auf den ersten Blick besser, hier assoziiere ich genau so eine Persönlichkeit wie er auch geschildert wird.


    Unabhängig von den Namen hat mir eine Stelle im 4. Kapitel sehr gut gefallen, in welcher Narziss sagt:
    "Es ist nicht unsere Aufgabe einander näherzukommen, sowenig wie Sonne und Mond zueinander kommen oder Meer und Land. Wir zei, lieber Freund, sind Sonne und Mond, sind Meer und Land. Unser Ziel ist nicht, ineinander überzugehen, sondern einander zu erkennen und einer in andern das sehen und ehren zu lernen, was er ist: des anderen Gegenstück und Ergänzung."

  • Hallo


    Tut mir Leid, ich komme im Moment nicht gross zum Lesen aber ab morgen hab ich wieder Zeit und werde das Wochenende ganz dem Hesse widmen. Deshalb ist hier ab morgen wieder mit mir zu rechnen.


    Bis dann
    Melan

  • Hallo


    Ich bin jetzt ungefähr in der Mitte des Buches (vor 11. Kapitel).


    Was mir bei dir Lektüre bisher besonders auffiel, ist dieses Gleichnis welches Narziss verwendet.
    Zuerst kommt es ungefähr in der Mitte des vierten Kapitels vor. Narziss spricht dort diese Worte, welche Goldmund "wecken". Wieder vergleicht er ihre beiden Charaktere:
    "Die Naturen von deiner Art, die mit den starken und zarten Sinnen, die Beseelten, die Träumer, Dichter, Liebenden, sind uns andern, uns Geistmenschen, beinahe immer überlegen. Eure Herkunft ist eine mütterliche. (...) Du bist Künstler, ich bin Denker. Du schläfst an der Brust der Mutter, ich wache in der Wüste. (...) , deine Träume sind von Mädchen, meine von Knaben..."
    Später dann, im fünften Kapitel, nach dem "Erwachen" Goldmunds (wobei er dann aber öfters auch in einer Traumwelt lebt) vergleicht Goldmund selber das Geistige mit dem väterlichen, unmütterlichen, sogar mutterfeindlichen worauf Narziss sagt: "(...) du bist erwacht, und du hast ja jetzt auch den Unterschied zwischen dir und mir erkannt, den Unterschied zwischen mütterlichen und väterlichen Herkünften, zwischen Seele und Geist."


    Ich habe gelesen der Roman entstand unter Einfluss der Lehren von C.G. Jung. Wenn ich mich recht erinnere, verwendete Jung die Begriffe Anima und Animus, das männliche und das weibliche. Wurden diese auch bei Jung mit Seele (Weiblich) und Geist (Männlich) assoziiert?


    Weiter sind mir die Träume Goldmunds aufgefallen, vor allem der Traum in dem er diese Lehmmenschen gestaltet (mit den riesigen Geschlechtsteilen - eine Anspielung auf seine triebvollen "Wanderjahre"?)
    welcher später auch wieder eine Bedeutung erlangt als er wirklich mit einer Bildhauerlehre beginnen will. Ich weiss nun nicht ob man auch hier einen Bezug auf C.G. Jung herstellen könnte oder ob diese Träume von Hesse einfach als geschichtslenkende Mittel verwendet werden.


    Weiter glaube ich so Hesse-typische Elemente zu erkennen, so zum Beispiel die Aussage, dass man seinen eigenen Weg gehen soll, die Betonung der Individuation, wie sie zum Beispiel in Siddharta sehr stark zum Ausdruck kommt. Narziss und Goldmund erinnert mich sowieso sehr stark an Siddharta. Ein ebenfalls junger Schönling sucht seinen Weg, sowohl bei Asketen, Mönchen als auch bei Frauen und der später bei dem von Hesse wunderbar gezeichneten Weisen Vasudeva landet, welcher durchaus eine ähnliche Rolle wie Narziss einnimmt.


    Ich bin mir bewusst dass diese "Erkenntnisse" offen im Text in Erscheinung treten und daher vielleicht auch trivial erscheinen aber Hesse ist meiner Meinung nach kein Schriftsteller, der seine Botschaft gross zu verstecken sucht.


    Gruss
    Melan


    P.S.: Lesen denn die anderen, welche sich für die Leserunde angemeldet haben auch mit? Würde gerne auch eure Eindrücke lesen.

  • Hallo Nora


    Vorher ganz verpasst noch auf deinen Beitrag einzugehen.


    Zitat von "Nora"

    Erstaunlicherweise hat meiner Meinung nach die Figur des Narziss jedoch bisher altruistische, also im Gegensatz zu seinem Namen stehende Züge. Er versucht ja, den Freund so selbstlos wie möglich bei dessen Entfaltung zu unterstützen. Auch wenn er in diesem Zusammenhang teilweise als hart und kompromisslos geschildert wird, steht für ihn (bis zum 4. Kapitel, weiter bin ich noch nicht) ja das Wohl des Freundes im Vordergrund.


    Da hast du recht, er unterstützt ihn, wie es sich ja zeigt, auch weiterhin altruistisch. Er sagt ja sogar im fünften Kapitel: "Ich habe in dir wahrscheinlich einen künftigen Mönchen verdorben (...). Auch wenn du morgen unser ganzes hübsches Kloster niederbrennen würdest oder irgendeine tolle Irrlehre in der Welt verkündigen, ich würde keinen Augenblick bereuen, dir auf den Weg geholfen zu haben."


    Bei dem Namen Goldmund stimme ich dir nun auch zu, passt sehr gut zu diesem jungen, schönen, träumerischen Herumtreiber, im wahrsten Sinne des Wortes.


    Was wohl auch noch etwas vom wichtigsten ist: Seine Mutter. Ihr Bildnis schwebt ihm vor, mit Einflüssen von Lydia, der Zigeunerin Lise und vielen weiteren Frauen die er im Laufe seiner Jahre geliebt hat. Er beabsichtigt ja dieses Bildnis zu gestalten, sozusagen die Urmutter zu kreieren. Deshalb denke ich wird er seine Mutter wohl im Verlaufe der Geschichte nicht antreffen, sondern eher dieses Kunstwerk schaffen. Denn das Wiedersehen würde ja dieses Bildnis zerstören, er sähe seine Mutter dann ohne diese vielen fremden Einflüsse.


    Gruss
    Melan

  • Hallo Melan,


    ich habe da Buch heute morgen zuende gelesen.


    Anfangs dachte ich irgendwie, er würde die Mutter tatsächlich finden, aber später wurde mir auch klar, dass dies nicht passen würde.


    Die Botschaft, jeder solle seinen eigenen Weg gehen sah ich auch ganz stark, manchmal dachte ich mir: "Aber was wird denn aus all den Frauen?" Aber auch hier geht ja jede einzelne ihren einenen Erfahrungsweg, oder sie wir duch Goldmund sozusagen dazu gezwungen. D.h. auch diese Frauen sind für sich selbst verantwortlich und müssen ihren eigenen Weg gehen, obwohl das damals sicher nicht so war. In dieser Hinsicht ist das Buch wirklich modern.


    Und es stimmt wirklich, Hesse versucht nicht gerade, seine Botschaft zu verstecken.
    Natürlich gibt es immer noch tiefere Ebenen, aber dennoch steht diese Erzählweise doch im Gegensatz dazu, was Golmund in Kapitel 12 denkt:
    "(...) solche fatalen Kunstwerke (...) waren so schwer enttäuschend, weil sie das Verlangen nach Höchstem erweckten und es doch nicht erfüllten, weil ihnen die Hauptsache fehlte: das Geheimnis."
    Es wäre interessant zu wissen, ob Hesse seine Romane als hohe Kunst betrachtet, oder nicht.
    Im selben Kapitel wird auch deutlich, wie sehr Goldmund "der Kunst seine Hände leiht", aber das eigentliche Werk wird ihm eingegeben. Bei Hesse dagegen würde ich erwarten, dass er selbst die Geschichte sehr genau und bewusst konstruiert hat, also auch viele "denkerische" Qualitäten hineingebracht hat.

  • Oh ja, Nora. DieStelle mit dem Geheimnis. fand ich beim ersten Mal lesen soooo schön. Aber sagtmal, so insgesamt. Wenn man dass Buch öfters liest, wirds schon ein bischen kitschig? Meint zumindest das Troll


    :schmetterling: