Das kopiere ich aus dem Strang 'Ich lese gerade' hier herein:
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Ich bin mit diesem Mammutwerk zugange:
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Steffen, Martus: Aufklärung. Das deutsche 18. Jahrhundert. Ein Epochenbild.
Nach knapp 300 von insgesamt über 1000 Seiten kann ich sagen: In vielem interessant, im Grundansatz auch anregend und für mich teilweise neu. Leicht zu lesen ist es nicht. Der Autor steht sich m. E. selber im Wege, er möchte anschaulich sein, wird dabei aber sehr kleinteilig und es gelingt ihm nicht, den vielfältigen Stoff innerhalb seiner Erzähleinheiten so zu organisieren, dass man sich als Leser leicht orientieren kann. So kommt es einerseits zu Wiederholungen und Redundanzen, andereseits zu verwirrenden Momenten. In seinem Kapitel über Streitigkeiten etwa zwischen dem Rat und der Bürgerschaft in Hamburg erfählt man über viele Seiten hinweg nicht, wie denn die Grundstruktur der hamburgischen Verfassung aussieht - man kann als Leser also diesen Streit und seine Parteien gar nicht einordnen. Im Kapitel über die Gründung der Universität Halle, eines der Zentren der Frühaufklärung, ist zwar viel von den Pietisten die Rede. Wer diese Gruppe ist, was sie treibt und ausmacht, muss man sich im Laufe von ca. 50 Seiten durch Nebenbemerkungen und kleinere Hinweise selbst zusammensuchen. Das macht die Lektüre mitunter mühsam und verwirrend. Brächte ich nicht durch mein Studium eine Menge an Wissen über die Frühe Neuzeit mit, ich fürchte, dieses Buch wäre bereits in der Ecke gelandet.
Gestern habe ich das Buch von Steffen Martus beendet. Nach rund 880 Seiten Text (der Rest der über 1000 Seiten des Buches sind Anmerkungen und Literaturverzeichnis) bleibt mein Urteil zwiespältig. Immerhin - ich bin drangeblieben, denn auf den vielen vielen Seiten des Buches findet man immer wieder interessante Geschichten, Fakten, Details, die einen als Leser bei der Stange halten.
Mit seiner Form des 'Epochenbildes' hat Steffen Martus aber eher ein Such- und Wimmelbild geschaffen, in dem ich mich als Leser allzu häufig verloren fühlte. Über Seiten werden Themen und Entwicklungen ausgebreitet, bei denen ich mich gefragt habe, warum der Autor mir das erzählt. Seine Herangehensweise ist ja, keine durchgehend stringente Sicht oder Theorie der Aufklärung zu präsentieren, sondern die Epoche auch in ihren Widersprüchen, Unentschlossenheiten und ihren Fragwürdigkeiten darzustellen. Dabei scheint er sich mitunter selbst in der Fülle der Themen verlaufen zu haben. Dass man als Leser oft viel Vorwissen mitbringen muss, hatte ich schon zuvor erwähnt. Für mein Empfinden hätte der Autor bei einem Werk dieses Umfangs, für das man ja auch als Leser viel Zeit braucht, immer wieder mit einer 'road map' dem Leser helfen müssen, in dem er ihm Orientierung gibt, wo im Ablauf der Darstellung er sich befindet, was im kommenden Abschnitt das Thema sein wird, wozu der Autor sich gerade aufmacht.
Das unterbleibt. Die Vielfalt der Epoche wird in aller Detailversessenheit über dem Leser ausgeschüttet. Und dabei kommt es zu mitunter sehr seltsamen Lücken oder Leerstellen. Wenn in einem Kapitel über viele Seiten das Werk von Barthold Hinrich Brockes beleuchtet wird, in einem anderen Kapitel die Literaturtheorie von Gottsched - warum verliert der Autor kein Sterbenswörtchen darüber, wie das eine sich zum anderen verhält? Oder wie kann jemand viele Seiten über Leipzig im frühen 18 Jahrhundert schreiben, ohne nur einmal zu erwähnen, dass ein gewisser Johann Sebastian Bach in dieser Zeit in der Stadt lebte und arbeitete?
Zwar gelingt dem Autor immer mal wieder eine treffende Pointierung oder griffige Formulierung, aber überwiegend bleibt sein Stil doch wenig anschaulich, mit einem Hang zum Professoralen.
Es ist kein schlechtes Buch, aber es hätte ein deutlich besseres Buch werden können, wenn der Autor sein Thema stärker gestaltet und dabei konzentrierter geschrieben hätte. Das hätte allerdings erfordert, dass er mit einer ordnenden Hand an den Stoff gegangen wäre, mehr gewertet und eingeordnet hätte. Offenbar wollte er genau das nicht. Schade.
Ich wäre aber sehr froh, wenn auch andere hier sich zu diesem Werk äußern würden. Da die Aufklärung keinesfalls eine Epoche ist, in der ich mich gut auskenne, liege ich vielleicht mit manchen Einschätzungen ganz falsch.