Guten Tag!
Allem voran: Herzlichen Dank für Eure Antworten. Offensichtlich ist die Diskussion in Gang gekommen; sehr schön.
Geschwind ein paar Zeilen. Zunächst: Dass Brod in seinem Kepler einen Typus des modernen Wissenschaftlers zeichnet und mit Brahe einen mehr mittelalterlich geprägten Forscher erkennen lässt, dem stimme ich ohne Wenn und Aber zu. Als Wissenschaftler ist Kepler auch bei Brod die modernere Existenz. Alles andere wäre schwerlich dem Roman (soweit ich ihn bislang kenne) zu entnehmen. Brod zeichnet hinsichtlich der wissenschaftlichen Bemühungen nun einmal genau jenes Gegensatzpaar, auf das Ihr hinweist.
Der biographische Hinweis auf Einstein - Vielen und herzlichen Dank dafür! - bestätigt dies ja schön. Dass seine Zuordnung zur Figur des Kepler Einstein nicht gerade entzückt, das ist nur zu gut zu verstehen. Übrigens ist mir während der Lektüre wieder eingefallen, dass von Max Planck ja ähnliche Züge wie vom Brodschen Kepler überliefert sind (- wenn ich mich recht entsinne in Werner Heisenbergs Autobiographie "Der Teil und das Ganze"): Einerseits moderner Wissenschaftler, der auf der Höhe seiner Kunst denkt, und andererseits gläubiger Mensch, der an traditionellen Formen der Religion festhält.
Der Erzähler kennzeichnet den genannten Gegensatz ja auch von Beginn an. Was ich mit modernerer Existenz gemeint habe und warum ich diesen Gedanken nur als Verdacht äußere, möchte ich nun noch rasch andeuten. Im Laufe der kommenden Woche folgt dann sicherlich eine ausführliche Argumentation. Ich darf hier ja nicht einfach nur gackern, die Diskussion lostreten - nur, um dann doch kein Ei zu legen... (Sollte ich doch damit beginnen, mit Smileys zu arbeiten? Es wäre jetzt wohl der zweite von links angebracht.)
Hier also, das bin ich Euch schuldig, wenigstens einen Wink, in welcher Hinsicht ich den Verdacht äußerte:
Zum Gedanken der moderneren Existenz: Ich meine, dass sich einzelnen Passagen entnehmen lässt, dass Tycho der existenziellere Denker ist (vielleicht muss ich mein Urteil ja noch ändern, da Kepler bislang recht introvertiert erscheint), dass er also - wie das Kepler im Fachbereich der Astronomie unternimmt - im Bereich der Fragen und Probleme der einzelnen Existenz mehr wagt. Kepler forscht und betet - Tycho erlebt, dass Gott schweigt. Im Verlauf der kommenden Woche mehr dazu und dann auch sauber zitiert.
Weshalb der Gedanke ein Verdacht ist: Ich neige zu problemorientierter Lektüre. Das heißt, dass ich unter Umständen Zusammenhänge finde, wo Brod kein darstellen wollte, aber vielleicht doch dargestellt hat - etwa weil sie sich aus der Logik der Fabel ergeben oder weil Brod unbewusst an einem Problem arbeitete, das zwar sein Denken beschäftigt, aber noch nicht an die Oberfläche gelangt ist (Der Philosoph Peter Wust hat sich einmal über eines seiner frühen Werke sinngemäß so geäußert [Ich suche die Passage und stelle sie am Wochenende in den Materialien-Bereich]: In jenem Frühwerk habe er offensichtlich bereits an seinem Hauptproblem gearbeitet, ohne dass es ihm damals klar vor Augen gestanden hätte.) Es könnte also im Laufe dieser Lektüre eintreten, dass ich Dinge sehe, die zwar sehr wohl da sind, aber nachweislich von Brod nicht geplant wurden. Konkret: Dass Brod zwei Wissenschaftler einander gegenüberstellt, die sich idealtypisch dem Mittelalter bzw. der Neuzeit zuordnen lassen, und dabei Figuren darstellt, die unterderhand eine eigene Logik entwickeln, sich emanzipieren. (Der Schriftsteller-Topos von der sich emanzipierenden Figur, die ein Eigenleben entwickelt, wäre auch eine Diskussion wert...) Wobei mir klar ist, dass Romane nicht nur geschrieben werden, damit Anton Thalberg auf seiner geistesgeschichtlichen Ostereierjagd was finden kann. Nun also doch::zwinker:!
Einer meiner privaten Literaturhelden, Ludwig Hohl, schildert in den "Notizen" ja recht amüsiert den Fall, dass der Leser bisweilen mehr erkennt als der Autor absichtlich hineingelegen wollte. (Womit ich kein billiges Selbstlob auf mich als den schlauen Leser vortragen möchte! Also noch einmal: :zwinker:! Ich will vielmehr darauf hinweisen, dass ich Hohl beipflichte, wenn er echtes Lesen als aktive und produktive Tätigkeit schildert.)
Alles Gute, nochmals vielen Dank für Eure Anworten und bis bald!
Es grüßt
Anton Thalberg
Übrigens: Die Qualität Brods als Schriftsteller kann ich noch nicht so recht einschätzen; dies ist der erste Brod-Roman, den ich lese. Dazu aber sicherlich am Ende (oder besser zwei, drei Wochen nach) meiner Lektüre etwas mehr. Bislang könnte ich lediglich eine kleine gedankliche Plus-/Minus-Liste wiedergeben - was mich aber nicht davon abhält, bereits jetzt auf Gelungenes hinzuweisen.