Beiträge von Bergman


    In letzter Zeit war ich wirklich viel zu zerstreut um klare Gedanken zu sammeln und blieb der Leserunde auch aus jenem Grunde abstinent.
    Nun möcht ich Monolith für sein Fazit danken und kann selbst nur sagen dass mich das Buch bis auf wenige Stellen ausnahmslos faszinierte :smile: .


    Einfach ein großartiges Erlebniss

    Hui..... habe gerade den 3 Teil beendet und kann mich nur der allgemeinen Begeisterung anschließen :klatschen:.
    Allem voran faszinierte mich das 5.te Kapitel und die Theorien Raskolnikows bez. "gewöhnlicher" und außergewöhnlicher"
    Menschen, sowie Rasumichins Aussagen zum Sozialismus.


    Diesen Teil zähle ich für mich zu meinen (bisherigen) Höhepunkten des Romans. ;)


    Der selbstzerstörende Pessimismus des Buches traf wohl nicht unbedingt den Geschmack einer 12 jährigen :breitgrins:


    Vor etwa einem Jahr (mit 16) hab ich "Schuld und Sühne" zum erstenmal gelesen und musste nach der Hälfte leider abbrechen,
    weil eine Pflichtlektüre dazwischen kam die mich in Anspruch nahm. Dann hatte ich erstmal meine Böll-Zeit und nun versuche
    ich es zum Zweitenmal.
    Eine filmreife Geschichte ;)

    Auf Seite 290 (Übersetzung von S. Geier) findet sich eine interessante Charakterisierung
    zu Raskolnikow (von Rasumichin vorbegracht).
    Dort heißt es:


    Zitat

    "Ich kenne Rodion seit andertalb Jahren: Er ist mürrisch, unfreundlich, verdrossen, hochmutig
    und stolz; in letzter Zeit, vielleicht schon wesentlich länger, argwöhnisch und hypochondrisch.
    Großmutig und gutherzig. [...] Manchmal ist er übrigens kein Hypochonder, sondern nur kalt und
    gefühllos bis zur unmenschlichkeit."


    Das ist wie ich finde eine zutreffende Einschätzung zu Raskolnikows Charakter. Über die 300 Seiten die
    ich bisher hinter mich gebracht habe, fanden sich alle Aussagen Rasumichins wieder.
    Doch woher kann dieser wissen, dass Rodja tatsächlich "gutherzig" ist? Alle Zusammenstöße (die der
    Leser mitbekam) der beiden Handlungsträger waren auf einer extremen Spannung, seitens Raskolnikows,
    aufgebaut und auch frühere Begegnungen (von denen der Leser nur indirekt etwas erfährt) waren feindlich
    geschildert worden.
    Außenstehenden ist zwar bekannt das Rodja eine humane Seite an den Tag legen kann. Rasumichin dürfte
    dieses Verhalten jedoch völlig fremd erscheinen.



    Nochmals zum Mord und Raskolnikows Theorien:
    Bis dato wandte sich Rodja nur ein kurzes mal in Gedanken dem Mord an Aljona Iwanowna zu (S. 253; Rashin).
    Es war ein kurzer Rechtfertigungsversuch seinerseits (darauf will ich jedoch gar nicht eingehen; siehe mein letztes Posting).
    Viel interessanter ist doch die Fallgrube in seiner faschistoiden Theorie (deren geistige Väter Solon, Mohammed und Napoleon
    sind). Den ersten Mord beging er wie er selbst sagte an einer Kreatur die die Welt nicht braucht.
    Doch verschwendet er keinen Gedanken (bis Seite 300 :zwinker:) an sein zweites Opfer, die einfältige und fromme Lisaweta.
    Raskonlikows bisheriger geistiger Zustand, so instabil er auch sein mochte, war noch recht harmlos.
    Die Last dürfte um ein vielfaches steigen, wenn er schließlich den zweiten Mord resumiert.


    Ich möchte nichts gespoilert bekommen was den Verlauf der weiteren Handlung angeht, dies ist bloß der Versuch eines
    Interpretations-Ansatzes :breitgrins:



    P.S:
    Ich hab mir gestern die Geier Übersetzung aus einer Bibliothek ausgeliehen (sogar die gebundene Buchform; eine wirklich feine
    Sache) und kann nur bestätigen, dass diese Fassung einfach großartig zu lesen ist. Meine Rashin Ausgabe habe ich fürs erste
    weggelegt. Sorry, Geier kann man einfach mehr genießen :zwinker: :smile:

    Ich bin jetzt beim dritten Teil angelangt und bis dato mehr als begeistert von diesem
    einzigartigen Roman :smile: . Was mir an Dostojewskijs Werken immer auffällt ist die
    große Verbundenheit zu seiner realen Umwelt, die er mit in seine Geschichten einbezieht.
    Dostojewskij schaffte das was sich Lew Tolstoij immer wünschte, er war dem einfachen, armen
    russischen Volk nahe. Er stammte aus ärmlichen Verhältnissen, lebte in ihnen und starb in
    ihnen und genau das findet man den Werken dieses Mannes wieder.
    Da ich auch ein großer Bewunderer der Dichtkunst Tolstoijs bin habe ich schon einige Male
    versucht einen Vergleich zwischen den beiden "Künstlern" anzustellen. Doch kam ich
    bis dato immer nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.
    Dostojewskij und Tolstoij sind religiöse Vorboten der russischen Literatur, die die Frage nach
    einer anderen, außerrationalen, göttlichen Erkenntnis aufwerfen. Der Eine in optimistischer
    Form (Tolstoij; "Die Auferstehung" etc.) und der andere in pessimistischer (Dostojewskij; "Die Dämonen").
    Tolstoij hat den Worten des Adels auf vortreffliche Weise Ausdruck verliehen und genau dies
    ist eine völliger Kontrast zu Dostojewskij geschichtlichen Inhalten.


    Nun gut, ich bin wohl ein wenig Abseits des eigentlichen Themas :breitgrins: .


    Wie gesagt ich habe nun den zweiten Teil des Romans beendet.
    Was mir besonders auffiel (und dazu gibt bestimmt einige Interpretationsansätze) ist die Wandlung bzw.
    fast schon Metamorphose Raskolnikoffs nach dem Tod oder besser gesagt während des Sterbens Marmeladows.
    Es hat den Anschein als hätte sich das moralisch menschliche Denken bei ihm, auch bei klarem Verstand, durch-
    gesetzt. Keine seiner humanen Hilfen wird von ihm bereut oder kritisiert (bsp. gibt er bei vollem Bewusstsein
    der Familie Marmeladow, nach dem Tod des Mannes, seine 20 Rubel und ist darüber sogar erfreut).


    Eine Frage stellt sich mir jedoch.
    Was hat der Bezug auf die Pfandleiherin zu bedeuten ? (S. 253; Rashin)


    "[...] Habe ich etwa vorhin nicht gelebt? Mein Leben ist noch nicht mit dem alten Weib zu Ende
    gegangen. Gott hab sie selig! Und damit genug, Mütterchen - ruhe sanft! [...]"


    Bedauern findet sich in diesen Gedanken wohl kaum wieder. Eher ist es eine zynische Rechtfertigung
    Raskolnikoffs. Schuldgefühle sind mit diesem Gedankengut nicht zu erwarten (....fürs erste nicht).
    Rodion legte nach dem sterben Marmeladows seine menschenverachtende Art ab und began sogar
    Freude am Sozialismus und der Nächstenliebe zu haben, was auf seine Umwelt, zu jener Zeit,
    wohl einen genau so seltsamen Eindruck macht wie sein früheres verqueres Verhalten.


    Was mir sehr gut gefallen hat war der Traum R.'s (Kapitel V, S.76-82,Geier), der ein Geschehen, vor der Schenke, aus seiner Kindheit, darstellt. Ich denke das dieser Traum eine Parabel zu seinem Seelenleben darstellt:
    Mikolka steht hierbei für die Umstände die ihn zu dem Mord drängen, die Kutsche vielleicht für sein Leben und dessen positive Entwicklung. Das Pferd, denke ich, sei Aljona Iwanowna, er als Kind sei sein rationels Denken bzw. sein schlechtes Gewissen und sein Vater sei die Verdrängung.
    Mikolka will die Kutsche (sein Leben) mit dem Gepeitsche (mit dem Mord) vorantreiben. Das Kind (sein schelchtes Gewissen) möchte dies um jeden Preis verhindern. Sein Vater (die Verdrängung) will ihn nur ablenken.
    Was haltet ihr von diesem Ansatz?
    Gruß, Jonas


    Es kommt wahrscheinlich jedem Leser in den Sinn eine Parallele zwischen Raskolnikoffs Traum und dem tatsächlichen
    Mord herzustellen und deinen Interpretations-Ansatz fand ich recht interessant; gut durchdacht.
    Was ein wenig hinkt ist der Vergleich zwischen dem "armen kleinen Pferdchen" und Aljona Iwanowna. In Rodjas Traum
    wird das Pferdchen als unsagbar reines, armes Objekt dargestellt und das trifft keinesfalls auf Iwanowna zu.


    Ich würd sagen das Pferdchen ist ebenfalls ein Teil von Raskonikoff. Die Reinheit die dieses zerbrechliche Tier
    darstellt symbolisiert den Zusammenbruch Rodjas als gefühlvolles menschliches Wesen.
    Durch den Mord am Pferdchen stirbt auch Raskolnikoffs (bis zu diesem Zeitpunkt noch) existente Menschlichkeit.



    So interpretiere ich diesen Traum (oder besser gesagt einen Teil dieses Traumes).


    Das ist es ja genau: Ein Atheist braucht eigentlich einen Gott - Gibt es niemanden, der ihm widerspricht, mit dem er darüber diskutieren kann, so fühlt er sich fast verloren.


    Naja....der Atheist braucht weniger einen Gott, als einen Menschen der an Gott glaubt ;)
    Ich gebe dir jedoch recht alpha, wenn du sagst das sich der Atheist ohne einen Gläubigen "verloren" fühlt.


    Da hat sich meine Vorstellung wohl zu einer kleinen Philosophie-Diskussion ausgeweitet :)


    (Hierzu: Ist das eine personale oder eine auktoriale Erzählperspektive?)


    Die verschiedenen Erzählperspektiven hab ich vor den Ferien nochmals im Unterricht durchgenommen.
    Ich beruf mich deshalb mal kurz auf meine Notizen.
    Im Fall von "Schuld und Sühne" ist die Erzählsituation durch einen hohen Grad von Unmittelbarkeit
    geprägt. Da der Leser den Eindruck hat, er befinde sich (fast) unmittelbar im Geschehen oder er
    sehe die Vorgänge aus der Perspektive einer beteiligten Figur, kann es sich in diesem Fall nur um
    eine personale Erzählstruktur handeln. Aber ich muss "Eraserhead" recht geben, es ist schwierig eine
    genaue Erzählstruktur zu bestimmen.


    Ja... :breitgrins:
    Obwohl der vulgäre Ausdruck, na ja, nicht besonders schön ist, muss ich sagen, dass "Pflanze" irgendwie merkwürdig klingt... :breitgrins: Von wann ist eigentlich die Rashin- Übersetzung?


    Ich fang die Frage mal ab.
    "Schuld und Sühne" (bzw. "Verbrechen und Strafe") wurde 1906 von E. K. Rahsin übersetzt
    und zählt mit der Geier-Übersetzung zu den besten :zwinker: .
    T. Mann las soweit ich weiß die Übersetzung von Rashin und war beigeistert
    (ok die damalige Auswahl an Übersetzungen war schon ziemlich rar :breitgrins:)


    Erstmal danke für die schlüssige Antwort :smile:
    Ich hab dann auch mal bezüglich der kursiven Verweise nachgeschlagen. Auch in der Übersetzung Rashins sind einige Bezüge auf die
    Plannung
    kursiv geschrieben (bsp: "Kann ich das etwa tun?"). Der andere Satz, "Ist es mir damit wirklich ernst?", blieb in normaler Schrift-
    art.

    Manche Handlung von Raskolnikoff kann ich einfach nur schwerlich nachvollziehen.
    Beispielsweise das er der Familie Marmeladoff einige Kopeken hinterlässt (S. 38-40) und sich dann
    darüber ärgert das er es getan hat. Später hingegen hilft er auch noch diesem betrunkenen
    Mädchen und gibt dem Polizisten Geld für eine Droschke (S. 72) , dann wiederrum erscheint ihm der
    Verbleib des Mädchens völlig gleichgültig und einen Absatz später bedauert er das Mädchen
    schon wieder.
    Soll mit diesem Handeln etwa Raskolnikoffs gedankliche Entwicklung aufgezeigt werden (?), mir ist
    das nämlich nicht ganz klar geworden.

    Ich lese gerad auch "Schuld und Sühne" (an den Original-Titel will ich mich nicht gewöhnen,
    "S. u. S." hat sich einfach zu gut in den Verstand gebrannt :smile:) und bin kurz vor dem "Verbrechen"*
    an der Pfandleiherin (das dürfte ca. S.102 sein, ich lese ebenfalls in der Übersetzung von Frau
    Rashin).


    *Das "Verbrechen" hab ich in Klammern gesetzt da Raskolnikoff es nicht als solches anerkennt.
    Er verfolgt wie es Eraserhead bereits angedeutet hat Nietzsches-Theorie vom Übermenschen,
    auch wenn Raskolnikoff dies nicht konkret geäußert bzw. Gedacht hat.



    Wie siehts aus kann ich noch mit in die Leserunde einsteigen ??




    Mit freundlichem Gruße
    Bergman


    Es ist sehr interessant dass du das ansprichst. Ich hab da mal ein Zitat von Jean Paul Sartre:


    „Der atheistische Existentialismus, für den ich stehe, ist zusammenhängender. Er erklärt, dass,
    wenn Gott nicht existiert, es mindestens ein Wesen gibt, bei dem die Existenz der Essenz vorausgeht,
    ein Wesen, das existiert, bevor es durch irgendeinen Begriff definiert werden kann, und dass
    dieses Wesen der Mensch oder, wie Heidegger sagt, die menschliche Wirklichkeit ist. Was bedeutet
    hier, dass die Existenz der Essenz vorausgeht? Es bedeutet, dass der Mensch zuerst existiert,
    sich begegnet, in der Welt auftaucht und sich danach definiert.”


    Ich diskutiere oft mit Christen, Muslimen und auch Juden über das Thema Gott.
    Denn ohne das Objekt "Gott" gäb es keinen Atheismus, dementsprechend muss
    von ihm (dem Objekt) gesprochen werden. Eine Partei (Christen etc.) muss von der Existenz eines Gottes
    überzeugt sein damit ich es als Atheist dementieren kann.
    Auch deine Aussage um "den gläubigen Atheisten" interessiert mich, was ist damit genau gemeint? (der Glaube an den Unglauben???)

    ....ich bin Bergman, dies ist wie zu erwarten nicht mein richtiger Name (aber dieser tut hier eigentlich auch nichts
    zur Sache, man befindet sich nun schließlich in einem Forum und dort ist das Quentchen Anonymität immer gut :zwinker:).
    Zu meiner Person, ich bin 17 Jahre alt und beginne gerade mit der Oberstufe (genauer gesagt gehe ich in die 11 Klasse).
    Da ich mich nun in diesem Forum, einem Literaturforum, angemeldet habe dürfte meine große Leidenschaft wohl offengelegt
    sein. Ja ich bin eine große Leseratte, aber mir liegen größtenteils nur Klassiker auf meinem SUB (zwischendurch lese ich
    natürlich auch anderes; z.B bin ich großer Handke Verehrer und lese, SCHANDE über mich, auch ab und zu einen S.King).
    Zu meinen klassischen Evergreens gehören die Bücher von Tolstoi, Dostojewski, Kleist, Verne, BÖLL, Koeppen, Nabakov und
    einigen anderen. Es sei noch dazu gesagt das ich für viele Formen der Literatur offen bin, aber man kann mit mir auch über
    alltägliche Dinge wie Politik (bin selbst aktives Mitglied einer Partei), Religion (ich sprech andauernd von Gott.......bin nämlich
    Atheist :breitgrins:), Kunst und über viele viele andere Themen sprechen.


    Gut das war ein kleiner Einblick von mir über mich
    Bergman......das bin ich :smile: