Beiträge von Polly

    Ihr Lieben,


    Effi beschäftigt mich tatsächlich immer noch sehr stark. Das habe ich Euch zu verdanken, denn ohne die Diskussionen mit Euch wäre mir so viel verborgen geblieben. Dafür möchte ich Euch hier einmal einen sehr herzlichen Dank aussprechen. Es macht mir große Freude, mich mit Euch austauschen zu können.


    Hubert: Ich dachte, Flaubert hat die Bovary nach seiner Geliebten gezeichnet. War sie denn eine Ehebrecherin? Übrigens finde ich nicht, dass er Emma oder Fontane Effi mit einem „Glorienschein“ versehen hat. Jedenfalls nicht als Ehebrecherin. Beide Autoren stellen uns sehr liebenswerte Frauen vor, meinetwegen mit „Glorienschein“, die irgendwann zu Ehebrecherinnen werden, dafür aber doch auch „bezahlen“. Es wird doch dadurch deutlich, dass Ehebruch nicht lohnt.


    Mein Widerspruch auf die Innstetten – Gottvater-These galt eigentlich Maria. Aber Hubert hat es ja inzwischen vorbildlich erklärt, dem kann ich nichts hinzufügen.


    Hubert: Wo ist der erwähnte Link zur „Allegorie des Chinesen“? Ich finde ihn nicht.


    War Effis Ehe von Anfang an zum Scheitern verurteilt?


    Ja, meiner Meinung nach war sie das.


    Im 4. Kapitel unterhalten sich Effi und ihre Mutter.
    Effi sagt: „Aber kannst du dir vorstellen, und ich schäme mich fast, es zu sagen, ich bin nicht so sehr für das, was man eine Musterehe nennt.“
    Und etwas später: „Nein, Mama, das ist mein völliger Ernst. Liebe kommt zuerst, aber gleich hinterher kommt Glanz und Ehre, und dann kommt Zerstreuung – ja, Zerstreuung, immer was Neues, immer was, dass ich lachen kann oder weinen muß. Was ich nicht aushalten kann, ist Langeweile.“
    Weiter erklärt Effi – immer noch im gleichen Kapitel – dass sie alle liebe, die es gut mit ihr meinen und sie verwöhnen, und schließlich gesteht sie der Mutter, dass sie sich vor Innstetten fürchte.


    Natürlich, rein hypothetisch hätte es anders laufen können. Aber nur unter der Vorausstzung, dass Innstetten einfühlsamer und Effi weniger egozentrisch veranlagt gewesen wären.


    Wieso der Ehebruch mit Crampas, der doch noch älter als Instetten war?


    Das Alter spielt dabei keine Rolle. Crampas war ja wohl der Verführer schlechthin, immerhin eilte ihm dieser Ruf bereits voraus. Und er war für Effi, die sich nicht zu Unrecht – wie ich finde – vernachlässigt fühlte und bei Innstetten wohl auch nach Bismarck rangierte, die willkommene Zerstreuung.


    Wäre auch ein Ehebruch mit Dagobert denkbar gewesen?


    Ja, zu dem Zeitpunkt, als es zum Ehebruch kam, war Effi so frustriert, dass beinahe jeder Nicht-Langweiler eine Chance gehabt hätte. Nur war Dagobert weit weg, Crampas aber war vor Ort.
    Im Gegensatz zu Maria glaube ich nicht, dass seine Jugend oder der noch fehlende berufliche Erfolg dabei eine Rolle gespielt hätte. Ob Dagobert die erforderliche Raffinesse dazu gehabt hätte, weiß ich allerdings auch nicht.


    Hätte Instetten nicht weiter mit Effi leben können?


    Natürlich hätte er weiter mit ihr leben „können“, aber doch nur unter der Prämisse, dass er die Erkenntnisse, die er gegen Ende des Romans hatte, nach dem Brief Roswithas, schon damals gehabt hätte. Er hat sich die Sache mit dem Duell und der Trennung von Effi ja nicht etwa leicht gemacht, das Gespräch mit Wüllersdorf im 27. Kapitel belegt uns das. Sogar zu diesem Zeitpunkt sagt er, dass er Effi noch liebe. Aber seine „Grundsätze“, die Effi schon im 4. Kapitel als furchterregend erlebt, hindern ihn.


    Wer hat Schuld an Effis Ende?

    Ja, Maria, das ist in der Tat ein „weites Feld“!


    Ich glaube, dass wir Huberts Frage umschreiben müssen in „Was ist Schuld an Effis Ende?“, denn einer einzelnen oder auch mehreren Personen die Schuld zuzuweisen, diesen Ausweg hat Fontane uns nicht gelassen.


    Schuld ist die mangelnde Liebe und Menschlichkeit der Personen.

    Schuld ist die Unreife Effis, die sich von einem Mann verführen lässt, den sie genauso wenig liebt wie Innstetten, und die nach dem Ehebruch noch so dämlich ist, die Beweise dafür im Nähkasten aufzubewahren.


    Schuld ist die Karrieresucht Instettens, der nicht bemerkt, wie sehr seine junge, temperamentvolle Frau leidet, und der, obwohl er glaubt, sie noch zu lieben, sie trotzdem verstößt.


    Schuld ist die schlechte Menschenkenntnis Vater und Mutter Briests, die Effi in eine Ehe geben, in der sie nicht glücklich werden kann, noch dazu zu einem Zeitpunkt, wo sie völlig unfertig ist.


    Schuld ist die Eigensucht Crampas, der Effi benutzt und dann fallen lässt.


    Schuld ist die Zeit der Effi Briest, in der es für eine Frau noch nicht so ohne weiteres möglich war, trotz einer Scheidung glücklich zu werden und ein erfülltes Leben zu führen.


    Schuld ist aber auch Effis Hang zum Tod, der immer wieder leise anklingt (schon beim Schaukeln ein wenig, dann auf den Friedhöfen und am Wasser mehrmals).


    Fontane macht das ganz schön raffiniert, finde ich. Er lässt uns keinen Schuldigen finden am Schluss. Und der Dialog der Eltern an Effis Grab mit der Bemerkung über Rollo setzt noch eins drauf. So als wäre der einzige Mensch in der Geschichte der Hund!


    Liebe Grüße,


    Polly

    Liebe Maria, liebe Mitleser,


    nein! NEIN! Innstetten stellt doch niemals Gottvater dar!
    Innstetten ist der größte Verlierer in dem ganzen Buch. Er erkennt es doch selbst, dass es falsch war, sich so an irdischen (!!!) Regeln festzubeißen. In seinem Gespräch mit Wüllersdorf nach dem Erhalt des Briefes von Roswitha beneidet er die

    „pechschwarzen Kerle, die von Kultur und Ehre nichts Wissen. Diese Glücklichen. Denn gerade das, dieser ganze Krimskrams ist doch an allem Schuld. Aus Passion, was am Ende gehen möchte, tut man dergleichen nicht. Also bloßen Vorstellungen zuliebe . . . Vorstellungen! . . . Und da klappt dann einer zusammen, und man klappt selber nach. Bloß noch schlimmer.“


    Mit dem Appell für Liebe, Verständnis und Vergebung hast Du sicher Recht. Aber genau daran krankte es wohl in der Zeit Effis zumindest in ihrer Schicht. Nur Roswitha hat Liebe zu geben, und ein wenig Nächstenliebe finde ich auch bei den älteren Herren Gieshübler, Rummschüttel und Niemeyer.


    Und nochmals zu den Eltern. Mich wundert, wie nun auch Du sie in Schutz zu nehmen versuchst. Sie haben keine Liebe für Effi, nur weil sie sie zuletzt aufnehmen. Liebe hieße doch auch, dass sie versuchen würden zu verstehen, und dass sie verzeihen könnten. Aber sie haben nichts begriffen. Für die Mutter blieb die Geschichte „ein interessanter Fall“ und Vater Briest findet noch im letzten Kapitel, dass Effi und Innstetten „eigentlich ein Musterpaar“ waren. Und beide bemerken, dass es nach Effis Tod bei Rollo tiefer ging als bei ihnen.
    Wer möchte diese Eltern haben?


    Heute muss ich früher ins Bett, daher lasse ich es hiermit bewenden.
    Liebe Grüße,


    Polly

    Hallo Ihr Lieben,


    …habt ihr viel mehr gesehen, als ich gesehen habe.


    Ist das nicht gerade das, warum wir hier gemeinsam lesen? Ich finde es toll, z.B. auch auf diese Farbsymbolik gestoßen zu werden, die mir garantiert durchgegangen wäre.


    Irgendwie weigert sich mein Kopf, so richtig an die Symbolik dieser Farben zu glauben.


    Wir müssen es nicht glauben, Ingrid, aber wir sollten die Möglichkeit nicht außer Acht lassen, dass es genau so gemeint sein könnte. Das wäre so wie in der Lyrik, da gilt es ja auch, jedes einzelne Wort zu beachten. Und bei all den Verdichtungen in Effi Briest – als bestes Beispiel gilt mir da auch die „Sündenfallszene“, die Hubert zitiert hatte – liegt es schon nahe, dass Fontane sich nicht wahllos einfach einen hübschen Farbton aussuchte, sondern gelb und nochmals gelb wollte. (Die Wände meines Zimmers sind auch gelb, ich dachte bei der Wahl meiner Tapeten aber mehr an die Sonne als an Gefahr, und dennoch, wer weiß, wie Sigmund Freud darüber denken würde? :zwinker: )


    sie wurde aber wieder aufgenommen, wegen ihrer Krankheit und die Liebe war trotz gesellschaftlicher Zwänge doch noch vorhanden. Die Mutter hat sogar eingesehen, daß der Umgang mit den Nachbarn ihr doch nicht soviel bedeuteten und sie gern diese Reise mit Effi unternommen hätte. Wie so oft, wenn man zur richtigen Einsicht kommt, ist es zuspät :(


    Ich finde keine Liebe bei den Eltern, Maria. Es bedurfte eines knallharten Briefes von Dr. Rummschüttel, der sogar die „Forderung“ stellte, Effi möge in Hohen-Cremmen Aufnahme finden. Es scheint mir eher Mitleid gewesen zu sein. Und dass Mutter Briest dann erkannte, dass ihr mehr an Effis Gegenwart denn am Umgang mit den Nachbarn lag, können wir doch alle nachvollziehen, Effi war doch ein liebenswertes Geschöpf.


    Denn Vater Briest war doch sonst so klarsichtig.


    Das habe ich ebenfalls anders empfunden. Briest war gutmütig und nachgiebig, aber er verkannte doch meistens die Realität und sah nur das, was er sehen wollte. Ich habe ihn als „Weichei“ empfunden.


    [size=18px]"Heißt es nicht, kein Gebilde aus Menschenhand sei vollkommen", hat Thomas Mann im Hinblick auf Effi Briest rhetorisch gefragt. "Und doch, so sehr man gestimmt sein mag, der Menschheit Bescheidenheit anzuraten - der Satz ist falsch, es gibt das Vollkommene, als Künstler bringt der Mensch es zuweilen träumerisch hervor."[/size]


    Was für ein schönes Zitat! Auch von mir Dank dafür, Maria! Es ist so toll, dass ich es hier noch einmal wiedergeben musste.


    Zu den „Sündenfällen“ Effis und Emmas:
    Es ist möglich, dass Flaubert sich sogar vor Gericht dafür verantworten musste, weil er diese Szene so unzweideutig geschildert hatte. Das jedenfalls hat mir mein Vater, der mir den Roman vor Jahren empfahl, erzählt, meine ich mich zu erinnern. Das kann sich aber auch auf einen anderen Roman bezogen haben – sicher bin ich mir nicht mehr. Und meinen Vater kann ich nicht mehr fragen, weil er nicht mehr lebt.


    Fontane hat ja in einer Zeit gelebt, in der diese Dinge auch noch absolut tabuisiert waren. Ich denke, man kann ihm unter keinen Umständen vorwerfen, er habe keine erotischen Szenen schreiben können, denn sie wären nie veröffentlicht worden. Effi Briest wurde ja, wie auch die Romane zuvor, zunächst als Serie in Zeitschriften veröffentlicht, und es waren in erster Linie weibliche Leser, die über Wohl und Wehe eines Romans entschieden. Kam der Roman gut an, so wurde er anschließend als Buch veröffentlicht. Und Sex war halt damals kein Thema, welches man beim Namen hätte nennen dürfen. Der durfte nur zwischen den Zeilen stattfinden.


    Nein, Hubert, der „chinesische Cherub“ ist Innstetten nicht anzulasten. In Kap. 10 macht er sich sogar lustig darüber, und zuvor sagt er zu Johanna: „Unsinn, sag’ ich. Immer wieder das alberne Zeug; ich mag davon nicht mehr hören.“
    Und als er Effi in Berlin davon berichtet, dass Johanna den Chinesen mitgebracht hat, fordert er sie auf, Johanna anzuweisen das Bild zu verbrennen.


    Ich provoziere mal weiter. Ist Eva im 1. Buch Moses nicht genau deshalb auf die Schlange hereingefallen, weil sie den Garten Eden nicht als Paradies erkannte, sondern es ihr zu langweilig und eintönig im Paradies war.


    Nein! Eva war zu rein, sie kannte nichts Böses und konnte es sich auch nicht vorstellen.


    Frage: Kann man das „Paradies“ überhaupt erkennen, wenn man drinnen ist, oder ist das Paradies nicht immer nur ein Ort der Sehnsucht?


    Natürlich erkennt man das Paradies, wenn man drinnen ist. Nur ist das Paradies nicht mehr der Garten Eden, der bis zum Sündenfall Evas ein perfekter Dauerzustand war. Wir hier haben unser Paradies nicht mehr dauerhaft. Aber es gibt Momente, in denen wir mit Raum und Zeit so in Harmonie sind, dass kein Wunsch mehr offen ist. Das würde ich als Paradies bezeichnen. Schade ist nur, dass es im Paradies dann eben auch die Schlange gibt, und die setzt uns dann den Floh ins Ohr. Wir streben dann noch mehr an, sind also plötzlich nicht mehr ganz zufrieden, und aus ist’s mit dem Paradies. Ihr wisst doch, im Faust, dieser Satz: Augenblick, verweile doch…


    Bei der Interpretation eines Kunstwerkes ist es nicht entscheidend, welche Gedanken der Künstler hatte, sondern welche Gedanken der Betrachter/Leser/Hörer hat. Da Kunstwerke im Gegensatz zu Kunsthandwerk durch Inspiration entstehen, steckt in ihnen oft mehr als der Künstler ahnt. J.S.Bach war sich sicher nicht bewusst, welch große Kunst er geschaffen hat. Echte Künstler verzichten deshalb auch darauf ihre Werke selbst zu interpretieren


    Ja, damit hast Du sicher Recht, Hubert. Daher rührt wohl auch die Aussage, dass die Kunst im Auge des Betrachters liege.


    Eigentlich wollte ich ja nicht, aber ich werde mich Euch nun wohl doch bei Kazantzakis anschließen. Ich bin gar nicht so neugierig auf Alexis Sorbas, vielleicht weil mir der Film gut gefallen hatte und es nach der Lektüre des Romans oft so war, dass ich die Verfilmung dann nicht mehr mochte. Ich habe vor Jahren die „Griechische Passion“ gelesen. Von dem Buch war ich begeistert.


    Wann soll ich bloß die ganzen Fontane-Briefe und die Tagebücher und Reisetagebücher lesen und den Stechlin und den Band mit seinen Kritiken und und und


    Eure zeit- und ratlose


    Polly

    Hallo Ihr Lieben,


    wow, legt Hubert hier ein Tempo vor, was?


    So schnell kann ich gar nicht lesen, wie er uns immer wieder mit neuen, interessanten Ideen aufmischt! Aber es macht mir riesigen Spaß!!!


    Gestern habe ich mir also Madame Bovary gegriffen und zu lesen begonnen, ich hatte den Roman vor x Jahren gelesen, habe aber nur den Inhalt in groben Zügen im Gedächtnis. Nach den ersten 8 Kapiteln weiß ich aber schon, dass mir Effi Briest viel besser gefällt. Deutlich wurde mir das nach den ersten Passagen in wörtlicher Rede. Da ist Fontane aber um Längen besser als Flaubert. Die Gespräche bei Fontane sind so natürlich, bei Flaubert kommen sie mir gestelzt und künstlich daher. So sprechen Menschen nicht wirklich.
    Und was Flaubert alles beschreiben muss, um eine Stimmung auszudrücken. Nach der Fontane-Lektüre erscheint es mir geradezu lächerlich. Fontane, das weiß ich jetzt, ist ein Meister im Weglassen von Worten. Und er erreicht dadurch eine dichtere Atmosphäre!


    Und wenn man Gottvater vorwerfen will, dass er den Cherub mit dem Schwert zu spät, also erst nach der Verführung Evas aufgestellt habe, so zeigt Fontane an „Gottvater“ Instetten, dass es gegen den Verführer auch nichts nützt den Cherub (Chinesen) vorsorglich zu installieren. Aber wundert es bei dieser Interpretation noch, dass Effi aus dem „Paradies“? vertrieben wird? Ich hoffe, mit diesem provokativem letzten Satz, eine Diskussion angeregt zu haben.


    Also nein, Hubert! Die Provokation ist dir gelungen. Ich widerspreche ausdrücklich. Schließlich stammt der Chinese gar nicht von Innstetten. Und selbst wenn er, Innstetten, sein Haus vielleicht – was eine arge Mutmaßung ist – für das Paradies für Effi halten könnte, so wissen wir, dass es kein Paradies war.


    Die Farbsymbolik macht mir noch zu schaffen. Hat Fontane wirklich an die Alarmfarbe gelb gedacht? Gelbe Tapeten befinden sich auch im Esszimmer der Bovarys, vielleicht war das damals eine Modefarbe?
    Das blauweiße Kleid der Effi hat auch nicht zwangsläufig mit den Mariendarstellungen zu tun. Irgendwo habe ich gelesen, dass Fontane ein junges Mädchen in einem solchen Kleid gesehen hat, er fand es entzückend und bediente sich dieser Erinnerung bei der Schilderung von Effi.
    Nichtsdestotrotz gefällt mir die Interpretation der Farbangaben so, wie Hubert sie aufgeführt hat. Doch ob auch Fontane diese Gedanken dabei hatte?


    Ich will noch ein wenig lesen und schließe daher hier.


    Liebe Grüße,


    Polly

    Hallo Ihr Lieben,


    ja, ich lese noch mit, bin mit den Beiträgen hier immer up to date und mit dem 2. Durchgang von Effi fast fertig.


    Auch ich bin begeistert von Deinen Erklärungen zum Aufbau eines Dramas, Hubert, und ich begrüße ausdrücklich den Oberlehrer! Wenn man, wie ich, diese Dinge eben nicht in der Schule gelernt hat, sich aber trotzdem dafür interessiert, ist es gar nicht so einfach, ohne Hilfe diese spannenden Aspekte heraus zu finden. Leider habe ich in meinem Bekanntenkreis hier auch niemanden, der sich für gute Literatur interessiert. Um so mehr bin ich für dieses Forum dankbar, das ich ja erst kürzlich sehr zufällig entdeckt habe.


    Zum Roman.
    Mir ist aufgefallen, dass Fontane uns an keiner Stelle Hilfe zur Beurteilung von Verhaltensweisen der Romanfiguren gibt. Weder moralisiert er noch hat er die Absicht, seine Leser zu belehren oder gar zu bekehren. Das ist mir außerordentlich sympathisch. Er zwingt uns, selbst Stellung zu beziehen, was Dich, Ingrid, anfangs so gegen Innstetten aufbrachte und Dich, Hubert, zunächst so für Effi schwärmen ließ.
    Bei der zweiten Lektüre bekam ich außerdem den Eindruck, dass in keinem Roman, den ich bis jetzt gelesen habe, die Liebe so sehr fehlte. Hier liebt eigentlich niemand niemanden. Allenfalls Apotheker Gieshübler und Roswitha sind Menschen aus Fleisch und Blut, eventuell auch Crampas, aber von ihm wissen wir nicht genug. Diese drei Personen sind es auch, die Effi als Frau sehen und sie so behandeln, während sowohl Innstetten als auch die Briests sie stets wie das kleine Mädchen behandeln, das da anfangs im Garten herumtollt.


    Insgesamt scheint mir die Story der Effi/Frau von Ardenne nur das Gerüst für die eigentliche Thematik zu sein: Die Morbidität der so genannten Aristokratie im Preußen der Bismarckschen Zeit. Fontane muss das gereizt haben. Innstetten, der um Effi anhält, obwohl er eigentlich deren Mutter wollte. Effi, die ihn heiratet, obwohl sie ihn kaum kennt und nicht liebt. Die Eltern Briest, die einander nicht lieben, und die ihr einziges Kind in eine Ehe schubsen, nur weil sie eine gute Partie zu werden verspricht. Crampas, der Effis Ehre mit Füßen tritt, denn es wird ja, obwohl sonst wenig von ihm erzählt wird, durchaus deutlich, dass er an seiner Ehe festzuhalten gedenkt. Innstetten, der den Major tötet, nicht weil ihm das Genugtuung bringt, sondern weil er es glaubt tun zu müssen. Und schließlich Effi, die den Ehebruch „ohne Not“ begeht, denn auch Crampas liebt sie nicht! Und die sozusagen in Verbannung leben muss, weil ihren lieblosen Eltern der eigene Ruf wichtiger ist als die Tochter.
    Eine abscheuliche Bande!


    Nun bin ich gespannt auf Eure Kommentare.


    Liebe Grüße,


    Polly

    Ihr Lieben,


    ich habe das Bild gefunden. Die "Insel der Seligen" heißt eigentlich "Gefilde der Seligen", ist von Arnold Böcklin (1827-1901).
    Und hier ist eine Abbildung zu sehen:


    http://www.bildindex.de/rx/apsisa.dll/bildzoom?sid={b27d3624-45a2-4f8f-892c-6bedf704647a}&cnt=25867&did=&rid=2&aid=*&zoomlevel=1&no=3&picno=3


    Ich hoffe nun bloß, dass das mit dem Link klappt, so etwas habe ich noch nie gemacht!


    @ Maria: Danke für die Aufklärung in Sachen Dickens. Ist ja sehr interessant!


    Und nur ganz kurz bemerkt:


    Ich glaube nicht, dass die Geschichte anders verlaufen wäre, egal wie alt oder jung Innstetten war. Effi war so ein Schmetterlingskind, sie war sehr leicht zu beeinflussen und das war ja wohl Crampas Spezialität.


    Ist es nicht auch eher er, Crampas, der den "Spuk" benutzt? Innstetten macht zwar die Bemerkung mit dem brav sein, aber an keiner Stelle gibt er auch nur zu, dass der Spuk überhaupt existiert, so dass ich davon ausgehe, dass es den Spuk gar nicht gibt.


    Aber mein Besuch ist noch da, daher kann ich jetzt nicht fortfahren in meinen Bemerkungen.


    Liebe Grüße,


    Polly

    Hallo zusammen,


    ich bin jetzt auch einmal durch, habe fast die ganze Nacht und den heutigen Tag gelesen. Aber ich bin nicht fertig mit Effi Briest, sondern lese jetzt noch einmal mit Genuss!


    Hubert:


    Effi ist mir jetzt nicht unsympathisch, so schnell ändere ich meine Meinung nicht, aber mit dem folgendem (u.a.) kann man bei mir keine Sympathiepunkte gewinnen:
    Romanzitat: "Tante Therese, so hatte Effi gleich nach der Ankunft gesagt, »müssen wir diesmal inkognito bleiben. Es geht nicht, daß sie hier ins Hotel kommt. Entweder Hôtel du Nord oder Tante Therese; beides zusammen paßt nicht."


    Dies solltest Du ihr nachsehen, Hubert, denn damit beweist sich einmal mehr ihre Unreife. Es gehört eine gewisse Reife dazu, sich mit Menschen, die aus dem Rahmen fallen, in der Öffentlichkeit abzugeben. So weit ist Effi noch nicht.
    Meine eigene Mutter hat eine gewisse Zeit meinen großen Bruder verleugnet, weil der durch Drogensucht kriminell geworden war. Das passte nicht in ihr Bild, also wurde er einfach verschwiegen, und wir waren nur noch vier Kinder!! Die Härte: Heute streitet sie es ab! Aber der Sohn ist ja auch wieder clean.


    Es war aber nicht Geert, sondern Effi die folgendes sagte: „Jeder ist der Richtige. Natürlich muß er von Adel sein und eine Stellung haben“



    Immerhin hat Innstetten um Effi angehalten!


    Das mit den "ärmlichen Verhältnissen" sehe ich nicht so, auch arme Adelsfamilien gab und gibt es. Dass es Fontane nicht so gut ging, war doch durch seine Tätigkeit als Autor bedingt. Er hätte als Apotheker vielleicht zu den wohlhabenderen Leuten zählen können. Vielleicht hat mich auch die Frage, ob Fontane in seiner Londoner Zeit wohl Dickens getroffen hat, geleitet, sie waren doch Zeitgenossen. Dickens aber hat die Zustände in der bürgerlichen Schicht (seiner eigenen) angeprangert.
    Naja, nach der Lektüre von Effi Briest denke ich, dass auch Fontane den Zeitgenossen ein paar Kopfnüsse verpasst hat, wenn auch nicht so drastisch.


    Ja, der Chinese, der ist wirklich gut. Ich weiß nicht, was der wirklich symbolisiert, es ist zu verschieden. Darüber sollten wir uns austauschen, wenn alle das Buch durch haben. Ich bin froh, jetzt noch einmal ohne Erwartungsdruck lesen zu können und z. B. die Stellen mit dem Chinesen, aber auch die sprachliche Struktur des Romans genauer ins Visier zu nehmen.


    Als Ergänzung nach Effi habe ich mir den Briefwechsel Fontanes mit seiner Frau zugelegt und ich hoffe, bald aus der Bibliothek meiner Eltern eine Biografie Fontanes zu bekommen.


    Ingrid: Jetzt, nach der Lektüre, bin ich mir nicht sicher, ob Innstetten wirklich so selbstherrlich war. Ist das vielleicht genauso eine Rolle, die er als Ehemann auszufüllen hatte, weil "man" so zu sein hatte? Er tat Dir doch sicher auch Leid gegen Ende der Ehe, oder? Und was konnte "Mann" schon machen? Er war in seinem preußischen Korsett gefangen und meiner Meinung nach genauso Opfer der Umstände wie Effi.


    Sorry, bekomme noch Besuch - morgen mehr.


    Liebe Grüße,


    Polly

    Hallo Euch allen!


    Was für eine reine Magd! Ich bin von Effi immer mehr angetan, und ich verstehe nicht, warum sie bei Hubert an Sympathie einbüßt.


    Mir fällt auf, dass Instetten wenig beschrieben wird. Schon ganz am Anfang, als er um Effi anhält, lässt Fontane uns über ihn im Unklaren. Und jetzt wird er nur als der Überlegene dargestellt, aber ohne Seele, finde ich. Was will er von seiner Frau? Ich frage mich, warum wollte er Effi. Es sieht so aus, als brauchte er sie nur, um seinen Status zu festigen.


    Auffällig finde ich übrigens auch, dass Fontane nur die Leute seiner Schicht besser beschreibt. Bei den Bediensteten z.B. kann ich mir kein Bild machen, so unbedeutend sind sie erwähnt.


    Ich muss erst mal weiter lesen, ehe ich meine Gedanken zu dem Buch in die Reihe kriege.


    Mir geht es ähnlich wie Ingrid, ich möchte in die Geschichte hinein und Effi rütteln, um ihr zu sagen: "Wirf dich nicht weg an diesen Mann! Du hast etwas Besseres verdient."


    Hubert: Die Liebermann-Lithos wurden für eine Effi Briest Ausgabe von 1926/27, die als Jahresgabe der Maximillian-Gesellschaft erschien, gefertigt. Steht so in der Klappe. Was das für eine Gesellschaft ist, kann ich Dir leider nicht sagen.


    Ingrid: Hui, bist Du schnell, schon durch!! Liest Du jetzt schon etwas Neues oder bleibst Du erst noch bei Fontane?
    Ich hoffe doch, dass es heute keine Effi mehr gibt. Die Abhängigkeit vom Mann ist ja unerträglich. Ich hatte übrigens nicht den Eindruck, dass auch Effis Mutter so von Briest dominiert wird. Weil er sie liebt, hoffe ich.


    Gute Nacht zusammen, ich lese weiter.


    Polly

    Ihr Lieben


    seid mir (noch) voraus. Ich habe meine Effi ja heute erst abholen können. immerhin, die beiden ersten Kapitel habe ich am Nachmittag gelesen.


    @ Hubert: Wenn irgend möglich, kaufe ich gebundene Bücher. Ich hasse Taschenbücher! Mein Bändchen ist aus dem Insel Verlag, wunderschön mit Lithographien von Max Liebermann gestaltet.


    @ Maria: Mein Kapitel 2 endet anders, mit >"Effi, komm"< endet der vorletzte Absatz, dann folgt >Dann duckte sie sich, und beide Schwestern sprangen von der Banklehne, darauf sie gestanden, wieder in den Garten hinab, und man hörte nur noch ihr leises Kichern und Lachen.<


    Die Redewendung vom "weiten Feld" ist übrigens auch der Schlusssatz des Romans!


    Im Gegensatz zu Dir, Ingrid, finde ich Effi richtig sympathisch, sie ist so angenehm direkt und offen. Ich sehe sie auch nicht als zu kindlich an. Mal ehrlich, wer ist denn mit 17 schon erwachsen? Wieso hättest Du, Hubert, sie für 14 gehalten? Weil sie so lebhaft ist, noch schaukelt?
    Die Schaukel scheint mir übrigens die gleiche zu sein, die im Garten der Familie Fontane in Swinemünde stand, die war auch ein bisschen windschief.


    Hubert fragt, ob Fontane mit der Art, wie er Effi darstellt, sagen will, dass sie noch nicht reif für die Ehe sei. Nun, ich denke, für diese Ehe ist sie nicht reif genug, und ich frage mich, wer mit 17 überhaupt reif für eine Ehe sein kann. Ich war es mit 17 nicht, hätte es aber damals nie zugegeben. :zwinker:


    So viel von mir zum Anfang. Jetzt lese ich noch ein, zwei Kapitel.


    Liebe Grüße,
    Polly

    Euch allen herzlichen Dank für Euer freundliches Willkommen!


    Da wollte ich gleich loslesen, musste jedoch feststellen, dass Effie Briest mein Bücherregal verlassen hat. Irgendwann. :sauer:


    Morgen soll es in der Buchhandlung für mich bereit liegen, krachneu!


    Ich überbrücke die Zeit mit ein paar Seiten aus Fontanes "Meine Kinderjahre".


    Ein schönes Wochenende!


    Liebe Grüße,
    Polly

    Hallo Euch allen!


    Ich möchte mich gern anschließen und Effie Briest mit Euch lesen.
    Geht es schon los?
    Fange ich direkt an zu lesen?
    Gibt es ein festgelegtes Tempo beim Lesen?


    Ich hoffe, jemand von Euch hilft mir als Neu-Mitglied beim Einstieg.


    Liebe Grüße,
    Polly