Ihr Lieben,
Effi beschäftigt mich tatsächlich immer noch sehr stark. Das habe ich Euch zu verdanken, denn ohne die Diskussionen mit Euch wäre mir so viel verborgen geblieben. Dafür möchte ich Euch hier einmal einen sehr herzlichen Dank aussprechen. Es macht mir große Freude, mich mit Euch austauschen zu können.
Hubert: Ich dachte, Flaubert hat die Bovary nach seiner Geliebten gezeichnet. War sie denn eine Ehebrecherin? Übrigens finde ich nicht, dass er Emma oder Fontane Effi mit einem „Glorienschein“ versehen hat. Jedenfalls nicht als Ehebrecherin. Beide Autoren stellen uns sehr liebenswerte Frauen vor, meinetwegen mit „Glorienschein“, die irgendwann zu Ehebrecherinnen werden, dafür aber doch auch „bezahlen“. Es wird doch dadurch deutlich, dass Ehebruch nicht lohnt.
Mein Widerspruch auf die Innstetten – Gottvater-These galt eigentlich Maria. Aber Hubert hat es ja inzwischen vorbildlich erklärt, dem kann ich nichts hinzufügen.
Hubert: Wo ist der erwähnte Link zur „Allegorie des Chinesen“? Ich finde ihn nicht.
War Effis Ehe von Anfang an zum Scheitern verurteilt?
Ja, meiner Meinung nach war sie das.
Im 4. Kapitel unterhalten sich Effi und ihre Mutter.
Effi sagt: „Aber kannst du dir vorstellen, und ich schäme mich fast, es zu sagen, ich bin nicht so sehr für das, was man eine Musterehe nennt.“
Und etwas später: „Nein, Mama, das ist mein völliger Ernst. Liebe kommt zuerst, aber gleich hinterher kommt Glanz und Ehre, und dann kommt Zerstreuung – ja, Zerstreuung, immer was Neues, immer was, dass ich lachen kann oder weinen muß. Was ich nicht aushalten kann, ist Langeweile.“
Weiter erklärt Effi – immer noch im gleichen Kapitel – dass sie alle liebe, die es gut mit ihr meinen und sie verwöhnen, und schließlich gesteht sie der Mutter, dass sie sich vor Innstetten fürchte.
Natürlich, rein hypothetisch hätte es anders laufen können. Aber nur unter der Vorausstzung, dass Innstetten einfühlsamer und Effi weniger egozentrisch veranlagt gewesen wären.
Wieso der Ehebruch mit Crampas, der doch noch älter als Instetten war?
Das Alter spielt dabei keine Rolle. Crampas war ja wohl der Verführer schlechthin, immerhin eilte ihm dieser Ruf bereits voraus. Und er war für Effi, die sich nicht zu Unrecht – wie ich finde – vernachlässigt fühlte und bei Innstetten wohl auch nach Bismarck rangierte, die willkommene Zerstreuung.
Wäre auch ein Ehebruch mit Dagobert denkbar gewesen?
Ja, zu dem Zeitpunkt, als es zum Ehebruch kam, war Effi so frustriert, dass beinahe jeder Nicht-Langweiler eine Chance gehabt hätte. Nur war Dagobert weit weg, Crampas aber war vor Ort.
Im Gegensatz zu Maria glaube ich nicht, dass seine Jugend oder der noch fehlende berufliche Erfolg dabei eine Rolle gespielt hätte. Ob Dagobert die erforderliche Raffinesse dazu gehabt hätte, weiß ich allerdings auch nicht.
Hätte Instetten nicht weiter mit Effi leben können?
Natürlich hätte er weiter mit ihr leben „können“, aber doch nur unter der Prämisse, dass er die Erkenntnisse, die er gegen Ende des Romans hatte, nach dem Brief Roswithas, schon damals gehabt hätte. Er hat sich die Sache mit dem Duell und der Trennung von Effi ja nicht etwa leicht gemacht, das Gespräch mit Wüllersdorf im 27. Kapitel belegt uns das. Sogar zu diesem Zeitpunkt sagt er, dass er Effi noch liebe. Aber seine „Grundsätze“, die Effi schon im 4. Kapitel als furchterregend erlebt, hindern ihn.
Wer hat Schuld an Effis Ende?
Ja, Maria, das ist in der Tat ein „weites Feld“!
Ich glaube, dass wir Huberts Frage umschreiben müssen in „Was ist Schuld an Effis Ende?“, denn einer einzelnen oder auch mehreren Personen die Schuld zuzuweisen, diesen Ausweg hat Fontane uns nicht gelassen.
Schuld ist die mangelnde Liebe und Menschlichkeit der Personen.
Schuld ist die Unreife Effis, die sich von einem Mann verführen lässt, den sie genauso wenig liebt wie Innstetten, und die nach dem Ehebruch noch so dämlich ist, die Beweise dafür im Nähkasten aufzubewahren.
Schuld ist die Karrieresucht Instettens, der nicht bemerkt, wie sehr seine junge, temperamentvolle Frau leidet, und der, obwohl er glaubt, sie noch zu lieben, sie trotzdem verstößt.
Schuld ist die schlechte Menschenkenntnis Vater und Mutter Briests, die Effi in eine Ehe geben, in der sie nicht glücklich werden kann, noch dazu zu einem Zeitpunkt, wo sie völlig unfertig ist.
Schuld ist die Eigensucht Crampas, der Effi benutzt und dann fallen lässt.
Schuld ist die Zeit der Effi Briest, in der es für eine Frau noch nicht so ohne weiteres möglich war, trotz einer Scheidung glücklich zu werden und ein erfülltes Leben zu führen.
Schuld ist aber auch Effis Hang zum Tod, der immer wieder leise anklingt (schon beim Schaukeln ein wenig, dann auf den Friedhöfen und am Wasser mehrmals).
Fontane macht das ganz schön raffiniert, finde ich. Er lässt uns keinen Schuldigen finden am Schluss. Und der Dialog der Eltern an Effis Grab mit der Bemerkung über Rollo setzt noch eins drauf. So als wäre der einzige Mensch in der Geschichte der Hund!
Liebe Grüße,
Polly