Beiträge von Librerio

    Aus meiner Sicht ist die Frage nach der Vergleichbarkeit sehr viel einfacher: Jedes Werk steht im Wettbewerb und wird vom Leser unwillkürlich verglichen.


    Beispiel: Nachdem ich Emma Bovary, Anna Karenina und einige andere Frauenfiguren in der Literatur kennenlernen durfte, war eine Frau Permaneder einfach nur noch eindimensional, lediglich die Karikatur einer Frauenfigur. Mannsche Ironie? Mir egal, mir zu flach. Das Bessere ist der Feind des Guten, Evolution gibt es auch in der Literatur. Das lässt sich zum Beispiel an Naturbeschreibungen schön sehen - im 18. und auch noch 19. Jahrhundert war ein Himmel meistens blau. Dass ein Himmel violett, rosa oder orange sein kann, das zu sehen und zu beschreiben brauchte es jemanden, der mit den Konventionen bricht. Und hinter diesen Stand möchte man heute nicht mehr zurück.


    Was übrigens sagte Nabokov über Mann: "Stil und Struktur bilden das Wesen unvergänglicher Kunst - große Ideen sind dummes Zeug." (nach dem Gedächtnis zitiert).


    Gruß
    Christian


    Thomas Mann hat so seine 7 oder 8 hochstehenden Romane verfasst, denen gegenüber Nabakov nur seine Lolita halten kann. Für mich also ist Mann der bei weitem bessere Schriftsteller. ;)


    "Hochstehend"? Klingt beinahe wie eine qualitative Erektion bei Mann, wohingegen Nabokov eher unter die Rubrik schlappschwänziges Onehitwonder zu subsumieren wäre.


    Dann eben etwas Namedropping:
    "Ada"?
    "Pale Fire"?
    "Sebastian Knight"?
    "Pnin"?


    Stehen für mich nicht hoch, liegen mir aber nahe... :breitgrins:


    Im Übrigen gibt es zwischen Nabokov und Mann leider eine Gemeinsamkeit:


    Bei beiden findet sich keine einzige überzeugende Frauenfigur (Nymphen bei Nabokov mal beiseite).


    Grüße


    Christian

    Ich habe bei Nabokov immer das Gefühl, dass er für Kritiker, Literaturwissenschaftler und (Pseudo)Intellektuelle geschrieben hat. Mein Fall ist er deshalb nicht. An "Lolita" und "Pnin" bin ich jedenfalls vor Langeweile verzweifelt.


    LG


    Tom


    So unterschiedlich kann man Literatur verstehen. Für mich Meisterwerke, mit höchstem Vergnügen gelesen. Da ich nicht Kritiker oder Literaturwissenschaftler bin, bin ich dann wohl (Pseudo)intellektuell. By the way: Was unterscheidet einen Intellektuellen von einem Pseudointellektuellen?

    Ts, ts, ts ;-). Ein tolles Buch. Und übrigens auch eine tolle BBC-Verfilmung.


    Ich war bei der BBC-Verfilmung auch von der Passgenauigkeit der gewählten Schauspieler absolut verblüfft.


    Und was den Roman betrifft: Wer ihn nicht gelesen hat sich seines Urteils über Dickens zu enthalten. Oder, um Nabokov zu zitieren (aus der Vorlesung über "Bleak House" in "Die Kunst des Lesens - Meisterwerke der europäischen Literatur", ebenfalls eine unbedingte Empfehlung):

    Zitat

    "...Jane Austens Prosa will mir wie als eine zauberhafte Neu-Anordnung altmodischer Werte erscheinen, im Fall Dickens hingegen handelt es sich um neue Werte, und noch heute berauschen sich moderne Autoren an dem, was er gekeltert hat. Ihm kann man sich ohne die Schwierigkeiten des Zugangs zu Jane Austen nähern, hier muß die spröde Schöne nicht galant umworben werden. Wir überlassen uns einfach seiner Stimme - das genügt. Wäre so etwas möglich, würde ich am liebsten jeweils die fünfzig Minuten unserer Vorlesung zu schweigender Versenkung in Dickens und zu bewundernder Betrachtung verwenden. Doch ist es meine Aufgabe, dieser bewundernden Betrachtung eine Richtung zu geben und sie auf eine rationale Grundlage zu stellen. Beim Lesen von Bleakhaus brauchen wir uns lediglich zu entspannen, alles übrige erledigt unser Rückenmark. Zwar lesen wir mit dem Kopf, doch künstlerisches Entzücken wird zwischenden Schulterblättern wahrgenommen. Der kleine Schauer, der uns über den Rücken läuft, ist gewiß die höchste Form innerer Bewegung, welche die Menschheit bei der Entwicklung zweckfreier Kunst und Wissenschaft erreicht hat. So wollen wir also das Rückenmark und den Kitzel ehren, der es reizt. Wir wollen stolz darauf sein, daß wir zu den Wirbeltieren gehören, denn das tun wir, nur daß unseren Kopf eine göttliche Flamme ziert. Das Gehirn ist lediglich eine Fortsetzung des Rückenmarks: der Docht geht durch die ganze Kerze. Wenn wir nicht fähig sind, dies Erschauern zu genießen, wenn wir Literatur nicht genießen können, wollen wir die ganze Sache aufgeben und uns auf unsere Comic-Hefte, das Fernsehen und das Buch aus der Bestseller-Liste konzentrieren. Allerdings wird sich, wie ich vermute, Dickens wohl als stärker erweisen.

    Hallo Leibgeber,


    Ich lege dir die Kein und Aber-Ausgabe sehr ans Herz, gute Buchgestaltung, und vor allem: ein sehr lobenswertes Unterfangen, dem ich mehr Abnehmer wünsche. Auf der letzten Frankfurter Buchmesse reagierte ein Kein & Aber-Mitarbeiter etwas säuerlich, als ich ihn nach dem Absatz der Niebelschütz-Romane fragte.


    Ansonsten: Auch wenn die Leserunde vorüber ist, würde ich mich gern über das Buch austauschen, zumal ich "damals" aufgrund äußerer Umstände deutlich länger für die Lektüre benötigt habe. Auch wollte ich noch eine Rezension des Romans schreiben, wozu ich ebenfalls noch nicht gekommen bin. Auf jeden Fall wären deine Lektüreeindrücke hier sehr willkommen!


    Vergnügliches Lesen,


    Christian

    Gerade ein Forum an Klassikerfreundinnen und -freunden müsste ein guter Resonanzraum sein zu einem Fragenkomplex, die mich umtreibt:


    Nimmt die Intensität der Lektüre mit zunehmendem Alter ab?


    Es gab in meiner Jugend Lektüreerfahrungen, die in ihrer Intensität Weltoffenbarungen waren. Nach der Lektüre von "Welt als Wille und Vorstellung" hatte ich ein Gipfelerlebnis, das Gefühl, die Welt aus der Vogelperspektive zu sehen und zugleich in ihrem Innersten zu verstehen. In Anna Karenina habe ich mich verliebt. Die Welt von Dickens "Bleak House" war so erschreckend düster, dass ich den Roman erst gar nicht weiterlesen konnte. All das waren unmittelbare Erfahrungen, die direkt, ohne Filter, auf mich gewirkt haben.


    Und heute? Heute gibt es schon die Freude über einen guten Aufbau einer Geschichte, über schöne Sätze, einen gelungenen Charakter, durchaus auch mal Gänsehaut bei einer guten Passage. Aber durchaus seltener. Auch seltener, dass mich ein Buch wirklich in seinen Bann zieht.


    Weil ich anspruchsvoller geworden bin? Abgestumpfter?


    Wie geht euch das? Habt ihr auch mit 40, 50, 60 Lektüreoffenbarungen, wo euch ein Buch wirklich trifft wie die Axt das gefrorene Meer?


    Neugierig,


    Christian

    Na ja, Bildung hat ja noch andere Dimensionen. Sie ist z.B. eine Ressource, die grade in die Hände eines wohlhabenden, sich sozial abschließenden Klüngels wandert und damit wieder zum Privileg einer bestimmten Schicht wird.


    Dabei stünde sie jedermann/-frau offen heutzutage, der nur wollte. All die Bücher in Bibliotheken, im Netz - aber die "Ausgeschlossenen" ziehen dann doch lieber den Flachfernseher vor... Insofern: Vielleicht schließen sie sich ja selber aus?

    Hallo,


    bei Buch Habel in Wiesbaden werden gerade einige Bände Winkler Dünndruck verramscht (original eingeschweisst, KEINE Mängelexemplare).


    Habe heute erstanden:


    Heine, Gedichte (um 9 €)
    Hofmannsthal, Gedichte (11 €)


    Ausserdem da waren:


    Moritz, Anton Reiser
    Shakespeare, Komödien
    Melville, Moby Dick


    und noch ein paar Bände.


    Ich hoffe, das ist nicht der Anfang vom Ende dieser schönen Reihe...


    Gruss


    Christian

    Guten Morgen,


    ich suche nach einer zugleich ausführlichen wie auch für den interessierten Laien zugängliche Biographie Goethes - welche würdet ihr empfehlen? Den Conrady? Dürfte auch etwas Antiquarisches sein, heisst, mir geht Lesbarkeit über neuste akademische Erkenntnisse. Danke für eure Hinweise!


    Christian

    Schön, dass jemand "Madame Bovary" auch trist findet.


    Warum ist es schön, dass jemand KEINEN Zugang zu einem Buch findet? Wer an Flaubert herantritt mit dem Wunsch vieler Leser, "Identifikationsfiguren" zu finden, wird enttäuscht. Flaubert hält die Figuren bewusst auf Distanz zum Leser. Dennoch kann man mit Figuren wie Emma und Charles sehr wohl (oder um so mehr) mitempfinden. Die eigentliche Heldin bei Flaubert ist die Sprache, Madame Bovary ist ein Gedicht in Prosa. Ich empfehle Nabokovs Essay zu diesem Werk.


    Gruß
    Christian


    Trotzdem eine Frage in die Runde zur Erziehung der Gefühle, weil es bereits seit Ewigkeiten auf unserem SuB liegt. Sollte man sich das wirklich mal reinziehn?


    Beim "Reinziehn" wird den Reinziehenden vermutlich gähnende Langeweile anfallen - Flaubert will Satz für Satz gelesen werden, nicht heruntergestürzt wie, sagen wir, Frank Schätzing.


    Zitat

    Der Klappentext spricht zwar von einem Kunstroman...


    Was soll das sein?


    Zitat

    während unsere Befürchtung zum Überkandidelten neigt.


    Überkandidelt ist nur Salammbo und in Teilen Bouvard et Pecuchet - die "Education" ist allerbester Flaubert auf der Höhe von Madame Bovary und der Trois Contes.


    Falls die Frage war, ob man das Buch mit Gewinn lesen kann - man kann und man hat; mehrmals schon.


    Gutes Lesen,


    Christian

    Obwohl ich Madame Bovary für ein überragendes Kunstwerk halte, die Education sentimentale sehr mag und Flauberts Briefe an Louise Colet Leib-und-Magen-Lektüre sind, finde ich Salammbo unlesbar. Flauberts Wunsch nach dem mot juste hat sich bei diesem Werk in ein gelehrtenhaftes Sprachgeschwurbel übersteigert, mit bisweilen unfreiwillig komischen Effekten. Ich empfehle unbedingt die Lektüre des "Flaubert-Raben" (Haffmans), in dem - war es Volker Kriegel? Habe den Band gerade nicht zu Hand - jemand in Bezug auf Salammbo als ein Werk der Hochkomik und der Fallhöhe sprach.


    Also: Viel Spass mit Hamilkar und der "Urquappe" (ja, eine solche kommt vor...)


    Christian

    Auf den ersten hundert Seiten steckt von Niebelschütz die Themenkreise ab, die den Roman vermutlich bestimmen werden: Das Politisch-Ränkeschmiederische, das Amourös-Erotische, das Sagenhaft-Phantastische, das Gesellschaftliche.


    Das Ganze als eine Art Aufzug vor einem Hintergrund, der viel von einer barocken Theaterkulisse hat - allein das immer wieder erwähnte Wölkchen des symbolhaften Vulkans hat etwas Kulissenhaftes. Ich finde, der Roman hat Esprit und Lebendigkeit, ich höre beim Lesen in meinem inneren Ohr immer schnelle Sätze aus Barockkonzerten - freue mich aufs Weiterlesen!


    Christian