Literatur in Zeitschriften und Zeitungen

  • deutsche Zeitungen & Zeitschriften:


    Literarische Welt in "Die Welt"


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    Neue Zürcher Zeitung


    Brigitte


    englische Zeitungen & Zeitschriften:


    New York Times

  • Endlich beim Wort genommen


    Mehr als bloss eine Aktualisierung


    VON THOMAS GROSS



    Dostojewskis Roman "Der Idiot" entstand 1867/68 während eines mehrjährigen Auslandaufenthalts des Schriftstellers, unter anderem auch in der Schweiz. Gequält von Geldnot, Selbstvorwürfen und schlechtem Gewissen gegenüber seiner jungen Frau - es war die Zeit seiner heftigsten Spielsucht-Anfälle -, schockiert über den Tod der kaum drei Monate alten Tochter, erschien ihm dieses Romanvorhaben (auch finanziell) als letzter Hoffnungsschimmer. Die zentrale Figur, Fürst Myschkin, stellt nicht nur die Probe auf den wahrhaft guten Menschen in realistischem Umfeld dar, er sollte, Epileptiker wie der Autor selbst, einer der autobiographischsten Helden Dostojewskis werden - eine Art seelischer Selbstversuch.


    Die bei Ammann nun erschienene Neuübersetzung - keine zehn Jahre nach der letzten innerhalb der neuen Gesamtausgabe im Aufbau-Verlag - ist mehr als eine blosse Aktualisierung. Svetlana Geier, 1923 geboren, in Kiew aufgewachsen und seit Studienzeiten in Freiburg i. Br. lebend, geht die grossen späten Romane Dostojewskis mit einem klaren Konzept an: Sie will Dostojewski ungeschönt und ungeglättet wiedergeben, die Individualität der Figurenreden hörbar machen - näher ans Original gehen.


    Tatsächlich hat man gerade bei Dostojewski allzu lange und allzu konsequent übersetzt, was er - vermeintlich - sagen wollte, und nicht, wie er es wirklich sagte. Svetlana Geier nimmt dagegen Partei für den eckigen und kantigen Dostojewski, für dessen vielfach gebrochene Satzrhythmen, für auf den ersten Blick unlogisch wirkende Details und für den markigen Duktus einzelner Figuren. Das Resultat ist in der Tat erstaunlich, und es macht auf deutsch vielleicht erstmals spürbar, wie sehr dieser Dichter der Zerrissenheit auf jeder Zeile, in jedem Satz sprachlich zu erkennen ist. Endlich wird Dostojewski übersetzt, wie man auch Gogol - bei dem er vieles gelernt hat - übersetzen muss: als Künstler des sprachlichen Details, als Meister des Nicht-ganz-Korrekten.


    Ihre grosse Erfahrung mit sprachgewaltigen Autoren des 20. Jahrhunderts wie Belyi, Platonow oder Sinjawski kommt Svetlana Geier hier zugute. 1994 legte sie "Verbrechen und Strafe" (üblicherweise: "Schuld und Sühne") vor - die Titeländerung zugunsten des Wörtlichen war übersetzerisches Programm und wirkte nebenbei publicitywirksam. "Böse Geister" (früher: "Die Dämonen") und "Die Brüder Karamasow" sind angekündigt.


    "Verbrechen und Strafe" wurde mit mehreren Preisen gewürdigt. Offenbar stösst der Versuch, Dostojewski endlich beim Wort zu nehmen, auf dankbare Ohren.


    Quelle: Tages Anzeiger vom vom 20.03.96
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