Sarah Kirsch: Landwege. Eine Auswahl 1980 bis 1985 (Lyrik, 1985)
Die Lyrikerin Sarah Kirsch lebte von 1935 bis 2013. Sie erlebte ihre Sozialisation als Jugendliche und junge Erwachsene in der DDR und wurde als Erstunterzeichnerin gegen die Biermann-Ausbürgerung aus der SED und dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. 1976 wurde ihr Ausreiseantrag genehmigt, und sie siedelte nach ein paar Jahren in West-Berlin 1983 nach Dithmarschen in Schleswig-Holstein über.
Der vorliegende Band vereint Gedichte aus drei vorherigen Veröffentlichungen und umfasst 15 zum damaligen Zeitpunkt neue Werke.
Zum Inhalt:
Kirschs Themen in den Gedichten und rhythmisierten Prosatexten dieses Bandes sind Eindrücke auf Reisen (Frankreich, USA), Auseinandersetzung mit den Repressionen in der DDR, aber vor allem die Begegnung des Ichs mit der Natur und die Gefährdung der letzteren. Das Erlebnis der norddeutschen Landschaft und der unterschiedlichen Jahreszeiten steht in den späteren Gedichten dieses Bandes im Mittelpunkt. Neben der Zerstörung der Natur und der Sehnsucht nach ihrer heilenden Schönheit stehen auch Befürchtungen über das Schicksal des Menschen, auch infolge von Konsum und kriegerischen Konflikten. Dabei wird Kirsch nie harsch, sondern bleibt immer zurückgenommen. Scheinbar harmonische Stimmungen werden durch Kleinigkeiten entlarvt oder grausige Geschehnisse in sanfte Atmosphäre gehüllt.
Zur Form:
Die Texte sind frei gestaltet, reimlos und mit sehr zurückgenommener Interpunktion, wohl um die Leser dazu zu bringen, aufmerksamer und vielleicht mehrfach zu lesen. Dem gleichen Ziel gilt wohl der Zeilensprung als prägendes Stilelement. Dabei wird auch öfter absichtlich gegen die Satzgrammatik verstoßen, so dass man sich den Sinn manchmal zusammensuchen muss. Öfter sind die Texte kürzer als lang, aber es gibt auch bis zu zwei Seiten lange Werke. Nomen und Adjektive sind die Hauptbedeutungsträger.
Ein schönes Beispiel:
Leben
Der Wind öffnet und schließt
Unaufhörlich die Stalltür
Winseln und Stöhnen
Rings in den Lüften
Wellen durchlaufen den Körper
Eines fuchsroten Katers der über
Die ungeschnittenen Wiesen geht.
(Aus: Katzenleben, 1984)
Ich kann nicht mit allen Gedichten etwas anfangen, aber einige mag ich sehr wegen ihrer eigenartigen Schönheit und der gleichzeitigen Beunruhigung, die sie ausstrahlen.