Ingeborg Drewitz

  • Ingeborg Drewitz: Oktoberlicht oder ein Tag im Herbst (1969)

    Ingeborg Drewitz (1923-1986) scheint heute zu Unrecht etwas in Vergessenheit geraten zu sein, obwohl sie uns viel zu sagen hat. Sie veröffentlichte in den Fünfziger bis Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts zahlreiche Werke: Romane, Erzählungen, Dramen und Hörspiele, wofür sie ebenso wie für ihr gesellschaftliches Engagement viele Ehrungen erhielt. Sie engagierte sich für die Literatur durch die Gründung und den Vorsitz bei einigen Schriftstellerverbänden, setzte sich auch für Amnesty International ein. In ihren Werken steht die Auseinandersetzung mit der Nachkriegsgeschichte und der gesellschaftlichen Stellung der Frau im Mittelpunkt. Ihr bekanntester Roman ist „Gestern war heute. Hundert Jahre Gegenwart“, in dem sie die hundert Jahre aus der Sicht dreier Frauen schildert und dabei den Wandel des Frauenbildes in dieser Zeit beleuchtet.


    Inhalt


    In dem kurzen Roman „Oktoberlicht“ schildert die Autorin aus der Ich-Perspektive einen Tag im Leben einer Frau, die fünf Wochen nach einer schweren Operation – wohl Krebs und ahnend, dass sie nicht endgültig geheilt wurde – aus dem Krankenhaus entlassen wird und nun versucht, sich wieder in der „Freiheit“ zurecht zu finden. Der Roman spielt in West-Berlin, und er ist auch ein Roman dieses künstlichen Konstrukts, das einerseits für viele Einwohner der umgebenden DDR den Sehnsuchtsort der Freiheit und des Wohlstands darstellt und aber für seine eigene Bevölkerung auch eine Art Gefängnis – auch ihrer Erinnerungen und mehr oder weniger schuldhaften Verstrickungen - ist. Die Ich-Erzählerin verlässt morgens das Krankenhaus, kauft ein, auch neue Kleidung, besucht ihre beiden Töchter, von denen die ältere in einer Studenten-WG, die jüngere vorübergehend im Internat wohnt und erinnert sich dabei immer wieder an ihre Jugend und junge Erwachsenenzeit im Berlin des ausgehenden Weltkriegs und der Nachkriegszeit , an ihre gescheiterte Ehe mit ihrem halb-jüdischen Jugendfreund, den ihre Mutter und sie jahrelang verborgen hielten und dessen politische Untergrundarbeit sie unterstützte. Später besucht sie ihre Mutter im Altenheim, geht in die Redaktion, wo sie arbeitet und trifft sich mit ihrem Chef, der einen Reiseauftrag für sie hat. Am Abend schließlich besucht sie eine Theateraufführung, in der ihr Mann, früher ein gefeierter Schauspieler, jetzt durch Trunksucht zum Komparsen degradiert, auftritt und verbringt den Restabend mit ihm in einer Kneipe und später an der Havel.


    Meine Meinung


    Eine durchaus intensive Lektüre, die einmal mehr die innerliche Zerrissenheit der im Krieg aufgewachsenen jungen Menschen der Nachkriegszeit verdeutlicht. Meist lakonisch, mit Sinn für kleine Gesten erzählt, an manchen Stellen, in denen Natur und Stadt geschildert werden, fast ein wenig expressionistisch. Eine Autorin, die es verdient, im Blick zu bleiben!

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)