Die Zitierweise des Titels zeigt an, welche Edition mir vorlag: es ist die aus der Edition Suhrkamp. Einige andere deutsche Ausgaben nennen den Titel „Der alte Herr und das schöne Mädchen“. Gemessen am Originaltitel („La novella del buon vecchio e della bella fanciulla“) ist die Suhrkamp-Version die genauere; hauptsächlich ist ein „buon vecchio“ nicht schlechthin jede Art von „altem Herrn“. Das „buon“ transportiert also einen eigenen Sinn.
Dieser gute alte Herr aus einer Zeit, die sich auch ohne Nennung einer Jahreszahl auf den ersten Weltkrieg eingrenzen lässt, beginnt aus einer momentanen Faszination heraus ein Verhältnis mit einem schönen Mädchen, über alle Alters- und Klassenschranken hinweg; verführt sie wohl auch, was aber züchtig hinter dem Erzählhorizont bleibt, und gerät darüber in moralische Verwicklungen, die er auf zunächst zwei Wegen zu lösen sucht: er verschiebt das moralische Motiv auf seine junge Freundin, und er definiert seine Rolle als hauptsächlich geistig-moralischer, daneben aber auch als materieller Wohltäter. Die materiellen Wohltaten sind wohl klein, reichen aber aus, das naturbuntschöne Mädchen nach und nach in seidige Hüllen zu kleiden, was den guten Alten nicht wenig irritiert. In den zunehmenden Verwirrungen ereilt ihn ein mit einer verstörenden Traumvision verbundener Herzanfall, der ihn zu weiterer Kontemplation veranlasst. Aus ihr heraus beginnt er das Schreiben an einem opus maximus über das Verhältnis zwischen Jugend und Alter, voll von hochfahrenden unausgegorenen Ideen, und begonnen (!) mit einem monströsen Vorwort. Selbstverständlich bringt er die Arbeit nicht zu Ende, er stirbt am Schreibtisch über einer ungelösten Frage.
Italo Svevo, eigentlich Aron Hector Schmitz, gilt heute als einer der Väter der modernen italienischen Prosadichtung. Die Geschichte vom alten Herrn ist ein Spätwerk, wie es viele Spätwerke sind, in grundsätzlich heiterer, gelassener Sprache und Stimmung, voller ironischer Zuneigung zu dem Helden. Aber da ist noch etwas, was in den Feuilletons, die jede Neuauflage begleiten, etwas unter den Tisch fällt. An drei oder vier Stellen gibt es beiläufige Ausblicke auf die Schrecken der Zeit, in der die hübsche Geschichte spielt, denn im Hintergrund donnern buchstäblich die Kanonen. Der Schauplatz ist, wie wohl bei allem, was Svevo schrieb, die Stadt Trieste, und die Kanonen, die dort zu hören sind, donnerten entlang des Isonzo-Flusses. In den Isonzo-Schlachten von Mai 1915 bis zum November 1917 betrugen die Verluste auf beiden Seiten über eine Million Mann, am Ende ohne greifbaren territorialen Gewinn für eine der beteiligten Seiten. Eine in der Tat elegante Weise, Leser*innen klar zu machen, dass die Anekdoten von guten alten Herren und ihrer Techtelmechtel mit schönen jungen Mädchen nicht über die Maßen überhöht werden sollten. Altersweisheit eben.