Rilke "Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen"

  • Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
    die sich über die Dinge ziehn.
    Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
    aber versuchen will ich ihn


    Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
    und ich kreise jahrtausendelang;
    und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
    oder ein großer Gesang.


    Also ich versuche grade dieses Gedicht zu Interpretieren. Aber habe ich doch einige Probleme. Ich hoffe jemand kann mit "HINWEISE" oder "TIPPS" geben.
    Schon mal im voraus Danke :sonne:

  • ein gutes literaturlexikon sollte zu den stundenbüchern, -daraus stammt es ja-, erste hinweise geben. ZB das kindler-lexikon literatur online deutet deutet die frage "bin ich..." als ein problem der selbstfindung, wobei das lyrische ich der betende bzw. der dichter selbst ist. Ich habe mal nachgeschaut: es gibt eine umfangreiche literatur zu rilke und gott.
    ZB im kapitel "rilkes 'gott'" in gertrud höhler, niemandes sohn - zur poetologie rainer maria rilkes-, wird dies ausführlich behandelt:
    S.127: "Die hauptelemente, aktivität beim menschen, verfügbarkeit des gottes, verteiltheit des gottes im greifbaren, nicht entrücktsein im unerreichbaren und unzuträglichem, finden sich jedenfalls wieder. Es wird sich noch zeigen, daß die aktivität des menschen, von der ein gott abhängen soll, ein durchgehendes motiv bei rilke bleibt- Im 'buch vom mönchischen leben' macht diese menschliche aktivität und überlegenheit, hier in zeitlicher chiffre gefasst, gleich den auftakt: 'ich kreise um...'. Was dieser sprecher ist, das muss er selbst noch ergründen: vielleicht aber 'ein großer gesang', also ein kunstwerk. 'Jahrtausendelang', das ist jene überlegene dimension, dem göttlichen ohne weiteres gegenüber oder doch zumindest an der seite des göttlichen zu denken: denn menschlich ist diese dimension nicht"...
    gott ist "ding der dinge" und ding bezeichnet verfügbarkeit, manipulierbarkeit..."gott weilt als zutat im kunstwerk, nicht als sine substanz. Der gott wird zugleich- als 'ding' im sinne rilkes...stoff, den der künstler handhabt"..."Der künstler erreicht also in der vollendung des bauwerkes gott seine eigene vollendung...eine aktive äußerung gottes auf den menschen hin völlig ausgeschlossen"...gott-künstler ein sohn-vater-verhältnis (!)..."Gott erhält als erbe die welt, deren höchste steigerung die künstler leisten..."Dieser gott ist ein gott ohne zeugnis und lehre...Dies hat zur folge, daß ein anspruch dieses gottes, heilsgeschichte für den menschen zu begründen, nicht möglich wird. Rilkes gott ist aus der zeitlichen in die räumliche dimension transponiert; er hat keine geschichte ohne den menschen und er erreicht den anfang seiner geschichtlichkeit erst mit der vollendung der menschen durch den künstler"..."Gott als bloße 'richtung' wird niemals zum aufenthalt für den emporstrebenden künstler. Auch als ziel wäre er ein halt, eine endgültige begrenzung für den 'arbeitenden'. Eben dies darf aber in rilkes vorstellungen keinen platz finden. Deshalb formuliert er....dieses paradox von der 'ziellosen' arbeit, deren sinn keineswegs mit dem ziel entweicht, wahrscheinlich sogar im ziel vernichtet wäre".


    Sicher erscheint, daß man zum vollen verständnis auch die übrigen texte des buches benötigt. Auch kann man wohl annehmen, daß neben rein religiösen auch noch andere deutungen existieren, zB solche, die mehr gewicht auf die rolle des dichters legen.
    Ich bin -als laie - auf harold blooms "einflußangst" gestoßen. Eine theorie der dichtung, die gedichte als arbeit der "einflußangst" sehen (der angst von einem größeren dichtervorgänger beeinflußt zu werden bzw selbst zu beeinflussen). Er würde vielleicht hier in gott etwas anderes als die religionsfigur sehen. Aber nicht, daß ich blooms theorie verstanden hätte. Zuviel psychoanalyse, -an die ich nicht glaube.
    gruß hafis