Anmerkungen zu Schillers Briefen "über die ästhetische Erziehung" (Brief 1)

  • Schillers "Briefe", zunächst als sogenannte "Augustenburger Briefe" an den Erbprinzen Friedrich Christian von Augustenburg als Dank für eine dreijährige finanzielle Unterstützung gerichtet und nach deren Verlust durch einen Schlossbrand stark überarbeitet in den Horen veröffentlicht, wollen "das Schöne und die Kunst" theoretisch untersuchen. Ursprünglich beabsichtigte Schiller dort weitermachen, wo Kant resigniert hatte: das Schöne aus dem Begriff der (praktischen) Vernunft abzuleiten. In den dann von ihm veröffentlichten "Briefen" lässt Schiller Kants Begrifflichkeit dann hinter sich und entwickelt seine eigene Form. Schiller ist in erster Linie Dramatiker. D.h. seine Kreativität entfaltet hauptsächlich dramaturgisch und dialogisch. Man sollte daher darauf achten, dass er seine Ausführungen inszeniert und dabei eine bühnenmäßige Dialektik einsetzt. Meines Erachtens sind die spektakulären Gedankengänge Schillers noch kaum erschlossen. Diese Ausführungen sind ein Versuch, einiges davon vorzustellen.


    Zu Brief 1
    Auch wenn Schiller sich auf Kant beruft, so legt er Wert darauf, als selbstständiger Denker wahrgenommen zu werden, so wie er auch die intellektuelle Selbstständigkeit seines Adressaten respektiert und schätzt. Denn das Verhältnis des Dichters zu dem Philosophen ist durchaus ambivalent. Die Philosophie dient als Hilfswissenschaft, um die Schönheit theoretisch zu beleuchten, tatsächlich aber zerstört sie dabei ihren Gegenstand. Anders ausgedrückt entzieht sich das Ästhetische als der Erscheinung und dem Sinnlichen verhaftetes Phänomen der eindeutigen begrifflichen Fixierung. Interessant ist die Frage, warum Schiller trotzdem diese theoretische Anstrengung unternimmt. Eins aber ist klar: Wenn jemand dazu berufen ist, sich hier zu Wort zu melden, dann der Künstler, d.h. Schiller, eher als der Philosoph, Kant.


    [Wer einigermaßen mit Panajotis Kondylis' Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus vertaut ist (vgl. http://blog.litteratur.ch/WordPress/?p=7162), der registriert, dass Schiller gegen Kant im 1. Brief eine genuin europäisch-aufklärerische Position hinsichtlich der Aufwertung der Natur und eines mystischen ("geheimnisvollen") "Bundes der Elemente" im Bereich der Schönheit vertritt, während für Kant die menschliche Natur einen durchaus negativen, vernunftunzugänglichen Status (ganz im Sinne des traditionellen, voraufklärerischen Dualismus) einnimmt. Diplomatisch ausgedrückt interpretiert Schiller Kant um, faktisch zieht er ihm den Boden unter den Füßen weg, auch wenn er mit Kants ethischen Prämissen übereinstimmt. Grob ausgedrückt inszeniert Schiller einen dramatischen Dialog zwischen Kants (bzw. auch dem klassischen platonischen usw.) Dualismus (Vernunft bzw. Verstand vs. Sinnlichkeit) und dem optimistischen Monismus der Aufklärung (Rehabilitierung der Sinnlichkeit), um Kunst und Künstler und sich selbst in dieser Auseinandersetzung zu verorten.]