António Lobo Antunes

  • ...gehört zu meinen bevorzugten Autoren. Das jüngste seiner jeweils im Herbst vorgelegten Bücher, "Welche Pferde sind das, die da werfen ihre Schatten aufs Meer", ist ganz ausgezeichnet geraten.


    Das Buch gehört die die allererste Reihe der Werke von António Lobo Antunes, vielleicht ist es sein bestes überhaupt, jedenfalls aber das reifste.


    Thematisch geht es wiederum um die Auflösung traditionell geprägter Familienstrukturen im Übergang Portugals in eine Neuzeit, von der es über weite Teile des 20. Jahrhunderts durch das repressive und reaktionäre Salazar-Regime bewusst abgeschnitten war. Der Vater tot, die Mutter im Sterben – die Generation der Kinder versammelt sich um das Sterbebett, und die in inneren Monologen entfalteten Bewusstseinsströme überlagern sich mit ihren Erinnerungen, Deformationen und Verletztheiten; Gier, Tod, Sucht nach Drogen und Glücksspiel, unterdrückte und abirrende Sexualität finden darin ihren Ausdruck. Selbst Tote erhalten das Wort, und schließlich auch Mercília, die alt und hinfällig gewordene, die Generationen überdauernde Dienstmagd mit ihrer obskuren, in die Familiengeschichte hineinreichenden Herkunft, und von der bald deutlich wird, dass sie eine Art Pol im Wirbel individueller Perspektiven ist. Und wie ein Maler, der bewusst auch über den Bilderrahmen hinaus streicht, verlassen die Bewusstseinsströme der Protagonisten wiederholt das Format des Buches, indem sie den Autor namentlich einbeziehen – was wäre, wenn António Lobo Antunes diese Seite nicht zu Ende schreiben würde, könnten wir dann niemals sterben?


    Das alles ist keine einfache Literatur, aber wer die sucht, wird Bücher dieses Autors vermutlich erst gar nicht in die Hand nehmen. Wer aber die Technik, konventionelle Erzählweisen in kleine, sich wiederholende und mehrfach gespiegelte Erinnerungsstückchen aufzubrechen und diese einem Rhythmus mit Wiederholungen, Steigerungen und Verfremdungen zu unterwerfen, als legitimen sprachlichen Ausdruck anerkennt, wird dieses Buch sehr schätzen. Diese sehr eigentümliche Erzählweise von António Lobo Antunes habe ich jedenfalls nirgends reifer und souveräner erlebt, als hier.


    Dem mit dem Werk des Autors vertrauten Leser kommt dieses Buch spürbar entgegen: zwei der Romane aus jüngerer Zeit wirkten formal deutlich zerfahrener: der „Archipel der Schlaflosigkeit“ und besonders „Mein Name ist Legion“. Meinem Eindruck nach liegt die formale Komplexität etwas über dem des „Handbuchs der Inquisitoren“ oder dem des „Natürlichen Gangs der Dinge“, sie entspricht etwa dem in „Geh nicht so schnell in diese Dunkle Nacht“ – woran einige Motive, die die Thematik sowie die Charakterisierung und die Genealogie der Personen betrifft, auch deutlich erinnern. Man kann fast den Eindruck gewinnen, dies hier sei eine verbesserte Version des genannten Buches aus dem Jahre 2000.


    Möglicherweise ist dies das letzte Buch, das António Lobo Antunes geschrieben hat. Einige beiläufige Bemerkungen im Text könnten so verstanden werden. Wenn das der Fall sein sollte, dann wäre das einerseits schade. Andererseits wäre es ein Grund für eine tiefe Verneigung vor dem Gespür des Autors für einen grandiosen Schlussakkord.

  • Moin, Moin!


    ...gehört zu meinen bevorzugten Autoren.


    Schön, daß ich nicht allein auf weiter Flur bin.


    Zitat

    Möglicherweise ist dies das letzte Buch, das António Lobo Antunes geschrieben hat. Einige beiläufige Bemerkungen im Text könnten so verstanden werden. Wenn das der Fall sein sollte, dann wäre das einerseits schade.


    Nanu, bei einem Vielschreiber wie Lobo Antunes wäre das ja fast ein Wunder. Und in der Tat schade, wenn ich auch noch arg im Verzug bin, seine Bücher zu lesen.


    Mitte Oktober mußte ich aus bekannten Gründen die Lektüre von "Fado Alexandrino", meinem 13. Buch von ihm, abbrechen.