Very entertaining, very wrong indeed - Bill Bryson's fragwürdiges Sprach-Varieté
Von Otto Hansen
1990 veröffentlichte der amerikanische Journalist und Buchautor Bill Bryson „Mother Tongue“, eine auf Unterhaltungswert ausgelegte Reise durch die Untiefen der englischen und anderer Sprachen. Auf der Website eines großen Internet-Buchversands finden sich zum Zeitpunkt dieser Rezension zu Bill Brysons populärwissenschaftlichem Buch über hundert Kundenrezensionen, nicht wenige davon sehr kritisch. In Anbetracht der Tatsache, dass das Buch Bestseller-Status hat und inzwischen sogar auszugsweise in deutschen Schulbüchern erscheint, ist es wichtig zu erwähnen, dass Brysons Werk von ernstzunehmenden linguistischen Fehlern nur so wimmelt. Andere Rezensenten haben im Internet schon Beispiele gegeben. Ich möchte mich in meiner Rezension nur auf Chinesisch und Deutsch beschränken, zwei Sprachen, die ich spreche. In der Tat ist es so, dass Bryson bei nahezu jeder Gelegenheit, bei der er in seiner Publikation auf chinesische oder deutsche Sprache zu sprechen kommt, grundsätzlich Falsches zu Papier bringt. Nur ein Beispiel, aber ein sprechendes, für Brysons Kommentare zum Deutschen: Deutsche Wörter richtig zu schreiben sind entweder Bryson oder sein Setzer nicht in der Lage: „Wirtschaststreuhandgesellschaft“ (sic), „Kriegsgefangenanentschädigungsgesetz“ (sic). Und wie jeder Deutsch Sprechende bestätigen wird, kann, anders als Bryson behauptet, von den drei Bandwurmwörtern „Wirtschaftstreuhandgesellschaft“, „Bundesbahnangestelltenwitwe“ und „Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz“ nur das letzte als „jawcrunching“ bezeichnet werden, da die zwei ersteren reine Behördenwörter sind, die gar nicht Teil mündlicher Kommunikation sind. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass es Bryson gelingt, bei der Nennung von nur drei fremdsprachlichen Fügungen auf einer einzigen Buchseite vier Falschinformationen zu produzieren, - was nicht nebensächlich ist, da es Bryson um die Erzielung eines komischen Effekts geht, die fehlgegangenen Beispiele also als regelhaft für die jeweilige Sprache im Lesergedächtnis haften bleiben sollen. Eine solche Falschinformation über eine Sprachgemeinde, die den Zweck verfolgt, diese zu karikieren, darf schon fast als chauvinistisch bezeichnet werden.
Zum anderen ist es in „Mother Tongue“ in der Regel so, dass Bryson es bei dieser Art von fehlergespickten Schmankerln belässt. Man kann zu dem Schluss kommen, dass Deutsch, oder auch vielleicht jede andere Sprache, voller Absurditäten ist. Aber man muss sich die Mühe machen, Angelesenes von sprachkundigen Fachleuten gegenlesen zu lassen. Dass dies bei einem Buch, das nacheinander von den drei Verlagen William Morrow, Hamish Hamilton und Penguin verlegt wurde, nicht der Fall gewesen ist, ist nicht nur ein Infotainment-Skandal ersten Ranges, neben dem Autor diskreditiert es das Verlagswesen. Wie ein Rezensent schrieb: Bill Bryson's „Mother Tongue“ wimmelt derart von Fehlern, dass man sich fragt, was man dem Schreiber überhaupt noch glauben soll.
Schlimmer, weitaus schlimmer, machen sich die Fehler aus, die sich Bryson in Bezug auf das Chinesische erlaubt, eine Sprache, die er als wohlfeiles Material zum Zweck der Exotisierung übel zurichtet. Im bibliographischen Anhang des Buches vermerkt Bryson ein einziges Werk zum Thema Chinesisch, Diane Wolffs „Chinese for Beginners“. Das Buch erschien sechzehn Jahre, bevor Bryson „Mother Tongue“ veröffentlichte. Aber selbst das Sprachanfänger-Niveau, das von einem veralteten Sprachlehrwerk von 1974 hätte vermittelt werden können, unterschreitet Bryson spektakulär. Um es in einem Satz zu sagen: Er hat nicht die mindeste Ahnung von dem, was er beschreibt. Die Fehler hier aufzulisten soll nicht erbsenpickend den Rezensenten adeln, eine gründliche Bestandsaufnahme zeigt vielmehr drastisch, inwieweit jegliche Lesererwartung in Hinblick auf Autorengewissen und Seriosität hier fehlinvestiert ist:
1.Das Geräusch, das eine Flasche macht, die jemand entleert, kann im Chinesischen niemals mit „gloup-gloup“ umschrieben werden, wie es Bryson notiert, denn das Chinesische kennt keine Silbe der Schreibung „gloup“. (Das gesuchte Wort heißt vielmehr „dong dong“). Jeder, der sich auch nur in Ansätzen mit dem Chinesischen auseinandersetzt, und selbst jeder, der, wie Bryson, eine seit sechzehn Jahren überholte Einführung in die Sprache Chinesisch gelesen hat, müsste auf den ersten Blick sehen, das „gloup“ ein Konsonanten-Cluster enthält („gl“), im Chinesischen grundsätzlich eine Unmöglichkeit.
2.„All Chinese dialects are monosyllabic“ behauptet Bryson, um dann fortzufahren: „which can itself be almost absurdly limiting“. Nicht nur widerspricht Bryson hiermit der von ihm selbst an anderer Stelle vertretenen Meinung, dass jede Sprache in der Lage sei, auszudrücken, was es auszudrücken gibt, (eine Ansicht, die wohl von den meisten Linguisten unterschrieben würde). Schwerer wiegt, dass Brysons Behauptung selbst keinerlei Sinn macht. Nicht eine Sprache, sondern nur ein Wort kann monosyllabisch sein. Was Bryson eventuell zu seiner Aussage gebracht hat, ist die Tatsache, dass im Chinesischen tatsächlich je ein Schriftzeichen eine chinesische Silbe wiedergibt, während im Deutschen, Englischen etc. Buchstabengruppen diesen Zweck erfüllen. Es ist in etwa so, als wenn wir das Wort „Gulaschsuppe“ nicht mithilfe von zwölf Buchstaben, sondern unter Verwendung von nur vier Silben-Zeichen schrieben, von denen eins den Lautwert „Gu“ hätte, das zweite die Lautung „lasch“, das dritte „sup“ und das vierte „pe“. Daran ist nichts absurd oder einschränkend, denn bedeutungsunterscheidend sind letztlich im Chinesischen (wie in jeder Sprache) größere Lautgruppen (Phoneme), nicht Silben. Das lässt aber natürlich das Chinesische auffällig unexotisch erscheinen, weshalb Bryson es wohl bei seiner mythischen Missinformation belässt.
3.Der Peking-Dialekt, meint Bryson, „demands that all words end in an 'n' or 'ng' sound“. Ein seltsames Stück Information. Wenn man äußerst wohlwohlend ist, könnte man sagen, Bryson hat insofern recht, als im Peking-Dialekt „some words end in an 'er' sound“. Aber das ist etwas völlig anderes, oder?
4.Bryson beklagt sich über die Probleme, mit denen das chinesische Schriftzeichensystem geschlagen sei. Ein Schriftzeichen, das zwei Frauen darstelle, bedeute „sich streiten“, eines, das drei Frauen darstelle, „Tratsch“. Diese Probleme entstehen nur deshalb, weil Bryson (peinlicherweise) antik-chinesische Schriftzeichen untersucht, die seit Tausenden von Jahren nicht mehr in Gebrauch sind, und weil er unterstellt, dass sich irgend jemand beim Chinesisch-Lesen noch Gedanken darüber mache, welchem Bildinhalt die Zeichen ihren Ursprung verdanken. Wieder antikisiert und entgeschichtlicht Bryson China, man könnte sagen, hemmungslos. Man könnte sogar sagen, in stigmatisierender Absicht. Es ist in etwa so, als ob Bryson Engländern unterstellte, sie verständigten sich nach wie vor , indem sie Runen in Steine grüben, oder als ob es einen Engländer verwirren könnte, dass „can“ sowohl „können“ als auch „Dose“ bedeutet.
5.Chinesische Wörterbücher, beklagt sich Bryson, seien „something of a nightmare“. „Without an alphabet, how do you sensibly arrange words?“ Die Antwort ist: indem man im Chinesischen die Anzahl der Striche zählt, aus denen sich ein Schriftzeichen zusammensetzt, und indem man die Einzelteile (Pian Pang), aus denen sich komplexe Schriftzeichen aufbauen, nach Anzahl der Striche sortiert. Verblüffend einfach, verblüffend funktional. Außerdem: Seit 1959, also lange bevor Bryson sein Buch veröffentlichte, gibt es eine leicht zu erlernende Buchstabenumschrift (Pin Yin) für das Chinesische, nach der seitdem Wörterbücher strukturiert und alphabetisch aufgebaut sind und auch alle Schulkinder die chinesische Lautung im Erstunterricht lernen. Vom Chaos, das laut Bryson unweigerlich entstände, wenn die Sekretärin in einem chinesischen Büro stürbe, kann – und konnte nie – die Rede sein. „If the secretary dies, the whole office falls apart“, sagt Bryson. Das ist lächerlich. Seltsamerweise hat Bryson schon von der japanischen Buchstabenumschrift Katakana gehört, während ihm, fast ein halbes Jahrhundert nach ihrer Einführung, die chinesische Buchstabenschrift Pin Yin unbekannt ist. Das ist ärgerlich. Auch hier wieder nährt sich der Verdacht, dass Bryson manipulierend Fakten unterschlägt, um China „antik“, Japan modern erscheinen zu lassen. Während Chinesen, laut Bryson, daran scheiterten, eine chinesische Schreibmaschine zu konstruieren (an sich eine wunderbare und zutreffende Beobachtung!) erwähnt Bryson erst beim Thema Japanisch, dass Japaner das Buchstaben-Katakana benutzen, um mittels eines Umwandlungprogramms japanische Schriftzeichen in den Computer einzugeben. Japaner – Computer, das passt. Chinesen – noch nicht mal eine Schreibmaschine (- vermutlich Pinsel), das passt auch. Allerdings bedienen Chinesen in exakt derselben Weise Computer wie Japaner, mittels Pin Yin und eines Schriftumwandlungsprogramms. Was Bryson unterschlägt.
6.Das chinesische und japanische Schriftsystem ist nicht, wie Bryson auf derselben Seite behauptet, idiographisch (ein Schriftzeichen steht für eine Idee). Es ist - ganz unspektakulär - eine Silbenschrift, ein Faktum, das Bryson, wie übrigens auffällig vielen Europäern, die Sprache ihres geheimnisumwitterten Zaubers zu berauben scheint, weshalb er es einfach ignoriert.
7.„An equally useful advantage of written Chinese is that people can read the literature of 2,500 years ago“, weiß Bryson. Und irrt sich wieder. Im kommunistischen China wurden die „Langzeichen“ des chinesischen Schriftsystems in, so die Hoffnung, leichter zu erlernende „Kurzzeichen“ umgewandelt, mit dem Ergebnis, dass Taiwanesen Konfuzius im Original lesen können, Festlandchinesen aber eventuell etwas länger dafür brauchen und, vor allem, die gelesenen Zeichen nicht selbst produzieren können. Dieser Umstand ist Spiegel der komplizierten politischen Geschichte Chinas, wiederum wirkt Brysons Ignoranz fast gewollt, so als ob er aus China wieder ein Kaiserreich machen wolle, voller, wie Hegel schon mutmaßte, von Geschichte und Modernität unangekränkelter Seidenmantelträger.
8.Mandarin-Chinesisch heißt auf Chinesisch nicht „guoyo“ (Bryson benutzt hier skurrilerweise, wenn auch fehlerhaft, die chinesische Buchstabenumschrift, von deren Existenz er eigentlich gar nicht weiß), sondern Guo Yu (Guo heißt Land, Yu Sprache).
9.Was heißt Telefon auf Chinesisch? Bryson weiß es („te le fung“) und fällt damit auf den ältesten Schuljungenwitz herein. Das ist peinlich, oder es ist Bryson schlicht egal. (Das korrekte Wort ist „Dian Hua“ (Dian heißt Elektrizität, Hua Sprache).
10.Ab und zu schwemmt Brysons zugegebenermaßen unterhaltsamer und wortgewandter Schreibstil tatsächlich puren Chauvinismus an die Oberfläche, wie in der auf Seite 184 nachzulesenden Einlassung: „Although English is capable of waffle and obfuscation, it is nonetheless generally more straightforward than eastern languages“. Man ist versucht zu versichern: das lässt man sich von einem Fachmann wie Bryson gerne erklären.
Zusammenfassend kann man zu des Autors Expertenvortrag sicherlich nur eines sagen, das, was ein Rezensent auf Amazon.com bereits angemerkt hat: „damaging“. Very, very damaging indeed. Oder, wahlweise auch: Die Idee war gut, doch der Autor nicht bereit. Zu bemerken ist jedoch, dass eine um Aufklärung, Redlichkeit und lektorierende Kompetenz in keiner Weise bemühte Buchindustrie der auch sozial sehr bedenklichen Schlampigkeit und Unwahrheiten produzierenden Effekthascherei eines Autors Vorschub geleistet hat. Denn, nicht zu vergessen, allein Brysons haarsträubende Mär von der ineffizienten altertümlichen chinesischen Sprache schürt Vorurteile gegen einen nicht unerheblichen Anteil der Weltbevölkerung. Das ist nicht nur nicht fein, es gehört nicht unterstützt.
Und als Postscriptum: Selbst im Englischen hat Bryson Wissenslücken, die in einer doch sicherlich irgendwann einmal lektorierten Buchveröffentlichung der Welt nicht unbedingt kundgetan werden sollten. So ist es keinesfalls wahr, dass das Wort „yuppie“ „scheinbar aus dem Nichts“ entstand. Es ist ein Akronym und bedeutet „young urban professionel“. Und auch schon im Jahr 1990 hat man den Lautunterschied zwischen dem th in „those“ und dem th in „thought“ nicht mehr als „weich“ beziehungsweise „hart“ bezeichnet, sondern als „stimmhaft“ beziehungsweise „stimmlos“. Vielleicht sollte man einmal alle Sprach-Peinlichkeiten, die sich Herr Bryson in einem seit 19 Jahren unverändert erscheinenden Buch erlaubt, internetweit sammeln und mitsamt einer Petition an Penguin schicken: „Lektoriert dieses Buch!“