WER WAR FRANZ SCHUBERT?
[Zitate aus Paul Stefan, Marcel Schneider]
Schuberts Lyrismus
Dieser unschuldige, dieser kindliche Mensch, der selbst dann noch in den Wolken schwebt, wenn er Essen in sich hineinstopft oder sich betrinkt: Er gehört nicht auf diese Welt. Die Musik sprudelt aus ihm heraus, als sei er nichts als ein Filter. Die Musik bemächtigt sich seiner, wie ein Geist von einem Medium Besitz ergreift.
Kraft und Wille?
Er träumt. Er träumt sein Leben, er träumt die Welt, träumt sich selbst. Er sucht nicht seiner Umgebung das Merkmal seiner Persönlichkeit oder der Zeit die Spur seines Daseins aufzuprägen: dafür fehlen ihm Dynamik und Machtwille. Er will gar nicht "wichtig" sein: vor allem will er seinem Traum von der Musik keine Hindernisse errichten.
Einer, der keinen Neid erzeugt
Schubert war naiv. Er rechnete nicht mit der Gleichgültigkeit des Publikums. Er rechnete nicht mit dem Neid, auch nicht mit der Feigheit und Leichtfertigkeit der anderen. Sie alle waren nur zu sehr darauf bedacht, Schubert im dunkeln zu lassen, in der Dunkelheit, darin Schubert sich begnügte zu leben und niemanden weiter störte. Wenn man zuweilen, auf Bitten seiner Freunde, etwas von ihm spielte, dann deshalb, weil man von diesem friedfertigen Träumer nichts zu fürchten hatte...
Doppelsinn
Schuberts Lyrismus ist unbefangen und bewußt zugleich, instinktiv aber auch klar geformt. Ein Lyrismus, der selbst in aller strahlenden Freude sich noch eine geheime Verwundbarkeit bewahrt. Schubert bringt die Essenz des Doppelsinnigen in uns und unserem Dasein auf Erden zum Ausdruck. Schuberts verwundbare Seele prägt seine Musik. In ihr sagt er offen heraus, wie es in ihm aussieht.
Magnetische Zustände
Caroline Pichler schrieb später: "Das, was Schubert aus der Tiefe seines Gefühls hervorgeströmt hatte, ein sehr schön komponiertes Lied, das kannte er nicht mehr, als man es ihm wenige Wochen später zeigte. So bewußtlos, so unwillkürlich ist dieses Hervorbringen, und man kann nicht umhin, hier an magnetische Zustände und jene geheimnisvollen Fähigkeiten der Psyche zu denken, die in ihr verschlossen und zusammengewickelt liegen, wie die Schmetterlingsflügel in der Puppe, bis sie einst, wenn die Puppe zerbrochen wird, sich entfalten dürfen."
Das Eigene nicht wiedererkennen
Über diesen MAGNETISMUS sprach Vogl, Schuberts Sänger, von einer Art "Hellsehen", als Schubert das eigene Lied, als er es mehrere Tage nach der Niederschrift bei einer Probe mit Vogl hörte, nicht wiedererkannte. Schuberts Eingebungen waren in der Tat die eines Visionärs. Die Ausführung geschah allerdings in der Arbeit eines genialisch wachen Bewußtseins. Vogl nannte Schuberts Lied-Vertonungen "göttliche Eingebungen". Es waren für ihn "Hervorbringungen einer musikalischen »clairvoyance«. Vogl bedauert, daß es in Wien keine brauchbare Singschule gab: Was müßten sonst Schuberts Lieder für allgemein ungeheure Wirkung machen. Wie viele hätten, schreibt er, "zum ersten Mal begriffen, was es sagen will: Sprache, Dichtung in Tönen, Worte in Harmonien, in Musik gekleidete Gedanken."
Magnetismus, Zauberei
Schuberts Flucht in den Traum vollzieht sich mitunter, ohne daß er sich dessen bewußt war. Er erlebte die großen Augenblicke seines künstlerischen Daseins: Man hat von Halluzination, von Persönlichkeitsspaltung und von Somnambulismus gesprochen. Es war nicht er, sonder ein anderer, es war ein zweites Ich, das von ihm Besitz ergriff, das sein genialischer Dämon war, Doppelgänger und Fremder zugleich. Spaun beschreibt in seinen Erinnerungen den Zustand der Halluzination, in dem sich Schubert befand, als sein Dämon (dem Phänomen der Kristallisation vergleichbar, ihm den Erlkönig eingab.
Kind und Riese zugleich
Er ist naiv. Er läßt die Dinge treiben. Seine Güte und seine Liebenswürdigkeit haben ihm in dieser Welt genau so viel geschadet wie seine Nachlässigkeit. - Nietzsche zitierte an Carl Spitteler ein Urteil über (den nach der Körperlänge 152 cm messenden) Franz Schubert: "Schubert ist ein Riese; aber er hatte keine Idee von seinen Dimensionen und seiner Kraft; ein Riese, der im Grase liegt, mit Kindern spielt und sich selbst für ein Kind hält." Schubert war in der Tat "naiv". Die Braut des Malers Kuppelwieser schreibt nach Rom: "Schubert und Schwind leben in einer offenen Feindschaft mit Bruchmann. Sie kommen mir beide vor wie Kinder."
Was tut die Welt für die Sonderbegabung?
Einer Begabung treu zu sein, heißt: auf Vieles verzichten. Seine Kraft bündeln. Es bedarf schon einer sehr starken Willenskraft, sich niemals um eine amtliche Stellung zu bewerben.
Wie motiviere ich die Umwelt?
Schubert wußte, daß er als Mann nicht viel galt. Aber er hoffte, daß die gebildeten Menschen seiner Zeit sich schon noch erwärmen und unter der lächerlichen Hülle das Genie erkennen würden.
Was wußten Musik-Profis, Zeitgenossen?
Was sagte die Fachwelt über Schuberts Kompositionen? Nichts. Musikalische Dilettanten wußten eher Bescheid um Schubert als sie.
Zwei Unzugängliche in Wien
Allerdings: Beethoven wußte, wer Schubert war: »wahrlich, in diesem Schubert steckt ein göttlicher Funke!» Schubert aber hatte eine Scheu vor der menschlich-wirklichen Berührung mit seinem Ideal. Die Art des ewig verwundeten Schubert... Im April 1822 wurde das Schubert-Opus 10 gedruckt: Vierhändige Variationen, Beethoven gewidmet. Schubert trug das Heft selber in Beethovens Wohnung. Doch sein Abgott war nicht zuhause. Schubert übergab den Notendruck einer Dienstperson. Beethoven hat dann mit seinem Neffen die Variationen oft und oft gespielt. Es ist vielleicht wienerisch, wenn Schubert klagte, Beethoven sei "unnahbar" gewesen - während man, (die Konversationshefte geben darüber Zeugnis), dem nachfragenden Beethoven sagte, daß Schubert "sich verstecke".
Schubert, der ideale Spielmann
Nietzsche in "Der Wanderer und sein Schatten" (155.): "Franz Schubert, ein geringerer Artist als die andern großen Musiker, hatte doch von Allen den größten Erfahrungsreichtum an Musik. Er verschwendete ihn mit voller Hand und aus gütigem Herzen: sodaß die Musiker noch ein paar Jahrhunderte an seinen Gedanken und Einfällen zu zehren haben werden. In seinen Werken haben wir einen Schatz von unverbrauchten Erfindungen; Andere werden ihre Größe im Verbrauchen haben. - Dürfte man Beethoven den idealen Zuhörer eines Spielmannes nennen, so hätte Schubert darauf ein Anrecht, selber der ideale Spielmann zu heißen."
Ratschläge der musikalischen Gesellschaft
Den Zeitgenossen war bei Schuberts Musik gar nicht immer "heimlich" zumute. Als Leopold Sonnleithner der "Gesellschaft" wieder einmal einen Chor von Schubert zur Aufführung vorschlug, hält der Sitzungsbericht der "Gesellschaft" fest: "Es ist zu wünschen, daß die angesagten Stücke des schätzbaren Herrn Schubert nicht zu düster seien." - Schubert zu Bauernfeld: "Kennen Sie eine lustige Musik? Ich nicht."
Sein Herz entblößen
Es genügt ja schon, sein Herz zu entblößen und niemand versteht uns mehr. Als Schubert im Herbst 1827 seinen Freunden die "Winterreise" vorsang: Da waren die Freunde befremdet. Wie einsam mußte sich Schubert selbst unter denen gefühlt haben, die ihn doch am meisten liebten.
Gemächliche Ruhe
Schuberts schmerzlich-süße, diese dunkle, melancholische, ja tragische Musik steht so ganz im Gegensatz zu dem anspruchslosen, in ruhigen Bahnen verlaufenden Leben des Musikers. Sein ganzes Wesen, sein Hang zu Freundschaft und Geselligkeit, seine gemächliche Ruhe lassen uns ein liebenswürdiges, durchscheinendes Werk von echt wienerischer Leichtigkeit erwarten. Statt dessen bietet Schubert der Nachwelt eine beunruhigende, eine erhabene Schöpfung. Sie ruft in uns ein unbestimmbares Heimweh wach. Nach dem verlorenen Paradies oder einer anderen Welt. Was sich der Analyse entzieht, was sich weder von der Zeit noch vom Milieu ableiten läßt: das ist es, was ihm als so ganz eigenes zugehört.
Am Rande des Abgrunds
Wie im Volkslied und in aller Sprache der Natur fließen in Schuberts Musik Lust und Trauer ununterscheidbar zusammen. Sie bewegt sich am Rand des Abgrunds, ohne je in ihn hinabzustürzen.- "welche Schönheit über der Tiefe der Todestrauer schweben kann!" (Walter Muschg).
Längen bei Schubert?
Schubert war ein lyrisches Talent. Er war kein Baumeister. So sind seine Bühnenwerke eher verfehlt. Und Nietzsche konnte sagen: "Die lange c-Dur Symphonie von Schubert ist langweilig, weil die einzelnen Sätze nur scheinbar im Ganzen, in Wahrheit nur im Kleinen, Einzelnen, ihre Berechtigung haben." Soweit Nietzsche. Auch Strawinsky hat zu den Längen in der Musik Schuberts etwas gesagt. Als man fragte, ob ihn die Längen nicht einschläferten, da antwortete Strawinsky: "Was tut's, wenn ich mich beim Erwachen im Paradies wähne?"
Schuberts Musik beschwört den Himmel
Wäre Franz Seraph (der Engelhafte) jemals nach Italien gekommen, ihn hätte, gleich uns, ein Gemälde Giovanni di Paolos in der Akademie der Schönen Künste zu Siena sehr beeindruckt: Er hätte das Paradies so geschaut, wie er es immer erträumte.
Der Schlafwandler
In seiner Arbeitszeit ist Schubert mit seinem Genius allein, auf einer Ebene, von der sich die Übrigen fernhalten. Schubert tritt aus sich heraus: in dieser zweifachen Gestalt erst wird er in den Augen der Nachwelt er selbst. Seine Freunde nahmen diesen Wandel Schuberts mit betroffener Bewunderung, ja mit Bestürzung war: "Wer ihn nur einmal an einem Vormittag gesehen hat, während er komponierte, glühend und mit leuchtenden Augen, ja selbst mit einer anderen Sprache, einem Somnambulen ähnlich, wird den Eindruck nie vergessen."
Schubert: ein lieber Luftikus?
Es gibt wienerische Wortklischees, Phrasen, wie das Gerede vom »gleichtmütigen Meisterlein Schubert« Er birgt, verbirgt alle Tragik Wiens, dieser Stätte seines Wirkens, die Tragik einer tief weltschmerzlichen Zeit, Tragik der eigenen Persönlichkeit, die in unablässigem Künstlerringen Höchstes begehrt und sich doch wohl zeitlebens früher Nacht und der Nachtseite aller Dinge nahe weiß. Blieb die eine sehnsuchtsdunkle Symphonie, blieb dieses ganze Leben unvollendet. ? Vielleicht war selbst das nur Schein vor dem höheren Sinn eines Schicksals.
Schubert: der Dümmliche?
Anton Ottenwalt über Schubert in Linz: "Wie er von Kunst sprach, von Poesie, von seiner Jugend, von Freunden und anderen bedeutenden Menschen, vom Verhältnis des Ideals zum Leben: - Ich mußte immer mehr erstaunen über diesen Geist, dem man nachsagte, seine Kunstleistung sei so unbewußt, ihm selbst oft kaum offenbar und verständlich...." Gewiß hat dieser Anton Ottenwalt von Schubert mehr geahnt als alle, die uns den gemütlichen, dumm vor sich hinschreibenden und zufällig von einem Einbläser verzauberten Schulmeister und Heurigentrinker beschert haben.
Der Schubertkreis
Die Bekannten und Freunde waren geistig angeregte Menschen, in Beziehung zu jeder Art Gesellschaft und zu allem Leben ihrer Zeit. Sie waren meist jung, froh, zukunftsgläubig, bewegt und bewegend. Eine Bohème, die sich nicht aufgab. Viele waren schon in Beamten-Rangklassen eingeteilt oder hatten doch ein reiches Leben noch vor sich. Wurde ein Neuer in den Kreis gebracht, so fragte Schubert kurz, sehr bezeichnend: »Kann er was?« Das bedeutete: Hat er, beiläufig, ein Recht, hier zu sein? Sich von den Banalen fernhalten: So kann man es nennen. Und die übrigen im Kreis? Schubert klagt (an Schober, der in der Fremde ist): Was soll uns eine Reihe von ganz gewöhnlichen Studenten und Beamten? Stundenlang hört man nur von Reiten und Fechten, Pferden und Hunden reden.
Kein Freund der Anpassung
Als einige Freunde fortgehen und es auch sonst Änderungen gibt, schreibt Schubert tadelnd über den Freund Bruchmann: "Er scheint sich in die Formen der Welt zu schmiegen, und schon dadurch verliert er seinen Nimbus, der meines Erachtens nur in diesem beharrlichen Hintanhalten aller Weltgeschäfte bestand."
Schubert: anspruchslos?
An den Freund Josef, der gerade von Linz wegversetzt worden war, schreibt Schubert: "Da sitz ich in Linz und schwitze mich halbtot in der schändlichen Hitz, habe ein ganzes Heft neuer Lieder und Du bist nicht da! Schämst Du Dich nicht? Linz ist ohne Dich wie ein Leib ohne Seele, oder wie ein Reiter ohne Kopf, wie eine Suppe ohne Salz. Wenn nicht der Jägermeyer so gutes Bier hätte und auf dem Schloßberg ein passabler Wein zu haben wäre, so müßte ich mich auf der Promenade aufhängen, mit der Überschrift: »Aus Schmerz über die entflohene Linzer-Seele«.....überhaupt ist es ein wahres Elend, wie jetzt überall alles zur faden Prosa sich verknöchert, wie die meisten Leute dabei ruhig zusehen oder sich gar wohl dabei befinden, wie sie ganz gemächlich über den Schlamm in den Abgrund glitschen. Aufwärts geht's freilich schwerer; und doch wäre dies Gesindel leicht zu Paaren zu treiben, wenn nur von oben aus etwas geschähe."
Österreich schläft
Keine Angst, es geschieht nichts. Österreich schläft. Stille. Ermüdung nach einem Stück Weltgeschichte: nach Napoleon. Schubert, der doch gesagt hatte: "Mich soll der Staat erhalten. Ich bin für nichts als das Komponieren auf die Welt gekommen..." - Österreich rührte für Schubert keinen Finger.
Das Gegengewicht gegen den Bruder Lustig.
Schubert trank, er verbrüderte sich. Er konnte nicht ohne Freunde und ihre Lustigkeit leben. Aber seine Unzugänglichkeit im Eigentlichsten und seine Schwermut nahmen zu. "Seine schroffe Weise," schrieb der Jugendfreund Holzapfel an Span, "kommt ihm sehr zustatten. Die Schubert näher kannten, wissen, wie tief ihn seine Schöpfungen ergriffen und wie er sie in Schmerzen geboren hat".
Die Schatten wachsen
1824 war Schuberts Krankheit ernster geworden. Seine Schwermut wuchs und bekam etwas Hoffnungsloses. Schubert schrieb an Kuppelwieser: "Denke Dir einen Menschen, dessen Gesundheit nie mehr recht werden will und der aus Verzweiflung darüber die Sache immer schlechter statt besser macht..." - Schatten legen sich von nun an über Schuberts Leben, das an Wonnen und Erhebungen ohnehin so arm war. Nie mehr bricht das alte Licht in seinem Glanz durch. Nur Freundschaft, heitere Natur, Glück im Schaffen lassen ihn vergessen und froher sein. Vielleicht sucht er nun auch mehr die Wirkung des Weins, der sein schlecht genährter Körper jedesmal rasch erliegt. Er war kein Trinker, aber er geriet in Trunkenheit, nicht nur in geistigen Rausch. Teilnahmslosigkeit und menschliche Dummheit, Gemeinheit der "realen" Welt gegen den Künstler: das waren die durchaus nicht geheimnisvollen Mitursachen seiner letzten Leiden.
Der Tod und das Mädchen
1825, bei der Jahres-Schlußfeier des Kreises, war Schubert nicht dabei. Er war krank, konnte aber zwei Wochen später an einem "Würstel-Ball", den Schober gab, erscheinen. - oder vielmehr: er mußte Walzer spielen. Das war, die ganze Nacht hindurch, eine rechte Plage, aber da er weder tanzte noch verliebt war, fügte er sich gern. Wiederum zwei Wochen später wurde Schuberts Streichquartett in d-Moll "Der Tod und das Mädchen" vor Freunden aufgeführt. Wer so ein Werk geschrieben hatte, gehörte nicht mehr ganz dieser Erde an. Wie lange konnte er noch unter Menschen, unter Menschen seiner Zeit, einhergehen? - Denn diese Musik, lange unverstanden, war erst nach Jahrzehnten dann plötzlich Gegenwart.
Dämonen, schwarze Flügel
Bauernfeld schrieb: "In Schubert schlummerte eine Doppelnatur. Kam der österreichische Charakter .. derb und sinnlich .. bisweilen allzu stürmisch zur Erscheinung, so drängte sich zeitweise ein Dämon der Trauer und Melancholie mit schwarzen Flügeln in seine Nähe - freilich kein völlig böser Geist, der in dunklen Wegstunden oft die schmerzlich schönsten Lieder hervorrief."
Die letzten Monate
Schuberts letzte Zeit: Äußerste Not, Krankheit, Vereinsamung dieses freundschaftssüchtigen Menschen. Er führt wieder ein Tagebuch. Zum Papier sprach Schubert nur, wenn er nicht zu Menschen reden konnte. Schubert schrieb ins Tagebuch: Ich hasse die Einseitigkeit jener Elenden, die glauben, nur eben das, was sie treiben, sei das Beste, alles übrige aber sei nichts.
Schubert über »Nähe«
"Keiner, der den Schmerz des andern und keiner, der die Freude des andern versteht! Man glaubt immer, zueinander zu gehen, und man geht immer nur nebeneinander. O Qual für den, der dies erkennt! Meine Erzeugnisse sind durch den Verstand für Musik und durch meinen Schmerz vorhanden. Jene [Erzeugnisse], welche der Schmerz allein erzeugt hat, scheinen am wenigsten die Welt zu erfreuen."
Aufbruch: Die Schläfer verlassen
Thomas Mann nannte "Die Winterreise" den schönsten Lieder-Zyklus der Welt. In der Radio-Auswahl seiner Lieblingsmusik brachte Thomas Mann Schuberts "Im Dorfe": Dieser Wandernde im nächtlich ruhenden Dorf ("Ich bin zu Ende mit allen Träumen / Was soll ich unter den Schläfern säumen?" ) ......
Ein unerfülltes Leben?
Grillparzer, der in seinem Grabspruch für Schubert von unerfüllten Hoffnungen sprach, ahnte nicht, daß gerade die in den letzten beiden Lebensjahren geschriebenen Werke Schuberts Ruhm in den Augen der Nachwelt begründen sollten. Moritz von Schwind, Schuberts Freund, schrieb später: "Je mehr ich jetzt einsehe, was er war, je mehr sehe ich ein, was er gelitten hat."
Staunen und Zweifel: Ungläubigkeit
Als Schubert tot war und bei Diabelli & Co aus dem Nachlaß nicht weniger als 50 Lieferungen erschienen, da wurden Zweifel laut: Ob es überhaupt möglich sei, daß ein Mensch von 31 Jahren das alles komponiert habe. Und die C-Dur-Symphonie war nicht darunter. Sie wurde erst später von Robert Schumann ausgegraben.
Genius der Tonkunst
»Der absolute Musiker Schubert ist nicht unvollendet. Er ist nicht Nachzügler oder Vorbereiter, sondern Vollender. Seine Vollkommenheit tritt fast unvermittelt ans Licht. Keine persönliche Entwicklung führt organisch zu dieser Vollkommenheit hin. Auch dies gehört zum Wunderhaften und rational Unerklärlichen seiner Erscheinung, daß Schubert nicht will und strebt und wählt, sondern gleichsam erwählt wird: Erwählt vom Genius der Tonkunst selbst, die nun in ihm aussingt als eigentlichste, als reinste, als weitgesuchte und doch nie gefundene Musik.« (Richard Benz)
FAZIT zum Phänomen Schubert
Bei Schubert, wie der englische Forscher George Growe es aussprach, bei Schubert sind wir der Musik näher als irgend sonst. - Und: was sprach Schubert einmal, beiläufig. vor sich hin: "Mir kommt es manchmal vor, als gehörte ich gar nicht in diese Welt."
Z u s a t z
Rumpelstilzchen
Die Gestalt »Rumpelstilzchen«, dieser hochbegabte Behinderte, läßt an Hemingway denken und seine story "DER SIEGER GEHT LEER AUS". Und Nietzsche sprach gar davon: »dem Siege davon- und dem Verhängnis in den Rachen laufen«.
Conrad Ferdinand Meyer
war ein Künstler der Absonderung, der wie Flaubert in der kühlen Abgeschlossenheit eines wohlhabenden Privatmannes hauste. Conrad Ferdinand mußte alle Kraft aufbieten, um sein inneres Zerwürfnis mit der Umwelt zu ertragen und das Gesicht zu wahren [Nietzsche: »je mehr Geist, desto mehr Leid«]. Conrad Ferdinands Schwester erzählt, ihr Bruder, schon berühmt geworden, ein Sonderling, habe in seinen glücklichsten Momenten, wenn er sich unbeobachtet glaubte, leise vor sich hingesungen: »Oh wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß!«
Jakob Burckhardt und "Aufgesparte Jugend": So nannte Jakob Burckhard, was die Künstler "geben". Paul Valéry meinte: Werke beginnen nach dem Tod des Künstlers zu wirken und zu leuchten aus Gründen, die der Urheber gar nicht beabsichtigt hat.
Fazit: Das Genie sagt mehr, als es vermeinte. Es spricht nicht für "heute", sondern für »lange Zeiten«, Menschen nennen es EWIGKEIT. Und oft spricht ein Künstler aus, was ihm selbst kaum bewußt war. Der Künstler macht seine Person im Werk überflüssig.