Sigit Susanto in der Schweiz

  • Die Welt bereisen und über Kafka nachdenken - Sigit Susanto, ein indonesischer Autor in der Schweiz


    http://www.goethe.de/ins/id/lp/prj/buk/lit/lin/de3654604.htm


    “Das Gefühl der Abgeschiedenheit und der Wunsch zu teilen – diese zwei Dinge sind es vor allem, die mich zum Schreiben bewegen.“ So lautet die Antwort von Sigit Susanto auf die Frage nach seinem Beweggrund zu schreiben. „Wie soll es auch anders sein, hier in der Schweiz treffe ich nur sehr selten Menschen aus Indonesien. Doch dafür steht eine Alternative zur Verfügung, ich kann mich über Mailinglisten an Diskussionen mit Landsleuten beteiligen, die natürlich auf indonesisch schreiben.“


    Im Juni 2008 war Sigit Susanto zuletzt in Indonesien, genau zu der Zeit, als seine jetzige Wahlheimat Schweiz von den Fußballfeierlichkeiten rund um die Europameisterschaften 2008 heimgesucht wurde. Während seines etwa einmonatigen Aufenthalts reiste er durch das Land und besuchte mehrere Städte auf Java. Dort stellte er jeweils sein neuestes Buch vor: Menyusuri Lorong-Lorong Dunia, Jilid 2 (deutsch etwa: „Den Gassen der Welt entlang, Zweiter Band“). Es ist der zweite Teil seines Buches mit entsprechend gleichlautendem Titel, das im Jahr 2005 veröffentlicht wurde. Dieses Werk kann als erfolgreich bezeichnet werden, es erhielt viel Lob seitens der Kritik sowie in Besprechungen und es verkaufte sich gut. Viele der Leser waren der Meinung, dass das Buch Menyusuri Lorong-Lorong Dunia eine Frische in die indonesische Literatur bringe, vor allem durch seine Reiseberichte, und es sei voller Spontaneität und Humor. Auch empfanden es viele als bereichernd und Horizont erweiternd, nicht zuletzt durch die Geschichten um die kleinen Dinge und Gegenstände des Alltags, denen Susanto in den Städten auf seinen Reisen begegnete.


    Kang Bondet, wie der 1963 geborene Mann vertraut genannt wird, scheint seine Schreibfertigkeit über das Schreiben in den Mailinglisten entwickelt zu haben. Er nimmt aktiv an mehreren Mailingforen teil, wenn er sie nicht gerade selbst mitbegründet. Unter anderem pflegt er das Forum apresiasi-sastra@yahoogroups.com, eine der größten Internet-Gemeinschaften zu indonesischer Literatur. Ein Teil seiner Texte wird über diese Foren verbreitet, sowohl in der Form von Reisenotizen, Buchkritiken und Interviews als auch in der Form von Artikeln aus der Welt der Literatur und Politik. Hier hat er die Möglichkeit über alles mögliche zu schreiben, über die Romane von J.M. Coetzee, Vladimir Nabokov oder Thomas Mann, oder über die aktuellsten Literaturneuigkeiten. Weil er in der Schweiz lebt, liest er die meisten englischsprachigen Romane in deutscher Übersetzung. In Indonesien werden seine eigenen Texte unter anderem in der Zeitschrift KoranTempo und der Literaturzeitschrift Imajio veröffentlicht.


    Kang Bondet lebt in der Schweiz, da er mit der Schweizerin Claudia Beck verheiratet ist. Die beiden trafen sich einst auf Bali, wo Kang Bondet sieben Jahre lang (1988-1996) als deutschsprachiger Reiseleiter arbeitete und für die Kunden des größten deutschen Reiseveranstalters, TUI-Service, verantwortlich war. Nach der Hochzeit verschlug es Kang Bondet dann in die Schweiz. Das Paar lebt heute am Ufer des Zuges-Sees in dem Land, das zu den reichsten der Welt gehört. Hier arbeitete Sigit Susanto fünf Jahre lang in einer Elektronikfabrik, bevor er seinen Beruf wechselte und nun mittlerweile bereits seit den letzten sechs Jahren gleichzeitig als Hamburgerkoch und als Gärtner eines Restaurants tätig ist.


    „Ich bin sozusagen aufgrund meiner Ehe im Exil und habe kein politisches Motiv,“ sagt er nonchalant über seinen Ortswechsel. „Doch ganz gleich ob man sich aus politischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder privaten Gründen im Exil befindet, es gibt eine Gemeinsamkeit, die sich nur schwer davon lösen lässt, es ist das Gefühl der Abgeschiedenheit, des Heimwehs, der Unbeweglichkeit, weil man nicht täglich seine eigene Sprache – in meinem Fall Indonesisch - benutzt.“ Verständlich, wenn Susanto heute das Gefühl hat, dass sein mündliches Indonesisch unbeweglich geworden ist. Einige Autoren aus Indonesien leben im Ausland, wie May Swan (Singapur), J.J. Kusni (Frankreich), Heri Latief (Niederlande) und der verstorbene Sobron Aidit. Sigit Susanto schrieb seine insgesamt vier Bücher in indonesischer Sprache; zwei davon sind die 2004 erschienenen Werke Sosialisme di Kuba (deutsch etwa: „Sozialismus auf Kuba“) und der Roman Pegadaian (deutsch etwa: „Pfandhaus“).


    Die Tantiemen aus seinen Büchern verwendet Susanto für den Kauf von Material und Ausstattung für das Leseforum Pondok Maos GUYUB, das er in seiner Heimat in Kendal, Zentraljava, gründete. Seit er in der Schweiz lebt, so gesteht er, sei sein Deutsch noch nicht ganz fließend geworden und er benutze es daher noch nicht als Schriftsprache. „Mein Interview mit dem syrischen Schriftsteller Rafik Schami, der in Deutschland im Exil lebt, wurde von einer Lokalzeitung abgelehnt, und erst ein einziges Mal wurde eine Kurzgeschichte mit dem Titel ‘Die Puppenschuhe’ in der Kölner Literaturzeitschrift Kita veröffentlicht.“ So berichtet Kang Bondet von seinen Schreibaktivitäten in der Schweiz. Unweigerlich verlässt sich Bondet daher mehr auf das Schreibmaterial von seinen Reisen, die er regelmäßig unternimmt, wann immer er in der Urlaubszeit die Gelegenheit dazu hat.


    „Von meinen Freunden in Indonesien, die schon mehrere literarische Werke geschrieben haben, wagt es noch keiner zu sagen, dass er von seinen Tantiemen leben kann. Ideal ist zu schreiben und parallel auf einem anderen Gebiet zu arbeiten wie es Kafka getan hat. Er arbeitete von morgens 8.00 Uhr und kam um 14.00 Uhr nach Hause, die übrige Zeit blieb ihm zum Schreiben.“ Jedes Mal, wenn Sigit Susanto nach Indonesien zurückkehrt, nimmt er sich die Zeit, um sich mit Autoren zu treffen, vor allem mit Dichtern und Schriftstellern, und er besucht Buchläden und Kollektive, schenkt ihnen Poster, Bücher, Postkarten, Tassen, T-Shirts und andere Merchandising-Artikel, wie Taschen, die eine Verbindung mit Literatur, Politik oder Kultur zeigen.


    Welchen Unterschied macht für Sigit Susanto das Schreiben von Fiktion und Nicht-Fiktion? „Die Welt der Fiktion ist eng verschränkt mit Empfindsamkeit, mit Vorstellungskraft und Phantasie, sie ist abstrakt. Daher hat sie ihren Platz im Herzen. Umgekehrt ist die Welt der Nichtfiktion sehr eng mit der intellektuellen, der realen Welt verbunden, sie ist enzyklopädischer Natur, wie ein Sachbuch, und sie lässt sich im Kopf verorten. Zwischen Herz und Kopf besteht ein Wettkampf um die Zeit, Werke zu schaffen.“ Susanto ist der Meinung, dass sein Werk „Pegadaian“ nicht hinlänglich gewürdigt wurde. Doch hat er seine Reisebeschreibungen in Menyusuri Lorong-Lorong Dunia Jilid 2 weiter entwickelt. Seine Notizen werden weitschweifiger, obwohl sich die Reiseziele verringern. Er erforscht auch die Art und Weise, den Texten freien Lauf zu lassen, in dem er tiefer geht und Gefühlstumulte zeigt.


    Für Sigit Susanto sind Reisen keine prestigeträchtigen Abenteuer. „Meine Art zu reisen ist nicht wie in Around the World in 80 Days, sondern gleicht eher der Art eines V.S. Naipaul. Hier werden Transportmittel und Übernachtungsmöglichkeiten beschrieben, und es gibt Notizen über das, was die Menschen vor Ort sagen.“ Er vergleicht Reisen mit dem Klettern auf einen hohen Kokosnussbaum: unterhalb des Baumes und in dessen Umgebung ist alles deutlicher zu sehen. Es scheint der Blick eines Menschen zu sein, der aus einer agrarischen Kultur stammt.


    Als ein gewöhnlicher Mensch vom Lande empfindet er es als aufregendes Abenteuer, wenn er die Häuser und Grabstätten von weltbekannten Persönlichkeiten oder Schriftstellern besucht. „In Indonesien liest man nur in Büchern von den weltberühmten Persönlichkeiten, sie sind fern jeder Realität, und erst recht können sie nicht besucht werden.“ Der Besuch solcher Orte, wie Häuser und Grabstätten, ist ein Ritual, das die Aufmerksamkeit Bondets völlig in Beschlag nehmen kann und ihn dazu bringt, vielen Dingen tatsächlich nachzugehen. Am Grab von James Joyce beispielsweise begab er sich auf die Spuren von Joyce in Europa bis er nach Irland übersetzte. In der Stadt, die er jeweils gerade besucht, nimmt er sich nahezu immer die Zeit dem Grab oder dem Haus einer Persönlichkeit einen Besuch abzustatten. „Im Grunde lehrt mich das Reisen wieder, mir die Bedeutung des interkulturellen Verstehens zu vergegenwärtigen,“ sagt der Absolvent der AKABA 17, einer Sprachakademie in Semarang, Zentraljava.


    Unter anderem übersetzt Sigit Susanto heute Werke von Franz Kafka direkt aus dem Deutschen. Bereits übersetzt ist Der Prozess und Brief an den Vater. Kafka ist tatsächlich Sigits Lieblingsautor neben James Joyce und Gustave Flaubert. Unter den etwa 2000 Büchern der Sammlung in seiner Wohnung befinden sich fast alle Werke von Kafka und alle liebt er. „Kafka spielt gewandt mit der inneren Sprache mit der Leidenschaft eines Verlierers, eines schwachen oder depressiven Menschen,“ so Kang Bondet über den Pionier des magischen Realismus. „Selbstverständlich sagt Kafka deshalb, dass das Schreiben wie das Eintreten in einen dunklen Tunnel sei. Er schreibt nicht mit feuriger Sprache, aber keins seiner Worte ist ohne Bedeutung.“ Kang Bondet beabsichtigt, sich intensiv mit den Werken Kafkas auseinanderzusetzen, ihm zufolge erschließt sich der Autor über Übersetzungen und er fügt hinzu: „Denn sein Geist liegt im Ausdruck der Wörter.“ Als Voraussetzung dafür, die Werke Kafkas zu übersetzen, besuchte er unter anderem deutsche Sprachkurse an der Bénédict Schule (Luzern), Migros Schule (Zug), OEKOS Schule (Zürich) und war als Gasthörer der Germanistik an der Universität Zürich im Wintersemester 2004-2005 eingeschrieben.


    Seit April 2006 besucht Sigit Susanto den Lektürekurs Ulysses der Reading Group der James Joyce Stiftung, Zürich. „Ulysses gilt als schwierig, doch hat er viele Generationen von Schriftstellern nach Joyce inspiriert. Man benötigt kommentierte Bücher, um ihn zu verstehen. Ich denke, die Komplexität des Ulysses liegt in der Gründlichkeit des Autors Joyce, verschiedene enzyklopädische Quellen einzuarbeiten, wie die Namen von Geschäften, Straßen, Parfummarken und Getränken, und bis zum heutigen Tag kann deren jeweilige Existenz in Dublin nachgewiesen werden. Neben verschiedenen technischen Experimenten begleitet das Schreiben eine melodische und akrobatische Sprache aus verschiedenen Sprachen.“


    Im Gespräch über Orte, die er bereits besucht hat, sagt Kang Bondet, sein Lieblingsort sei Venedig. „In dieser Stadt war ich schon sieben Mal. Die Verbindung aus alter Architektur, den Brücken und den Fluten von Flusswasser macht Venedig so anziehend über die Zeit, es wird nie langweilig.“ Auf seinen Streifzügen durch die Welt, besuchte Sigit Susanto bereits vier Zentren der Weltkultur: Griechenland, Ägypten, Indien und China. Momentan ist er von Chile fasziniert. „Dort gibt es nicht nur das Tal des Machu Picchu, sondern auch das Haus von Pablo Neruda. Schade, dass die Reise nach Lateinamerika teurer ist als die nach Asien,“ sagt er mit nachdenklicher Miene. Es könnte daher sein, dass er während der Vorbereitungen der Reise dorthin beabsichtigt, den dritte Band seines Werks Menyusuri Lorong-Lorong Dunia fertig zu stellen.


    Anwar Holid
    Berater für Buchforum/Forum-Buku
    lebt und arbeitet in Bandung, Indonesien