Diesen Artikel in der FAZ will ich Euch nicht vorenthalten. Ihr liegt also voll im Trend :zwinker:
In der stets verlustbeklagenden amerikanischen Buchbranche scheint es einen Bereich zu geben, der profitabel ist, krisenfest und daher hart umkämpft: die Klassiker. Angesichts meterhoher Stapel aktueller Bestseller in den Buchhandlungen und von Schaufenstern und Regalwänden voller millionenfach verkaufter Wegwerfliteratur ist das nicht unbedingt augenfällig. Doch bei Penguin Classics ist der Umsatz gegenüber dem Vorjahr um dreizehn Prozent gestiegen, der Buch-Supermarkt Barnes & Noble bringt seit einigen Jahren mit Erfolg eine eigene preiswerte Reihe mit Klassikern heraus, bestückt mit Werken, deren Urheberschutz ausgelaufen ist, und die Modern Library Classics verlegt inzwischen auch im Taschenbuch und verzeichnet hier ebenfalls steigende Umsätze. Da die Urheberrechte zum Beispiel an Jane Austens Büchern - "Pride and Prejudice" ist mit mehr als hundertzehntausend verkauften Exemplaren im vergangenen Jahr in zahlreichen verschiedenen Ausgaben einer der Spitzenreiter - längst erloschen sind, kann auch bei niedrigem Preis mit einem Klassiker ein prozentualer Gewinn erwirtschaftet werden, der höher ist als selbst bei aktuellen Bestsellern. Einen Rückschlag allerdings versetzte den Klassikerverlagen vor einigen Jahren der Kongreß, als er beschloß, daß der Urheberschutz für bestimmte Werke aus den zwanziger und dreißiger Jahren verlängert wird: Am "Großen Gatsby" oder an "Mrs. Dalloway" verdient nach wie vor kein Klassikerverlag. Den Lesern kann solcherlei gleichgültig sein, und selbst der Preis scheint den Grad der Klassikerbegeisterung nicht wesentlich zu beeinflussen. Die Library of America etwa, deren leinengebundene Bände amerikanischer Klassiker (für Abonnenten im Schuber) mit Preisen zwischen fünfunddreißig und fünfundvierzig Dollar nicht billig sind, meldet einen Umsatzsprung in den letzten beiden Jahren um mehr als zehn Prozent. Das Programm der Library of America, das auch die Schriften von Thomas Jefferson oder Abraham Lincoln umfaßt, zeugt vom Willen einer umfassenden Kanonisierung. In etwa zwanzig Jahren hat der "nonprofit"-Verlag mit seinen sechzehn Mitarbeitern hundertvierzig Bände amerikanischer Klassiker herausgebracht. Jetzt rätselt man dort, was es zu bedeuten hat, daß nach Mark Twain plötzlich Gedichtbände besonders beliebt geworden sind: Robert Frosts "Collected Poems, Prose, and Plays" ist der meistverkaufte Titel der vergangenen zwei Jahre. Wie kommt es, daß in der Neuen Welt plötzlich das Alte wieder Konjunktur hat? Und zwar das Alte aus Amerika und aus dem Rest der Welt, wie es in den genannten Ausgaben, in denen die Texte meistens von informativen Essays begleitet werden, offenbar regelmäßig über den Ladentisch geht? Jugendliche, heißt es, haben sich durch "Harry Potter" ans Lesen gewöhnt und greifen häufiger zum Buch als noch vor wenigen Jahren; gleichzeitig neigen ältere Leser offenbar dazu, ihre literarischen Vergnügungen zu teilen. Immer mehr Lesegruppen benutzen die Ausgaben der Penguin Classics, die für solche Zirkel inzwischen spezielle Anleitungen enthalten. Lesen, sagt David Cloyce von der Library of America, ist ein vergleichsweise preiswertes Vergnügen, für das man noch nicht einmal aus dem Haus gehen muß. Das scheint den Amerikanern im Augenblick eine verlockende Option zu sein.
VERENA LUEKEN
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.02.2003, Nr. 44 / Seite 44
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