Student und "Nähterin" - Champagner und Kelch

  • Von wem und wie der Titel heißt …


    ... – das kann man bei gutenberg.spiegel.de nachlesen.


    Der Dichter ist hier im Forum häufig vertreten, mit Schullektüren; ich kenne aber keine Reclam-Ausgabe z.B. von dieser hier gemeinten Novelle.
    Mich interessieren Thematik und Motiv, wie sie der Autor schon in Kellers „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ (1856) vorgebildet fand.


    Vgl.:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Romeo_und_Julia_auf_dem_Dorfe


    Oder Hofmannstahls Symbolik vom Ritter, dem Mädchen, dem Becher und dem Tropfen Wein, in "Die Beiden". Hier z.B. , mit niederländischer Übersetzung.
    http://users.pandora.be/gaston.d.haese/Hofmannsthal.html



    Im vorletzten Kapitel („Draußen im Walde“) einer Novelle aus dem Jahre 1862 (erschienen 1863) spielt die untere Passage:


    Der Erzähler, ein Student trifft in einem einsamen Waldgasthaus, das von Chorps-Studenten bevölkert wird, ein Arbeitermädchen wieder, das er aus einer Heimatstadt kennt.


    Nicht nur wegen der Begriffe „Raugraf“ und „Lerchensalmi“; mehr noch wegen der Rollen-Not des Mädchens, das sich hier – schon psychisch aus det Balance - in Champagner-Vergeudung noch in der Kelch-Symbolik präsentiert – als Abschiedsvorstellung aus einer bürgerlichen Welt, in der die „akademische Jugend sich in übermütiger Herabwürdigung des Weibes gar nicht genug tun konnte“. (So der Erzähler drei Absätze zuvor.)



    „Lerchensalmi“ (ein Wort, das man nicht im Internet erklärt findet): Gemeint ist ein gebratenes Lerchen-Ragout, das nicht im Grimmschen Wörterbuch steht, das man aber in der „Oekonomischen Encyklopädie von J. G. Krünitz findet.


    http://www.kruenitz1.uni-trier.de/xxx/l/kl04448.htm .


    „Raugraf“ ist hier der Studentensprache entnommen, wie auch „Haupthähne“; diese Titel galten als bevorzugte Ehrbegriffe, weil sie erfolgreiche Rangpositionen innerhalb der Machtstruktur markierten.




    Theodor Storm:
    "Auf der Universität"


    Textpassage aus dem Kapitel "Draußen im Walde".
    Der Ich-Erzähler berichtet:



    Als nebenan die Musik absetzte, kamen noch einige der Tanzpaare zu uns an den Tisch; der Raugraf mit Lore war auch darunter. – Sie setzte sich neben ihn, während er die Speisekarte musterte, und bald hatte der Kellner einige Schüsseln und eine Flasche Champagner vor den beiden hingestellt. Der Kork wurde behutsam abgenommen – der Raugraf ließ niemals einen Champagnerpfropfen knallen –, und der schäumende Wein floß in die Gläser. Die andern Mädchen, denen ein einfacheres Mahl serviert war, stießen ihre Tänzer heimlich mit den Ellenbogen; und auch meine Aufmerksamkeit war bald ausschließlich auf dieses Paar gerichtet. – Lore hatte ihr blasses Gesicht in die eine Hand gestützt, während die andre wie vergessen an dem Fuß des vollen Glases ruhte; der Raugraf beschäftigte sich behaglich mit seinem Lerchensalmi und schlürfte schweigend seinen Wein dazu. »Willst du nicht essen, Lore?« fragte er endlich.
    Sie schüttelte den Kopf.
    Er sah sie einen Augenblick an. »Du willst nicht? – Nun«, setzte er ruhig hinzu, »deine Sache!« Dann schenkte er sich ein und setzte seine Mahlzeit fort.
    Das Mädchen hatte indessen ihr Glas an die Lippen geführt und es mit einem durstigen Zug hinabgetrunken. Ohne den Kopf zu erheben, der noch immer müde in ihrer Hand ruhte, nahm sie die Flasche und hielt sie schwebend über dem leeren Glase, so daß der Wein langsam hineinfloß und nur allmählich schäumend in dem Kelch aufstieg. Ihre Augen blickten mit einem Ausdruck von Trostlosigkeit darauf, als sehe sie ihr Leben aus der Flasche rinnen. Sie achtete auch nicht darauf, als der Schaum aus dem Glase auf den Tisch und von diesem auf den Boden floß; nur ihre andre Hand schien sich immer fester in das schwarze seidige Haar hineinzuwühlen.
    »Schöne Dame«, flüsterte ein hübscher milchbärtiger Junge, während er wie bettelnd ihr sein leeres Glas entgegenhielt, »einen Tropfen von Eurem Überfluß!«
    Lore blickte nicht auf; aber ich sah, wie es flüchtig um ihre Lippen zuckte.
    »Was denn, Fuchs, was hast du?« fragte einer von den Alten, der sich bisher nur mit seinem Glase beschäftigt hatte. »Oho, Stoffvergeudung!« rief er plötzlich und legte seine Hand auf den Arm des Mädchens.
    Der Raugraf war nur ein wenig zur Seite gerückt, als der Wein neben ihm auf den Boden tropfte. »Laß sie«, sagte er, »es ist ihre Natur so. – Nicht wahr, Lore«, setzte er hinzu, indem er sich lächelnd zu ihr wandte, »wir beide, wir verstehen uns aufs Vergeuden!«


    Sie setzte die Flasche auf den Tisch und warf ihm einen Blick voll unergründlichen Hasses zu. Dann stand sie auf und ging nach der Tür, die in den Saal führte. Aber er war zugleich mit ihr aufgesprungen. Ein Ausdruck verbissenen Jähzorns entstellte die schönen regelmäßigen Gesichtszüge. »Was fällt dir ein!« flüsterte er und packte mit Heftigkeit ihren Arm. Sie blieb stehen, ohne daß sie Miene machte, sich von seiner Hand zu lösen; nur ihre dunkeln glänzenden Augen blickten ihn fragend und verachtend an. Eine Weile ertrug er es; dann zog er die Hand zurück, und indem er ein kurzes Lachen ausstieß, trat er wieder an den Tisch und schenkte langsam die Neige aus der Flasche. – Lore sah ich durch die Saaltür zwischen den Tanzenden verschwinden.


    Mir quoll das Herz; ich hatte aus der Ecke, wo ich saß, alles genau beobachtet. Nach einer Weile machte ich mich los und trat in den Saal, um sie zu suchen. (...)



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    Anmerkung zum Textausschnitt:


    Es handelt sich um Theodor Storms Novelle „Auf der Universität“, aus dem Jahre 1862; erschienen in Münster 1863; er konnte sie - wegen der kritischen, provozierenden Handlung unter Studenten und dem missbrauchten, weiblichen Dienstpersonal - nicht in einer Publikumszeitschrift, wie der „Gartenlaube“ unterbringen.


    Storm verwendete in ihr Erlebnisse und Einschätzungen seiner Schülerzeit in Husum und der Studienzeit in Kiel (1837).


    *


    Nachzulesen (es lohnt sich!):


    http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=2802&kapitel=1

    Goethe: „...wodurch wir uns abermals überzeugen, daß es eine allgemeine Weltpoesie gebe und sich nach Umständen hervortue; weder Gehalt noch Form braucht überliefert zu werden, überall, wo die Sonne hinscheint, ist ihre Entwicklung gewiß.“

    Einmal editiert, zuletzt von Saturnia ()