Über Fontane, den Verleger Cohn und die Autorin Viebig
CAROLA STERN: „Kommen Sie, Cohn!” – Friedrich Cohn und Clara Viebig. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2006. 167 Seiten, 16,90 Euro.
Ein wundervolles Buch: Über mehr als ein halbes Jahrhundert deutscher Literatur und Geschichte; seit Friedrich Cohn und die Erfolgs- und Volksschriftstellerin Clara Viebig 1895 auf Fontanes 75. Geburtstag erschienen waren, geht diese kurze, kluge Doppelbiografie. Wer anekdotisch und historisch und literaturwissenschaftlich wissen will, was ablief – von der Kaiserzeit, über Demokratie-Versuch und die Nazizeit bis in die 50er Jahre der bürgerlichen BRD hinein – der hat ein kleines, wundersam bebildertes Nachschlagebuch zu einer christlich-jüdischen, einer deutschen Familie (und als Zugabe noch vieles, auch über Armin T. Wegner, den fast temperamentvollen, fast vergessenen Nazi-Gegner).
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Dazu fand ich diese Rezension von JÜRGEN BUSCHE (in: Süddeutsche Zeitung, 13.09.2006):
Carola Stern letztes Buch: „Der Roman einer Gedichtzeile“. Sie erzählt von Clara Viebig und Friedrich Cohn
Ihr letztes Buch ist vielleicht ihr schönstes, gewiss aber ihr bestes. Manch einer kennt jenes resignierte Gedicht Fontanes, in dem der Dichter beklagt, von den preußischen Adeligen, deren Familien er so liebevoll porträtiert hat, nicht gebührend hofiert zu werden, wohl aber von seinen jüdischen Freunden und Verlegern. Die Schlusszeile lautet „Kommen Sie, Cohn!” Wer ist dieser Cohn, wie kam es zu der Zeile? Darüber hat Carola Stern das nun von Ingke Brodersen fertiggestellte Buch geschrieben. Es enthält sehr viel mehr als die Lösung eines literarhistorischen Knötchens.
Cohn, mit Vornamen Friedrich, war der Mann, der mit Fontanes jüngstem Sohn, ebenfalls Friedrich geheißen, lange Zeit erfolgreich einen Buchverlag führte. Verheiratet war Cohn mit Clara Viebig, einer Schriftstellerin, die Fontane wegen ihrer lebensnahen Geschichten schätzte, wenn er auch von ihrem Schreibtalent nicht überzeugt war. Was nun im Erzählen vom Leben dieses Ehepaars entfaltet wird, ist deutsch-jüdisches Schicksal im 20. Jahrhundert.
Clara Viebig wird eine erfolgreiche Schriftstellerin, Friedrich Cohn ist ein erfolgreicher Verleger, das einzige Kind der beiden, ein Sohn – musikalisch hochbegabt, aber unstet – hat als Kapellmeister mittlere Erfolge. Er schließt sich der KPD an, emigriert nach Brasilien und stirbt 1959. Die Mutter bleibt in Deutschland und kann, da der jüdische Ehemann rechtzeitig stirbt, bald wieder publizieren. Ihr 80. Geburtstag wird 1940 in der Öffentlichkeit ehrend wahrgenommen, aber es gibt eben keinen Cohn mehr. Ihr 90. Geburtstag wird im geteilten Berlin von den zuständigen Gratulanten in der DDR bedacht, aber die Schriftstellerin wohnt wie seit Kaiserzeiten in Zehlendorf. Dort stirbt sie 1952. Bestattet wird sie in Düsseldorf, wo ihr Vater, ein stellvertretender Regierungspräsident, ein Ehrengrab gefunden hatte.
Die „deutsche Zola” wurde Clara Viebig von manchen genannt. Wie Zola hätte Stern ihr Thema ausbreiten, ausweiten können. Das hat sie nicht getan. Statt dessen hat sie mit einer Sparsamkeit, die aus Einfühlsamkeit kommen mag, das Leben ihrer Protagonisten in die Reihe der Zeitgenossen gestellt, mit denen sie zu tun hatten. So ist eine höchst lesenswerte Skizze über den Schriftsteller Armin T. Wegner in dieses Buch gelangt. Auch wird ein wenig Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass es neben dem großen Samuel Fischer den Verleger Friedrich Cohn gab, der den Poesie-Album-Lyriker Cäsar Flaischlen, Redakteur der Kunstzeitschrift PAN, mit exorbitantem Erfolg druckte, aber auch Georg Hermanns Roman „Jettchen Gebert”. Heute noch neu aufgelegt, ist er ein Klassiker aus dem zweiten Rang. Der Autor wurde 1943 in Auschwitz ermordet.
Man wird nach der Lektüre von Carola Sterns Buch wahrscheinlich nicht sogleich den Wunsch verspüren, etwas von Clara Viebig zu lesen. Aber es ist möglich, dass man künftig durch die eine oder andere Straße Berlins geht mit der Erinnerung an „Kommen Sie, Cohn!”. Theodor Fontane hat übrigens das Gedicht mit dieser Zeile zu Lebzeiten nicht veröffentlicht. Einer seiner Freunde wies ihn auf den herablassenden Ton der Wendung hin: hätte er, wenn‘s bei der Gratulationscour umgekehrt gelaufen wäre, geschrieben „Kommen Sie, Itzenplitz”? Das überzeugte den Dichter, aber vernichtet hat er das Gedicht nicht.
Carola Sterns letztes Buch, ein besonderes Vermächtnis:
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