GOETHE: "Die Leiden des jungen Werthers"

  • Hallo ink-heart!
    Mit Deiner Meinung sprichst Du mir ganz aus dem Herzen.
    Aber diejenigen, die sich professionell mit Literatur beschäftigen, behaupten ja immer, dass man einen literarisch hochwertigen Text auch dann als solchen erkennen können muss, wenn man sich mit dem Inhalt auch nicht identifizieren kann.
    Das gelingt mir zwar bei manchen Autoren, bei anderen, hochgelobten, sehr oft aber nicht. Wenn mir schon Wortwahl und Satzstellung innerlich zuwider sind, und dann das Gesagte auch noch konträr zu meinen eigenen Ansichten steht, wie kann ich da von einem hochwertigen Text sprechen?
    Wenn mich der Stil anspricht, kann ich eine andere (fundierte) Meinung schon akzeptieren, aber wenn beides nicht paßt, dann habe ich unlösbare Probleme.


    Beim "Werther" gelingt es mir jedoch ohne weiteres zu akzeptieren, dass ein junger und noch wenig gefestigter Mensch durch unglückliche Umstände in die Lage geraten kann, sich das Leben zu nehmen.
    Und am Stil des Herrn Geheimrat ist ja auch nichts auszusetzen.


    Mit lieben Grüßen, Madeleine.

  • Wenn mir schon Wortwahl und Satzstellung innerlich zuwider sind, und dann das Gesagte auch noch konträr zu meinen eigenen Ansichten steht, wie kann ich da von einem hochwertigen Text sprechen?


    Indem Du von Dir und Deinem Innern ab- und nur auf den Text siehst? :zwinker: :breitgrins:



    Und am Stil des Herrn Geheimrat ist ja auch nichts auszusetzen.


    Den Werther habe ich zu lange nicht mehr gelesen, als dass ich mich da jetzt zum Stil äussern möchte. Zur Werther-Zeit war Goethe allerdings noch nicht Geheimrat. Und am Stil des Herrn Geheimrat gäbe es einiges auszusetzen. Leider verwendete Goethe den zu seiner Zeit üblichen Stil von Verwaltungsschriftstücken nicht nur in solchen, sondern der färbte dann auch auf seine literarische Prosa ab ... :sauer:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo sandhofer!
    Das will ich hier im Forum ja lernen, von meinem Innenleben weg und nur auf den Text zu sehen.
    Ist aber schon schwierig. Das gibst Du doch zu?


    Wie aber hätte Goethe denn anders schreiben können, als zu seiner Zeit üblich war?
    Jeder (Schriftsteller) ist doch auch Teil der jeweiligen Gegenwart.
    Und wer sich in Neuerungen versucht hat, wie Beethoven mit seinen Symphonien, der wurde auch nicht unbedingt geschätzt.

  • Das gibst Du doch zu?


    Nun, Du musst ja nicht jede/n Autor/in lieben. Grösse bzw. Qualität eines Textes anerkennen ist etwas anderes als den selber gerne lesen.


    Wie aber hätte Goethe denn anders schreiben können, als zu seiner Zeit üblich war?


    Zum einen ist Innovation (auch) Zeichen eines guten Autors. In der Lyrik war Goethe auch sprachlich äusserst innovativ. Und als Lyriker mag ich ihn denn auch sehr. In der Prosa aber liess er sich zu sehr gehen und verwendete als mittelalter und alter Mann den ihm aus seinem Alltag vertrauten Kanzleistil auch im Literarischen. Dabei hätte er mit Kleist oder Hölderlin Beispiele gehabt, wie man auch Prosa schreiben konnte. Doch er hat ja bekanntlich beide völlig verkannt ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus