Nach welchen Kriterien bewertet man eigentlich Literatur

  • Hallo Bartlebooth,



    "nicht böse sein, aber manchmal kommen mir die Kritiker des PS vor wie die Frauen, die die Frauenbewegung kritisieren Breitgrins. Es mag ja sein, dass dir heute viele Dinge als selbstverständlich erscheinen (zB dass der Leser an der Sinnproduktion teilnimmt), aber das macht aus ihnen nun wahrlich noch keine Binsenweisheiten. Frag doch mal wen
    (...)
    übermittelt und muss vom Empfänger wieder dekodiert werden. Hat er den richtigen Code, funktioniert's, ansonsten gibt's eine Fehlkommunikation."


    :-) - mag ja sein, dass nicht alles von trivialer Selbstverständlichkeit ist. Was ich im Grunde auszudrücken wünschte war, dass man einfache Gedanken (die trotz ihrer Einfachheit "große" Erkenntnis zu sein vermögen) auch so verständlich wie irgend möglich ausdrücken sollte. Was schon in der Hermeneutik nicht immer geschieht.



    " (...) Unterschied ist, dass der hermeneutischen Textvorstellung ein Sinn unterliegt, dem man sich immer weiter nähert, der Akzent liegt also auf der Bedeutung. Im PS (und auch bereits im Strukturalismus) liegt er wie gesagt auf dem Bedeutenden, was ganz andere Möglichkeiten erschließt. Ein "Primat der Subjektivität" in der Hermeneutik kann ich nicht erkennen.


    Die Hermeneutik postuliert irgendeinen vom Autor gemeinten Sinn, der sich erschließen ließe. Mit dem Primat der Subjektivität meinte ich, dass dieser sich - möglicherweise - erschließende Sinn vom Interpreten, der Intensität der Auseinandersetzung mit dem Werk, seinem "Einfühlungsvermögens" abhängig ist, während ich dich so verstanden hatte, dass dir (dem PS) Erkenntnis nicht über das Einfühlen, sondern durch das Reflektieren über das Einfühlen zuteil würde, was eine Art "objektiver Metaebene" gleichkäme und weniger subjektivistisch, analytischer wäre.



    Den Diskursbegriff verwende ich in Anlehnung an Foucault. Er hat ihn allerdings selbst nie ganz geklärt. Zwischen "Diskurs" und "diskursiver Formation" zu unterscheiden, die Rolle des "Archivs" oder der "Episteme" zu beschreiben, ist nicht ganz leicht, weil Foucault terminologisch nicht ganz sauber arbeitet. Das sind aber nur Nuancen, die man dann halt für den Gebrauch selbst entscheiden muss. Und mal ehrlich: Kannst du Begriffe von Kant, Hegel oder Heidegger im Konversationslexikon nachschlagen und bekommst dann eine klar umrissene Bedeutung? Wir dürfen nicht vergessen, dass Foucault Philosoph ist und seine Begriffe Bausteine eines ziemlich umfänglichen Theoriegebäudes sind, das eben nicht so einfach in drei Sätzen präzise zu beschreiben ist. Ich fordere da Nachsicht. :-)


    Da bin ich grenzenlos ungnädig :-). Aber schmunzeln musste ich bei der Aufzählung: Bis auf Kant (der zwar unverständlich schreibt, bei dem ich aber nie den Eindruck hatte, dass er sich der Unverständlichkeit bedient, um "unklare" Gedankengänge zu kaschieren, bei dem ich im Gegenteil zu spüren glaubte, dass seine so schwer verständliche Sprache und langen Satzkonstrukte gerade aus dem Bedürfnis entstehen, klar zu sein, mögliche Fragen nicht zuzulassen, Antworten auf mögliche Einwände vorwegzunehmen), sind das genau die Philosophen, um die ich eben wegen dieser so schwammigen Begrifflichkeit einen Riesenbogen gemacht hab. Husserl rechne ich noch dazu, Sartre, viele der Frankfurter Schule. Dagegen mag ich Russel, Popper, fürs 19. Jahrhundert Schopenhauer oder Nietzsche (unabhängig von deren Aussagen waren sie einfach brilliante Schriftsteller), Hume, hab eine besondere Affinität zu den Griechen (wenn ich auch etwa Platons Staatsphilosophie in seiner Bewunderung für Sparta für wohlfeilen Unsinn halte), oder Leute aus dem Wiener Kreis (wie Hans Hahn).


    Dürrenmatt meinte einmal, dass die philosophisch bedeutsamsten Schriften des 20. Jhd. für ihn aus dem naturwissenschaftlichen Bereich kämen - und ohne über "Bedeutsamkeit" urteilen zu wollen - sehe ich das für meine Person sehr ähnlich. Eine Abhandlung über Quantenphysik (auch wenn mich der Autor mathematisch-physikalisch überfordert) lese ich sehr viel lieber als etwa Horkheimer oder Marcuse - oder gar Derrida, den ich hier neben mir liegen habe und der sich in dem mir gerade vorliegenden Textabschnitt einmal auf die "Phänomenologie des Geistes", ein ander Mal auf Husserl bezieht. Und ein Satz nach dem anderen ist von eigenartig-komischer Verworrenheit: "Würde der Andere nicht als transzendentales alter ego anerkannt, ginge er vollständig in der Welt unter und wäre, wie ich selbst, nicht Ursprung der Welt." (S. 190, stw 177) Usf., das ganze Buch lang ... Das orakelt (wenigstens für mich) - und ich habe den Verdacht, dass die Pyhtia ein Alkoholproblem hat.


    Im Ernst: Ich meine, dass der Verfasser eines Fachtextes die _Verpflichtung_ hat, in größtmöglicher Deutlichkeit seine Überlegungen darzustellen. (Derrida - ich hab dort noch weitergelesen, kenne ihn (leider) schon von früher, ist für mich in dieser Hinsicht der Inbegriff eines Scharlatans, der sich an seinem eigenen Wortgeklingel berauscht.) Hingegen habe ich den Eindruck, dass die Schwerverständlichkeit bei vielen zum Prinzip erhoben wird, dass sie ganz bewusst sich einer obskuren Sprache bedienen, womit ihr Lesen und Auslegen zu einer Art Kabbalistik verkommt. Mich überzeugt auch das Argument nicht, dass der Gedankengang (oder die Philosophie) zu tief, profund und kompliziert sei, um ihn klarer auszudrücken. Das birgt immer dass Totschlagargument in sich, dass jemand, der die Dunkelheit der Sprache kritisiert, eben den Tiefgang des Dargestellten nicht begriffen habe. Es mag eine naive Auffassung sein - aber ich will verstehen, was ein Philosoph meint, und ich sehe ihn verpflichtet, mir weitgehend entgegenzukommen; ich will mich nicht "einfühlen" müssen, will nicht die Intuition bemühen müssen. Das mag - für mich - bei einem Gedicht statthaft sein, nicht in der Philosophie. (Da hätte ich noch viel zu lästern - aber ich lege mir Zügel an :-)).


    Zu einer möglichen Foucault-Lektüre: Erklärt er die von dir angeführten (und einige mehr?) Begriffe nirgends bzw. kannst auch du diese nicht in einer Weise umschreiben, dass ich wüsste, was damit gemeint ist? Dann nämlich sehe ich tatsächlich ein Problem auf mich zukommen bzw. ich sehe mich die Weigerung aussprechen, dort weiterzulesen, wenn ich das Gefühl hätte, mich in einem Begriffsirrgarten zu bewegen. - Gerade eben "Die Ordnung der Dinge" rausgesucht, das deutsche Vorwort behauptet eine "Gebrauchsanleitung" für das Lesen seiner (dieses?) Werkes zu sein. Vielleicht werd ich jetzt schlauer ;-).


    Jetzt werde ich mir noch die Links von Xenophanes zu Gemüte führen, seine Kritik an der Postmoderne hat bei mir offene Türen eingerannt. Aber ich sehe die Gefahr, dass wir uns in Philosophie- und Methodenkritik verzetteln. Ich könnte mir gut vorstellen, dass bei der konkreten Analyse eines Werkes unsere Vorgehensweisen und/oder Ergebnisse sich trotz unterschiedlicher methodischer Grundhaltung kaum unterscheiden. These: Ein einigermaßen kluger Kopf kommt immer zu einigermaßen klugen Beurteilungen, wobei allzu viel theoretisches Basiswissen eher hinderlich sein könnte.


    Grüße


    s.

  • Hallo scheichsbeutel,


    na klar kann ich dir erklären, was ein Diskurs ist :-): Die Summe aller möglichen (bzw. aller tatsächlichen) Aussagen zu einem bestimmten Thema zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt. Die diskursive Formation ist das Ensemble von Regeln, nach denen diese Aussagen zum gegebenen Zeitpunkt gemacht werden.


    Sicherlich hast du recht, dass es eine Tugend ist, sich um Verständlichkeit zu bemühen, bzw. eine Fähigkeit, sich verständlich auszudrücken; aber der Umkehrschluss geht für mich nicht auf: Wenn sich jemand nicht um Verständlichkeit bemüht (oder sich vielleciht doch bemüht, es mit der Verständlichkeit aber nicht so klappt), heißt das nicht automatisch, dass es sich nicht lohnt, sich mit seinen Texten auseinanderzusetzen. Manchmal erlebt man da Überraschungen (zB bei Derrida, den ich im übrigen auch so schlimm nicht finde). Ich habe es oben schon einmal gesagt, es kommt ein bisschen auf den richtigen Weg in eine Theorie an. Ich habe es mir jedenfalls angewöhnt, etwas erst leidlich zu verstehen und mir danach ein Urteil über seine Brauchbarkeit zu bilden. Bis ich etwas nicht wenigstens einigermaßen verstanden habe, werde ich immer dies sagen: "Ich hab's nicht verstanden" und ich werde offenlassen, wo der Fehler liegt. Ich werde jemanden, der sich auf eine bestimmte Theorie stützt, natürlich nach seiner Operationalisierung der Theorie fragen und mir dann für den vorliegenden Fall ein Urteil bilden (über Sinn und Unsinn der Anwendung). Ich werde aber keinesfalls die Tugend, die ich mir in Bezug auf fiktionale Texte angeeignet habe, nämlich nicht nach dem "eigentlich Gemeinten" zu fragen, plötzlich in Bezug auf theoretische Texte vergessen und den Autor in metaphorischen Zwei Meter hogen Leuchtbuchstaben auffordern, mir sein "Gemeintes" bitte so lange und so einfach zu erklären, dass auch ich es verstehe. Ich werde vielleicht sagen, dass der Autor ein Problem damit hat verständlich zu schreiben, aber ich werde nicht über einen Inhalt richten, den ich offenkundig noch gar nicht habe verstehen können (weil sonst nämlich diese Kritik ins Leere liefe). :breitgrins:


    Wir sollten das am Text diskutieren. Und ich sage es ein drittes Mal: Der Weg in eine Theorie ist wichtig, also leg bitte "Die Ordnung der Dinge" weg :breitgrins:!


    Euer beider Theoriefeindlichkeit teile ich nicht, wenn ich auch mit dir, scheichsbeutel, konform gehe, dass ein interessanter Textzugriff auch ohne eine übermäßige theoretische Beschlagenheit gelingen kann. Im Weg ist mir Theorie aber noch nie gestanden.


    Herzlich, B.

  • Hallo Bartlebooth,



    Sicherlich hast du recht, dass es eine Tugend ist, sich um Verständlichkeit zu bemühen, bzw. eine Fähigkeit, sich verständlich auszudrücken; aber der Umkehrschluss geht für mich nicht auf: Wenn sich jemand nicht um Verständlichkeit bemüht (oder sich vielleciht doch bemüht, es mit der Verständlichkeit aber nicht so klappt), heißt das nicht automatisch, dass es sich nicht lohnt, sich mit seinen Texten auseinanderzusetzen.


    Natürlich nicht (ich glaube aber nicht, das behauptet zu haben), weder ist Verständlichkeit an sich schon ein Kriterium für Qualität (denn so manches dümmliche Elaborat meine ich nur zu gut zu verstehen), noch ist es mit dem Bemühen allein getan. Vielleicht aber ist es ein Hinweis auf die Unausgegorenheit einer Idee, wenn sie sich der Sprache noch nicht so ganz fügen will; im Sloterdijk-Thread wurde die leicht verärgerte, mich amüsierende Frage gestellt, "ob er (Sloterdijk) denn an Textruhr leide"? Möglicherweise ist diese weit verbreitete Krankheit einer der Ursachen für so manche Schwerverständlichkeit.



    Manchmal erlebt man da Überraschungen (zB bei Derrida, den ich im übrigen auch so schlimm nicht finde). Ich habe es oben schon einmal gesagt, es kommt ein bisschen auf den richtigen Weg in eine Theorie an. Ich habe es mir jedenfalls angewöhnt, etwas erst leidlich zu verstehen und mir danach ein Urteil über seine Brauchbarkeit zu bilden. Bis ich etwas nicht wenigstens einigermaßen verstanden habe, werde ich immer dies sagen: "Ich hab's nicht verstanden" und ich werde offenlassen, wo der Fehler liegt.


    Natürlich kann der Fehler auf beiden Seiten liegen. Aber eben diesen Hinweis, dass der Leser mit dem Dargebotenen intellektuell überfordert ist, finde ich zu einfach. Außerdem sind es beinahe immer die "dunklen" Texte, bei denen solche Schwierigkeiten auftreten, mit komplizierten, aber einer recht klaren Sprache folgenden und logischen Abhandlungen habe ich kaum Probleme. Ich verstehe auch irgendwas (selbst bei Derrida) - aber ich bin auf Vermutungen angewiesen, ich rätsle an den Auslegungen und schwanke meist zwischen zwei Polen: Er will mir etwas _sehr_ Einfaches sagen (das allemal klug sein kann - aber warum sagt er mir's dann nicht einfacher?) oder es ist unverständliches Kauderwelsch.



    Ich werde jemanden, der sich auf eine bestimmte Theorie stützt, natürlich nach seiner Operationalisierung der Theorie fragen und mir dann für den vorliegenden Fall ein Urteil bilden (über Sinn und Unsinn der Anwendung). Ich werde aber keinesfalls die Tugend, die ich mir in Bezug auf fiktionale Texte angeeignet habe, nämlich nicht nach dem "eigentlich Gemeinten" zu fragen, plötzlich in Bezug auf theoretische Texte vergessen und den Autor in metaphorischen Zwei Meter hogen Leuchtbuchstaben auffordern, mir sein "Gemeintes" bitte so lange und so einfach zu erklären, dass auch ich es verstehe. Ich werde vielleicht sagen, dass der Autor ein Problem damit hat verständlich zu schreiben, aber ich werde nicht über einen Inhalt richten, den ich offenkundig noch gar nicht habe verstehen können (weil sonst nämlich diese Kritik ins Leere liefe). Breitgrins


    Hattest du nie das Gefühl, dass all dein Bemühen vergebliche Liebesmüh gewesen sei? Dass hier jemand einfach nur an oberwähnter Textruhr leidet, wichtig sein will, dass er seine Worte bewusst dunkel wählt, um zu verbergen, dass da grad mal gar nix gedacht wird? Kannst du dich noch an das Lacan-Beispiel erinnern, der mathematisch schwachsinnig zu seinem psychologischen Schluss kam, das männliche Sexualorgan sei mit der Wurzel aus minus 1 gleichzusetzen? Nun weiß ich nicht, ob Lacan im stillen Kämmerlein über sich selbst gelacht hat oder ob ihm damit ernst war. Aber in jedem Fall hat er eine große Anhängerschaft, die ihn zur Geisteskoryphäe erhob und an seinen Lippen hing. Für mich hat einer, der ernsthaft solchen Unsinn unter die Menschheit bringt, jeden Kredit verspielt, der kann schon schreiben was er will (außer er würde sich explizit von seiner Wurzel distanzieren). Vor allem aber glaube ich nicht, dass es überall etwas zu verstehen gibt (und Lacan ist ein Beispiel dafür), es gibt hauptberufliche Schwätzer, nicht nur in der Philosophie (dort aber sind sie keine Randgruppe).


    Und: Natürlich sollte man das Kritisierte kennen. Andererseits kann und will ich mich nicht mit allem auseinandersetzen - und ich halte es auch nicht für notwendig. Weil man Rückschlüsse aus Erfahrungen zu ziehen berechtigt ist. Schlagendes Beispiel: Vor etwa einer Woche wurde ich erstmals in meiner Abgeschiedenheit von den unvermeidlichen Wachtürmlern heimgesucht - und nachdem ich freundlich das Anerbieten, mir ihre Zeitschrift (nebst neuester wissenschaftlicher Gottesbeweise) zu Gemüte zu führen, abgelehnt habe, wurde ich mit dem Einwand konfrontiert, dass ich doch nicht über etwas urteilen könne, das ich nicht kenne. (Das Gespräch bekam in der Folge einigen Unterhaltungswert - aber das würde zu weit führen :-) ). - Aber mit Teilen bestimmter philosophischer Richtungen geht es mir ähnlich.


    Ich bin _wirklich_ bereit, über das "Gemeinte" nachzudenken - und ich glaube auch nicht an derartigen intellektuellen Defiziten zu leiden, dass nur das Allereinfachste und Offensichtlichste mir verständlich erscheint.



    Wir sollten das am Text diskutieren. Und ich sage es ein drittes Mal: Der Weg in eine Theorie ist wichtig, also leg bitte "Die Ordnung der Dinge" weg Breitgrins!


    Bin ja schon brav :-). Hab mich halt nur gefreut, weil das Vorwort so verständlich klang - ich war auf viel Schlimmeres gefasst :-).



    "Euer beider Theoriefeindlichkeit teile ich nicht, wenn ich auch mit dir, scheichsbeutel, konform gehe, dass ein interessanter Textzugriff auch ohne eine übermäßige theoretische Beschlagenheit gelingen kann. Im Weg ist mir Theorie aber noch nie gestanden."


    Das erinnert mich ans Psychotherapeutenphänomen: Ich habe keinen (und ich kenne aus beruflichen Gründen eine ganze Menge) getroffen, der _wegen_ seiner Ausbildung viel von menschlichen Beweggründen zu verstehen schien - bestenfalls _trotzdem_. Und Theorien können im Wege stehen - natürlich auch hilfreich sein. Oft sind es gute Ideen, die für einen bestimmten Ausschnitt der Welt unter bestimmten Voraussetzungen glänzende Erklärungen liefern. Noch öfter aber meint der von seiner Idee Beseelte, er müsse daraus ein Welterklärungsmodell herleiten und stülpt sie über alles und jedes, modifiziert, verkompliziert etc. - mit dem Ergebnis, dass eine abstruse, verkrüppelte Philosophie zurückbleibt.


    Wie Theorien ein Bücher verunstalten und schwer lesbar machen können beweist mir gerade meine derzeitige Lektüre: Eine Dissertation über "Unehrliche Berufe". Und die Autorin bezieht sich übrigens ständig auf den mir noch bevorstehenden Foucault - und ohne nun seine Theorien mehr als oberflächlich zu kennen, leidet dieses Buch enorm unter dem Wunsch der Schreiberin, ihre gesammelte Daten theoriegerecht aufzubereiten.


    Ich will ausdrücklich betonen, dass ich keine der in diesem Beitrag beschriebenen Verhaltensweisen dir unterstelle - im Gegenteil: Ich will wirklich wissen, was ein offenkundig intelligenter Mensch an bestimmten Ideen anziehend findet.


    Liebe Grüße


    s.

  • Hallo!



    Euer beider Theoriefeindlichkeit teile ich nicht, wenn ich auch mit dir, scheichsbeutel, konform gehe, dass ein interessanter Textzugriff auch ohne eine übermäßige theoretische Beschlagenheit gelingen kann. Im Weg ist mir Theorie aber noch nie gestanden.


    Ich bin im Gegensatz ein großer Theorienliebhaber. Allerdings bestreite ich, dass es sich bei vielen postmodernen Ergüssen um "Theorien" handelt. Da gibt es in Logik und Wissenschaftstheorie doch relativ strenge Kriterien :-)


    CK

  • Hallo xenophanes,


    jetzt mal Butter bei die Fische. Deine minimalistischen Posts haben zwar einen gewissen postmodernen Charme (inclusive Hypertextualität :breitgrins:), aber ich habe nicht Philosophie studiert. Was sind denn die Kriterien, denen eine Theorie deiner Meinung nach standhalten muss?


    Hallo scheichsbeutel,


    Zitat von "scheichsbeutel"

    Aber eben diesen Hinweis, dass der Leser mit dem Dargebotenen intellektuell überfordert ist, finde ich zu einfach.


    Aber das habe ich doch gar nicht geschrieben. Ich habe geschrieben:

    Zitat von "Bartlebooth"

    Bis ich etwas nicht wenigstens einigermaßen verstanden habe, werde ich immer dies sagen: "Ich hab's nicht verstanden" und ich werde offenlassen, wo der Fehler liegt.


    Das ist doch ein ganz wesentlicher Unterschied. Und wir wollen bitte nicht anfangen, uns im Kreis zu drehen, mir ist gerade eh schon ganz schwindlig :-).


    Zitat von "scheichsbeutel"

    Hattest du nie das Gefühl, dass all dein Bemühen vergebliche Liebesmüh gewesen sei? Dass hier jemand einfach nur an oberwähnter Textruhr leidet, wichtig sein will, dass er seine Worte bewusst dunkel wählt, um zu verbergen, dass da grad mal gar nix gedacht wird?


    Aber ja doch, aber ich dehne das halt nicht undifferenziert auf ein so heterogenes Gebilde wie die gesamte "Postmoderne" aus. Ich verstehe nur einen unbedeutenden Bruchteil von dem, was Lacan mir sagen will, halte es aber für möglich, dass das daran liegt, dass ich meine Gesamtausgabe Freud noch nicht auswendig gelernt habe, deren Kenntnis Lacan ganz einfach voraussetzt. Lacan gehört aber ganz sicher zu denen, die ein Formulierungsproblem haben.
    Lyotard habe ich ganz schwer im Verdacht, sehr große und leere Luftblasen zu produzieren und außerdem der bisher einzige "Poststrukturalist" zu sein, bei dem ich etwas von diesem "anything goes" erahne, was angeblich in jeder poststrukturalistischen Theorie enthalten ist (was ich für ausgemachten Unsinn halte).
    Es gibt noch ein paar solcher Kandidaten, aber Derrida gehört nicht dazu. Ich habe mich über seine Diskussion der Sprechakttheorie, die er mit einem vollkommen verkniffenen, sich permanent widersprechenden und total humorlosen John Searle geführt hat, königlich amüsiert. Und in Bezug auf das Problem der Autorschaft bringt die Lektüre von "Limited Inc", wie ich finde, sehr viel.


    Deinen Vergleich zwischen dem Wachturm und wem auch immer übergehe ich jetzt einfach mal :breitgrins:.


    Vielleicht bringt das Vorwort der deutschen Ausgabe der "Ordnung der Dinge" ja tatsächlich was. Ich lese Foucault auf Französisch, auf Deutsch habe ich ihn nie richtig verstanden. ;-)


    Zitat von "scheichsbeutel"

    leidet dieses Buch enorm unter dem Wunsch der Schreiberin, ihre gesammelte Daten theoriegerecht aufzubereiten.


    Ich finde es immer problematisch, wenn jemand alles auf eine einzelne Theorie hinbiegen will. Ich selbst habe immer mit einem Theorienmix gearbeitet und ihre Schwächen oder Unklarheiten (wenigstens: meine Unklarheiten mit ihnen) auch immer benannt. Ich will weder die Welt erklären, noch die Welt erklärt bekommen. Ich möchte einfach spannende Thesen und brauchbare Analyseinstrumente. :-)


    Ich verteidige ja nicht jeden einzelnen Text; auch Leute, die ich sehr schätze, haben Texte geschrieben, die ich labrig, redundant und uninteressant finde. Ich bin ein Freund der genauen Textarbeit und der Betrachtung des Beispiels. Pauschale Verurteilungen lehne ich ebenso ab wie pauschale Glorifizierungen.


    Herzlich, B.

  • Hallo Bartlebooth,



    "Das ist doch ein ganz wesentlicher Unterschied. Und wir wollen bitte nicht anfangen, uns im Kreis zu drehen, mir ist gerade eh schon ganz schwindlig :-)."


    *zustimm* - war eine intuitiv-bösartige Unterstellung :-).



    "Es gibt noch ein paar solcher Kandidaten, aber Derrida gehört nicht dazu. Ich habe mich über seine Diskussion der Sprechakttheorie, die er mit einem vollkommen verkniffenen, sich permanent widersprechenden und total humorlosen John Searle geführt hat, königlich amüsiert. Und in Bezug auf das Problem der Autorschaft bringt die Lektüre von "Limited Inc", wie ich finde, sehr viel."


    Bei Searle geb ich dir recht (v. a. hat er das Talent, sich auch in Büchern wunderbar zu widersprechen), Austin ist diesbezüglich sehr viel klarer (und das sind auch die einzigen, mit denen ich mich intensiver beschäftigt habe). Mit Derrida hab ich wirklich Probleme, da weigert sich einiges in mir ihn "gelten zu lassen". Aber das wäre wieder ein andere Diskussion, müsste man an konkreten Schriften festmachen (wobei ich bei dem erwähnten "Die Schrift und Differenz" meine, dass es mir gelingen könnte, ihm Obskurantismus und seitenlange Redundanz nachzuweisen :-) ). Aber belassen wir es vorläufig bei Foucault.



    Deinen Vergleich zwischen dem Wachturm und wem auch immer übergehe ich jetzt einfach mal :breitgrins:.


    Solange du breit grinst, gehe ich von der Annahme aus, dass du nichts von der Vergleicherei in die falsche Kehle bekommen hast :breitgrins:.



    Vielleicht bringt das Vorwort der deutschen Ausgabe der "Ordnung der Dinge" ja tatsächlich was. Ich lese Foucault auf Französisch, auf Deutsch habe ich ihn nie richtig verstanden. ;-)


    Mit meinem Französisch ist es nicht weit her, ich habe sogar den letzten hilfeheischenden Touristen aus Frankreich - unabsichtlich - in die falsche Richtung geschickt. Ich plädiere für Deutsch!


    Ich finde es immer problematisch, wenn jemand alles auf eine einzelne Theorie hinbiegen will. Ich selbst habe immer mit einem Theorienmix gearbeitet und ihre Schwächen oder Unklarheiten (wenigstens: meine Unklarheiten mit ihnen) auch immer benannt. Ich will weder die Welt erklären, noch die Welt erklärt bekommen. Ich möchte einfach spannende Thesen und brauchbare Analyseinstrumente. :-)


    Daran ist mir genauso gelegen. Aber im Laufe der Zeit hat sich in mir eine immer stärkere Aversion gegen Theorie (fast) jeder Art gebildet - und insbesondere gegen postmoderne und poststrukturalistische Strömungen. Und in Fragen der Philosophie als auch der Literatur ist man offensichtlich gezwungen, eine Wahl zu treffen. Und so wie ich beinahe alle Art von Unterhaltungsliteratur meide (nicht weil diese so schlimm wäre oder gar verächtlich, sondern weil sie mich langweilt bzw. ich meine Zeit mit anderer Literatur angenehmer zu verbringen glaube), so hab ich auch in der Philosophie bestimmte Strömungen mehr und mehr gemieden.


    Irgendwie - und nicht unerheblich durch meine Schuld, sind wir nun ausschließlich bei pro/kontra Post-xxx gelandet. Und obwohl ich diese Kritik für sehr interessant halte, bezweifle ich, ob ich eine solche des damit verbundenen großen Zeitaufwandes wegen tatsächlich leisten kann (will). Mal sehen, wann mich die UB mit einer Benachrichtigung über die Verfügbarkeit Foucaultscher Werke beglückt.


    Ich wünsche eine gute Nachtruhe


    s.

  • hallo zusammen,
    ich wollte Euch nur sagen, dass es ein Genuss ist Eure Diskussionen zu verfolgen, meine Rolle ist parasitenhaft, aber manchmal ist es wohl besser zu schweigen und einfach zu geniessen... :smile:
    donna

  • Hallo!



    Deine minimalistischen Posts haben zwar einen gewissen postmodernen Charme (inclusive Hypertextualität :breitgrins:), aber ich habe nicht Philosophie studiert. Was sind denn die Kriterien, denen eine Theorie deiner Meinung nach standhalten muss?


    Sobald ich mehr Zeit habe, werde ich mich ausführlicher äußern. Im Moment ist es besonders eng (habe u.a. zwei Abende pro Woche durch Sprachkurs blockiert).


    Allerdings kann ich mich hier ohnehin nicht in dem Detailgrad verbreiten wie in meiner Diplomarbeit und Diss. zum Thema. Da wird das ja ausführlich aufgedröselt :smile:


    CK