Hallo Bartlebooth,
"nicht böse sein, aber manchmal kommen mir die Kritiker des PS vor wie die Frauen, die die Frauenbewegung kritisieren Breitgrins. Es mag ja sein, dass dir heute viele Dinge als selbstverständlich erscheinen (zB dass der Leser an der Sinnproduktion teilnimmt), aber das macht aus ihnen nun wahrlich noch keine Binsenweisheiten. Frag doch mal wen
(...)
übermittelt und muss vom Empfänger wieder dekodiert werden. Hat er den richtigen Code, funktioniert's, ansonsten gibt's eine Fehlkommunikation."
- mag ja sein, dass nicht alles von trivialer Selbstverständlichkeit ist. Was ich im Grunde auszudrücken wünschte war, dass man einfache Gedanken (die trotz ihrer Einfachheit "große" Erkenntnis zu sein vermögen) auch so verständlich wie irgend möglich ausdrücken sollte. Was schon in der Hermeneutik nicht immer geschieht.
" (...) Unterschied ist, dass der hermeneutischen Textvorstellung ein Sinn unterliegt, dem man sich immer weiter nähert, der Akzent liegt also auf der Bedeutung. Im PS (und auch bereits im Strukturalismus) liegt er wie gesagt auf dem Bedeutenden, was ganz andere Möglichkeiten erschließt. Ein "Primat der Subjektivität" in der Hermeneutik kann ich nicht erkennen.
Die Hermeneutik postuliert irgendeinen vom Autor gemeinten Sinn, der sich erschließen ließe. Mit dem Primat der Subjektivität meinte ich, dass dieser sich - möglicherweise - erschließende Sinn vom Interpreten, der Intensität der Auseinandersetzung mit dem Werk, seinem "Einfühlungsvermögens" abhängig ist, während ich dich so verstanden hatte, dass dir (dem PS) Erkenntnis nicht über das Einfühlen, sondern durch das Reflektieren über das Einfühlen zuteil würde, was eine Art "objektiver Metaebene" gleichkäme und weniger subjektivistisch, analytischer wäre.
Den Diskursbegriff verwende ich in Anlehnung an Foucault. Er hat ihn allerdings selbst nie ganz geklärt. Zwischen "Diskurs" und "diskursiver Formation" zu unterscheiden, die Rolle des "Archivs" oder der "Episteme" zu beschreiben, ist nicht ganz leicht, weil Foucault terminologisch nicht ganz sauber arbeitet. Das sind aber nur Nuancen, die man dann halt für den Gebrauch selbst entscheiden muss. Und mal ehrlich: Kannst du Begriffe von Kant, Hegel oder Heidegger im Konversationslexikon nachschlagen und bekommst dann eine klar umrissene Bedeutung? Wir dürfen nicht vergessen, dass Foucault Philosoph ist und seine Begriffe Bausteine eines ziemlich umfänglichen Theoriegebäudes sind, das eben nicht so einfach in drei Sätzen präzise zu beschreiben ist. Ich fordere da Nachsicht.
Da bin ich grenzenlos ungnädig :-). Aber schmunzeln musste ich bei der Aufzählung: Bis auf Kant (der zwar unverständlich schreibt, bei dem ich aber nie den Eindruck hatte, dass er sich der Unverständlichkeit bedient, um "unklare" Gedankengänge zu kaschieren, bei dem ich im Gegenteil zu spüren glaubte, dass seine so schwer verständliche Sprache und langen Satzkonstrukte gerade aus dem Bedürfnis entstehen, klar zu sein, mögliche Fragen nicht zuzulassen, Antworten auf mögliche Einwände vorwegzunehmen), sind das genau die Philosophen, um die ich eben wegen dieser so schwammigen Begrifflichkeit einen Riesenbogen gemacht hab. Husserl rechne ich noch dazu, Sartre, viele der Frankfurter Schule. Dagegen mag ich Russel, Popper, fürs 19. Jahrhundert Schopenhauer oder Nietzsche (unabhängig von deren Aussagen waren sie einfach brilliante Schriftsteller), Hume, hab eine besondere Affinität zu den Griechen (wenn ich auch etwa Platons Staatsphilosophie in seiner Bewunderung für Sparta für wohlfeilen Unsinn halte), oder Leute aus dem Wiener Kreis (wie Hans Hahn).
Dürrenmatt meinte einmal, dass die philosophisch bedeutsamsten Schriften des 20. Jhd. für ihn aus dem naturwissenschaftlichen Bereich kämen - und ohne über "Bedeutsamkeit" urteilen zu wollen - sehe ich das für meine Person sehr ähnlich. Eine Abhandlung über Quantenphysik (auch wenn mich der Autor mathematisch-physikalisch überfordert) lese ich sehr viel lieber als etwa Horkheimer oder Marcuse - oder gar Derrida, den ich hier neben mir liegen habe und der sich in dem mir gerade vorliegenden Textabschnitt einmal auf die "Phänomenologie des Geistes", ein ander Mal auf Husserl bezieht. Und ein Satz nach dem anderen ist von eigenartig-komischer Verworrenheit: "Würde der Andere nicht als transzendentales alter ego anerkannt, ginge er vollständig in der Welt unter und wäre, wie ich selbst, nicht Ursprung der Welt." (S. 190, stw 177) Usf., das ganze Buch lang ... Das orakelt (wenigstens für mich) - und ich habe den Verdacht, dass die Pyhtia ein Alkoholproblem hat.
Im Ernst: Ich meine, dass der Verfasser eines Fachtextes die _Verpflichtung_ hat, in größtmöglicher Deutlichkeit seine Überlegungen darzustellen. (Derrida - ich hab dort noch weitergelesen, kenne ihn (leider) schon von früher, ist für mich in dieser Hinsicht der Inbegriff eines Scharlatans, der sich an seinem eigenen Wortgeklingel berauscht.) Hingegen habe ich den Eindruck, dass die Schwerverständlichkeit bei vielen zum Prinzip erhoben wird, dass sie ganz bewusst sich einer obskuren Sprache bedienen, womit ihr Lesen und Auslegen zu einer Art Kabbalistik verkommt. Mich überzeugt auch das Argument nicht, dass der Gedankengang (oder die Philosophie) zu tief, profund und kompliziert sei, um ihn klarer auszudrücken. Das birgt immer dass Totschlagargument in sich, dass jemand, der die Dunkelheit der Sprache kritisiert, eben den Tiefgang des Dargestellten nicht begriffen habe. Es mag eine naive Auffassung sein - aber ich will verstehen, was ein Philosoph meint, und ich sehe ihn verpflichtet, mir weitgehend entgegenzukommen; ich will mich nicht "einfühlen" müssen, will nicht die Intuition bemühen müssen. Das mag - für mich - bei einem Gedicht statthaft sein, nicht in der Philosophie. (Da hätte ich noch viel zu lästern - aber ich lege mir Zügel an :-)).
Zu einer möglichen Foucault-Lektüre: Erklärt er die von dir angeführten (und einige mehr?) Begriffe nirgends bzw. kannst auch du diese nicht in einer Weise umschreiben, dass ich wüsste, was damit gemeint ist? Dann nämlich sehe ich tatsächlich ein Problem auf mich zukommen bzw. ich sehe mich die Weigerung aussprechen, dort weiterzulesen, wenn ich das Gefühl hätte, mich in einem Begriffsirrgarten zu bewegen. - Gerade eben "Die Ordnung der Dinge" rausgesucht, das deutsche Vorwort behauptet eine "Gebrauchsanleitung" für das Lesen seiner (dieses?) Werkes zu sein. Vielleicht werd ich jetzt schlauer ;-).
Jetzt werde ich mir noch die Links von Xenophanes zu Gemüte führen, seine Kritik an der Postmoderne hat bei mir offene Türen eingerannt. Aber ich sehe die Gefahr, dass wir uns in Philosophie- und Methodenkritik verzetteln. Ich könnte mir gut vorstellen, dass bei der konkreten Analyse eines Werkes unsere Vorgehensweisen und/oder Ergebnisse sich trotz unterschiedlicher methodischer Grundhaltung kaum unterscheiden. These: Ein einigermaßen kluger Kopf kommt immer zu einigermaßen klugen Beurteilungen, wobei allzu viel theoretisches Basiswissen eher hinderlich sein könnte.
Grüße
s.