Nach welchen Kriterien bewertet man eigentlich Literatur

  • Guten Tag,
    zunaechst Persoenliches - ich bin kein dummer Deutscher, sondern ein Pole. Das ist mein erster Beitrag und ich moechte es klar machen, bevor mich jemand verarscht. Seit also bitte verstaendnisvoll meinen Fehlern gegenueber.
    Und jetzt zum aufgeschriebenen Thema. Alle Literaturkenner scheinen einen geheimen Code zu haben. In der Literatur kann es sich doch nicht um blosses, subiektives Gefallen handeln. Was macht ein gutes, anspruchsvolles Buch aus. Koherenz der Handlung, Aktualitaet des Themas, Verwendung verschiedener Schreibtechinken? Fuer mich ist es keineswegs selbsverstaendlich, ich weiss aber, dass darin der Grundstein des bewussten Lesens besteht.


    Wenn ich ein Buch lese fuehle ich mich wie ein Barbar, der bunte Steinsplitter eines roemischen Mosaiks sieht, ist davon begeistert, weiss damit aber nicht viel anzyfangen.


    Danke fuer Eure Hilfe
    Pawel

  • Hallo,


    herzlich Wilkommen :winken:
    Pole? Dein Deutsch lässt doch nichts zu wünschen übrig :smile:


    Also ich muss sagen, dass ich mir nur Anregungen hole, um ein Buch zu lesen und dann während oder nach dem Lesen zu sagen: "Das ist ja ein toller Schreibstil", oder: "Man merkt richtig, dass das Buch gut recherchiert ist". Wichtig finde ich auch, dass der Autor weiß, wann er welche Sprache benutzen muss und seinen Helden Erkennungsmerkmale gibt.
    Ich denke jeder hat etwas andere Vorstellungen davon, was ein gutes Buch ist 8bin gerne bereit zu diskutieren :zwinker: ), die sich im Laufe des Lebens wohl auch ändern. Ich habe noch viel mehr Punkte, aber ich führe keine Liste, nach der ich die Bücherregale durchsuche, um ein "perfektes" Buch zu finden, denn ich glaube nicht, dass es so etwas überhaupt gibt, schon allein aufgrund der verschiedenen Geschmäcker :zwinker:


    Als "gutes Buch" würde ich etwas bezeichnen, das gefällt und Stil hat, aber nicht abhebt, das ernst oder traurig sein kann und das ein Thema richtig und nicht nur oberflächlich behandelt.


    So, ich hoffe ich habe jetzt nicht nur um den heißen Brei herumgeschrieben,


    Viele Grüße,


    Monolith

  • Vielen Dank Monolith,
    Ich haette gerne aber auch etwas ein bisschen Prezieseres und Konkreteres. Die Frage betrifft nicht nur Literatur, es gilt ebenso fuer Musik - neulich habe ich eine Radiosendung ueber Darmstadt gehoert (ich weiss nicht ob sich hier jemand fuer zeitgenoessische, klassische Musik interessiert (heisst es so? ich meine contemporary) - die als eins der europaeischen Zentren fuer diese Art von Musik. Zu meinem Erstauen bekam ein Musiker, der wortwoertlich sein Cello kratzte eine grossen Beifall, waehrend ein Englaender namens John Cage (nicht zu verwaecheln mit dem CountryStar ) der nach meiner Schaetzung genauso gut (schlecht?) "spielte" wurde als ein frecher Wilder empfangen. Und zwar kurzerhand - man hoerte auf der Aufnahme spontanes Gelaechter des Publikums.


    Zurueck zur Literatur - natuerlich wenn ein Buch im Zusammenhang mit seiner Epoche betrachtet wird, kann man sagen es sei innovativ. Bedenkt "1984" oder "Schoene neue Welt" die zwar mal sehr visionaer (als "1984" 1949 herauskam wusste keiner, dass die militaeren Weltmaechte auf die Kernwaffe, die sich allerdings als sehr effizient erwies, verzichten werden und Orwell hatte es prophezeit) waren, doch jetzt scheinen diese Vorstellungen etwas abgedroschen. Nicht weil sie nicht zutreffend sind sondern gerade WEIL sie eine Satire der totalitaeren Staaten darstellen.


    Oder Balsac, den ich mag wegen seiner grotesquen nett kligenden Sprache, der aber die Intrigen damaligen Lebens beschreibt und ist somit bloss ein humorvoller Publizist.


    Reicht fuer jetzt, das soll kein Monolog sein.

  • Wenn man mich als Ungebildeten fragt: ein Experte oder Fachmann sagt was gut ist, andere Experten oder Fachleute, deren Urteile von nämlichem Experten oder Fachmann zuvor unterstützt wurden, stimmen diesem Experten oder Fachmann also zu und die Herde rennt diesen Experten und Fachleuten dann brav hinterher.
    Aber ernsthaft: Was gute Literatur ist, ist jeweils ein subjektives Werturteil und dabei gilt dann wieder Lichtenbergs Spruch: "Ein Buch ist ein Spiegel, wenn ein Affe hineinsieht, so kann kein Apostel herausgucken." (Hab gerade keine Ahnung, ob dies das wortwörtliche Zitat ist.)


    Du solltest über eine Rechtschreibprüfung (firefox, oder Word) nachdenken, da du mit der Satzstellung, Grammatik und diesem Krams nahezu keine Probleme hast - dann wäre der Hinweis mit dumm, deutsch, polnisch usw. jedenfalls nahezu unnötig.


    Gruß!

  • Hallo,


    Zitat von "Stoerte"

    Wenn man mich als Ungebildeten fragt: ein Experte oder Fachmann sagt was gut ist, andere Experten oder Fachleute, deren Urteile von nämlichem Experten oder Fachmann zuvor unterstützt wurden, stimmen diesem Experten oder Fachmann also zu und die Herde rennt diesen Experten und Fachleuten dann brav hinterher.
    Aber ernsthaft: Was gute Literatur ist, ist jeweils ein subjektives Werturteil und dabei gilt dann wieder Lichtenbergs Spruch: "Ein Buch ist ein Spiegel, wenn ein Affe hineinsieht, so kann kein Apostel herausgucken."


    es muss doch zumindest ein paar Kriterien geben, an denen sich die Fachleute entlanghangeln. Dies nur als subjektives Werturteil abzutun, ist mir argumentativ zu einfach.


    Ich wage einen Versuch: Gute Literatur muss "wahrhaftig" sein. Wie man das weiter operationalisiert, weiß ich auch nicht. Offensichtlich gilt: Trivialromane sind nicht wahrhaftig, die dort beschriebenen Gefühle sind aufgesetzt. Natürlich gibt es Grauzonen, wo sich dies nicht so leicht entscheiden lässt. Auch in der Kunst kann man dieses Kriterium anwenden.


    Gruß, Thomas

  • Was Trivialliteratur vielleicht ausmacht ist der fehlende Anspruch, etwa an Originalität, Kunstfertigkeit usw.. Eben ihre Beliebigkeit, die Trivialität.


    Es gibt, meiner Ansicht nach, aber auch Klassiker, die nicht allzu tiefsinnig sind, aber dafür mit einer schönen Sprache o.ä. überzeugen könnten.


    Gruß!

  • Also das ist wirklich schwierig...
    Nach welchen Kriterien geht ihr denn vor, wenn ihr z.B. ein Buch hier im Klassikerforum vorschlagen wollt? Sucht ihr einfach nach einem interessanten Thema, das in Buchform als Klassiker bezeichnet wird, oder sucht ihr nach einem interessanten Thema, das gut dargestellt zu sein scheint und (zufälligerweise) gerade ein Klassiker ist?


    Also ich persönlich finde, dass es wichtig ist, ein Thema gut darzustellen, wenn es meinen Erwartungen dann beim Lesen entspricht aber Literaturkritiker, hochrangige persönlichkeiten oder die menschheit es nicht als Klassiker bezeichnen, was soll's?
    Meint ihr denn, dass für (anerkannte) Klassiker andere Bewertungskriterien gelten als für andere Bücher?


    Gruß, Monolith


    PS: Gibt es wirklich konkrete Punkte, an denen man die Qualität eines Buches festmachen kann? Z.B.: Stil: eigenwillig, Handlung: verworren etc.
    Ich meine natürlich geht das, aber wenn man so etwas auf einen Buchrücken drucken würde, müsste man doch immer noch selbst entscheiden, ob man das Buch wirklich lesen wollte. Ich habe z.B. auch noch nie gesehen, dass schlechte Kritiken auf einem Buchrücken veröffentlicht worden sind :zwinker:

  • Hallo !


    Für mich bleibt immer noch, neben dem subjektiven Empfinden, der Spruch von Calvino (s.o. rechts) maßgebend.


    Gruß von Steffi

  • Zitat von "klassikfreund"

    Ich wage einen Versuch: Gute Literatur muss "wahrhaftig" sein.


    Habe folgendes Buch noch nicht gelesen, aber angeblich gibt Gelfert augenzwinkernd einen ganz guten Überblick zum Thema:


    http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3406510981/notizen-21


    Generell ist es einfacher mit Kriterien festzustellen, was ein schlechtes Buch ist, als umgekehrt. Es gibt aber schon eine Reihe von qualifizierten Indizien, etwa die strukturelle Dichte, das Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen (vom Wortklang bis zu narrativen Strukturen). Vielleicht schreibe ich mal mehr dazu, wenn ich mehr Zeit habe :zwinker:


    CK

  • Zitat von "Monolith"

    Also das ist wirklich schwierig...


    Schwieriger als schwierig ... :wink:


    Zitat


    Nach welchen Kriterien geht ihr denn vor, wenn ihr z.B. ein Buch hier im Klassikerforum vorschlagen wollt? Sucht ihr einfach nach einem interessanten Thema, das in Buchform als Klassiker bezeichnet wird, oder sucht ihr nach einem interessanten Thema, das gut dargestellt zu sein scheint und (zufälligerweise) gerade ein Klassiker ist?


    Also, ich schreib einfach über das und antworte auf das, was mich interessiert, wenn mir dazu was einfällt und ich ein bisschen was drüber weiß. Oder meine, was drüber zu wissen. :wink:


    Zitat


    Also ich persönlich finde, dass es wichtig ist, ein Thema gut darzustellen, wenn es meinen Erwartungen dann beim Lesen entspricht aber Literaturkritiker, hochrangige persönlichkeiten oder die menschheit es nicht als Klassiker bezeichnen, was soll's?


    Da hast du sowas von recht! :wink:
    Also, mich interessiert es nicht die Bohne, ob was ein Klassiker ist oder nicht, mich interessiert, was mir gefällt.


    Zitat


    Meint ihr denn, dass für (anerkannte) Klassiker andere Bewertungskriterien gelten als für andere Bücher?


    Mal hochtrabend :wink: ausgedrückt -
    die Bewertungskriterien hängen vom Kontext ab, das gilt nicht nur für Literaturkritik.


    Ein Beispiel: ich hab mir vor Jahren auch mal drei Grishams reingetan.
    Und sowas kannst du einfach nicht nach eben den Kriterien werten wie einen Klassiker. Die Grishams sind, was bspw. Psychologisierung der Personen betrifft, die absolute Katastrophe.
    Fand ich jedenfalls.
    (Wer Gerichtsthriller lesen möchte - Scott Turow schreibt viel besser ...)
    Aber - sie sind gut gemachte Reißer, sie lesen sich flüssig etcetera -
    in DEM Kontext sind sie einfach gut.


    Und dann wird ja bspw. ein Buch auch, wenn es gerad erschienen ist, anders rezipiert, als 100 Jahre später -
    ein Werk der Romantik zB muss ja von den Zeitgenossen, die da drin stecken, anders aufgenommen werden, als von denen, die es aus der Entfernung, aus einem Plus an Geschichte, neuen literarischen Strömungen etc. heraus ganz anders sehen.


    Ich hab vor zig Jahren mal von dem Deschner "Kitsch, Konvention und Kunst gelesen", die alte Auflage. Er hat eine neue, wohl zT veränderte gemacht. Das hat mir über Bewertung von Literatur einiges beigebracht.


    Was für ein Gewurschtel hab ich jetzt aufgeschrieben ... aber -
    ich weiß, wenn ein Roman gut ist oder nicht.
    Und dafür muss ich ihn keineswegs mögen.
    Ich mag bspw. Fontane nicht besonders.
    Aber ich finde, dass er gut geschrieben hat.


    LG
    Leibgeber

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Also sind das eigene Empfinden und der eigene Geschmack wichtige Kriterien. Das sehe ich genauso, was soll's wenn ein Buch von einer Person in den höchsten Tönen gelobt wird, eine andere es bereut, das Buch überhaupt zur Hand genommen zu haben? Dann ist man immer noch geanuso schlau wie vorher :zwinker:
    Allerdings lese ich auch öfters Bücher, weil sie mir viele verschiedene Leute vorgeschlagen und empfolen haben, aber noch eher neige ich dazu, ein Thema zu googlen und dann zu schauen, welche Bücher es dazu gibt :zwinker: .
    Aber das weicht jetzt wohl etwas vom eigentlichen Thema ab...


    Gruß, Monolith

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "xenophanes"

    Generell ist es einfacher mit Kriterien festzustellen, was ein schlechtes Buch ist, als umgekehrt.


    Das kann ich nur mit unterschreiben.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,

    Zitat von "Stoerte"

    Was gute Literatur ist, ist jeweils ein subjektives Werturteil


    Das antwortet nicht auf die Frage, sondern darauf, wer das Urteil fällt. Ob das aber ein/e Experte/in oder Otto Normalverbraucher ist, die Frage nach den Kriterien für ihr Urteil müssen sich beide stellen lassen. Eine unbegründete Meinung ist kein valides ästhetisches Urteil.

    Zitat von "Monolith"

    Also sind das eigene Empfinden und der eigene Geschmack wichtige Kriterien.


    Dito. Das persönliche Empfinden ist kein Kriterium für ein Werturteil, es sei denn, man ließe den Pleonasmus "ich find's gut, weil ich's gut finde" als Begründung zu.


    Dass ein Urteil über Gefallen oder Nicht-Gefallen letzten Endes subjektiv ist, enthebt erstens nicht von der Pflicht zur Begründung eines Urteils und sagt zweitens überhaupt nichts über die Kriterien, nach denen ein Werturteil gebildet wird. Die gibt es aber selbstverständlich und ich kann sie auch benennen. Dabei ist es sehr schwierig eine vollständige Liste zu erstellen. Ich will mal den versuch machen, sehr grob zwei große Felder abzustecken.


    1. Intratextuelle Bezüge. Ein Text ist ja ein "Gewebe"; d.h. die einzelnen Teile eines Textes müssen, damit er gut ist, zusammenpassen. Die Sprache muss dem Thema angemessen sein, sie muss den Figuren angemessen sein, sie muss dem ästhetischen Konzept angemessen sein. Brüche in der Sprache müssen ästhetisch motiviert sein (wenn ich eine Figur also zB in zwei vollkommen unterschiedlichne Registern reden lasse, muss ich das plausibilisieren können), Dialoge dürfen nicht hölzern wirken (es sei denn, es gehört zum ästhetischen Konzept) usw. usf.
    Man sieht: Kriterien sind leicht zu benennen, aber nicht in ein binäres Schema zu bringen. Ein Text ist nicht dann besser als ein anderer, wenn er etwa einen größeren Wortschatz benutzt als dieser (Kafka oder Beckett haben zB Kargheit, Joyce, Döblin oder Thomas Mann haben Opulenz zum ästhetischen Programm erhoben) oder wenn er sich weniger wiederholt als dieser (es kommt darauf an, ob die Wiederholung eine Funktion für den Text hat) oder wenn er sich leichter lesen lässt als ein anderer (Sperrigkeit kann natürlich Selbstzweck oder mangelnde Kunstfertigkeit, kann aber auch funktionstragend sein).
    Verantwortlich, mir diese Zusammenhänge aufzuzeigen, ist der-/diejenige, der/die ein Urteil fällen will, nicht etwa der Autor! Der Autor ist nur derjenige, den ich beschuldigen kann, wenn ich gar keine Funktionen, Zusammenhänge etc. in seinem Text finde.


    2. Intertextuelle Bezüge. Ein Text steht im Zusammenhang mit den Diskursen, die außerhalb von ihm in der Welt stattfinden bzw.eren Teil er ist, er reagiert auf und produziert bestimmte Bilder von der Welt oder Teilen von ihr, er steht in Bezug zu Wissen (positivem: Stichwort Recherche, historische Genauigkeit etc.) oder zu anderen Texten (Stichwort: Zitate, Anspielungen, Sprachspiele, Gelehrsamkeit), zu denen er sich in eine Beziehung setzt.
    Mögliche Fragen sind: Geschieht dieses In-Beziehung-Setzen originell? Oder habe ich es schon 1000x vorher gelesen? Ist es differenziert, also reichhaltig? Wird das Wissen hinterfragt, nach einem nachvollziehbaren Plan verändert oder einfach nur reproduziert? An welchen Stellen ist das eine, an welchen das andere der Fall? Gibt es ein erkennbares und einleuchtendes Muster, dh. wiederum ein ästhetisches Konzept oder eine philosophische Überzeugung, die diese Wiedergabe zusammenhalten und plausibel machen?
    Auch hier gilt: Verantwortlich das zu zeigen ist derjenige, der sich ein Urteil bilden will (s.o.).


    Viele dieser Kriterien unterliegen unbewusst unserem Urteil, und wir machen sie uns erst bewusst, wenn wir nach einer Begründung gefragt werden (und wir nicht zu faul oder zu bockig sind, diese Begründung auch zu liefern). es ist dabei selbstverständlich, dass viele dieser Kategorien vom eigenen Horizont abhängen, ihre Operationalisierung sich also subjektiv vollzieht. Dh nicht, dass die Kriterien selbst subjektiv sind, sondern nur der Rahmen, in dem wir Texte auf sie prüfen. Ein ganz einfaches Beispiel: Wenn ich in meinem Leben nur zwei Bücher gelesen habe, werde ich einen beliebigen Text sehr wahrscheinlich leichter als originell empfinden als wenn ich schon 2000 Bücher gelesen habe. Wohlgemerkt: wahrscheinlich; denn natürlich kann ich Weltwissen nicht nur über Bücher, sondern vielleicht auch über Gespräche oder eigene Erfahrung etc. beziehen. Insofern bleiben die Kriterien die gleichen, nur wann sie als erfüllt oder nicht erfüllt angesehen werden, unterliegt starken Schwankungen je nachdem, wer sich das Urteil gerade bildet.


    Immer gegen die Experten zu wettern ist also auch meiner Meinung nach eher ein müder Versuch, sich der Anstrengung zu entziehen, die ein eigenes Urteil, eine eigene Meinung immer bedeuten, wenn sie denn fundiert sein sollen.


    Herzlich, B.

  • Zitat von "xenophanes"

    Habe folgendes Buch noch nicht gelesen, aber angeblich gibt Gelfert augenzwinkernd einen ganz guten Überblick zum Thema


    (Hans-Dieter Gelfert: Was ist gute Literatur? Wie man gute Bücher von schlechten unterscheidet.)


    Ich habe es vor einigen Monaten gelesen, das Buch ist allgemeinverständlich geschrieben, flott zu lesen und durchaus brauchbar. Wenn man vorher allerdings noch nicht zwischen guten und schlechten Büchern unterscheiden konnte, dann wird man das nach der Lektüre von Gelferts Buch wahrscheinlich auch noch nicht sehr viel besser können. ;-) Irgendwelche Kriterien, die in der Theorie ganz brauchbar aussehen, muß man ja erst einmal in der Praxis anwenden können, und dazu braucht man schon einige (Lese-)Erfahrung. Man sollte sich das also nicht so vorstellen, daß man für die Beurteilung eines Buches einfach eine Strichliste abhaken könnte.


    Ich nenne hier einmal die Kriterien der ästhetischen Wertung, die Gelfert erwähnt und jeweils in einem eigenen Kapitel erklärt:


    Vollkommenheit, Stimmigkeit, Expressivität, Welthaltigkeit, Allgemeingültigkeit, Interessantheit, Originalität, Komplexität, Ambiguität, Authentizität, Widerständigkeit, Grenzüberschreitung und das gewisse Etwas.


    In weiteren Kapiteln zeigt er anhand von Beispielen, was ein gutes Gedicht, eine gute Erzählung und ein gutes Drama ist. Er geht auch auf die Fragen ein, ob gute Literatur immer schwierig oder ernst sein muß, und ob gute Literatur den Leser klüger oder besser macht.


    Als Einstieg und Überblick ist dieses Buch gut geeignet, vor allem spart man sich mit dem Hinweis auf dieses Buch die Mühe, das alles selbst zu erklären. :breitgrins:


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Hallo Bartlebooth,


    Natürlich war es freche Polemik - ich hätte diese Begründung, mangels Wissen, auch gar nicht liefern können. Bin dir dankbar, dass ich etwas lernen durfte.


    Ich denke aber, haarespaltenderweise: wenn man die Kriterien operationalisiert, dann dienen sie doch dazu jeweils ein subjektives Urteil zu untermauern und oder in Worte zu fassen. Eventuelles Wissen um die Techniken mag das Urteil bewußt und un(ter)bewußt beeinflussen - wenn sich aber letztendlich unser Urteil un(ter)bewußt bildet und wir dann diese Kriterien - nachträglich - operationalisieren, (du schriebst ja ebenfalls, es gäbe keine konkreten Richtlinien, keine binären - also etwa gut/nicht gut - Kriterien,) in wie weit sind das dann Kriterien für gute Literatur? Sind das dann nicht viel mehr gleichsam Veranschaulichungshilfen?


    Sehe aber ein, ist wohl nicht nur von einem literaturwissenschaftlichen Standpunkt, davon aus betrachtet aber sicher naturgemäß und verständlicherweise, Haarspalterei, auch gegen die Poetik des Aristoteles könnte man selbiges vorbringen - vor allem aber schlechterdings nicht das, was der Ordner-Eröffner (der OP) lesen wollte.


    Gruß!

  • Zitat von "Wolf"

    Vollkommenheit, Stimmigkeit, Expressivität, Welthaltigkeit, Allgemeingültigkeit, Interessantheit, Originalität, Komplexität, Ambiguität, Authentizität, Widerständigkeit, Grenzüberschreitung und das gewisse Etwas.


    Hui, das sieht mir von den Schlagworten her nach vielen Redundanzen und Bizarrerien aus (was um alles in der Welt meint er denn mit "Vollkommenheit"?). Oberflächlich betrachtet bin ich da mit meinem Schnellschuss gar nicht unzufrieden :D.


    Zitat von "Stoerte"

    wenn man die Kriterien operationalisiert, dann dienen sie doch dazu jeweils ein subjektives Urteil zu untermauern und oder in Worte zu fassen.


    Also, sagen wir mal so, ich schließe nicht aus, dass auch ein unbelesener Mensch manch einen guten Text von manch einem schlechten zu unterscheiden imstande ist. Es gibt aber sicher Texte, die sich nur dem etwas Beschlageneren erschließen. Die sind deshalb bestimmt nicht schlecht.


    Kriterien zur Feststellung der Qualität eines Textes dienen also nicht einfach dazu, ein bereits aus dem Nichts kommendes subjektives Urteil zu untermauern oder in Sprache zu fassen. Wenn das so angekommen ist, habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Der Punkt ist: Was Beziehungsreichtum ist - und das ist die Vokabel, die Textqualität vielleicht am besten mit einem (mehrdeutigen) Wort beschreibbar macht - hängt vom Betrachter ab. Was eine differenzierte Charakterbeschreibung oder ein gelungenes Sprachspiel ist, kann ich zB nicht absolut entscheiden. Ich muss den Bezugssrahmen kennen, innerhalb dessen ein Urteil gefällt wird und den mir der Urteilende idealerweise mitliefert. Ich weiß nicht, ob das so klarer geworden ist?


    Natürlich kann ich aber kriteriengestützt niemandem vorschreiben, was er gut zu finden hat, bzw. ich kann einen Text auseinandernehmen und irgendwer wird ihn trotzdem noch lieben. Jetzt kommt's aber: Wenn dieses Festhalten nicht einfach als trotziges Beharren ankommen soll, dann muss mir die entsprechende Person ihr Urteil begründen, mir also Beziehungen im Text plausibel machen, die mir bis dahin entgangen sind. So entsteht dann vielleicht sogar ein Gespräch über Literatur.


    Fazit: eine unbegründete Feststellung einfachen Gefallens oder Nicht-Gefallens ist kein ernstzunehmendes Urteil, in keinem Fall; eine Aneinanderreihung unbegründeter Gefallens- oder Missfallensäußerungen verschiedener Personen ist kein Gespräch über Literatur. Bauchgefühle und Geplapper sind nicht verboten, aber sie werden nicht zu etwas, was sie nicht sind, nur weil sie zufällig Bücher zum Gegenstand haben.


    Herzlich, B.