Hallo!
Bis jetzt gab es unglaublicherweise keine allgemeine Diskussion über diese Werke. :sauer:
Ich habe bei einer Suche nur spezielle Diskussionen über "Philosophie und Faust" und "Moderne Sprache und Faust" gefunden.
Ich hoffe, ich kann einige hier zu einer Diskussion dieser Werke, die ein Wahrzeichen der Kultur des Abendlandes sind, motivieren! :winken:
Schlimmstenfalls wird es ein Monolog...
Eine Werk-Vorstellung braucht es in diesem Fall wohl nicht, in dieser Runde sollte jedem klar sein, worum es geht...
Viele Grüße,
Pius.
J.W. von Goethe: Faust I und Faust II
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Hallo!
Zunächst mal ist Goethes eigenes Gottesbild interessant. Er hat es in einem Text mit der Überschrift "Der kosmogonische Mythos" (jedenfalls fällt mir dieser Titel dazu ein) beschrieben. Es ist eine im christlichen Gedankengut wurzelnde Beschreibung der Emanation der Dreifaltigkeit Gottes und des Falls von Luzifer, in gewisser Weise eine Art Schöpfungsmythos. Er sagt explizit, daß er sich eine "seit jeher existierende Gottheit vorzustellen vermag".
Viel später, als ich mich mit Plotin beschäftigt habe, fiel mir auf, daß Goethe dessen Gottesbild/Gottesmythos mehr oder weniger übernommen hat.Nun entspricht der Herr im Prolog zu Faust I nicht gerade der Emanationslehre Plotins, sondern eher naiveren Gottesvorstellungen, wenn nicht gar eher einem typischen mittelalterlichem Herrscher.
Anders wäre es aber auf der Bühne schwer möglich gewesen, und ich glaube, daß diese Darstellung eher auf die Aufführungspraxis Rücksicht nimmt. Als Symbol für Gott bzw. das Göttliche und dessen Wirkung auf die Menschen bzw. auf Faust ist der Herr im Prolog zu betrachten.
Faust selbst äußert in der berühmten Gretchen-Szene ein pantheistisches Gottes- und Weltverständnis. Seine kulturelle Prägung wurzelt im Christentum, aber mit dieser kann er sich nicht mehr identifizieren, da er durch sie nicht erkennt, was die Welt im Innersten zusammenhält. Seine Versuche, eine eigene magische Religion zu entwickeln, schlagen auch fehl und ihm kommt der Sinn des Lebens vollends ab und will sich umbringen. Interessanterweise halten ihn christliche Ostergesänge davon ab. Es ist also in Faust immer noch eine Verbindung zum Göttlichen, die er rechtzeitig erkennt und ihn weiterleben läßt.
Interessanterweise führt ihn seine reise gleich zweimal aus der christlich geprägten Welt heraus, nämlich zur Walpurgisnacht und in die griechische Antike, der sich Goethe selbst wohl sehr verbunden gefühlt hat (ich übrigens auch).
In der Szene Mitternacht schließlich reift seine Selbsterkenntnis zu dem Punkt, an dem er der Zauberei und seinem Lebenswandel abschwört und erkennt, daß er "als Mensch allein" bereits den großen Wert, den er anstrebt, in sich trägt.Das fällt mir jetzt erst wieder ein: Vergleicht mal den Prolog im Himmel mit dem Buche (H)Ijob, 1, 6-12 !
Und in Faust II gibts noch eine Bibelparallele: Die Szene Hochgebirge im 4. Akt ist ähnlich der Versuchung Jesu durch Satan. Faust reagiert nicht ganz so souverän wie Jesus... aber immerhin!Viele Grüße,
Pius. -
Hallo!
Mir fiel auf, daß der Frage, warum so viele Literaten von Faust inspiriert wurden, hier noch nicht sehr nachgegangen wurde. Es ist ja nicht nur ein Phänomen, daß bei Literaten auftritt, sondern auch bei Komponisten oder allgemein bei kulturbewußten Menschen.
Der Faust-Stoff ist ein richtiger Mythos (ähnlich wie die Sagen der alten Griechen, später Parzival etc.), der sich im ausklingenden Mittelalter in unser kulturelles Erbe verankert hat. Daß es wohl auch einen historischen Doktor Faustus gab, darf nicht vernachlässigt werden, reicht aber nicht aus, um die Wirkungskraft dieser Figur zu erklären, die durchaus etwas archetypisches hat.
Der Kern des Faust-Mythos ist der Gelehrte, dem das herkömmliche (sprich: im mittelalterlichen Christentum verhaftete) Weltbild nicht mehr ausreicht, um sein Leben und seinen Wissensdrang zu befriedigen und der, um neue Erkenntnis zu erlangen, keinen anderen Weg sieht als sich zu "versündigen" und einen Pakt mit dem Teufel einzugehen. Das führte in den ersten Faust-Werken, die am Schluß recht moralisch-belehrend waren (z.B. Marlowe), zur Verdammnis. Bei Goethe hingegen hat der Mythos eine neue Stufe erreicht. Nicht nur, daß die Gretchen- und Helena-Tragödie hinzukamen, der Teufel (bzw. Mephisto) stand bei ihm nicht mehr als "Sieger" fest, und die Verdammung Fausts für seine Taten war keine automatische Konsequenz mehr. Mit diesem durch allerlei Irrtum nach Erkenntnis strebenden Faust, der auch für ein aufgeklärtes, pantheistisches Gottesbild steht, hat sich Goethe wohl stark identifiziert. Und die Wirkung dieser archetypischen Figur auf andere Künstler und Gelehrte, sicher auch auf "einfache" Leute, in den letzten fünf Jahrhunderten war sicher nicht gering. Jüngstes Beispiel ist der Film "American Beauty", in dem viele Aspekte der Faust-Tragödie in neuem Gewand vorkommen.
Auch auf mich hat die Lektüre des Faust-Stoffes sehr prägenden Einfluß gehabt.
Viele Grüße,
Pius. -
Hallo zusammen!
Zitat von "Pius"Ich hoffe, ich kann einige hier zu einer Diskussion dieser Werke, die ein Wahrzeichen der Kultur des Abendlandes sind, motivieren! :winken:
Schlimmstenfalls wird es ein Monolog...
Ersteres wäre sicher sehr schön und sehr interessant; letzeres weist eine grosse Wahrscheinlichkeit auf - auch nur schon deshalb, weil man, um über den Faust diskutieren zu können, man ihn praktisch gleich daneben lesen sollte. Meine eigene Lektüre ist auch schon sehr lange her, leider.Zitat von "Pius"Viel später, als ich mich mit Plotin beschäftigt habe, fiel mir auf, daß Goethe dessen Gottesbild/Gottesmythos mehr oder weniger übernommen hat.
Plotin ... ich habe ihn immer noch nicht gelesen ... Aber meines Wissens hat er ja - über die Scholastiker und andere Kirchenväter - das Gottesbild der katholischen Kirche und somit des gesamten Abendlandes geprägt. Inwiefern speziell das von Goethe?Zitat von "Pius"Interessanterweise führt ihn seine reise gleich zweimal aus der christlich geprägten Welt heraus, nämlich zur Walpurgisnacht und in die griechische Antike, der sich Goethe selbst wohl sehr verbunden gefühlt hat
Wurde der "Ausflug" in die Antike nicht auch von Goethe bewusst als Gegenpol gesetzt zum Hexentreiben im ersten Teil?Grüsse
Sandhofer
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Hallo, Sandhofer!
@Plotin:
Ich bezog mich nicht direkt auf "Faust", sondern auf einen Text von Goethe mit dem Titel "Der kosmogonische Mythos", in dem er sein eigenes Welt- und Gottesbild erläutert. Dieses ist sehr an die Emanations-Philosophie (Entstehung der Dreifaltigkeit aus sich selbst heraus, Abfall Luzifers....) Plotins angelehnt. Goethe hatte sich auch mit Plotins Lehren beschäftigt. Indirekt hat dies auch Auswirkungen auf Welt- und Gottesbild in "Faust", denn Goethes Philosophie fließt in sein Hauptwerk natürlich mit ein.@Wurde der "Ausflug" in die Antike nicht auch von Goethe bewusst als Gegenpol gesetzt zum Hexentreiben im ersten Teil? :
Genau so ist es, dennoch besteht die Gemeinsamkeit darin, daß die "christlich geprägte Sphäre" verlassen wird. Der Ausflug in die Antike hat aber noch mehr Bedeutung als nur Gegenpol der Walpurgisnacht zu sein.Schade, daß sich hier keine Faust-Diskussion entwickelt. Ich dachte hier seien mehr Faust-Interessierte...
Viele Grüße,
Pius. -
Hallo zusammen!
Hallo Pius!Zitat von "Pius"Der Ausflug in die Antike hat aber noch mehr Bedeutung als nur Gegenpol der Walpurgisnacht zu sein.
Auf jeden Fall. Wenn ich mich recht erinnere, steckt auch viel davon drin, warum unsere Klassiker eben "Klassiker" heissen. (Und nicht einfach "Romantiker", was z.T. in nicht-deutschsprachigen Ländern so gehandhabt wird.) + eine ganze Kosmogonie.Zitat von "Pius"Schade, daß sich hier keine Faust-Diskussion entwickelt. Ich dachte hier seien mehr Faust-Interessierte...
Ich würde jetzt mal drei Gründe für den Mangel an Beteiligung ausmachen: [list]Zum einen ist eine Diskussion über dieses Theaterstück - wie schon gesagt - wohl fast nur möglich, wenn man den Text unter der Hand hat und ihn gerade liest.
Dann ist dieses Forum - das ist eine Feststellung, keine Kritik - sehr "Roman-lastig". Dramen (und noch viel mehr Lyrik) fristen hier nur ein Mauerblümchendasein. Das ist natürlich schade, aber wir können keinen zu seinem Glück zwingen. :breitgrins:
Last but not least: Juli ist überall eine relativ ruhige Zeit. Viele sind halt im Urlaub ...[/list:u]
GrüsseSandhofer
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Hallo !
Zitat von "sandhofer"Ich würde jetzt mal drei Gründe für den Mangel an Beteiligung ausmachen: ...
Da kenne ich noch einen vierten Grund :breitgrins:: Faust habe ich noch nicht gelesen, es wird noch eine Weile dauern, bis ich ins 19. Jahrhundert vorstoße. Vorerst beschränke ich mich auf die Antike und das Mittelalter.Zitat von "sandhofer"Dann ist dieses Forum - das ist eine Feststellung, keine Kritik - sehr "Roman-lastig". Dramen (und noch viel mehr Lyrik) fristen hier nur ein Mauerblümchendasein.
Das finde ich schade, ich würde durchaus gern mal ein Drama hier mitlesen (allerdings nicht in den nächsten Monaten).Gruß Dietrich
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Hallo!
Ich hatte mir mal Gedanken gemacht, welche Szenen bei einer Faust-Aufführung besonders wichtig sind und besonders gut durchdacht auf die Bühne gebracht werden sollten, und welche Szenen man weglassen kann/soll.
Zunächst mal (ich weiß ja nicht, ob das überhaupt jemanden hier interessiert) für Faust I:Zueignung: weglassen
Vorspiel auf dem Theater: ja, evtl. gekürzt
Prolog im Himmel: ganz wichtig
Nacht(1): äußerst wichtig
Vor dem Tor: fast alles weglassen, erst bei V.1064 („O glücklich, wer noch hoffen kann“) wieder einsetzen
Studierzimmer(1): ganz wichtig
Studierzimmer(2): Faust-Mephisto äußerst wichtig, Schüler-Mephisto kann weggelassen werden
Auerbachs Keller: auf jeden Fall weglassen
Hexenküche: ja, aber gekürzt
Straße(1): ja
Abend: na ja
Spaziergang: ja
Nachbarins Haus: ja, Marthe-Mephisto finde ich aber nicht so wichtig
Straße(2): ja
Garten: ja
Gartenhäuschen: überflüssig?!
Wald und Höhle: wichtig
Gretchens Stube: weglassen (außer es lässt sich die Schubert-Vertonung realisieren )
Marthens Garten: ganz wichtig
Am Brunnen: weglassen
Zwinger: ja
Nacht(2): wichtig
Dom: ja
Walpurgisnacht: eher weglassen, ist zu aufwendig für nicht übermäßig viel Erkenntnis
Walpurgisnachtstraum: was soll das??
Trüber Tag: ja
Nacht(3): weglassen
Kerker: äußerst wichtigViele Grüße,
Pius. -
Hallo Pius
Goethes Faust ist wohl sehr vielschichtig und wenn man ihn nicht gerade liest, ist es sehr schwierig, ihn ganz im Detail im Kopf zu haben. Bei mir ist es wohl ein Jahr her, dass ich ihn las, würde mir aber kein Detailwissen zumuten.Zu deiner Szenenauswahl. SIcher kann man den Faust gekürzt und mit Ausalssungen aufführen, nur müsste man bei der AUslassung schauen, welches Thema man vors PUblikum bringen will und dann demenstsprechend eben auswählen. Goethes Faust vereint viele Themen und Schichten. Am Besten würde man wohl so vorgehen, seinen Schaffemsprozess zum Anhaltspunkt zu nehmen.
Ich wünsche dir weiter viel SPass mit Faust, wenn ich wo was beitragen kann, tu ich das gerne, so aus dem hohlen Bauch fällt mir das grad etwas schwer im MOment.
LIebe Grüsse
Cosima -
Hallo Pius,
doch, das interessiert mich schon! Ich meine, bei Faust I muß, soll und darf man gar nichts auslassen. Warum auch? Er läßt sich auch zeitlich einigermaßen auf der Bühne realisieren. Anläßlich der Weltausstellung in Hannover habe ich ihn erlebt (Bruno Ganz ein phantastischer Faust), und es wurde nie langweilig, obwohl keine großartigen Bühnenbilder vorhanden waren. Auch finde ich alle Szenen wichtig, oder wie rechtfertigst Du den Wegfall von "Gretchens Stube" oder "Am Brunnen"? Die "Walpurgisnacht" z. B. bringt nicht viel "Erkenntnis", stimmt, genau wie die "Hexenküche", aber muß sie das? Faust I ist ein blutvolles Werk, in dem genau wie im Menschenleben nicht nur der Geist dominiert, sondern alle Aspekte, auch Unbewußtes, dargestellt wird.
Ganz erschrocken bin ich darüber, daß Du "Auerbachs Keller" streichen möchtest, eine meiner Lieblingsszenen im ganzen Stück und eine tolle Persiflage von Goethe auf's damalige Studentenleben.Cosima spricht von "vielschichtig", dem schließe ich mich an und meine, genau dies wollte Goethe nahebringen. Also bitte nichts weglassen! :smile:
Viele Grüße,
Gitta -
Hallo zusammen, hallo GItta
Du sprichst mir aus der Seele. GOethes Faust ist im wahrsten Sinne ein Lebenswerk, es entstand über viele Jahre hinweg, dokumentiert so auch die Veränderungen in Goethes Schaffen und in dem, was er in das Stück bringen wollte. Deshlab ist es ein durchaus nicht homogenes STück. Dadurch, dass er über die Jahre hinweg auch in allen Teilen immer Verbesserungen anbrachte, DInge strich und hinzufügte, wird das Stück so komplex, dass man durch Weglassung dem Stück viel von dem, was es ausmacht, wegnehmen täte.
Ich kann mir vorstellen, dass Bruno Ganz als Faust einmalig war. Ein toller Schauspieler, eine super Besetzung.
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Hallo!
Zitat von "Cosima"
Ich kann mir vorstellen, dass Bruno Ganz als Faust einmalig war. Ein toller Schauspieler, eine super Besetzung.Also ich habe die Studierzimmer Szene im Fernsehen gesehen, und fand BG dabei ziemlich farblos und uninspiriert ...
CK
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Hallo!
Na, hier tut sich ja doch etwas!
Ich möchte mal auf das ein oder andere eingehen:Cosima, Gitta, Xenophanes:
ZitatZu deiner Szenenauswahl. Sicher kann man den Faust gekürzt und mit Auslassungen aufführen, nur müsste man bei der Auslassung schauen, welches Thema man vors Publikum bringen will und dann demenstsprechend eben auswählen
Ich habe mir durchaus lange Gedanken darüber gemacht und habe schon selbst viele Faust-Aufführungen gesehen - dies ist meine persönlich favorisierte Szenenfolge.
Es geht natürlich nur um Aufführungen, im Werk selbst wäre eine Streichung ein Sakrileg!!ZitatEr läßt sich auch zeitlich einigermaßen auf der Bühne realisieren. Anläßlich der Weltausstellung in Hannover habe ich ihn erlebt (Bruno Ganz ein phantastischer Faust), und es wurde nie langweilig, obwohl keine großartigen Bühnenbilder vorhanden waren. Auch finde ich alle Szenen wichtig, oder wie rechtfertigst Du den Wegfall von "Gretchens Stube" oder "Am Brunnen"? Die "Walpurgisnacht" z. B. bringt nicht viel "Erkenntnis", stimmt, genau wie die "Hexenküche", aber muß sie das? Faust I ist ein blutvolles Werk, in dem genau wie im Menschenleben nicht nur der Geist dominiert, sondern alle Aspekte, auch Unbewußtes, dargestellt wird.
Ganz erschrocken bin ich darüber, daß Du "Auerbachs Keller" streichen möchtest, eine meiner Lieblingsszenen im ganzen Stück und eine tolle Persiflage von Goethe auf's damalige Studentenleben.
Ich kenne die Ganz-Aufführung, habe begeistert die Fernseh-Aufzeichnung gesehen (Teil I und II). Aber für eine "normale " Aufführung finde ich das zu lang!
Die Gretchen-Szenen dürfen in einer Aufführung, die Gretchens Entwicklung näher beleuchtet, nicht fehlen. Mein Ansatz ist aber eher Mephisto-lastig (persönliche Präferenz).
Wenn man Auerbachs Keller streicht, wird nicht deutlich, daß Mephistos Versuch einer banalen Befriedigung von Fausts Verlangen scheitert.
Das ist aber auch der einzige Grund, der diese Szene rechtfertigt. Allerdings ist die Szene nicht gerade so ausgeführt, daß diese beschriebene Intention im Vordergrund steht. Ich finde, sie ist im Niveau des Dramas ein "Schlenker nach unten", und ich würde sie daher weglassen. Mit "Studentenleben" hat sie nicht viel zu tun, dafür gibts die Mephisto-Schüler-Szene, die ich aber auch nicht so sehr mag.ZitatAlso ich habe die Studierzimmer Szene im Fernsehen gesehen, und fand Bruno Ganz dabei ziemlich farblos und uninspiriert ...
Ich fand seine Interpretation sehr interessant und anregend.Viele Grüße,
Pius. -
Hallo Pius,
ach so, Du befürwortest Auslassungen nur für die Bühne, das hatte ich falsch verstanden. Wie auch Cosima schrieb: Nämlich Themenschwerpunkte setzen u. danach eventuell streichen.
Was die Länge betrifft - jetzt nur mal auf Faust I bezogen, verstehe ich Deine Einwände nicht ganz. Faust II ist ja ohnehin anders angelegt und kaum für die Bühne geeignet. Wenn ich an den berühmten Faustfilm mit Quadflieg/ Gründgens denke, dann fehlt, wenn ich mich nicht täusche, auch keine Szene. Darüber kann man aber schlecht was sagen, weil Längen individuell verschieden empfunden werden, das wissen wir Leser ja am besten.Schwerpunktmäßig habe ich persönlich für das Werk keine Präferenzen. Für mich ist einfach alles wichtig, aus den oben schon angeführten Gründen.
ZitatWenn man Auerbachs Keller streicht, wird nicht deutlich, daß Mephistos Versuch einer banalen Befriedigung von Fausts Verlangen scheitert.
Das ist aber auch der einzige Grund, der diese Szene rechtfertigt. Allerdings ist die Szene nicht gerade so ausgeführt, daß diese beschriebene Intention im Vordergrund steht. Ich finde, sie ist im Niveau des Dramas ein "Schlenker nach unten", und ich würde sie daher weglassen. Mit "Studentenleben" hat sie nicht viel zu tun, dafür gibts die Mephisto-Schüler-Szene, die ich aber auch nicht so sehr mag.
Ja, deshalb bin auch ich unbedingt für ein Verbleiben dieser Szene. Und wenn Faust gerade auf dem Höhepunkt des wilden Treibens angewidert weg möchte, ist das der Beweis für das Scheitern Mephistos. Die Szene selbst finde ich schon studentisch, man denke an die schlagenden Verbindungen, die's selbst heute noch gibt, und die auch meist mit Besäufnissen enden. Der Dialog Mephisto/ Schüler ist dann die andere, intellektuelle Seite, die von Goethe gleichermaßen spöttisch behandelt wird.Zitat
Ich fand seine Interpretation sehr interessant und anregend.
So geht mir's, auch nachdem ich mir das aufgezeichnete Stück nochmal angesehen habe. Bruno Ganz ist ein ganz (!) anderer Faust, als Quadflieg (den ich in der Rolle ebenfalls immer vorbildlich sehe, der aber mehr den Intellektuellen rauskehrt), nüchterner, abgeklärter, moderner, weniger theatralisch. Einer, dem man die Resignation abnimmt. Aber das ist wirklich Geschmacksache.Viele Grüße,
Gitta -
Hallo !
Interessiert habe ich die Diskussion gelesen. Bei mir ist es leider schon sehr lange her, dass ich den Faust (I + II) gelesen habe. Trotzdem stößt man ja immer mal - wie Pius es schon gesagt hat - auf Anspielungen und Verweise.
Warum fristet das Drama hier ein Mauerblümchendasein ? Ich persönlich habe dazu einfach zu wenig Ahnung von Aufbau, Bühnendramaturgie usw.
Die kleine Shakespeare-Leserunde hat mir jedoch gefallen und vielleicht - unter Pius Anleitung - gibt es mal eine weitere Drama-Leserunde ? Ich wäre dabei.Gruß von Steffi
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Zitat von "Steffi"
... vielleicht - unter Pius Anleitung - gibt es mal eine weitere Drama-Leserunde ? Ich wäre dabei.
Da würde ich mich auch gern beteiligen. Vielleicht gibt´s ja noch mehr Interessenten?
Liebe Grüße
Manjula -
Hallo!
Zitat von "Steffi"
vielleicht - unter Pius Anleitung - gibt es mal eine weitere Drama-Leserunde ?Unter meiner Leitung? Das klingt so nach dirigieren... und bis morgen lesen alle den 3. Akt! :breitgrins:
Ich mache mal demnächst zwei Leserunden-Vorschläge, ein altes und ein modernes Drama. Mal sehen, was sich ergibt.
Derzeit lese ich "Die Trachinierinnen" von Sophokles. Das ist wohl - leider - nicht "mehrheitsfähig".ZURÜCK ZU FAUST:
Ich mache nun weiter mit Teil II bei meiner persönlichen "Muster-Aufführung":
1.Akt:
Anmutige Gegend: sehr wichtig
Saal des Thrones: ja, evtl. kürzen
Weitläufiger Saal: weglassen, spart viel Zeit und Aufwand
Lustgarten: ja, kürzen
Finstere Galerie: wichtig
Hell erleuchtete Säle: weglassen
Rittersaal: wichtig, evtl. Zwischenrufe weglassen2.Akt:
Gotisches Zimmer: ja, allerdings Mephisto-Baccalaureus weglassen, wenn man in Teil I schon Mephisto-Schüler weggelassen hat
Laboratorium: äußerst wichtig
Pharsalische Felder: wichtig, Ameisen und Sirenen können weggelassen werden
Peneios: sehr wichtig, aber kürzen
Am obern Peneios: alles bis zum Auftritt von Mephisto (V. 7676) auf jeden Fall weglassen, am besten auch erst mit V. 7801 („Wo bin ich denn?“) einsetzen.
Felsbuchten: auf das Notwendigste zusammenstreichen3.Akt:
Vor dem Palast: ja, aber stark (und sinnvoll) kürzen
Innerer Burghof: mit Fausts Auftritt beginnen, die meisten Lynceus- und Chor-Passagen streichen
Zwischen „Innerer Burghof“ und „Schattiger Hain“ wäre der beste Platz für eine Pause.
Schattiger Hain: sehr wichtig, mit V. 9695 („Hört ihr Kindeslieder singen“) beginnen, mit V. 9961 (vor dem Panthalis-Chor-Dialog) aufhören4.Akt:
Hochgebirg: äußerst wichtig, aber alles nach V. 10233 streichen („Das ist mein Wunsch, den wage zu befördern!“)
Auf dem Vorgebirg: streichen
Des Gegenkaisers Zelt: streichen5. Akt:
Offene Gegend: sehr wichtig
Palast: sehr wichtig
Tiefe Nacht: sehr wichtig
Mitternacht: äußerst wichtig
Großer Vorhof des Palastes: äußerst wichtig
Grablegung: wichtig
Bergschluchten: sehr wichtig, das eine oder andere kann man kürzen; kann ich mir gut mit der Schumann-Vertonung vorstellenViele Grüße,
Pius. -
Hallo!
Ich bringe mal folgende Frage aufs Tapet:
Faust, der Tragödie erster Teil, wird von sehr vielen gelesen - na gut, etliche gezwungenermaßen in der Schule.
Aber von denen, die Faust I gerne gelesen haben bzw. denen dieses Werk gefallen hat, lesen viele nicht eine Zeile aus Faust II.
Das finde ich kaum nachvollziehbar, da die Handlungsstränge aus Faust I dort doch nicht aufhören. Man fragt sich doch: Wie geht der Pakt zwischen Faust und Mephisto aus? Was läßt sich zweiterer noch alles einfallen? Wie kommt Faust über die Gretchen-Tragödie hinweg? Und was ist mit der "Wette" zwischen Mephisto und Gott? Oder fragt man sich das nicht?Ist es denn statthaft, nur Teil 1 zu lesen und Teil 2 links liegen zu lassen?
Viele Grüße,
Pius. -
Hallo zusammen!
Zitat von "Pius"Man fragt sich doch: [...] Oder fragt man sich das nicht?
Man fragt es sich eben nicht unbedingt, meiner bescheidenen Meinung nach. Und - immer noch meiner bescheidenen Meinung nach - liegt dies zu einem grossen Teil auch daran, dass Goethe alles andere als kompositorisch konsequent war. (Wie überhaupt in praktisch keinem seiner Werke - die Wahlverwandtschaften vielleicht als einzige Ausnahme. Ein Lyriker eben ... :breitgrins: )Irgendwann in der zweiten Hälfte von Faust I nimmt die Gretchen-Tragödie ja überhand - und alle Deine Fragen, Pius, treten in den Hintergrund; selbst der Autor scheint sie vergessen zu haben. Und so ist das Ende von Faust I ein durchaus adäquates und befriedigendes Ende - für die Gretchen-Tragödie, zu der sich das Stück unter der Hand entwickelt hat. Dies einerseits.
Andererseits ist Faust II ja nicht unbedingt das, was wir von einer Fortsetzung des Faust-Stoffes wirklich erwarten würden. Die Fabel drängt in eine völlig unerwartete und auch völlig unlogische Richtung. Also selbst wer auf Beantwortung Deiner Fragen drängt, hätte mit Faust II nicht unbedingt das Werk, das ihm diese Fragen wirklich beantwortet.
Zitat von "Pius"Ist es denn statthaft, nur Teil 1 zu lesen und Teil 2 links liegen zu lassen?
Meiner bescheidenen Meinung nach, in Anbetracht des oben Gesagten: ja.Grüsse
Sandhofer
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Ich kann mich Sandhofer nur anschliessen. Ich habe lange Zeit nur den ersten Teil der Tragödie gelesen, den zweiten angelesen und für nicht nach meinem Geschmack empfunden. Das Umfeld ist ein anderes, die Sprache eine andere, alles irgendwie "abgehobener" und eben nicht nach meinem Geschmack. Der Tragödie erster Teil liebe ich, der Tragödie zweiter Teil mag ich nicht. Ich fragte mich nie, wie das wohl weiter geht, das könnte man sich sonst übrigens bei jedem Buch fragen, denn jedes Buch endet irgendwo, wo es durchaus noch weiter gehen könnte.