[denkanstoß] literarische figuren und ihre grenzerfahrungen

  • hallo erstmal, mein erster beitrag- und gleich die bitte.


    in 4 tagen (mo.9,mai) ist deadline für das konzept welches ich zu folgender abituraufgabe (präsentation) abgeben muss:


    literarische figuren und ihre grenzerfahrungen


    motive - formen - erfahrungen


    ein vergleich zwischen walter faber aus max frischs bericht "homo faber" und rodion raskolnikow aus fjodor dostojewskijs roman "strafe und recht" (schuld und sühne).


    steck grad mittendrin, würd mich freuen wenn der ein oder andere noch seinen senf dazu geben würde.


    fröhliches synapsenknacken, genaro

  • Die angegebenen literarischen Beispiele sind so hochwertig, dass ich erst dachte - da kannste nix ergänzen, da weißte nix Neues.
    Und doch - ins Politische und Literarhistorische gekehrt - ist Ernst Wiechert (Lehrer, Dichter, Flüchtling aus der Bundesrepublik - nach 45!) ein gutes, existenzielles Beispiel:


    Von seiner Haft in Buchenwald (ja, ganz nahe bei dem von Nazis so heimgesuchten Weimar) berichtet er in "Der Totenwald" (1939 geschrieben, unter abenteuerlichen Umständen versteckt, weil E.W. ja von der Gestapo überwacht war; erst nach dem Krieg erschienen, im Ausland bei "Rascher" in Zürich 1945). Eine deutsche Taschenbuchausgabe (bei Propyläen/Ullstein, 1963; TB 440) hat es später auch gegeben.
    Seine politischen und psychologischen, teilweise pazifistischen, erzählerischen Texte sind am besten gesammelt in einer Ausgabe des Union Verlages (Berlin 1969; ja, damals DDR!): E.W.: Erzählungen. Hg. v. Ruth Böhmer.
    *
    Wer kennt hier in diesem Forum wohl Ernst Wiechert...?

    Goethe: „...wodurch wir uns abermals überzeugen, daß es eine allgemeine Weltpoesie gebe und sich nach Umständen hervortue; weder Gehalt noch Form braucht überliefert zu werden, überall, wo die Sonne hinscheint, ist ihre Entwicklung gewiß.“

  • Nachtrag:
    Ernst Wiechert im KZ Buchenwald...


    Ein Bild von der Goethe-Eiche, unter der E.W. oft saß, nach der Befreiung. Von ihr und seinen Mithäftlingen, von den Mordschüssen unmittelbar neben sich, berichtete er in "Totenwald".


    Die "Goethe-Eiche" vor einer beschneiten Baracke (nach einer Aufnahme von 1944; weil die durch Fliegerbomben abgebrannte Eiche schon während der KZ-Zeit abgehackt wurde; nur die Baumscheibe blieb lange erhalten):


    http://thirdreichruins.com/GoetheOak44.jpg

    Goethe: „...wodurch wir uns abermals überzeugen, daß es eine allgemeine Weltpoesie gebe und sich nach Umständen hervortue; weder Gehalt noch Form braucht überliefert zu werden, überall, wo die Sonne hinscheint, ist ihre Entwicklung gewiß.“

  • Vor dem 8. Mai noch eine lyrische Erinnerung an E. W.:


    Ernst W i e c h e r t:
    DEUTSCHE WEIHNACHT


    Da ist ein Volk, das vor den Krippen betet,
    wie alle Völker auch in dieser Nacht.
    Gott hat wie Disteln dieses Volk gejätet
    und es zum Brennen auf das Feld gebracht.


    Da ist ein Volk, braucht keinen Stall zu bauen
    für Kinder, die heut nacht geboren sind,
    weil alle Sterne durch die Dächer schauen
    und alle Mütter friert's im Weihnachtswind.


    Dort liegen zitternd sie in ihren Wehen,
    kein Engel, der die feuchten Hände hält,
    kein Ochs und Esel, die beim Kinde stehen,
    kein Hirtenlied aus dem verschneiten Feld.


    Und Joseph kauert auf den nassen Stufen
    und träumt vom letzten Brot, das er sich brach,
    wo ist ein Gott, ihn gläubig anzurufen?
    Wo ist ein Richter, der nicht "Schuldig" sprach?


    Und keine Könige, die sich verneigen,
    und weder Weihrauch, Milch noch trocknes Brot,
    und in den Ecken steht das dunkle Schweigen,
    und auf den Trümmern sitzt der dunkle Tod.


    Da ist ein Volk, im Dunklen noch verloren
    und ist ein Volk, das ist wie keins allein,
    und sind doch Kinder ihm heut nacht geboren,
    und alle werden reinen Herzens sein.


    *


    Geschrieben 1944 oder 1945.
    *
    Aus: E.W.: Meine Gedichte. 1952 (posthum erschienen) S. 36.
    (Nach einer Verlagsnotiz in Wiecherts "Gesammelten Werken". Bd. 7. Kurt Desch Verlag. München. S. 331, darf dieses und andere Wiechert-Gedicht zu Bildungszwecken honorarfrei nachgedruckt werden: "Um das Wissen und die Erinnerung an die Geschehnisse von 1933 bis 1945 wachzuhalten.")

    Goethe: „...wodurch wir uns abermals überzeugen, daß es eine allgemeine Weltpoesie gebe und sich nach Umständen hervortue; weder Gehalt noch Form braucht überliefert zu werden, überall, wo die Sonne hinscheint, ist ihre Entwicklung gewiß.“

  • Jetzt, nach 50 Jahren, wird der KZ-Bericht Wiecherts, "Der Totenwald", erstmals in einem wichtigen, literarisch anspruchsvollen Verlag (ja, auch Brechts oder Handkes .... Verlag: Suhrkamp) erscheinen - und somit dem Vereins- und Biedersinn der Vertriebenen und Alt-Masuren und der indiskutablen Wiechert-Gesellschaft entzogen sein.



    Das Werk Wiecherts könnte in einigen wichtigen Texten und Dokumenten einen neuen Wirkungszyklus ereichen.


    Vgl.:


    http://www.suhrkamp.de/titel/titel.cfm?bestellnr=22425


    *


    Im Internet gibt es den KZ-Überlebens-Bericht Wiecherts hier:



    http://www.ernst-wiechert.de/E…iechert_Der_Totenwald.htm


    Abgedruckt ist er dort mit Nachworten von:


    Herbert Hupka: "Den Kommenden zur Mahnung"


    und


    Reinhold Schneider: "Ernst Wiechert in Buchenwald"


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    Informationen zu E.W.:


    http://www.ernst-wiechert.de/Ernst_Wiechert_Fotos.htm

    Goethe: „...wodurch wir uns abermals überzeugen, daß es eine allgemeine Weltpoesie gebe und sich nach Umständen hervortue; weder Gehalt noch Form braucht überliefert zu werden, überall, wo die Sonne hinscheint, ist ihre Entwicklung gewiß.“

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