Beiträge von Theodora

    Lesefunde: Überraschende Kunde zu einem Lieblingsthema..!


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    Ich bin so frei, mich hier zu "präsentieren..."! Ist das gestattet...?


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    :rollen:


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    OSTERSPAZIERGANG 2005


    Dass ein junges Kind vor einer einfachen Blume still stand und mit der Lust der ersten Jugend in ihren Kelch schaute und fragte. Warum blühen Blumen?
    Dann sprechen sie zu uns von dem, was sie träumen. Oder wir.
    Sagte mein Vater, ... mir; bevor er nicht wiederkam; im Frühjahr 1945...


    Die Dinge so zu sehen, wie sie sind, war Goethes Ideal. Können wir es je? Sind sie nicht alle längst gedeutet, erklärt, mit Deutungen und Wertungen beladen, fast darunter verschwunden? Es gehört eine eigene Geisteswendung dazu, um das gestaltlose Wirkliche in seiner eigensten Art zu fassen und es von Hirngespinsten zu unterscheiden, die sich denn doch auch mit einer gewissen Wirklichkeit lebhaft aufdrängen.
    Vor dem schneidenden Ostwind, der mich vor sich hertreibt, dass mich fröstelt, fliehe ich in den grau-trauten Wald. Hier kauern, an den Boden gedrückt, im morschen, braungrauen Vorjahrslaub, herrlich viele Anemonen, weiße Federflämmchen, „Erderschütterer“ sagte Benn, ein Mann, der für diese Blume nicht einen weiblichen Beinamen begriff.
    Traure ich: Feinblattgeburten der Kälte, einer alten, geheimnisvoll sich offenbarenden Motion gehorsam, existieren sie mit mir zusammen und ziehen neben sich die roten Stränge des Sauerklees, unbegreiflich zart, schütter wie der Erdmulch, in den sie ihre leicht wurzelnden Fädenwurzeln tauchen; meine Hand verschwendet keine Kraft, sie herauszuheben, kühler Hauch und leichtes Sprossen; sind der weiten Landschaft verschwistert, strömen ihren eigentümlichen Duft aus, ohne zu verschwenden: Sie gewähren keine fortstehlende Trunkenheit, und doch ist auch ihr Dasein ein zart schwebender Rausch. Der Ruhm des harmlosen Lebens strahlt von ihnen aus. Hier ist kein Gift gelegt, hier gehen Romeo und Julia (bevor sie dem verirrenden Trank verfielen). Hier dürfen auch die Eichelhäher laut werden. Harsch rasselt die Stimme der Wachsamkeit. Laut sind sie nur in der Einsamkeit des Innern. Im Vorraum zu meiner Welt hier, wo der Wald sich lichtet, sind sie listig und schweigsam im Wissen, wie gern man ihnen nachstellt, wie keck sie lärmen können. Das weinhefenfarbige Gefieder des Leibes, das Sammetschwarz von Schwingen und Schwanz und der intensiv blaue, schwarz-gebänderte Flügelfleck, welch überrealistisches Zusammenspiel des Azurnen mit dem Orphischen!
    Aber wie Nietzsche mit Fistelstimme nach dem Übermenschen rief, womit er den Menschen für sich als Retter meinte, so bedeutet »surrealistisch« nichts als eigentlich wirklich. Warum heben wir oft die Stimme; wie wir, sowohl am Objekt ermattet wie von seiner Übermacht gepeinigt, glauben, es erschöpft zu haben, und eines schneidenden Tones, einer schreienden Farbe der Sensation bedürfen.
    Das kalte, graue Auge des Hähers bedeutet nicht Freundschaft, auch nicht Feindschaft im Tier. Aber es deutet auf eine Qualität der Natur, die keine Vertraulichkeit duldet. Vieles hatten wir mit einer falschen Lieblichkeit behängt, so wie die Bezeichnung »Kinder- und Hausmärchen« den alten Mythen der Frauen des Volkes ihre Unerbittlichkeit nehmen sollte. Die große Poesie lebt aus dem Urgrund und duldet keime Abschwächung. Wir sind ihr heute wieder nahe, wie ihr das 18. Jahrhundert fern war, wenn es das notwendige Ende dies »Königs Lear« zu einem frohen Beisammensein umfälschte und den Taxus beschnitt, um dem wilden Wachstum zu entgehen. Alle Konventionen brachen, neue entstanden. Unter dem Hergebrachten leiden alle Künste. Es glaubt jeder, richtig zu sehen, wenn er das Alte, scheinbar Wohlbekannte in den Bildern findet. Aber jener Schauer desorganisiert; erst, um zu organisieren. »Niemand mag lesen als das, woran er schon einigermaßen gewöhnt ist.« Gegen diese Gewöhnlichkeit des Gewohnten richtet sich die immer junge Kunst. Hier muß jeder sich wagen und entscheiden, ob er neu lese, neu sehe, welche Bereicherung an Wirklichkeit, das heißt an Wirksamkeit, er erfahre. Niemand darf sich bequem auf »Natur« berufen.
    Als ein französische Maler einem General seine Bilder erläuterte, überzeugte er diesen so wenig, dass sein Besucher sich immer wieder auf die Frage zurückzog, wo bei solchen Bildern eigentlich die Natur bleibe; sie sei doch getötet. „Die Natur, mein General“, erwiderte der Künstler im liebenswürdigsten Ton, „die Natur, das ist einfach eine Hypothese“. Der Meister hätte sich auf Kant berufen können, »dass die Natur an sich nichts ist als ein Inbegriff von Erscheinungen, mithin kein Ding an sich, sondern bloß eine Menge von Vorstellungen des Gemüts«. Und so begnüge oder vergnüge sich das Modell, dem Künstler als Idee der Vollendung zu dienen.
    Bin ich abgeirrt von Goethes waldlichtem Ideal? Aber jetzt handelt es sich um den Gehalt, und »den findet nur der, der etwas dazu zu geben hat«.
    Dieses Etwas kann ich nicht besser bezeichnen als eine intensive Parteilichkeit der Empfindung. Ob den Klassiker Goethe ein Picasso erschreckt hätte, wie ihn Beethoven und Kleist erschreckten? Auf jeden Fall würde er sich ihm in der Intensität des Wachstums, des Aneignens vereint empfunden haben. In einem reizenden Aufsatz las ich von dem französischen Maler über Picassos mythische Kunst: „Wenn der griechische Hauptgott der Vielgottheiten zu seinem Samungsvergnügen sich in einen Stier, einen Schwan oder in einen sametnen Goldregen zu verwandeln vermochte, so braucht er keineswegs auf ewig in den Formen dieser Figuren seiner eigenen Zauberei gefangen zu bleiben. Er zeugt, er sinniert, was Künstler zeugen. Er schafft sein Werk, ohne jemals zuzulassen, dass in der Darstellung eines Gegenstandes dessen ganze Realität enthalten sei.“
    Die ganze Realität? Auch ich vernahm nur einen Teil, da ich, Ostern entgegen, durch die Wälder und en Höhenweg durch den Pärde-Redder strich, an dem Hainbuchengebüsch, den Dornhecken entlang, die mit grünen Spitzen, frühlingsnah und aufbruchbereit standen, durch die Anemonenflecken wie Wieschen, weiße Flocken, von paarungsbereiten Rotkehlchen umsungen, wo der Wind schwieg, am Kanal entlang, wo die Brassen sich zum Laichen sammelten. Ewiges Paradox, dass wir, das Ganze zu erfahren, an das Einzelne gebunden sind, dass wir - gefesselt in der Anschauung - frei und bilderstark zu sein wünschen.

    Grüße an die Leser, Schreiber - an die Fontane-Freunde:


    Frage:
    Wer kennt diesen Lector Lincke...? Hat Gernhardt ihn erfunden?


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    ROBERT GERNHARDT
    Lektor Lincke an Theodor Fontane


    Sehr geehrter Herr von Tarne,
    war das nicht Ihr werter Name?
    Vor mir liegt Ihr Buchvorschlag,
    welcher - doch der Reihe nach.
    Erstens ist er nicht zu brauchen -
    eine Frage: Darf ich rauchen,
    während ich hier weitermache?
    Dankeschön. Doch nun zur Sache:
    Das Manuskript, das Sie geschickt,
    war in der Mitte eingeknickt,
    sowie in Worten abgefaßt,
    was nicht zu unserm Hause paßt.
    Auch störten mich die vielen Us
    in Ihrem Satz »Ulf ging zu Fuß.«
    Ach ja - und Ihre Fragezeichen,
    die sollten Sie wohl alle streichen.
    Sie wirken derart krumm und rund,
    so schlangenhaft und ungesund,
    daß ich mich dauernd frage: Was
    bezweckt, bewirkt und soll denn das?
    Sodann Ihr Stil! Schon wenn man liest,
    daß Ihre Heldin Effi briest,
    ist Ihre Ignoranz erwiesen:
    Die deutsche Sprache kennt kein »bliesen«.
    Doch nun was andres: Unser Haus
    bringt grade eine Reihe raus,
    die sich »So brummt der Deutsche« nennt -
    ich bin ganz sicher, so was könnt'
    durchaus in Ihre Richtung passen.
    Woll'n Sie sich mal was einfall'n lassen?
    in Erwartung Ihrer geschätzten Antwort verbleibe ich
    Mit frohem Gruß
    Ihr Lektor Lincke


    PS Ist es erlaubt, wenn ich was trinke?
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    (In: Wörthersee. 1981; aus: Heiner Link (Hg.): eine laus im uhrengehäuse. komische gedichte. 2001. RBL 20007. S. 156)