Theodor Fontanes "Stechlin". Der Roman war zu Beginn sehr angenehm zu lesen. Die endlose Aneinanderreihung von Plaudereien unter Junkern und alten mecklenburgischen Grafen erquickt aber nach zweihundert (von vierhundert) Seiten, ehrlich gesagt, nicht mehr. Diesen ständigen Klatsch & Tratsch nennt Fontane "die gebotene Art, einen Zeitroman zu schreiben". (Das mag schon sein . . . und man fragt sich, wie sähe diese gebotene Art eigentlich heute aus?) Unkonventionelles kommt kaum vor, spielt höchstens eine Gastrolle in Konversationen, wird aber sogleich wieder gesellschaftlich überspielt.
Als Leser verfolgt man zwar lediglich die gehobene Schicht mecklenburgischen Adels mit; zugleich bleibt aber deren Konfrontation mit modernen Ideen nicht unbemerkt. Denn der alte Graf Dubslav von Stechlin kandidiert bei einer Wahl für seinen Kreis, wird aber weit von seinem sozialdemokratischen Rivalen geschlagen. Als Leser ist man von der Majorität völlig isoliert. Die Niederlage deutet aber doch darauf hin, dass eine viel turbulentere Realität irgendwo jenseits der gräflichen Plaudereien existiert. Diese Diskrepanz ließe sich auf manche Erfahrungen der heutigen Zeit (angesichts des Erstarkens rechter Parteien in Europa) anwenden . . .
P. S. Vielen Dank, JHNewman, für die Empfehlung betr. Ulrich Schmids Buch über die russische Gegenwartskultur! Klingt sehr interessant!