Vielen Dank für die Antworten. Wie ich sehe, scheint jeder seinen individuellen Zugang zu Fontane zu pflegen. Prüfend zu meiner selbst aufgeworfenen Fragestellung muss ich feststellen, dass ich Fontanes Romane insbesondere zu deren Ende besonders schätze. Dies aus zweierlei Gründen: Entweder ist es die Zunahme der Ereignisse, die einen fesselt (Cecile, Effie Briest, tlw. Unwiederbringlich) oder aber die rückblickende Betrachtung der Akteure, in diesem Forum bereits als "Altersweisheit" Fontanes beschrieben. Wie wir alle wissen, begann Fontane sein künstlerisches Schaffen in einem sehr hohen Alter, insbesondere, wenn man das damalige Durchschnittsalter betrachtet.
So liebe ich ebenfalls insbesondere den "Stechlin", hat Fontane doch den letztgenannten Aspekt hier zu seiner Blüte geführt: Die Gedanken Dubslavs von Stechlin bis kurz vor seinem Tode nachzuverfolgen, hatte für mich einen großen Reiz. Es scheint bei diesem Roman großteilig so, als spreche Fontane selbst, so ähnlich hat es ja auch Fritz Mauthner im "Berliner Tageblatt" schon 1898 ausgedrückt: "Fontanes letzte Gedanken über Gott und die Welt, über Bismarck und den alten Fritz, über Preußen und die Mark Brandenburg, über die soziale Frage und über die Armee, über Mannesseelen und Frauenherzen ... Und am Ende haben wir gar etwas wie den Abschluß seiner Selbstbiographie vor uns." (siehe das Nachwort von Walter Müller-Seidel in der Insel-Ausgabe)
Aber man muss sich hierbei, so denke ich, immer vor Augen halten, dass es jemanden wie den "alten Stechlin" wohl kaum im preußischen Landadel gab: Angefangen bei der gewählten Ausdrucksweise bis hin zu den Gedankengängen, die zumindest ein Verständnis für sozialdemokratische Gedankengänge offenbaren, bleibt Fontanes Stechlin kaum ein wirkliches Beispiel preußischen Junkertums.
Warum also diese irreführende Veredelung. Damit wären wir bei Tom: ...die Menschen Fontanes und eine Zeit, deren Kolorit irgendwo zwischen reaktionär/imperialistisch/chauvinistisch und humanistisch/fortschrittlich angesiedelt ist.
Fontane muss selbst immer wieder zwischen diesen beiden Polen hin- und hergeschwankt sein: Während der (wieder alte) General Bamme zum Ende von "Vor dem Sturm" bekennt: "Es ist nichts mit den zweierlei Menschen" und insofern die ständische Gesellschaft als überholt betrachtet und Gräfin Melusine als zukünftige Schwiegertochter des Stechlins allerlei Gedanken von der Gleichheit der Menschen darbringt, entscheidet sich Fontane zwischendurch doch wieder für die "gute Ordnung": So bleibt die Liebe in "Irrungen, Wirrungen" zugunsten des Ständeprinzips auf der Strecke. Fontane scheint sich selbst nicht sicher, wie denn nun die neuen Zeiten und der neue Geist aussehen, so bleibt er dann doch eben jener, der zumindest seine Figuren das Bestehende in Frage stellen lässt, ohne wirklich Neues zu denken.
Eins werfe ich Fontane deshalb ein bisschen vor. Überall ist zu lesen, er liefere ein Bild seiner "Zeit", dafür kommt mir aber die hochindustrielle Ära mit ihren Umbrüchen doch zu kurz.
Bleibt die Frage der Frauen bei Fontane. Ich bin mal wieder etwas provozierend (deshalb auch van der Straaten): Mir erscheint eine Marie (Vor dem Sturm) und eine Melusine dann doch etwas zu perfekt. Will Fontane uns dann doch letztendlich weismachen, die Frauen seien nun einmal das bessere Geschleicht?