Andorra- von alt und staubig bis neu und glänzend
Das Drama „Andorra“ von Max Frisch handelt von der aussichtslosen Situation eines jungen Mannes Namens Andri. Er lebt in dem fiktiven Staat Andorra. Andri ist der Sohn des Lehrers Can, den dieser mit einer Frau, der Señora, aus dem verfeindeten Nachbarstaat gezeugt hat. Aus Angst vor der Ablehnung der anderen Andorraner erfindet Can eine Notlüge: er erzählt, Andri sei ein Judenkind, welches er vor den vermutlich antisemitischen, mit den Andorranern verfeindeten Menschen aus dem Nachbarstaat gerettet hat. Er nimmt Andri als seinen Pflegesohn bei sich auf.
Dadurch, dass Andri angeblich anders ist, gehört er nie richtig zum Kreis der Andorraner dazu. Im Verlauf des Buches wird Andri durch einige Vorurteile und Zwischenfälle immer mehr zum Außenseiter. Außerdem wird er als Sündenbock benutzt. Als zum Beispiel die Señora, als sie zu Besuch in Andorra ist, von einem Steinwurf des Wirtes getötet wird, beschuldigt dieser Andri die Señora getötet zu haben und alle schenken dem Wirt Glauben. Irgendwann gibt Andri auf zu kämpfen. Er findet sich mit seinem Schicksal ab und wird schließlich, als der Judenschauer nach Andorra kommt, getötet.
Das Drama besteht aus zwölf Bildern und nach jedem Bild tritt einer der Andorraner an die Zeugenschranke. Sie sagen etwas zu dem Tod Andris. Doch bekennt sich keiner außer dem Pater zu seiner Mitschuld an Andris Tod. Alle weisen die Schuld von sich.
Durch die Auslassung konkreter Namen vermeidet der Autor, dass der Rezipient die Handlung ausschließlich mit bestimmten Charaktere verbindet. Dem Leser soll nicht eine spezifische Situation vor Augen geführt werden, sondern die Allgemeingültigkeit der Handlungsmuster und psychologischen Phänomene soll betont werden.
Meiner Meinung nach ist das Drama „Andorra“ ein sehr gelungenes Werk Max Frischs. Obwohl das Drama schon 1961 das erste Mal aufgeführt wurde, bespricht es immer noch sehr viele aktuelle Themen und lässt daher viel Raum für die kritische Auseinandersetzung mit eigenen Verhaltensmustern. Wer hat denn zum Beispiel noch nie seine Schuld geleugnet? Wer hat nicht schon einmal seine Schuld auf andere geschoben? Selbstschutz nennen wir das. Aber machen wir uns bei diesem „Selbstschutz“ vielleicht Gedanken um die anderen? Auch wenn man sich beim Lesen des Dramas teilweise sehr über die Charaktere aufregt die ihre ganzen Probleme an Andri auslassen, fragt man sich, ob man nicht vielleicht ebenso gehandelt hätte.
Leider braucht man zum Lesen des Buches schon relativ viel Vorwissen. Zum Beispiel über Vorurteile und Stereotypen. Ich zum Beispiel hätte die Verbindung zur Sündenbocktheorie gar nicht erkannt, hätten wir das Drama nicht im Deutschunterricht besprochen. Teilweise viel es mir schwer, das Buch zu lesen, da es manchmal etwas langatmig ist. In vielen, inhaltlich ähnlichen Szenen spiegeln sich die Ansichten der Andorraner gegenüber den Juden wieder. Zwar kämpft Andri lange für seinen guten Ruf, findet sich aber letztendlich doch mit der von Vorurteilen und Stereotypen geprägten Rolle ab, die ihm die Andorraner zugeschrieben haben. Mehr noch, er identifiziert sich sogar mit ihr. Vorurteile gegenüber Juden und anderen Minderheiten sind ein zentrales Thema dieses Dramas.
Obwohl „Andorra“ nur 116 Seiten lang und sehr günstig zu erwerben ist, regt es sehr zum Nachdenken und Diskutieren an.